Harry & Meghan: Porträt & Publicity
Posted: December 13, 2022 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a commentFeudale Selbstbelagerung
In der sechsteiligen Netflix-Doku Harry & Meghan (Foto: Netflix) beklagen die verstoßenen Windsors ihr Leben im Lichtkegel der Kamerass – und nutzen für ihre Generalabrechnung, genau zu Eigenreklamezwecken: das die Lichtkegel der Kameras
Von Jan Freitag
Wer hoch fliegt, kann tief fallen, oder um es mit dem buchstäblich großen Boulevardsophisten Mathias Döpfner zu sagen: Wer mit irgendwem irgendwomit aufwärtsfährt, fährt irgendwann wieder abwärts, und nur, weil er/sie/es dort oben alles hatten, schön und reich waren, womöglich gar mächtig, muss es unten nicht besser sein als für all jene, die dort endemisch sind. Das gilt also auch „Harry & Meghan“. Nur dass es bei den Titelfiguren der gleichnamigen Netfix-Serie Auslegungssache bleibt, wo sie drei Jahre nach ihrem Rückzug aus der schrecklichsten Familie neben den Trumps gerade heimisch sind: im Himmel, auf Erden, darunter?
Regisseurin Liz Garbus scheint in den ersten drei der 300 Minuten Doppelporträt eine Antwort zu liefern: am Höllenschlund – so wie das hochgestiegene, tiefgefallene Prinzenpaar aus seiner maßgeschneiderten Wäsche blickt. In groben Smartphonevideos sieht man den Königssohn in der Windsor-Suite eines Londoner Flughafens klagen, wie schrecklich die Monate vorm Entzug königlicher Privilegien für ihn waren, bevor seine Frau im kanadischen Luxusexil mit Meerblick und tränenerstickter Stimme hinzufügt, weil „ihnen nichts heilig ist, zerstören sie uns“.
Soweit der Einstieg einer Doku, die schon lang vor ihrer Ausstrahlung turmhohe Wellen schlug. Und nun, da sie einem Tsunami gleich um den Globus rollen, da statt werbewirksamer Trailer die ersten drei von sechs Teilen zu sehen sind, kann man sich ein eigenes Bild vom Standort des tiefgestiegenen, hochgefallenen PR-Produkts aus der himmlischen Hölle ihres Wolkenkuckucksheimes im Säurebad der Boulevardpresse machen. Und das ist trotz nerviger Pianotupfen, die uns von Anfang an melodramatisch infiltrieren, nicht nur sehenswert, sondern erhellend.
Schließlich erleben wir Harry & Meghan dabei, sich kennen, lieben und ängstigen zu lernen. Wir folgen dem dackelsüßen Duke of Essex in die Vergangenheit seiner ebenso behüteten wie beäugten Kindheit. Wir sehen seine afroamerikanische Prinzessin beim Weg aus ihrer ebenso bürgerlichen wie elitären Hollywoodblase in den rassistischen Buckingham Palace. Wir begleiten beide zwischen Safari und Charity-Gala auf der Flucht vor Paparazzi, was sie Liz Garbus in lässiger Sofa-Atmosphäre schildern, als wären es gewöhnliche Erinnerungen.
Dabei sind es Zeugnisse eines fortwährenden Ausnahmezustandes, den die Emmy-dekorierte Filmemacherin mit einer halben Armada Co-Regisseure routiniert zur Gesellschaftsstudie montiert. Schuld an der Misere einer klassen- wie rassenübergreifenden Lovestory, daran lässt das Format keinen Zweifel, sind schließlich wir, die Medien, ein Beruf also, dem die vielen Talking Heads der Serie nur gelegentlich das englische „Tabloid“ für „Boulevard“ voranstellen. Ansonsten steht Journalismus hier pauschal für das Böse.
In Zeiten royalistischer bis reichsdeutscher „Lügenpresse“-Krakeeler ist das allerdings nur der gefährlichste Makel dieser vielbeachteten Serie. Flankiert wird er vom unreflektierten Blickwinkel zweier Objekte, die sich als Subjekte öffentlicher Aufdringlichkeit geben, um ihren Teufel sodann mit dem Beelzebub auszutreiben. Denn während das (höchst sympathische) Dreamteam seine Belagerung durch Schundblätter von „Sun“ bis „Daily Telegraph“, pardon: „die Medien“ beklagt, bläst es mit einem Videoblog zur Gegenoffensive, in dem sich H&M – genau – für alle ständig selbst beobachten.
Weil ihnen die Selbstbelagerung angeblich „Kontrolle über unser Leben“ zurückgeben soll, klingt das Löschen des Feuers mit Feuer sogar recht glaubhaft – wäre es nicht Teil einer PR-Kampagne inklusive Autobiografie im Januar, die angesichts gekürzter Apanage einen ordinär luxuriösen Lebensstil finanzieren hilft. Und auch das röche weniger streng, würde(n) „Harry & Meghan“ auch nur ein einziges annähernd kritisches Wort über den unverdienten Reichtum des antidemokratischen Feudalsystems Erbadel verlieren, der beiden bis heute ein Leben im Überfluss finanziert.
Stattdessen erleben wir zwei Boulevardmedientäteropfer beim Wehklagen über ein parasitäres Biotop, das hiermit keinesfalls verteidigt werden soll. Aber wer sechs beispiellos unterhaltsame, virtuos geschnittene, über die Maße auskunftsfreudige Episoden Insider-Wissen sieht, sollte sich klarmachen: unter all den Problemen dieser krisengeschüttelten Welt, haben „Harry & Meghan“ eines, das geschätzte 7,95 Milliarden Erdbewohner nur zu gerne hätten.