Leoparden & Dünentode
Posted: January 30, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a commentDie Gebrauchtwoche
23. – 29. Januar
Es ist geschehen. Gestern gingen Tagesschau und heute erstmals seit Wochen ohne Leopard und Lieferung oder ihre Geschwister Kampfjet und Abwehrrakete im ersten Absatz auf Sendung, was dieser kriegerischen Tage noch seltener ist als Sportnachrichten in ARD und ZDF ohne Skispringen oder Biathlon. Praktisch ohne Chancen auf Pokale, aber immerhin mit neun Nominierungen, fährt der Antikriegsfilm Im Westen nichts Neues zur Oscar-Verleihung nach Hollywood.
Neuf, nine, nueve, nove, ni, εννέα, yhdeksän, devet – das zuvor kein deutscher Beitrag erhalten. Und auch, wenn die Ausbeute am 13. März gering sein dürfte: Respekt, Netflix. Für RTL haben wir dagegen vor allem Abneigung übrig. Wie der Kölner Kanal sein Hamburger Spielzeug G+J ausbluten lässt, um richtigem Journalismus Kundschaft abzujagen, das macht die Bertelsmann-Tochter zur AfD unter den Sendern. Dass 150 Mitarbeiter*innen mit Elbblick gegen die drohende Zerschlagung demonstriert haben, juckt die vulgärkapitalistischen Zyniker vorm Rhein daher wenig.
Was wiederum die Gefahr erhöht, dass Informationen weiter zur Ware werden – wobei das Angebot die Nachfrage massiv beeinflusst. Nur so ist erklärbar, dass die TU Chemnitz 5000 Deutsche nach ihrem Sicherheitsempfinden befragt hatte, von denen 70 Prozent glauben, die Kriminalität nehme zu, während bei neun von zehn Straftaten das genaue Gegenteil der Fall ist. Kein Wunder, wenn Konzerne wie RTL ihre Blutschweißtränen-News ständig in Blau- und Rotlicht tauchen oder „soziale Medien“ den Rechtspopulismus pampern.
Nachdem Twitter bereits Donald Trumps Account reaktiviert hatte, darf er jetzt auch wieder bei Facebook und Instagram hetzen. Der Mutterkonzern Meta befindet nämlich, dass vom republikanischen Autokraten-Azubi „gerade keine Gefahr“ mehr ausgehe. Klingt (ohne es dramatisieren zu wollen) verteufelt nach alliiertem Appeasement in München 1938. Und um der antidemokratischen Reaktion die Machtübernahme zu erleichtern, kann sie sich ihre Propaganda ja von Chat GPT schreiben lassen; die weiß, was Hater wünschen.
Aber damit die Woche nicht schon Montag im Stahlgewitter versinkt, noch zwei soft news: RTLzwei hat das Glücksrad reanimiert, was mit Thomas Hermanns & Sonya Kraus als Peter Bond & Maren Gilzer ein wohliges Neunzigerjahre-Gefühl erzeugt, während sich der Mutterkanal ebenfalls vom Rest der Welt abgekapselt und – nein, nicht Gigi, sondern Djamila zur Dschungelkönigin gekürt hat. Wie immer: brachiale, aber gute Unterhaltung.
Die Frischwoche
30. Januar – 5. Februar
Doch keine Sorge, liebe Kulturpessimist:innen: Schon morgen belegt der Mutterkonzern aufs Neue, warum das seriöse Feuilleton vor und nach IBES nur Hohn und Spott für ihn übrig hat. Die Nordseekrimi-Reihe Dünentod soll den Dienstagabend bei RTL ansehnlicher machen, macht sich mit Hendrik Duryn als – hoppla! – knurriger Cop plus dunklem Geheimnis nur lächerlich. Casting, Charaktere, Plot, Dialoge: nahezu alles an der Tatort-Attrappe ist allenfalls Schultheater.
Und damit mehr als nur ein paar Serienfernsehrevolutionen entfernt von internationaler Fiktion wie das australische Medien-Drama The Newsreader in der Arte-Mediathek oder die kalifornische Psychotherapie-Sitcom Shrinking (Apple TV+) mit Jason Segel und Harrison Ford. Wie das historische Sittengemälde Señorita 89 ab Sonntag bei Magenta TV über mexikanische Misswahlen oder Apples Flugzeugabsturzdrama Der Morgen davor und das Leben danach zwei Tage zuvor.
Dass auch hierzulande durchaus originelle Unterhaltung möglich ist, zeigen Christian Ulmen und Fahri Yardim als jerks. ab Donnerstag bei joyn+ zum fünften und (leider) letzten Mal. Ob wir Deutschen jenseits ihrer Fremdschamwitze über alles von Pipikacka bis Selbstüberschätzung lustig sind, möchte die großartige Journalistin Anja R. parallel dazu im Ersten mit der Politiksatire Reschke Fernsehen beweisen. Aber am besten ist öffentlich-rechtliches Programm ja doch eher, wenn es sich mit empathischer Sachlichkeit wie im queeren Drama Glück/Bliss ab Freitag (ZDF-Mediathek) gesellschaftlicher Relevanz zuwendet.