Alfred Döpfner & Claas Relotius

Die Gebrauchtwoche

TV

13. – 19. März

Der schlechtgealterte Best-Ager Mathias Döpfner sieht sich bekanntermaßen als allgewaltige Fügung deutsch-amerikanischer Publizistik, wenn nicht gar Gottkaiser an. Als solcher hat er jetzt entsprechend absolutistisch verfügt, sein Himmelreich auf Erden neu zu besetzen und die gesamte Bild-Chefredaktion entlassen. Nun fällt es dem vernunft- und empathiefähigen Teil der Weltbevölkerung naturgemäß schwer, Johannes Boie, Alexandra Würzbach oder Claus Strunz nachzutrauern, aber die Kaltherzigkeit, mit der Döpfner drei digitalaffine Demokratieverächter:innen durch zwei aus der papierraschelnden Printhistorie ersetzt, ist bemerkenswert.

Der Move, Marion Horn aus der PR und Robert Schneider vom Focus zu holen, um seinen Verlag zukunftsfähig zu machen – das scheint selbst für einen Springer-Boss, der dem alten NS-Steigbügelhalter Alfred Hugenberg längst näher ist als dem jungen Feuilletonspund Mathias Döpfner, verblüffend irrational. Mal sehen, wen er noch so auf die Kreuzberger Führungsetage lässt. Frei hätte zum Beispiel grad Michael Wendler.

Keine 24 Stunden nämlich, nachdem RTLzwei den verschwörungsschwurbelnden Ex-Schlagerstar mit einer Schwangerschafts-Dokusoap quersubventionieren wollte, hat man sie mit der zerknirschten „Entschuldigung, sollten wir hier Gefühle verletzt haben“, wieder abgeblasen weil – hoppla – irgendwer bemerkt haben muss, dass der Wendler ein verschwörungsschwurbelnder Ex-Schlagerstar ist. Aber darüber hatte die linksgrünversiffte Lügenpresse zuvor ja auch echt kein Wort verloren…

Springer-kompatibel wären selbstverständlich auch jene BBC-Verantwortlichen, die den beliebten Sportmoderator Gary Lineker für einen regierungskritischen, also nicht rechtsnationalen Tweet zu Großbritanniens menschverachtender Flüchtlingspolitik rausgeworfen und – hoppla – nach einer Reihe Kündigungen solidarischer Kolleg:innen plus Shitstorm – gleich wieder eingestellt haben. Verzichten muss Alfred Döpfner hingegen auf Louis Klamroth.

Der darf trotz seiner Beziehung zur Klima-Aktivistin Louise Neubauer weiter Hart, aber fair moderieren und lässt somit die Frage im Raum, ob seine Unabhängigkeit wohl auch in ebendie gestellt worden wäre, wenn er vorab erklärt hätte, täglich fünf Kilo Industriefleisch zu essen und sonst nichts ohne Palmöl. Ist aber eh alles egal, denn Im Westen nichts neues hat vier Oscars abgeräumt und ist damit der erfolgreichste deutsche (Netflix-)Film aller Zeiten.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

20. – 26. März

Dass Netflix auch anders, also richtig anders kann, zeigt derweil die RomCom Faraway um eine deutschtürkische Frau über 50, die ihr Leben im Eheknast spontan gegen den Freiraum einer geerbten Finca in Kroatien tauscht und damit ein kleines Juwel reifer Selbstermächtigung liefert. Die Agentenserie The Night Agent ab Donnerstag an gleicher Stelle scheint dagegen keiner Erwähnung wert zu sein.

Aus Skandinavien ganz neu auf Magenta TV: die seltsame Real-Fantasy-Serie Fenris um unsere Angst vor Wölfen, die Todesstrafen-Auseinandersetzung Cell 8 ab Donnerstag und bereits auf Arte online: Blackport, ein achtteiliges Gesellschaftspolitökonomiedrama aus dem Island der frühen Achtziger. Zwischendurch auf Paramount+: Sly Stallones Rückkehr als Mafioso Tulsa King in Oklahoma oder das niedliche Londoner WG-Experiment Flatshare und bei Apple, zum Dritten: Ted Lasso.

Bei joyn geht Freitag derweil die pubertäre, aber liebenswerte Große-Jungs-Youtube-Empowerment-Zote Intimate der Kleinen Brüder Bruno Alexander, Oskar plus Emil Belton in Serie. Und auf RTL schlüpft Katharina Thalbach in Raute und Blazer von Miss Merkel, die nach ihrer Kanzlerschaft nun also zur Ulknudel drolliger Landkrimis degradiert wird, was selbst die Mitschuldige an Klimawandel und Putinmacht nicht verdient hat.

Unweit ihres Brandenburger Comedy-Exils spielt der ARD-Mittwochsfilm Wolfswinkel, in der Claudia Eisinger ein Dorf rechts unterwandert, während das Erste mit der Promi-Presenter-Reportage Wir können auch anders ab heute nur good news verbreitet und Freitag einen vierteiligen Schritt zum Abgrund eines Stalking-Thrillers geht. Das Beste zeitgleich zum Schluss: Erfundene Wahrheit, ein Dokumentarfilm von Daniel Sager, der nach den Recherchen zur Ibiza-Affäre erneut unter seinesgleichen wühlt: in der Spiegel-Affäre um Claas Relotius. Und zwar brillant.

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Döpfners Millionen & Körners Unbeugsame

Die Gebrauchtwoche

TV

27. Februar – 5. März

Um es trotz und wegen aller Polemik mit der akkuraten Menge Zynismus festzuhalten: jeder journalistische Arbeitsplatz birgt ein menschliches Schicksal, das Solidarität, Zuwendung und Schutz bedarf, aber nicht jeder journalistische Arbeitsplatz ist erhaltenswert, womit wir bei Welt und Bild wären. Beide Blätter haben sattsam Erfahrung damit, menschliche Schicksale so zu manipulieren, dass sie – sorry, fürs billige Wortspiel – in(s) Welt-Bild passen.

Erstere zum Beispiel empfand palästinensisches Leben vor 40 Jahren offen als unwert, was bei der Bild für praktisch alle Lebensformen abseits von der erhofften Kaufzielgruppe gewissensreduzierter Populismusfans gilt. Wie also soll man all jene, die ihr Gewissen am Axel-Springer-Platz 1 parterre abgeben, mit Solidarität, Zuwendung, Schutz versorgen? Gar nicht, liebe Springer-Bagage! Wer dem Teufel ins Rektum kriecht wie die schreibende Gauleitung des Gossenjournalismus, stinkt nicht nur schwefelig, er verdient die Arbeitslosigkeit.

Wenn Mathias Döpfner an euch nun 100 Millionen Euro spart, damit sein Konto mittelfristig die Zehnstelligkeit entert, könnt ihr die freie Zeit vielleicht dafür nutzen, in euch zu gehen, Buße zu tun, Schweigekloster vielleicht oder mal ein paar Wochen im Flüchtlingslager helfen. Alles besser als der Dreck, den ihr sonst in die Welt kübelt und damit schlimmer seid als Rupert Murdoch, der wenigstens zugibt, wie sein rechtes Pöbelforum Fox News nach der US-Wahl 2020 Lügen verbreitet hatte.

Dass Sean Hannity, Jeanine Pirro oder Maria Bartiromo dafür rausgeflogen sind, ist im Gegensatz zum RBB-Programmchef Jan Schulte-Kellinghaus freilich nicht überliefert, der nun durch die (vorerst) unbescholtene Martina Zöllner ersetzt wird. ARD und NDR haben währenddessen die Serienloser vergangener ESCs durch eine Band namens Lord of the Lost ersetzt, die sich im Mai um den letzten Platz bewirbt. Viel Erfolg dabei!

Die Frischwoche

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6. – 12. März

Wenig Erfolg dürfte nach Wochen verheerender Kritik normalerweise die lineare Ausstrahlung von Der Schwarm ab heute im ZDF haben, aber deutsche Zuschauer sind mindestens ebenso merkwürdige Wesen wie das Nord- und Ostseegetier, dem der Naturfilmer Thomas Behrend parallel für die ARD-Reihe Erlebnis Erde: Unserer Meere nachgeschwommen ist. Unsere und überhaupt alle weiblichen Wesen dürften zwei Tage später dagegen gern im Zentrum aller Kanäle stehen.

Am Weltfrauentag allerdings haben sich die meisten davon fürs alltägliche Regelprogramm entschieden, weshalb der Bachelor zur Primetime RTL-Sexismus kultiviert und selbst Arte nur ein Re:-Plätzchen vor acht für feministische Themen (Frauenmorde) bereithält. Immerhin zeigt 3sat um 20.15 Uhr Torsten Körners herausragende (Un-)Gleichberechtigungsdokumentation Die Unbeugsamen über Politikerinnen der ersten fünf BRD-Jahrzehnte und wie die Herren der Schöpfung sie darin bekämpft haben.

Selbstgerechte, graue, misogyne, lächerliche, aber mächtige Typen übrigens, die auch den italienischen Sechsteiler Und draußen die Nacht bevölkern, mit dem Arte in seiner Mediathek parallel eines der folgenschwersten Attentate der europäischen Nachkriegsgeschichte nachstellt: Den Mord am Christdemokraten Aldo Moro, der 1978 ein Bündnis mit der kommunistischen Partei eingehen wollte. Ähnlich historisch: Der Reichstagsbrand, dem Arte linear zugleich einen Schwerpunkt widmet. Und damit zur Fiktion dieser Woche.

Heute startet Magenta TV die Biopic-Miniserie Becoming Karen Blixen. Mittwoch zeigt Netflix die liebenswerte, aber bisweilen seichte Late-Coming-of-Age-Dramedy Faraway um eine deutsch-türkische Frau auf Selbstfindungstrip. Bei Paramount+ läuft ab Donnerstag die sechsteilige Romanze Love Me, während die Sky-Serie Christian zeitgleich Mystery mit Mafiosi verbindet und In Search of Tomorrow tags drauf fünfmal die Geschichte der Science-Fiction erzählt. Unwissenschaftliche Fiction zum Schluss: Bernd Münchow als Thirtysomething in der dreiteiligen Neo-Komödie Like a Loser und die nächste Paartherapie, diesmal: Familie Anders, ab Sonntag mit wechselnden Promi-Patient:innen im ZDF.


Henriks Hetze & Hamburgs Luden

Die Gebrauchtwoche

TV

20. – 26. Februar

Der Apfel fällt ja angeblich nicht weit vom Stamm. Als Verteidigungsminister stand Gerhard Stoltenberg einst am rechten Rand der geistig moralisch gewendeten, also auch nicht gerade linksliberalen CDU. Nachdem sein Enkel Henrik vorigen Mittwoch wegen Volksverhetzung verurteilt worden war, hat sich RTL nun vom Star vieler Reality-Formate wie Love Island getrennt. Schließlich befindet er sich ideologisch in durchfallbrauner Gesellschaft.

Von Konrad Kujau zum Beispiel, der laut Die Zeit offenbar nicht nur ein paar Tagebücher gefälscht und beim Stern lanciert hatte, sondern Teil eines rechtsextremen Netzwerks war, das Hitler entlasten und den Holocaust leugnen wollte. Oder Borris Brandt, den außerhalb der Fernsehbranche wohl nicht allzu viele kennen. Glück gehabt! Der frühere Pro7-Programmchef hat Deutschland vor fast 25 Jahren erst TV total, dann Big Brother gebracht und damit Mediengeschichte geschrieben.

Jetzt nimmt seine Intellekt-Verachtung jedoch gefährliche Formen an. Seit Monaten krieche seine quergedachten Kommentare Putin, AfD, Sarah Wagenknecht in den Allerwertesten. Nicht an Gehirn, immerhin aber an Demut mangelt es wie gehabt Patricia Schlesinger. Nicht, dass der früheren RBB-Chefin wegen ihrer Selbstbereicherungsmentalität Altersarmut zu wünschen wäre. Aber mehr als 18.000 Euro monatlicher Pension einzuklagen, dazu gehört schon ein gehöriges Maß an feudaler Ignoranz.

Davon hat Deutschlands einflussreichste Sozialdomina Heidi Klum bei der Verteilung bekanntlich eine Überdosis erhalten. Deshalb kleidet sie ihre Menschenverachtung weiterhin in Diversitätskostüme und macht sich beim Versuch, dagegen Stellung zu beziehen, selbst unter ihresgleichen sogar noch ein bisschen lächerlicher als das ZDF mit seiner sülzigen Seifenoper Der Schwarm, die gleichwohl Topquoten erzielte.

Von denen kann RTLzwei bis heute nur träumen. Wir gratulieren dem Sender, der zu seiner Verblödungsstrategie wenigstens steht, dennoch herzlich zum 30. Geburtstag am kommenden Montag und Fernsehlegenden wie Peep! oder Popstars, aber auch Dexter und Californication. Davon ist RTLzwei2II heute allerdings drei TV-Revolutionen entfernt. Kleiner Auszug aus dem Montagsprogramm gefällig?

Die Frischwoche

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27. Februar – 5. März

Nach dem Vorabendtrash von Köln 506687 bis Berlin – Tag & Nacht folgen erst Die Geissens, dann Daniela Katzenberger, zuletzt Armes und Hartes Deutschland. Weniger Zynismus oder relevante Importserien? Gibt’s ja nicht mal mehr im Haupthaus, wo stattdessen ab Dienstag die denkbar dusselige Fitzek-Verfilmung Auris mit Heino Ferch als Heino Ferch als forensischer Phonetiker läuft. Bleiben also mal wieder nur öffentlich-rechtliche Sender oder Streamingdienste als Empfehlungsportale.

Das Erste zeigt Mittwoch Julia C. Kaisers bedrückend gutes Sozialdrama Nichts, was uns passiert mit Emma Drogunova und Gustav Schmidt als Studierende, die zwei völlig verschiedene Sichtweisen auf eine gemeinsame Nacht haben und dem Aussage-gegen-Aussage-Dilemma vieler Vergewaltigungsdelikte zu einer dichtgewebten, vorurteilsfreien Diskussionsplattform verhelfen. Dass die 2. Staffel der dümmlich dünnen Familiensaga Unsere wunderbaren Jahre zwei Tage später an gleicher Stelle beweist, wie sinnlos die ARD oft Gebührengelder verschwendet – geschenkt.

Mit dem Episodenfilm Notes of Berlin zeigt die ARD-Mediathek am Wochenende ja wieder, was damit für feinsinnige Unterhaltung möglich ist, während der dänische Coming-of-Age-Siebenteiler My Different Ways zwei Tage zuvor bei Neo das Gleiche für Importserien nahelegt. Ohne Rundfunkbeitrag, dafür dank Jeff Bezos entstanden: Die Prime-Serie Luden. Mit Aaron Hilmer als Pimp und Jeannette Hain als Prostituierte, ist das Biopic nicht nur toll besetzt. Es zeichnet ein authentisches Bild vom radical chic St. Paulis vor 40 Jahren.

Zugaben sind dagegen: Jesse Eisenberg als onlinedating-geschädigter Fleishman is in Trouble, acht Folgen lang bei Apple TV. Die Prime-Miniserie Daisy Jones and the Six. Der dokumentarische Sechsteiler Die Anarchisten auf Sky um zwei ebensolche, denen sich das eigene Utopia als Selbstbetrug offenbart. Und natürlich die neue, 24. Folge unseres Fernsehpodcasts Och, eine noch mit mal warmen, mal kalten Worten zu The Consultant, Luden, Liaison.


Schätzings Schwarm & Waltz’ Consultant

Die Gebrauchtwoche

TV

13. – 19. Februar

Literaturverfilmungen sind schon deshalb oft heikel, weil sie anders als Originaldrehbücher nicht nur mit dem Resultat, sondern der Romanvorlage verglichen werden. Wenn dann auch noch der oder die literarisch Verantwortliche am Leben ist, kommen zur Fallhöhe persönliche Befindlichen obendrauf – man denke nur an Michael Endes Verriss von Wolfgang Petersens Die unendliche Geschichte. Und jetzt also Frank Schätzing.

Sechs Tage, bevor das ZDF am Mittwoch den Achtteiler seines Weltbestsellers Der Schwarm in die Mediathek stellt, hat er die Serie so vollumfänglich verrissen, dass „pilcheresk“ noch ein freundlicher Begriff war. Das mag mit gekränkter Eitelkeit zu tun haben, dem angeschwollenen Ego des Blockbuster-Fabrikanten oder schlicht und einfach Marketing. Aber verdächtig ist es schon, dass der Kritiker öffentlich-rechtlicher Umsetzung zwei scheußliche RTL-Verfilmungen von Die dunkle Seite und Mordshunger gelobt hatte.

War also wohl doch nur gute PR, die auch der linearen Ausstrahlung Anfang März ein paar mehr Quotenpunkte bringen könnte. Und vielleicht dabei geholfen hat, vom eigentlichen Skandal des ZDF abzulenken. Dessen Gründungsintendant Karl Holzamer nämlich steckte wohl doch tiefer im NS-Staat als angenommen. Anders als von Sender und Chef behauptet, war er nicht nur langjähriges NSDAP-, sondern nach Eigenrecherchen zum 60. ZDF-Geburtstag auch SA-Mitglied.

Also einer jener Täter, für die der 1. Weltkrieg das verschwörungsideologische Testgelände zur Rechtfertigung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen aller Art war. Was Europa 1914-18 in Schutt und Asche gelegt hatte, verhilft dem Netflix-Drama Im Westen nichts Neues nun allerdings zu unerwartetem Ruhm. Nach neun Oscar-Nominierungen hat Edward Berger nun stolze sieben BAFTA-Awards bekommen.

Im Osten was Neues vom Gewalttäter Sex heißt es dagegen bei Julian Reichelt, der nach Erkenntnissen von Reschke Fernsehen noch viel mehr Frauen sexistisch attackiert hat als bislang gedacht. Im Süden nichts Altes könnte es angesichts der Meldung heißen, dass die ehrwürdige Münchner Lach- und Schießgesellschaft vorm Aus steht, weil Dieter Hildebrandts Nachfolger Bruno Jonas mit aller Welt Stress hat.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

20. – 26. Februar

Damit geht womöglich ein Stück bundesdeutscher Humorhistorie verloren, die nicht mal das ZDF kompensieren kann. Von Frank Schätzing 2004 als Umweltthriller verfasst, wird Der Schwarm zwar als Drama-Serie angekündigt. Vom ersten Moment an allerdings hat GoT-Showrunner Frank Doelker die Vorlage so berechenbar verseift, dass es acht Teile lang meist unfreiwillig komisch ist.

Das gilt ab morgen bei Apple TV mit Einschränkungen auch für den Agenten-Thriller Liaison um ein früheres Liebespaar, das beim Kampf gegen kriminelle Hacker wiedervereinigt wird. Für Action-Fans gewiss ein Leckerbissen in sechs Gängen, ist dieses Testosteron-Gewitter nur wegen des zurückhaltend wuchtigen Vincent Cassel auch für Vernunftbegabte einigermaßen erträglich – und damit immerhin leichter verdaulich als die ARD-Schmonzette Sayonara Loreley am Freitag.

Richtig grandios dagegen ist der neue Geniestreich von Christoph Waltz, diesmal als dadaistischer Unternehmensberater The Consultant, der ab Freitag bei Prime Video eine Videospiel-Schmiede sanieren soll, deren Besitzer er selbst in den Tod getrieben hatte. Soziopathischer Aberwitz Marke Waltz vom Feinsten. Maskulines Ballermann-Fernsehen droht parallel die RTL-Serie Drift zu sein, ein deutsches Fast and the Furious mit Ken Duken und Fabian Busch.

Dann doch lieber dokumentarischen Wahnsinn wie das Paramount-Porträt Rise of the Billionaires, in der die Plattform morgen den Aufstieg mächtiger Tech-Milliardäre von Musk über Gates bis Bezos skizziert. Eine Dokusoap, aber der gehobenen Art, ist die fünfteilige Fortpflanzungsbegleitung Drei Paare, ein Ziel, aber Donnerstag in der ARD-Mediathek. Und um es nicht zu vergessen: Tags drauf steigt das französische Derby Girl zum zweiten Mal bei Neo in Rollschuhe, bevor Apple Samstag Eugene Levy in der Reportage-Reihe Urlaub wider Willen auf Reisen schickt.


Rabes Versagen & Paramounts Hackerinnen

Die Gebrauchtwoche

TV

6. – 12. Februar

Die Marktwirtschaft ist schon ein seltsames Hierarchiesystem. Da wird Deutschlands größter Medienkonzern von einem Mann geführt, den die endlose Abfolge katastrophaler Fehlinvestments in 17 Jahren Bertelsmann-Spitze zum vielleicht unfähigsten CEO der weltweiten Verlagsgeschichte macht. Doch nachdem dieser publizistische Komplettversager den altehrwürdigen Pressedampfer Gruner+Jahr ungebremst in die Ballermannboje RTL gesteuert hat, wird nicht etwa Thomas Rabe vom Gütersloher Hof gejagt – nein, er darf sich mit toxisch breiter Brust vor die Hamburger Belegschaft stellen und Großteile davon kaltherzig feuern.

Abzüglich Kapitol-Sturm erinnert Rabes G+J-Sturm, bei dem 23 (teils tatsächlich sinnlose) Zeitschriften beerdigt und weitere 13 meistbietend verscherbelt werden, also längst mehr an Donald Trump als Henri Nannen, der ihm zwar offenbar das neofeudale Ego, aber nicht die journalistische Weitsicht vererbte. Schließlich war es Bertelsmann, das G+J per rigorosem Sparkurs und purem Desinteresse den Digitalisierungskurs vorenthielt. Mieses Management schadet wie gehabt also nur mies Gemanagten, während sich miese Manager mit Abermillionen gepampert Richtung vergoldetem Vorruhestand stümpern.

Ein Automatismus, der verteufelt an die heutige Tech-Industrie erinnert. Nach Jahren schier grenzenlosen Wachstums hat nach Paypal, Twitter, Alphabet oder Spotify nun auch Disney Stellenabbau angekündigt – und das, obwohl der Entertainment-Gigant seinen Gewinn 2022 auf 1,3 Milliarden Dollar steigern konnte und mittlerweile nahezu das Zwanzigfache erlöst. Angeblicher Grund der Kürzungen abseits der Dauererklärung Krieg/Corona: Disneys Streamingdienst mit + am Ende hat – anders als die hauseigenen Portale Hulu und ESPN – zuletzt an Reichweite verloren.

Vielleicht ist das alte, lineare, bundesdeutsche Fernsehen also doch noch nicht ganz verloren. Kurz nach den News der digitalen Konkurrenz jedenfalls blies es unerschrocken zur retrofuturistischen Attacke. Denn ProSieben hat angekündigt, Stromberg aus dem wohlverdienten Grab zu holen. Ein (damals schon geklautes) Relikt aus Zeiten also, da Netflix noch ein DVD-Versand war. Starke Antwort.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

13. – 19. Februar

Fast so stark, wie die öffentlich-rechtliche Gegenoffensive. Das Erste zum Beispiel lässt morgen das nächste Beiboot einer WaPo zu Wasser. Diesmal die Elbe flußaufwärts, wo der Ableger mit ein paar Betrunkenen am Herrentag um ostdeutsches Publikum buhlt. Das nennt man dann wohl Zielgruppenmanagement. Die betreibt zwar auch Magenta TV, wenn es am Sonntag mit Tales of the Walking Dead ein weiteres Spin-of der Zombie-Serie startet. Routinierter baggert allerdings das ZDF am Massengeschmack.

Zum 7. Mal gerät Jan Josef Liefers heute als Fernsehanwalt Joachim Vernau in Mordsverwicklungen am Brandenburger Düstersee, was wie WaPo Elbe also gleich drei Publikumstrigger aktiviert. Und auch, wenn die ARD ab Dienstag vier Österreicherinnen und ihr dunkles Geheimnis mit überdurchschnittlichem Heim-Cast (Franziska Weisz & Franziska Hackl) plus unterdurchschnittlichem Auswärts-Cast (Diana Amft & Jasmin Gerat) ins Krimigetümmel des achtteiligen Melodrams Tage, die es nicht gab stürzt, stand die Sehgewohnheit Pate – worüber übrigens auch die neue Folge unseres Fernseh-Podcasts Och eine noch sinniert.

Für Albrecht Schuchts intensives Porträt des DDR-Literaturrebellen Lieber Thomas Brasch bleibt da heute natürlich nur die Nachtschiene (22.25 Uhr) von Arte – schließlich müssen ARD und ZDF ihre Primetime Mittwoch (Düsseldorf), Donnerstag (Kölle) und Freitag (Mainz) ja mit Karneval verfüllen. Sat1 hat dafür endlich mal wieder was Anspruchvolles im Angebot: Den Vierteiler Litvinenko (donnerstags in Doppelfolgen, 20.15 Uhr) mit David Tennant als russischer Ex-Agent, den Putin 2006 auch real radioaktiv vergiften ließ.

One dagegen hat sich den BBC-Dreiteiler The Replacement um eine Glasgower Architektin geschnappt, der die eigene Schwangerschaftsvertretung ab heute Abend weit mehr als den Job streitig macht. Donnerstag schickt die Paramount-Serie A Thin Line zwei deutsche Klima-Aktivistinnen auf gegensätzliche Seiten des Gesetzes und macht damit endlich mal Frauen zu Hauptfiguren eines – sehr sehenswerten – Cyberthrillers. Eher retrofuturistisch schickt die Apple-Serie Hello Tomorrow tags drauf Tourist:innen auf den Mond. Und zu guter Letzt steigt Sky parallel mit tausendfach erprobter Story (Django) und frischer deutscher Beteiligung (Lisa Vicari) auf den Zug des Westernbooms.


Fredrichs Abgang & sexistisches London

Die Gebrauchtwoche

TV

30. Januar – 5. Februar

Es wäre ein Knall gewesen, der laut durchs Medienland scheppert und überall gehört werden müsste: Die Aufsichtsratsvorsitzende Julia Becker hat den vorläufigen Austritt ihrer Funke Mediengruppe aus dem Branchenverband BDZV in der Süddeutschen Zeitung am Wochenende nicht nur mit dessen Selbstverzwergung im Arsch von Mathias Döpfner erklärt, sondern der unfassbaren Misogynie im Journalismus. Zu dumm, das so was nur branchenintern wahrgenommen wird.

Bei ihrem Amtsantritt vor fünf – nicht 50! – Jahren nämlich sei die Enkelin des Funke-Gründers Jakob meist allein unter Männern von vielfach patriarchalischer Selbstgerechtigkeit gewesen, woran sich zwar etwas ändere, aber nur sehr, sehr langsam. Kaum zu glauben, dass in dieser Branche ausgerechnet Führungskräfte, denen sicht- und spürbar an Veränderung in Richtung Diversität gelegen ist, an sich selber scheitern.

Benjamin Fredrich, Gründer und Chef des liebenswerten Greifswalder Grafikmagazins Katapult, ist nach einem Übermedien-Bericht über nachlässige Spendengelder-Verwendung seiner ukrainischen Redaktion zurückgetreten. Fraglos ein kritikwürdiges Verhalten – das rechts dieser linken Mitte allerdings nicht mal Schulterzucken erzeugt hätte. Aber die Integrität demokratischer Kräfte (Katapult) ist im Vergleich zu derjenigen demokratiefeindlicher (Springer) seit jeher so groß, dass sie sich lieber selbst als ihre Gegner zerfleischen.

Nach diesem Prinzip brachten kürzlich Enthüllungen des geistesverwandten Böhmermann bereits den linksliberalen Medien-Liebling Finn Klymann zu Fall. Nach diesem Prinzip findet sich der gewissenhafte Louis Klamroth gerade in einem ComplianceVerfahren der ARD wieder, weil er seine Beziehung zur Klima-Aktivistin Luise Neubauer nicht veröffentlicht hatte. Nach diesem Prinzip kann die Bild-Zeitung seit Wochen aber auch Tag für Tag zwei ihrer Mitstreiter:innen mit Titelseitendreck bewerfen, da sie buchstäblich dummerweise das getan haben, was Bild-Leser gewissenlos tun: nach Bali fliegen. Simple neue Medienwelt.

In der es jedoch seit Kriegsbeginn eher noch komplizierter geworden ist, Wahrhaftigkeit zu vermitteln. Also das, was Reporter ohne Grenzen seit Jahrzehnten versucht. Zusammen mit den Zentren für Pressefreiheit Lwiw und Kyjiw weist die journalistische Hilfsorganisation auf den außergewöhnlichen Fall eines ukrainischen Reporters hin, den russische Truppen offenbar gezielt getötet haben. Sehr investigativ, höchst interessant, überaus erschreckend.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

6. – 12. Februar

Weder investigativ noch erschreckend, aber hochinteressant ist die norwegische Dramaserie Lifjord um einen Mordverdächtigen, der 20 Jahre nach seinem umstrittenen – so der Untertitel – Freispruch als lebensrettender Investor ins abgelegene Heimatdorf zurückkehrt. Bislang lief die Serie unter Ausschluss der deutschen Öffentlichkeit bei Sony. Nun sind sie ersten zwei Staffeln in der Arte-Mediathek zu sehen. Dort also, wo sich der Kulturkanal Dienstag dokumentarisch zur besten Sendezeit mit der Atomkraft auseinandersetzt.

Optisch, ästhetisch, akustisch opulenter ist dagegen die Sky-Serie Funny Woman, in der eine nordenglischen Schönheitskönigin ins London der Swinging Sixties zieht, die leider vor allem sexistisch waren. Um als Komikerin durchzustarten, muss Ex-Bond-Girl Gemma Arterton also Dutzende gläserner Decken durchstoßen. Und nach Drehbüchern von (Nebendarstellerin) Morwenna Banks hat Regisseur Oliver Parker Nick Hornbys Romanvorlage dabei zwar ein bisschen dick gezuckert. Dennoch ist die sechsteilige Comedy ab Donnerstag auf Sky von pfiffiger Sozialkritik.

Das gilt tags drauf in der ZDF-Mediathek auch für die 2. Staffel der Late-coming-of-Age-Serie Deadlines um eine Handvoll deutscher Großstadtfrauen im Hamsterrad der multioptionalen Gesellschaft. Und wenn die Umsetzung mit schwarzer, lesbischer, (auf)begehrender Sklavin im (noch) rassistische(re)n Amerika des vorvorigen Jahrhunderts nicht so berechnend auf divers machen würde, gälte es auch fürs Magenta-Drama Das Geständnis der Fanny Langdon am Sonntag.

Da ist dann sogar die andere deutsche Late-Coming-of-Age-Serie Tage, die es nicht gab mit Franziska Weisz, Diana Amft, Jasmin Gerat und Franziska Hackl als frühere Schulfreundinnen mit dunklem Geheimnis zeitgleich in der ARD-Mediathek ein wenig klischeefreier umgesetzt. Bleiben zwei weitere weiblich besetzte Netflix-Serien: Der Handel um (realexistierende) Frauen im Kuwaiter Börsenspiel der Achtziger. Für Fans koreanischer Liebesreigen dazu: Love to Hate you. Und für solche von Dominik Graf: sein Mittwochsfilm Gesicht der Erinnerung mit Verena Altenberger, die ihren toten Exfreund in einem 20 Jahre Jüngeren wiederzuerkennen scheint, schafft es bildgewaltig, Esoterik, Psychologie, Melodrama und magischen Realismus zu versöhnen.


Leoparden & Dünentode

Die Gebrauchtwoche

TV

23. – 29. Januar

Es ist geschehen. Gestern gingen Tagesschau und heute erstmals seit Wochen ohne Leopard und Lieferung oder ihre Geschwister Kampfjet und Abwehrrakete im ersten Absatz auf Sendung, was dieser kriegerischen Tage noch seltener ist als Sportnachrichten in ARD und ZDF ohne Skispringen oder Biathlon. Praktisch ohne Chancen auf Pokale, aber immerhin mit neun Nominierungen, fährt der Antikriegsfilm Im Westen nichts Neues zur Oscar-Verleihung nach Hollywood.

Neuf, nine, nueve, nove, ni, εννέα, yhdeksän, devet – das zuvor kein deutscher Beitrag erhalten. Und auch, wenn die Ausbeute am 13. März gering sein dürfte: Respekt, Netflix. Für RTL haben wir dagegen vor allem Abneigung übrig. Wie der Kölner Kanal sein Hamburger Spielzeug G+J ausbluten lässt, um richtigem Journalismus Kundschaft abzujagen, das macht die Bertelsmann-Tochter zur AfD unter den Sendern. Dass 150 Mitarbeiter*innen mit Elbblick gegen die drohende Zerschlagung demonstriert haben, juckt die vulgärkapitalistischen Zyniker vorm Rhein daher wenig.

Was wiederum die Gefahr erhöht, dass Informationen weiter zur Ware werden – wobei das Angebot die Nachfrage massiv beeinflusst. Nur so ist erklärbar, dass die TU Chemnitz 5000 Deutsche nach ihrem Sicherheitsempfinden befragt hatte, von denen 70 Prozent glauben, die Kriminalität nehme zu, während bei neun von zehn Straftaten das genaue Gegenteil der Fall ist. Kein Wunder, wenn Konzerne wie RTL ihre Blutschweißtränen-News ständig in Blau- und Rotlicht tauchen oder „soziale Medien“ den Rechtspopulismus pampern.

Nachdem Twitter bereits Donald Trumps Account reaktiviert hatte, darf er jetzt auch wieder bei Facebook und Instagram hetzen. Der Mutterkonzern Meta befindet nämlich, dass vom republikanischen Autokraten-Azubi „gerade keine Gefahr“ mehr ausgehe. Klingt (ohne es dramatisieren zu wollen) verteufelt nach alliiertem Appeasement in München 1938. Und um der antidemokratischen Reaktion die Machtübernahme zu erleichtern, kann sie sich ihre Propaganda ja von Chat GPT schreiben lassen; die weiß, was Hater wünschen.

Aber damit die Woche nicht schon Montag im Stahlgewitter versinkt, noch zwei soft news: RTLzwei hat das Glücksrad reanimiert, was mit Thomas Hermanns & Sonya Kraus als Peter Bond & Maren Gilzer ein wohliges Neunzigerjahre-Gefühl erzeugt, während sich der Mutterkanal ebenfalls vom Rest der Welt abgekapselt und – nein, nicht Gigi, sondern Djamila zur Dschungelkönigin gekürt hat. Wie immer: brachiale, aber gute Unterhaltung.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

30. Januar – 5. Februar

Doch keine Sorge, liebe Kulturpessimist:innen: Schon morgen belegt der Mutterkonzern aufs Neue, warum das seriöse Feuilleton vor und nach IBES nur Hohn und Spott für ihn übrig hat. Die Nordseekrimi-Reihe Dünentod soll den Dienstagabend bei RTL ansehnlicher machen, macht sich mit Hendrik Duryn als – hoppla! – knurriger Cop plus dunklem Geheimnis nur lächerlich. Casting, Charaktere, Plot, Dialoge: nahezu alles an der Tatort-Attrappe ist allenfalls Schultheater.

Und damit mehr als nur ein paar Serienfernsehrevolutionen entfernt von internationaler Fiktion wie das australische Medien-Drama The Newsreader in der Arte-Mediathek oder die kalifornische Psychotherapie-Sitcom Shrinking (Apple TV+) mit Jason Segel und Harrison Ford. Wie das historische Sittengemälde Señorita 89 ab Sonntag bei Magenta TV über mexikanische Misswahlen oder Apples Flugzeugabsturzdrama Der Morgen davor und das Leben danach zwei Tage zuvor.

Dass auch hierzulande durchaus originelle Unterhaltung möglich ist, zeigen Christian Ulmen und Fahri Yardim als jerks. ab Donnerstag bei joyn+ zum fünften und (leider) letzten Mal. Ob wir Deutschen jenseits ihrer Fremdschamwitze über alles von Pipikacka bis Selbstüberschätzung lustig sind, möchte die großartige Journalistin Anja R. parallel dazu im Ersten mit der Politiksatire Reschke Fernsehen beweisen. Aber am besten ist öffentlich-rechtliches Programm ja doch eher, wenn es sich mit empathischer Sachlichkeit wie im queeren Drama Glück/Bliss ab Freitag (ZDF-Mediathek) gesellschaftlicher Relevanz zuwendet.


Dschungel-GiGi & Dämonen-Gellar

Die Gebrauchtwoche

TV

16. – 22. Januar

Auch wenn der kulturelle Sonnentiefstand die Schatten kleiner Gernegroße meilenhoch wachsen lässt – unsere Zivilisation wird zurzeit gewiss anderswo angegriffen als im australischen Dschungel. Durchschnittlich fünf, sechs Millionen Fernseh- und nur unwesentlich weniger Online-Zuschauer:innen ergötzen sich zwar – widerwillig oder lustvoll – am Leid anusessender G-Promis. Das aber nimmt meistens nur einige der 120 Minuten pro Nacht ein. Den Rest dominieren soziale Interaktionen, die viel aussagen übers Land und seine Menschen.

Gut zusammengefasst im Statement des melodramatischen Machos Gigi, er werde hier „normal und alle anderen immer verrückter“, hat sich das stetig fortalphabetisierte Feld sexueller Diversität dank solcher Reflexionen eines maximal testosterongesättigten Mannes gerade auf LGiGiBTQI+ erweitert und verdeutlicht, was die Leute von IBES wirklich wollen: einen Bewusstseinswandel, der nicht sie selber betrifft. Veränderung, die andere durchmachen. Metamorphosen ohne Eigenanteil.

Die macht gewissermaßen auch RTL gerade durch, indem es fortan ohne Live-Bilder der heteronormativen Deppen-Raserei Formel 1 auskommen muss. Eine Rechte- und Bedeutungsverlust, den Deutschlands Leitmedien unterschiedlich bewerten dürften – darüber geben ja schon die Zusammensetzungen ihrer Führungsetagen Auskunft. Während linksliberale, also Redaktionen von der taz über Die Zeit bis zur SZ relativ viele (bis auf erstere aber weiterhin viel zu wenige) Frauen an der Spitze haben, sind rechtskonservative von Welt über Bild bis zum absoluten Schlusslicht FAZ überwiegend Männerbünde.

Apropos: Die Rolling Stones haben jetzt endlich auch einen TikTok-Kanal. Und nebenbei: die ZDF-Krimireihe Nord Nord Mord kratzt quotenmäßig mittlerweile an der Zehn-Millionen-Marke und damit am Tatort-Nimbus. Was umso erstaunlicher ist, als Streamingdienste ihre Zugriffszahlen noch immer nur zögerlich veröffentlichen. Das dürfte im Fall der Neustarts dieser Woche kaum anders bleiben.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

23. – 29. Januar

Dabei tut die klitzekleine Seriensensation alles, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Zumindest alles, was schon mal erfolgreich war. Sarah Michelle Gellar ist zurück, und dass ihre Buffy der Neunziger im Fernsehen von heute abermals Dämonen jagt, hat nur am Rande mit der Monsterhatz von Wolf Pack zu tun, aber viel mit Markenkalkül von Paramount+ und anderen Portalen. MagentaTV zum Beispiel, dass parallel den BritBox-Sechsteiler Hotel Portofino zeigt.

Historische Dramen aus der Luxusgastronomie (Riviera) bildgewaltiger Jahrzehnte (Twenties) – trotz der wunderbaren Natascha McElhone als Hotelerbin ein eher berechenbares Thema. Das gilt auch für Shrinking, womit Arte tags drauf auf den gerngesehenen Zug therapiebedürftiger Psychotherapeuten und ihre Marotten, Laster, Konventionsbrüche springt – in diesem Fall Jason Segel und Harrison Ford bei Apple+.

Bei Arte reist The Newsreader ab Donnerstag dann zurück in die telegenen Achtzigerjahre, wo das Kollegium eines australischen Nachrichtenkanals seine Profilneurosen und Machtspielchen pflegt. Zwei Tage später dann erweitert One mit dem englischen Krimi Charlie Says den Kanon fiktionaler Deutungen rund um Charles Manson (Matt Smith) – diesmal aus Perspektive seiner weiblichen Sektenmitglieder. Nur allzu real ist hingegen der Themenschwerpunkt Vor 90 Jahren, in dem Arte zum Jahrestag der Machtergreifung (und der Auschitzbefreiung) den Aufstieg des Nationalsozialismus nachzeichnet.

Und zwei Tage nach dem 30. Geburtstag des tapferen kleinen Spartenkanals Vox, der mit Formaten wie Schmeckt nicht, gibt’s nicht oder dem Club der roten Bänder regelmäßig Fernsehgeschichte schreibt, kehrt zum Wochenende die heute-show auf den Bildschirm zurück bevor auch Böhmermanns ZDF Magazin Royale aus dem Winterschlaf erwacht – zunächst allerdings nur mit einen Live-Konzert der aktuellen Ehrenfeld Intergalactic Tour 2023.


Klamroths Härte & Skys Pilze

Die Gebrauchtwoche

TV

9. – 15. Januar

Mehr als zwei Jahrzehnte lang konnte man Woche für Woche fragen, ob Hart und teils fair nicht der bessere Titel für Frank Plasbergs leicht populismusanfällige ARD-Talkshow Hart, aber fair gewesen wäre. Jetzt hat Louis Klamroth das Format übernommen, und nach seiner Premiere scheint denkbar, dass es die ARD in Hart oder fair umbenennt – vergaß der junge Influencer vor lauter Premierenfreundlichkeit doch, auch mal die härtere Gesprächsbandage anzulegen. Na, das kann ja noch kommen.

Etwa wenn der Freund von Klima-Aktivistin Luisa Neubauer nicht über Preisspiralen in Dauerkrisen debattiert, sondern – sagen wir: lügnerische Polizeipressestellen. Im Anschluss an die Silvesternacht-Krawalle zum Beispiel hat die Berliner schnellstmöglich 145 „vorwiegend migrantische Täter“ vermeldet, die Ordnungskräfte mit Böllern attackiert hätten. Mittlerweile jedoch musste die Polizei-PR ihre Zahl auf Nachfrage kritischer Medien unter 40 vorwiegend deutsche Täter reduzieren. Einsicht, gar Eingeständnisse? Fehlanzeige!

Mindestens mitschuldig am polizeitaktischen Täuschungsmanöver sind aber deren Objekte: Journalist:innen nämlich, die staatliche Verlautbarungen völlig unkritisch übernehmen, als wäre der Staat unfehlbar. Wie wenig er das ist, hatte Berlins Polizei kurz zuvor im Kampf gegen sogenannte Klima-Kleber gezeigt, die sie fälschlich für einen Unfalltod verantwortlich gemacht hatte und trotz der offensichtlichen Fehlinformation seither routinemäßig abfragt, ob Staus mit Umwelt-Aktivismus zu tun haben.

Wer da definitiv härter nachhakt als Louis Klamroth, ist bisher Anne Will – die Luisa Neubauer gestern allerdings vor allem zum Bild-Fetisch gewalttätiger Demonstrant:innen verhörte und Ende 2023 nach 16 Jahren eigene Talkshow aufhören will. Nach einem Jahr Pause hat CBS am Dienstag wieder die Verleihung der jahrzehntelang männerblütenweißen Golden Globes übertragen, wo man sich erstmals seit 1944 spürbar um Diversität bemühte. In der Fernsehsparte am erfolgreichsten: Abbott Elementary mit drei und The White Lotus mit zwei Preisen, während Im Westen nichts Neues aus Deutschland (wie auch bei den Critics Choice Awards) leerausging.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

16. – 22. Januar

Was Anfang 2024 definitiv nicht leer ausgehen dürfte: die Videospiel-Adaption The Last of Us, ab heute bei Sky und Wow. Die GoT-Stars Pedro Pascal und Bella Ramsey ziehen darin inmitten einer Pandemie übergriffiger Pilze, die Befallene zu – dummerweise sehr schnellen – Zombies machen, durch Amerika und versuchen, bei der Suche nach einem Heilmittel zu helfen. Trotz zuweilen leicht absurder Menschenpilze ist das erzählerisch, ästhetisch, atmosphärisch eine glatte 1.

Die kriegt auch Kida Ramadans Fernsehserie Asbest mit dem Rapper Xidir als Häftling, der sich den Frust über die falsche Verurteilung und all jene im eigenen Clan, die dafür verantwortlich waren, ab Freitag bei One mit Knastfußball abtrainiert. Wie so oft bei Kiezstudien von/mit Ramadan, ist der gewaltstrotzende Realismus darin auf unglaubliche Art authentisch. Eine glatte 2 immerhin gibt es für den Sechsteiler Bonn, ab morgen im Ersten.

Anders als im Historytainment seit Guido Knopps rechtspopulistischem Feierabendrevisionismus üblich, zeichnet Autorenfilmerin Claudia Garde darin nämlich kein Wirtschaftswundermärchenland voller NS-Opfer, sondern eine Jung-BRD, in der die Adenauer-Regierung alles dafür tut, NS-Täter zu integrieren. Während der reale Verfassungsschutz-Präsident (und einzige Widerstandskämpfer in relevanter Führungsposition) Otto John (Sebastian Blomberg) dagegen rebelliert, bietet die fiktive Toni (Mercedes Müller) aber auch Herzschmerz, keine Sorge.

Um im Schulmodus zu bleiben: Für ihre männlichen Charaktere kriegt die Vorabendserie Hotel Mondial ab Mittwoch in der ZDF-Mediathek knapp ausreichend. Weil die weiblichen Figuren darin durchaus vielschichtig bleiben und Folge 2 nächste Woche mehr Tiefgang erhält, gibt’s aber doch eine 3-. Von der Benotung verschont bleiben folgende Serien: Koala Man (Mittwoch, Disney+), Animationsserie um ein Supertier ohne Superkräfte. Rod Knock, norwegische Dramaserie (Samstag, ZDF) und Thunder in my Heart, achtteilige Coming-of-Age-Studie aus Schweden (Sonntag, SWR).


Hoffnungsschimmer & Chippendales

Die Gebrauchtwoche

TV

2. – 8. Januar

Wenn ein Jahr wie 2022 zu Ende geht, müsste die Hoffnung aufs nächste doch eigentlich alle Schatten der Furcht überstrahlen. Der Furcht davor, dass alles nur noch viel schlimmer kommen könnte. Schön wär’s… Aufs Gute der anstehenden zwölf Monate zu blicken, ist nämlich leichter gesagt als getan, so wie sich die ersten zwölf Tage anlassen mit Krieg & Terror, Winterhitze & dem Skandal überteuerter PCR-Tests, für den vermutlich wieder niemand – schon gar nicht der mutmaßlich Hauptverantwortliche Jens Spahn – belangt werden dürfte.

Es begann ja schon damit, dass der RBB – Schreckensgarant des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – 2023 bereits am 30. Dezember begrüßte. Medienpolitisch verhieß das kurz nach Meldungen darüber, wie RTL den ehrwürdigen G+J-Verlag ausschlachtet und Deutschlands Journalismus damit weiter Richtung Abgrund treibt, nichts allzu Hoffnungsvolles. Immerhin: Netflix gab bekannt, das überteuerte Mystery-Spektakel 1899 zu stoppen, während Pro7 daran arbeitet, bis zum Herbst eine Nachrichtenredaktion aufzubauen.

Von We love to entertain you zum Nukleus mit Public Value – wenn RTL schon am demokratischen Grundgerüst sägt, sorgt die Konkurrenz immerhin für etwas Licht im Dunkel (dass sie zuvor allerdings selber ausgeknipst hatte). Die Frage, ob es eine gute Nachricht ist, dass die Ufa ein Prequel vom Dinner for One in Auftrag gegeben hat, ist da ebenso schwer zu beantworten wie jene nach dem Abschied von Thomas Hermanns aus dem Quatsch Comedy Club, der vor 30 Jahren den TV-Humor, nun ja, verändert hatte.

Bleibt noch ein Ständchen für die Sesamstraße zum 50. Geburtstag, aber ausdrücklich keines für Stefan Aust, der angeblich mal Journalist war, als Chefredakteur der Welt-Gruppe jedoch alle Energie auf eine einstweilige Verfügung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung gegen Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royal verwendet, weil es ihn auf dem – viele sagen: durchaus lustigen Fahndungsplakat nach einer Lindner-Lehfeld-Bande im RAF-Stil überm Bild des veganen Querdenkers Volker Bruch nennt. Nein, so was aber auch!

Die Frischwoche

0-Frischwoche

9. – 15. Januar

Die (garantiert volkerbruchfreien) Erstausstrahlungen daher in Kürze. Angelaufen ist das Serienremake des Neunziger-Melodrams Interview with the Vampire bei Sky, wo die Untoten endlich ihrer blutrünstigen Homophilie freien Lauf lassen. Netflix zeigt bereits Nicolas Winding Refns Noir-Experiment Copenhagen Cowboy parallel zum überraschenden Sechsteiler Totenfrau mit Anna-Maria Mühe als Witwe auf Rachefeldzug, was die achtteilige Reiterhof-True-Crime Riding in Darkness eher unter- als überbietet.

Heute dann zeigt die ARD zum 80. der dankenswerten Wehrmachtniederlage eine Dokumentation über Stalingrad, was zumindest nicht völlig frei von Parallelen zu Sabrina Tassels ZDF-Reportage Gun Nation zur Waffensucht der USA ist. Den Siebenteiler Gestern waren wir noch Kinder, ab heute liniear im Zweiten, hätte man sich allerdings eher im Mediatheken-Asyl gewünscht, so lausig wurde Natalie Scharfs ambitionierte Milieustudie wohlstandsverwahrloster Elitenzöglinge umgesetzt.

Bunt statt trist wird es Mittwoch bei Disney+ im Zehnteiler Welcome to Chippendales über die Anfänge der weltberühmten Stripper-Truppe Anfang der Achtziger. Blutig statt bunt gerät naturgemäß die Fortsetzung vom Spin-Off Vikings: Valhalla bei Netflix. Effektvoll statt blutig scheint die achtteilige Gewaltstudie Cry Wolf in der Arte-Mediathek zu werden. Geruhsam statt effektvoll wirkt dagegen Samuel Becketts deutsch-britische Bestseller-Verfilmung Chemie des Todes um einen Serienkiller bei Disney+ tags drauf, der anschließend auch in German Crime Story: Gefesselt auf Amazon wütet.

Und bevor Tobias Moretti mit Tochter Antonia in Der Gejagte mal wieder irgendwas mit Mafia macht, der Vollständigkeit halber: Das Dschungelcamp zurück in Australien, aber ohne Marco Schreyl, dafür mit Jan Köppen als Moderator und endlich, endlich: Martin Semmelrogge und Claudie Effenberg beim Perfekten Hodendinner.