Billy Zach, JW Francis, Fucked Up
Posted: January 29, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a commentBilly Zach
Wo der Hammer des musikalischen Understatements hängt, lässt sich auf Rippenhöhe abzählen. Bei Beatniks hing die Gitarre gern Höhe der dritten, knapp unterm Kinn, im Metal über der zwölften, also Hodenniveau. Alternative-Rock hingegen klemmt sie mittig dazwischen und signalisiert: Wir nehmen den Sound wichtiger als uns selber – womit wir zwischen der 5. und 7. Rippe von Billy Zach wären, wo die drei Saiteninstrumente des Quartetts aus Hamburg hängen schwer verkopfte Bauchgefühle kreieren, die ergreifend sind, ohne übergriffig zu werden.
Mit trotziger Tristesse mischt das Quartett dystopisch gepickte Riffs im Stil der Fuzztones unter die Übellaunigkeit des Song- und Textwriters Max Zacherl, den das tomlastige Schlagzeug manchmal mehr beschleunigt, als ihm zu behagen scheint. Auch auf der dritten Platte gehen (hohes) Tempo und (gedrückte) Stimmung ein Zweckbündnis ein, das zugleich sediert und euphorisiert, dabei allerdings nie so wirkt, als sei beides geplant. Das allein macht Momentary Bliss zur dunkelbunten Perle im Postrock-Allerlei. Und wenn die Bassistin jetzt noch öfter mitsingen darf, hört man Billy Zach vielleicht bald weit über Hamburg hinaus.
Billy Zach – Momentary Bliss – La Pochette Surprise Records
JW Francis
Und weil das Leben doch wirklich immer dann am schönsten ist, wenn uns seine allergrößten Kontraste ins Gesicht springen, weil es ja erst Unterschiede liebenswert machen und Widersprüche würzig, würdigen wir an dieser Stelle das komplette, also wirklich mal hundertprozentige Gegenteil von Billy Zach: JW Francis. Der New Yorker nennt seinen Stil dem PR-Text nach lofi jangle dream slacker bedroom pop, was natürlich ebenso selbstreferenzieller Bullshit ist wie unsere Definition des carribean cruiseship softcore oder so.
Aber mal ehrlich: wenn stilisierte Marimbas oder Steel Pans wie auf Dream House durch die schwülwarme Luft einer Südseeinsel der Sechzigerjahre wehen, wo Adam Green offenbar mit Lou Reed am Strand spazieren geht, drängen sich Abertausend Vergleiche auf, von denen jeder irgendwie nostalgisch klingt und dennoch gegenwärtig. Dass gute Laune um ihrer Selbst willen auch kleben kann wie Easy Listening – egal! Dieser Gitarrenpop hier macht den Winter erträglicher, ohne vom nahenden Frühling zu lügen.
JW Francis – Dream House (Sunday Best Recordings)
Fucked Up
Damit volle Kraft zurück in die Mitte beider Plattentipps aus vergangener Zeit, fürs Jetzt und Heute aufbereitet: die kanadische Hardcore-Institution Fucked Up, bekannt für epische Noisebretter in gefühlter Stundenlänge, haben ihr neuntes Album gemacht, das epische Noisebretter in gefühlter Punkrocklänge kreiert, die weder übellaunig noch harmoniesüchtig, sondern einfach auf emotionale Art gefühlsneutral sind. Wie anno 2001 presst Damian Abraham seinen Gesang aus der Fülle seines Bauches durch aufgerauten Glamrock.
Anders als beim Debüt fünf Jahre später jedoch besinnen sie sich auch formell auf jene Liedstruktur, die ihrem Sound inhaltlich grundiert. Zwei- bis fünfminütige Tracks abseits einstriger Rockopern, hin zu einer Songmetrik mit Anfang, Ende, auf die Zwölf. Aber weil gleich drei Gitarristen plus Sandy Miranda am Bass dazu fröhlich im Fundus früherer Jahrzehnte wühlen, Schweineriffs der Siebziger mit Britpoplicks der Nuller mixen und Abrahams Screamo damit heiter erweitern, ist One Day trotzdem mehr als die Verknappung der eigenen Mittel. Es ist origineller Hardcore. Auch nicht die Regel…
Fucked Up – One Day (Fucked Up Records)