Nina Hagen, Shitney Beers, Isafjørd

Nina Hagen

Es ist ja nicht so, dass Boomer leicht überhörbar wären. Ständig erheben sie ungefragt ihre Stimmen, ständig klingen die dabei ein bisschen lauter als nötig, ständig wollen sie den Generationen XY,Z damit eine Welt erklären, aus der sie längst rausgeschrumpelt sind. Ist es im Lichtkegel dieser geriatrischen Selbstbeweihräucherung also ratsam, ausgerechnet Nina Hagen beim wilden Ritt durchs Panoptikum fremder Musikstile zu folgen? Antwort, so aus Nach-Boomer-Sicht: Unbedingt.

Auf ihrer neuen Platte Unity, der ersten seit 2011, grabbelt Nina Hagen gierig im Wühltisch diverser Genres. Fischt hier mal ein Stück Future-Funk aus dem Haufen, dort ein paar Fetzen Space-Dub, macht aus der sozialistischen Country-Hymne 16 Tons Big Beat, aus dem Atomwaffensperrvertrag Electrotrash, und immer pöbelt sich ihr Punkbariton durch gediegene Disharmonien, als hätte sie alle Nachkriegsgenerationen in sich. Das Resultat: feministischer Experimentalpop, von dem die sich Jüngere noch was abgucken können.

Nina Hagen – Unity (Grönland Records)

Shitney Beers

Und damit zum musikalischen Feminismus jüngerer, viel viel jüngerer Herkunft. Das Hamburger ungefähr Quin- bis Sextett Shitney Bears macht seit ein paar Jahren schon brachialharmonischen, genderfluiden, befreiungssexualisierten, hinreißend unzusammenhängenden Noise-Pop, der sich unablässig selbst überholt, nur um einen Track weiter schon wieder auf der Bremse zu stehen, als würden Mouldy Peaches alle paar Minuten Upper auf Downer klinken oder umgekehrt. Und apropos Peaches Style.

Auf ihrer gleichnamigen Singleauskopplung kombinieren sie den hypersexualisierten Discotechno der kanadischen Berlinerin mit einer Art countryfolkigem Bedroom-Punk, um einen manisch-depressiven Schmerz wegzuficken, den offenbar andere haben – so heiter, statt wolkig klingen selbst ihre Balladen. Geht aber nicht nur um Sex, geht beim benachbarten Label Grand Hotel van Cleef zwölf Stücke lang auch noch um alles und gar nichts, was der Albumtitel This Is Pop perfekt in drei Worte fasst.

Shitney Beers – This Is Pop (Grand Hotel van Cleef)

Isafjørd

Und damit zum Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten, und nein – zumindest im Verhältnis Bevölkerungsgröße zum popkulturellen Output ist das nicht die USA, sondern Island, dieser heißen Quelle verschrobener Electronica-Variationen. Benannt nach einem Nest in den windumtosten Westfjorden namens Ísafjörður machen Isafjørd eine Form von schwelgerisch orchestralem Alternativerock zwischen Schüchternheit und Selbstüberwältigung, der fast zu schön ist, um wahr zu sein.

Auf Hjartastjak unterfüttern Aðalbjörn Addi Tryggvason und Ragnar Zolberg ihre Flächen so melancholisch mit verhallendem Piano oder stilisierten Geigenteppichen, dass der emotional zerzauste Gesang darüber fast schon zu viel Pathos enthält fürs Anspruchsdenken an isländischen Sound. Der Gitarren-Tinnitus aber, dieses psychotische Hintergrundrauschen, holt die meisten der acht Stücke wieder auf den Boden Reykjaviks zurück und liefert uns krautrockigen Emocore von seltener Vielschichtigkeit.

IsafjørdHjartastjak (Svart Records)

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