Leftovers, Hermanos Gutiérrez, Moka Efti

Leftovers

Die Hamburger Schule, wenn sie denn je geöffnet war, ist geschlossen und hat auch keinen Ersatz hinterlassen. Deutschsprachiger Diskurspop existiert zwar weiterhin, aber er ist flatterhaft geworden, irgendwie unbehaust, allerdings mit einem Epizentrum, das undeutscher kaum sein könnte. Dass die ortsansässige Band Leftovers das Auftaktstück ihres famosen Debütalbums Wiener Schule nennt, hat damit allerdings wenig zu tun und grundiert auch keinen neuen Stil, sondern eher das Schreddern eines alten.

Krach ist schließlich kein Austro-Pop. Wenn überhaupt der Begriff darauf anwendbar ist, dann als Pogo- oder Kettensägen-Pop, was mit den Neo-Strizzis Wanda, Bilderbuch, Voodoo Jürgens wenig gemein hat – nicht mal den Schmäh. Ohrenkundig stinksauer brüllen sich Leonid, Leon, Anna und Alex hochdeutsch durch die Gossen ihrer Stadt, arten aber nur partiell in selbstreferenzielles Geschrei aus und sammeln lieber Eighties-Fetzen für ihren Postpunkt-Hardcore, der manchmal ein bisschen wie Messer auf Slayer klingt., manchmal nach Die Nerven auf Frittenbude. aber immer eigensinnig brutal britisch.

Leftovers – Krach (Phat Penguin Records)

Hermanos Gutiérrez

Und wo wir grad bei alpinen Bands sind, die so gar nicht danach klingen, woher sie stammen, muss an dieser Stelle dringend von Hermanos Gutiérrez geredet werden. Das Brüderpaar Estevan und Alejandro kommt zwar aus der Schweiz, hört sich aber schwer nach der Sierra Nevada an, irgendwas mit Mexico oder zumindest so, als würde jemand von außerhalb einen Soundtrack für Spaghetti-Western im Süden Nordamerikas drehen, wobei die ja auch nur selten dort entstanden sind, wo sie sich atmosphärisch verortet haben.

Ohne Gesang, aber mit verschwitzt verhallender Gitarre mäandert das Debütalbum El Bueno Y El Malo durch staubige Wüsten wie einst Sergio Leone oder Ennio Morricone, entfaltet zugleich aber einen fast mediterranen Charme – was natürlich auch mit dem Produzenten zu tun hat: Dan Auerbach verleiht ja auch schon seinen Black Keys grenzgängerische Vielschichtigkeit, die immer nur so wirkt, wie sie nie sein will. Die zehn Stücke mit Titeln wie Hermosa Drive oder Pueblo Man sind, wie sie wirken wollen und doch ganz woanders: schnauzbärtiger Psychopop für Eskapisten.

Hermanos Gutiérrez – El Bueno Y El Malo (Easy Eye Sound-Concorde)

Moka Efti Orchestra

Stichwort Eskapismus: Das Moka Efti Orchestra, vor ein paar Jahren bekannt geworden als 14-köpfige Bigband der Sky-Serie Babylon Berlin und damit Inbegriff der fiktionalen Roaring Twenties, bringt heute sein zweites Album raus – und es hat den Anspruch, der filmischen Vorlage zu entkommen, ohne sie ganz zu verdrängen. Babylon Berlin, wer die ersten drei Staffeln sieht, wird es nie vergessen, ist eine Art tanzchoreografierte Zwischenkriegszeit, gleichermaßen historisch korrekt und komplett drüber, wofür unter anderem Nikko Weidemanns Jazz-Combo verantwortlich war.

Auf Telegramm nun ist sie geerdeter, weniger funkensprühend, spürbar im Studio entstanden und damit nicht unbedingt besser als der Vorgänger, aber irgendwie echter weil weniger cineastisch. Während in der 4. Staffel Babylon Berlin nun die artverwandte Hamburger Bigband Meute den Ton angibt, emanzipiert sich das Moka Efti Orchestra quasi vom Fernsehen und probiert mehr aus – eher sixtiesorientierten Swing wie Sohn zum Beispiel oder Katakomben-Souljazz wie Surabaya Johnny. Eine Weiterentwicklung also. Immer gut.

Moka Efti Orchestra – Telegramm (Motor)

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