Mai Thi Nguyen-Kim: Hass & Resilienz

Ich komme mit Hass gut klar

Mai-Thi-Artikel_Kopie

Mai Thi Nguyen-Kim (Foto: Ben Knabe/ZDF) ist Deutschlands bekannteste Wissenschaftsjournalistin. Im freitagsmedien-Interview, das vorab im Medienmagsazin Journalist erschienen ist, erklärt sie, wie man das Publikum für Wissenschaft begeistert – und warum sie Lottozahlen in der Tagesschau falsch findet.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Mai Thi Nguyen-Kim, Sie haben der Instagram-Community gerade in einem sehr ausführlichen Video erklärt, wie genau man Milch und Cornflakes mischen sollte, damit sie lange knusprig bleiben.

Mai Thi Nguyen-Kim: Erst die Milch, dann die Cornflakes, nicht umgekehrt, wie es die meisten wohl machen.

Das ist also das Spektrum, in dem sich die Wissenschaftsjournalistin Nguyen-Kim bewegt!

(lacht) Das ist meine Range, genau.

Und damit das Gegenteil dessen, was Wissenschaftsjournalismus am Bildschirm ausgemacht hatte, als vorwiegend ältere Herren im Cord-Sakko wichtiges Wissen nüchtern verabreicht haben.

Von welcher Zeit genau sprechen Sie denn da?

Bis Anfang der 90er, als Ihr Metier im Sog der Privatsender sein Themenfeld popkulturell erweitert hat. War die Entwicklung naturgegeben, quasi ein evolutionärer Prozess?

Wir, also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sind ja zunächst mal auch nur Menschen. Sehr verschiedene sogar, mit Hobbys und manchmal sogar Freunden. Deshalb habe ich schon mit den ersten Youtube-Videos vor zehn Jahren versucht, bei aller wissenschaftlichen Sachlichkeit ich selber zu sein. Mir fällt daher kein rationaler Grund ein, warum ich mich als Wissenschaftlerin von Spaß oder Humor fernhalten sollte.

Ein Grund könnte sein, dass es im Elfenbeinturm früherer Tage den Anspruch gab, Erhabenheit auszustrahlen, damit wissenschaftliche Expertise nicht unter zu viel Leichtigkeit leidet.

Womöglich. Wobei ich diesen Drang zur akademischen Ernsthaftigkeit schon deshalb schade fand, weil er schnell etwas Dogmatisches ausstrahlt. Das Missverständnis, zumindest Naturwissenschaft sei etwas unfassbar Kompliziertes, das nur weltfremde Freaks verstehen, trägt teilweise Mitverantwortung dafür, dass die Allgemeinbildung in Deutschland diesbezüglich nicht besonders groß ist. Natürlich ist ein naturwissenschaftliches Studium extrem anspruchsvoll. Aber die Basics kann man auch ohne Master ganz gut verstehen, sofern sie einigermaßen verständlich vermittelt werden. Naturwissenschaften haben ein Vermittlungs-, kein Verständnisproblem.

Darf Wissenschaftsjournalismus dennoch didaktisch sein?

Wissenschaftsjournalismus muss sogar didaktisch sein – sofern er Forschungsergebnisse vermittelt. Ich finde es dagegen spannender, die Methoden dahinter deutlich zu machen, also woher die Fachleute, deren Quellen ich nutze, eigentlich wissen, was ich hier über ihre Studienergebnisse sage. Mir ist wichtig, wissenschaftliches Arbeiten und Denken zu vermitteln. Wer sich bei Google Scholar nur die Resultate anschaut, merkt stattdessen schnell, dass sie sich gegebenenfalls widersprechen. Wenn man nicht nachvollziehen kann, woher diese Widersprüche kommen, ist Wissenschaft nicht Verstehens-, sondern Vertrauenssache.

Also an den Glauben an diejenigen gekoppelt, die wissenschaftliche Expertise haben und verbreiten?

Eher an deren Bereitschaft, die Unsicherheiten ihrer Forschungsergebnisse transparent zu machen. Unsicherheiten sind fester Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens. Manchmal sind sie größer, manchmal geringer, aber so ganz auszuräumen sind Unsicherheiten selbst dann nicht, wenn sich die Evidenz mit einer steigenden Anzahl von Messmethoden häuft. Aber nehmen wir mal die Schuld des Menschen am Klimawandel. Das thront auf einem derart großen Berg von Evidenz, dass man von einem Fakt spricht. Wer das anzweifelt, muss Evidenz auf den Tisch legen, die stark genug ist, den bisherigen Evidenzberg umzuwerfen. Ansonsten darf man nicht erwarten ernstgenommen zu werden. Fakt ist Fakt.

Das wäre die inhaltliche Ebene der Wissensvermittlung. Hinzu kommt die äußerliche: ihre Präsentation. Wie haben Wissenschaftsapparat und Publikum reagiert, als die junge, hippe Mai Thi 2014 mit HipHop und Hotpants online Chemie erklärt hat?

Als ich damit angefangen habe, war der Begriff „Wissenschaftskommunikation“ noch ebenso neu wie ich in der Öffentlichkeit. Umso positiver war ich damals überrascht, dass meine Art dieser Kommunikation eher positiv aufgenommen wurde. Da hat besonders in meiner Generation ein Umdenken stattgefunden, das ältere Riegen vielleicht nicht so gerne sehen. Aber man muss ja in die Zukunft schauen. Und interessanterweise wird man mit meinem Habitus ganz woanders weniger ernst genommen.

Ich ahne, wo…

In den Medien. Wer nicht aussieht wie Harald Lesch, hat es in ihrer Branche deutlich schwerer (lacht).

Gibt es denn da so etwas wie ein Medien-Manual oder Youtube-Tutorial, was Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen besser vermeiden, um das Gegenteil zu bewirken?

So banal das klingt: Am Ende geht es immer um Inhalte. Deshalb achte ich sehr darauf, nicht irgendwann nur noch Moderatorin zu sein. Ich moderiere zwar meine eigenen Inhalte. Der redaktionelle Teil macht dabei aber den weitaus größeren meiner Arbeit aus.

Redaktionell im Sinne von wissenschaftlich?

Quasi. Ich meine den Teil meiner Arbeit, der am Schreibtisch stattfindet, also recherchieren, lesen, verstehen, aufschreiben. Da hat tatsächlich viel mit wissenschaftlichem Arbeiten gemeinsam. Bevor ich mich ins Rampenlicht stelle, sorge ich dafür, das Vorgetragene bestmöglich zu beherrschen. Und das vermittelt sich aus meiner Sicht auch dem Publikum.

Welche Bedeutung hat darin Ihr Doktortitel?

So wichtig er ist: ohne die Authentizität meiner Person dahinter bliebe er reine Dekoration. Wenn Menschen aus der Wissenschaft in die Medien gehen, liegt das typischerweise in ihrer Natur, öffentlich inhaltlich arbeiten zu wollen. Dass ich am Anfang auch durch etwas so Oberflächliches wie mein Äußeres aufgefallen bin, habe ich daher versucht mitzunehmen, für die nötige Aufmerksamkeit nutzbar und damit das Beste draus zu machen.

Dass dieses Beste am Ende der Sieg des Inhalts über den Tonfall sein soll, klingt jetzt allerdings ein bisschen zu zweckoptimistisch angesichts der Wahrnehmungsvormacht von lautem verglichen mit sachlichem Content…

Dass es umgekehrt läuft, halte ich gerade auch für utopisch. Aber für mich bleiben Inhalte allein deshalb schon maßgeblich, weil nur sie am Ende nachhaltigen Erfolg bringen. Dennoch darf man sich nichts vormachen: In unserer Zeit ist die Verpackung superwichtig: Mein Setting, das Aussehen, der Titel, die Ausstattung – alles Faktoren, um auf mich aufmerksam zu machen. Wenn ich niemanden dazu bringen kann, meinen Inhalten zuzuhören, mache ich alles umsonst. Wichtig ist, dass die Reihenfolge der Prioritäten stimmt.

Inwiefern?

Größtmögliche Aufmerksamkeit für Inhalte zu generieren, die mir wichtig sind. Nicht größtmögliche Inhalte für Aufmerksamkeit zu generieren, die mir noch wichtiger ist. So geht es zumindest mir. Aber weil ich so viele Zuschauer wie möglich möchte, stecke ich mehr Energie als geplant in die Aufmachung.

Unlängst haben Sie für diese Aufmerksamkeit allerdings Inhalte transportiert, die nur vorgetäuscht waren – nämlich ihre Ankündigung, in die Politik zu gehen. Wie wahrhaftig muss, wie aktivistisch darf eine Wissenschaftsjournalistin sein?

Für uns als Redaktion war das ja weder Aktionismus noch Wahrheitssuche, sondern schlicht und einfach ein Experiment, bei dem es wie immer in der Psychologie notwendig sein kann, die Teilnehmenden – in diesem Fall das Publikum – unter einer falschen Prämisse einzubeziehen, um echte Reaktionen hervorzurufen. Wobei das Learning hier sogar in der Tatsache bestand, darauf hereinzufallen.

Worin bestand denn der Lerneffekt?

Letztlich Populismus dadurch entlarven zu können, dass wir populistisch agieren. So ähnlich ist MAITHINK X auch mal in einer Sendung über Homöopathie vorgegangen, in der wir mit der Idee gespielt haben, einen Globuli-Tee herausgebracht zu haben oder auch nicht. Bei der Politik-Meldung ging es um die Prämisse, dass selbst kritische, vor allem aber selbstkritische Leute unserer eigenen Community, denen man nur schwer etwas vormachen kann und die uns eigentlich gut kennen, anfällig sind für Falschmeldungen aller Art. Sich das einzugestehen, fällt den meisten ungeheuer schwer.

Ihnen auch?

Mir auch. Als Chemikerin wird man auch schnell demütig, wenn etwa ein Messgraph schwarz auf weiß beweist, dass die eigene Hypothese Mist war.

Aber wie war denn jetzt die Reaktion ihrer eigenen Community auf die Ankündigung?

Erwartbar war zumindest die gesteigerte Aufmerksamkeit aller Seiten. Ich wäre auch exited, wenn jemand, die wie ich in der Öffentlichkeit steht, so eine Ankündigung macht. Andererseits finde ich es schon interessant, wie wenig hinterfragt wurde, mit welchen Inhalten ich denn eigentlich politisch aktiv hätte werden wollen. Allein schon angesichts der Themen, über die ich mich in den letzten Jahren exponiert habe: Corona, Impfen, grüne Gentechnik, Homöopathie – das erweckt irgendwie den Anschein, als qualifiziere allein das schon für politische Arbeit. Dabei ist die ungleich viel komplexer als ihre einzelnen Felder.

Wobei gerade die repräsentative Demokratie ja nicht nur sachorientiert, sondern characterdriven ist oder um Ihre Aussage über die Wissenschaft von vorhin aufzugreifen: neben der Verständnis- gibt es auch eine Vermittlungsebene.

Aber umso mehr frage ich mich, wieso die Presse meine Aussage nicht sofort in den Kontext der Sendung gestellt hat. Selbst dann nicht, als mein Management und das ZDF jede Anfrage mit derselben Antwort abgelehnt hat, ich stünde für einen Kommentar nicht zur Verfügung, aber schauen Sie doch MAITHINK X am Sonntag, worin es um Rechtspopulismus gehe. Ein größerer Wink mit dem Zaunpfahl ist doch kaum denkbar.

Umso eher können wir den Gedanken, das Mai Thi Nguyen-Kim tatsächlich parteipolitisch aktiv wird, ja mal durchspielen: Könnte die Politik mehr wissenschaftliche Expertise vertragen?

Schon. Wobei ich ja nicht aus einer empiriebasierten Sozialwissenschaft komme, sondern der evidenzbasierten Naturwissenschaft. Einen Fachbereich also, über den man nur schwer diskutieren kann und vielfach auch echt nicht mehr diskutieren muss.

Stichwort Klimawandel.

Genau. Solange es keine neue Evidenz gibt, dass er nicht menschengemacht ist, ist er es eben. Oder verlassen wir die Abstraktionsebene und nehmen ein konkreteres Beispiel: Technologie-Offenheit.

Ein wirtschaftsliberaler Fetisch, mit dem das Ende des Verbrennungsmotors hinausgezögert werden will.

Ja, nur ist Technologieoffenheit natürlich ein super Framing. Warum sollte man fossile Technologien wie den Verbrennungsmotor verbieten, wenn es doch sein könnte, dass er irgendwann mit nachhaltigem Kraftstoff betankt wird? Klingt fortschrittlich, aber ist es angesichts vom enormen Bedarf für andere Fortbewegungsmittel als Pkw auch wissenschaftlich, also klug? Klar kann man sich den schönsten Ponyhof künftiger Mobilität basteln, aber eben nur, wenn man thermodynamisch-physikalische Grenzen der unglaublichen Ineffizienz von E-Fuels im Bereich des individuellen Personenverkehrs draußen lässt.

Wobei das Autofahren in Deutschland definitiv nicht nur mit Effizienz zu tun hat.

Im Gegenteil. Aber so wichtig Freiheit und Fahrspaß kulturell hierzulande ist, so wichtig wird die effiziente Verteilung knapper Ressourcen volkswirtschaftlich und ökologisch. Erneuerbar produzierter Strom wird im Vergleich zum enormen Bedarf künftig begrenzt sein; da fehlt mir dann schlicht die Ehrlichkeit der Technologieoffenheit, dass Träume und Politik selten zusammenpassen.

Dennoch muss Politik doch auch träumen dürfen. Das nennt man Utopie.

Deshalb darf man auch gerne Technologieoffenheit zugunsten individueller Mobilität fordern, aber bitte nicht unterm Deckmantel von Wissenschaft und Forschung. Denn da herrscht einhelliger Konsens, dass E-Fuels in Pkw Unsinn sind. Eigentlich müssten sich daher alle Parteien auf eine physikalisch-chemische Kernrealität einigen, um auf dieser Basis in jede Richtung zu streiten, anstatt Wahrscheinlichkeiten von drei und weniger Prozent zur Grundlage politischer Konzepte zu machen.

Sie sind also Verfechterin einer klaren Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Politik, vermittelt durch Enquete-Kommissionen und Journalistinnen wie Ihnen?

Das klingt mir auch wieder zu einfach. Es gibt schlicht zu wenig Wissenschaft, die überhaupt unumstößliche Fakten schafft. Beispiel Ernährungsforschung. Ein naturwissenschaftliches Gebiet, dessen Ergebnisse fast schon automatisch widersprüchlich sind. Das hat methodisch Gründe, Menschen sind für Ernährungsstudien einfach sehr unzuverlässige Versuchstiere, schlecht vergleichbar, schlecht kontrollierbar. Es ist spannende Grundlagenforschung, aber für konkrete Diättipps und Handlungsanweisungen methodisch zu schwammig. Ähnlich ist das mit Geistes- und Sozialwissenschaften. Für Politik ist beides hochrelevant, aber wegen methodischer Unsicherheiten schwer verwertbar. 

Gerade im Zeitalter des Populismus.

Genau, da gibt es Verzerrungen, da gibt es Cherry Picking, da gibt es False Balance. Mir wäre es daher manchmal fast lieber, man würde die Wissenschaft komplett aus der Debatte herauslassen (lacht). Aber ernsthaft: Dem Vertrauen in wissenschaftliche Forschungsergebnisse tut deren politischer Ge- oder Missbrauch generell nicht gut.

Haben Sie als Wissenschaftsjournalistin, um nicht -influencerin zu sagen, dennoch den Bedarf, auch politisch gehört zu werden?

Insofern schon, als publizistisch wahrgenommen zu werden immer auch politische Relevanz hat. Politik will ja nicht nur Wählerstimmen gewinnen, sondern Wählerwünsche erfüllen. Die beste Möglichkeit, Wissenschaft in die Politik zu bringen, besteht demnach darin, Menschen so gut aufzuklären, dass ihr Wünsche möglichst rational sind. Es gibt zum Beispiel keinen logischen Grund dafür, dass grüne Gentechnik gefährlicher ist als die gute alte Züchtung. Wenn man Konsens darüber herstellt, dass sie im Gegenteil sogar ein Gamechanger des Klimawandels sein kann, könnte es grüne Politik mehr beeinflussen als Ernährungswissenschaftler im Parteipräsidium.

Was ist aus Ihrer Sicht denn das perfekte Medium, um Menschen mit größtmöglicher Reichweite wissenschaftlich aufzuklären?

Wissenschaft lässt sich besser erklären, je mehr Zeit man ihr gibt. Deswegen funktioniert ihre Vermittlung nach dem Zwiebelprinzip. Im Innern steckt der Kern wissenschaftlicher, evidenzbasierter, valider Erkenntnisse, die nur sehr wenigen Menschen zugänglich sind. Ganz außen befindet sich mein Cornflakes-Video: oberflächlich, aber reichweitenstark. Bis dahin arbeitet man sich Schicht für Schicht, Medium für Medium von innen nach außen vor, um immer mehr Wissen immer klarer zu machen.

Und MAITHINK X?

Halbe Stunde monothematisch? Steckt ungefähr in der Mitte. Da ist schon viel drin, aber morgen ist die nächste Aufzeichnung, und wir sind immer noch am Kürzen (lacht). Und für mehr als 30 Minuten reicht die Aufmerksamkeitsspanne in der Regel nicht aus. Anders wäre es bei einem Podcast, da hätte ich mehr Zeit, das würde ich gern mal machen, um gut belastbares Transferverständnis zu erzeugen. Aber genau dafür braucht es auch oberflächlicheres Zeug wie die Cornflakes-Geschichte. Das macht mir, davon abgesehen, halt auch riesigen Spaß.

Wie wichtig ist Ihnen als Wissens- und Unterhaltungsprinzip – egal in welcher Zwiebelschicht – der Humor?

Nach außen hin immer wichtiger. Zu mir verirren sich schließlich auch Leute. Und die hält man mit Humor eher beim trockenen Fach Wissenschaft.

Aber wie kriegt man innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie die Balance zwischen affektgesteuerter Youtube-Bubble und ernsthaft wissenschaftsinteressiertem Zeit-Publikum?

Indem man diesen Grundkonflikt von Fall zu Fall immer wieder aufs Neue aushandelt. Aber das gilt für alle, die das Bedürfnis haben, möglichst viele Menschen zu erreichen – ob Medienschaffende oder Parteien. Zu dem Thema haben wir vor unserer Populismus-Sendung viel mit der Prof. Paula Diehl geredet.

Politikwissenschaftlerin an der Uni Kiel.

Die meinte, ein bisschen Populismus sei gar nicht automatisch schlimm, sondern das Salz in der Suppe der Aufmerksamkeitsökonomie, die man aber auch schnell überwürzen kann. Ähnliches gilt für Clickbait. Um Inhalte zu verbreiten, ist Reichweitenorientierung okay, solange sie nicht selber zum Inhalt wird. Deshalb betreibe ich bei Youtube seit jeher Clickbait.

Oha.

Denn genauso wie man fragen könnte, ob die knallige Verpackung wissenschaftlicher Fakten Erkenntnisgewinne bringt, könnte man ja fragen, ob es nicht sogar kontraproduktiv ist, wenn man sie nüchtern aufbereitet hinter Bezahlschranken für Besserverdienende versteckt. Es gibt da einfach keine pauschalen Rezepte. Und die Medienlandschaft ändert sich so rasant, dass man versuchen muss hinterherzukommen, ohne die Prioritäten zu verschieben. Denn erste Priorität ist und bleibt: der Inhalt. Alles andere ist Mittel zum Zweck.

Aber gibt es denn dafür ein Regelbuch, das Ihnen sagt, wo der Inhalt womöglich doch hinter die Hülle zurücktritt?

Der beste Weg dorthin ist, möglichst wenige Entscheidungen allein zu treffen. Deshalb diskutieren wir in der Redaktion gern gemeinsam aus vielen Perspektiven. Dafür gibt es neben der Unterhaltungsabteilung, die auf mediale Außenwirkung achtet, noch eine Nerd-Abteilung promovierter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die auf Evidenz achten (lacht). Eine Möglichkeit, um das Publikum bei der Stange zu halten, ohne es zu bevormunden, ist da zum Beispiel, in Videos Kapitel einzufügen, damit man sich gegebenenfalls vorklicken kann.

Welche Rolle hatte für Ihre Art des Wissenschaftsjournalismus denn die Pandemie, in der Sie nicht nur bekannter, sondern auch ernster geworden sind?

Die Pandemie hatte in vielerlei Hinsicht großen Einfluss auf mich und meine Arbeit. Bis dahin war ich ein Stückweit naiver, was die Akzeptanz wissenschaftlicher Evidenz betrifft. Zuvor hätte ich wohl gedacht, wenn ein genbasierter mRNA-Impfstoff aufkommt, wird es zwar Skepsis geben, Aber wenn ein Impfstoff schon von unserer – wie ich finde übervorsichtigen – Stiko empfohlen wird…

Für all jene, die Corona komplett verdrängt haben: Die Ständige Impfkommission.

… dann ist das statistisch gesehen ein absoluter No-Brainer, dann steht der Nutzen der Impfung in keinem Verhältnis zu ihren Risiken. Da hat mir der große Widerstand gegen die beste aller Optionen einen ordentlichen Reality-Check verpasst. Weil Statistik für mich so aussagekräftig ist, spiele ich ja auch nie Lotto. Mehr noch: Wenn mein Mann aus Spaß einmal im Monat so einen Schein ausfüllt, weil angeblich ja immer einer gewinne, regt mich so auf!

Weil die Erfolgswahrscheinlichkeit praktisch bei null liegt.

Trotzdem werden die Zahlen Woche für Woche sogar in der Tagesschau verlesen! Da muss man sich ja nicht wundern, dass wir statistische Unwahrscheinlichkeiten so ernstnehmen. Was mir vor Corona ebenfalls nicht bewusst war: Wie schnell Wissenschaft Gegenstand politischer Diskussionen wird. Meine Vorstellung, sie könne neutral sein, hat sich als Trugschluss erwiesen.

Wie sind Sie dann damit umgegangen, dass sogar wissenschaftliche Objektivität zum Gegenstand von Hass und Hetze bis hin zu physischer Gewalt geführt hat?

Das gab es vorher auch. In weitaus geringerem Maßstab zwar, aber wo immer Erkenntnisse auf vorgefertigte Weltbilder treffen, kollidieren sie teils heftig miteinander. Wobei die Intensität von Hass und Hetze mit der Reichweite wissenschaftlicher Fakten korreliert. Von daher betraf es mich mehr als andere, hat aber auch gezeigt, dass mein Impact größer geworden ist.

Macht es das besser?

Besser nicht. Aber als Wissenschaftlerin komme ich mit Hass gut klar, weil ich ihn von mir als Person trennen kann. Die hassen mich schon irgendwie auch mit, aber ja über den Umweg dessen, was ich zum Impfen sage. Wenn man die Hater mit mir in einen Raum sperren würde, könnten wir wahrscheinlich miteinander reden. Aber gerade durch ihre Objektivität stellt gerade die Naturwissenschaft eine so große Bedrohung für geschlossene Weltbilder dar, das vielen ihre Täter-Opfer-Umkehr gar nicht bewusst ist.

Wie meinen Sie das?

Dass sie sich von wissenschaftlicher Objektivität bedroht fühlen und daraufhin Wissenschaftlerinnen wie mich teils physisch bedrohen. Dank meines Teams kriege ich davon jedoch relativ wenig mit. Und dank meiner Ressourcen geht es mir auch darüber hinaus vergleichsweise gut. Ich habe das ZDF im Rücken, meine Redaktion, den Droemer-Verlag, ein stabiles Umfeld und kann meine Arbeit daher sehr frei machen. Aber dass es dieser Ressourcen dafür bedarf, ist die Ausnahme und damit ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft und die Demokratie.

In unserer misogyn und rassistisch aufgeheizten Atmosphäre überrascht es jetzt ein wenig, dass Sie sich als junge Frau mit vietnamesischer Familiengeschichte, also intersektional diskriminierte Figur der öffentlichen Wahrnehmung, so sicher fühlen…

Das gilt insbesondere im Vergleich mit Frauen in der Politik. Was die abkriegen, ist viel, viel, viel schlimmer. Der Hass auf Wissenschaftlerinnen, so zynisch es klingt, ist immer noch sachlicher als der Hass gegen Politikerinnen. Wenn jemand sagt, meine Impf-Empfehlungen töten Kinder, ist das schlimm, aber irgendwie … themenimmanent.

Dennoch sind Sie während der Pandemie teilweise nur mit Bodyguard vor die Tür gegangen. Haben Sie für Menschen, insbesondere Frauen, im Shitstorm einer aufgewühlten Gesellschaft dennoch so etwas wie Resilienz-Rezepte übers stabile Umfeld hinaus?

Nein, denn gerade wegen meiner gesicherten Position möchte ich mich ungern in die Rolle der schlauen Ratgeberin begeben und kann ja niemandem empfehlen, sich ein gutes Umfeld oder einen so tollen Partner wie meinen zuzulegen (lacht). Ich durfte einige Preise während der Pandemie annehmen, aber hatte manchmal das Gefühl, dass meine Auszeichnung als Beweis herhalten soll, dass man als Frau und Wissenschaftlerin alles schaffen kann. Damit hatte ich so meine Probleme, denn ich bin einfach nur sehr privilegiert.

Sie wollen kein Role-Model sein?

Ach, warum nicht… Ich will nur keines dafür sein, angstfrei Wissenschaft zu betreiben und zu kommunizieren. Wir sind nämlich noch sehr, sehr weit weg von ansatzweise geeigneten Rahmenbedingungen, als Frau unbehelligt in der Öffentlichkeit zu stehen und zu arbeiten, geschweige denn seine Meinung kundzutun. Besonders letzteres erfordert immer noch gehörigen Mut. Dass ich als Wissenschaftlerin mit meiner Außenwirkung automatisch ein Role-Model bin, sollte mir darüber hinaus aber schon bewusst sein. Das finde ich auch okay bis hin zu schön.

Aber?

Aber mit einer Einschränkung: Wenn Frauen – oder auch Männer – meinetwegen sagen, sie möchten Chemie studieren. Das sollte man sich sehr genau überlegen! (lacht) Chemie ist ein extrem hartes Studium. Das sollte man aus innerer Überzeugung, nicht wegen irgendwelcher Vorbilder machen. Ansonsten finde ich es super, andere Frauen zu motivieren.

Auf welcher Plattform dürfte das denn auch künftig der Fall sein? Welches Medium setzt aus Ihrer Sicht gegen andere durch, um Informationen im Allgemeinen und wissenschaftliche im Besonderen zu verbreiten?

Hmmm…

Die Generationen Z und Alpha, heißt es, beginnen gerade wieder, mehr Bücher zu lesen und sich von Messenger-Diensten in Kleingruppen zu verabschieden, um wieder im kleineren Kreis zu kommunizieren.

Ich bin da offenbar optimistischer als andere, dass die Zukunft diesbezüglich vielfältig bleibt. Wenn Netflix zum Beispiel lineares Fernsehen anbietet, um das Programm für die Nutzer zu kuratieren, scheint ja auch das öffentlich-rechtliche Programm eine Zukunft zu haben. Wenn ich sehe, wie groß der Bedarf nach langen, informativen Podcasts ist, wie sich das Radio hält, wie inhaltsreich selbst TikTok sein kann, bin ich ganz guter Dinge. Für seriöse Wissensvermittlung braucht man vor allem Zeit und Aufmerksamkeit. Beides nehmen sich noch immer und schon wieder viele.

Und auf welcher Plattform?

Ist mir dabei eigentlich egal. Kommunikation unterliegt seit jeher ständiger Veränderung, deshalb sehe ich einen Wert darin, dass die Zahl der Plattformen eher wächst als schrumpft.

Was können neuere Medien wie das Internet da von älteren wie Presse, Funk, Fernsehen lernen und umgekehrt?

Der größte Unterschied ist ja Gatekeeping. Das ist gut und schlecht. Ich denke nicht, dass ich langfristig in die Medien gewechselt hätte, wenn ich nicht im Internet angefangen und bei maiLab die Freiheit bekommen hätte, meine eigene Arbeits- und Herangehensweise zu entwickeln. Andererseits wird im Zuge der Informationskrise redaktionelles Gatekeeping, Abnahmen und Faktenchecks ja eigentlich immer relevanter. Aber im Kampf um Aufmerksamkeit rutschen viele der „alten Medien“ zumindest auf ihren Online-Plattformen immer weiter nach außen in der Kommunikationszwiebel. Hauptsache schnell, Hauptsache Reichweite, auf Kosten von Korrektheit und Tiefgang.

Wie werden Sie selber denn da künftig mutmaßlich kommunizieren?

Also ich liebe Audioformate – sehr fokussiert, vor allem aber entspannt. So sehr ich Publikum mag, fühle ich mich ohne noch immer ein bisschen wohler. Kopfhörer auf und sich reizminimiert wirklich auf etwas konzentrieren, gefällt mir glaube ich am besten. Im März bringe ich jetzt erstmal zusammen mit Marie Meimberg die Kinderbuchreihe BiBiBiber hat da mal ‘ne Frage raus.

So was wie wissenschaftliche Früherziehung?

Eher so was wie Wissenschaft mit Kleiner Prinz-Vibe. Mal sehen, was danach kommt.

Kleine Prognose am Ende: Wird die Sachlichkeit der Wissenschaft übers Raunen, Raten, Brüllen der Aufmerksamkeitsindustrie siegen?

Ich muss da für mein eigenes Seelenheil irrational optimistisch bleiben, also: Ja.

Das Interview ist vorab im Medienmagazin journalist/in erschienen

Pochers Naidoo & Edins Late Night

Die Gebrauchtwoche

TV

15. – 21. April

Wichart von Roëll ist tot, und wer mit dem Namen nichts etwas anfangen kann, also alle Generationen nach Boomer plus X: Am 24. Juli 1973 war er Teil einer sehr schrillen Kulturrevolution. Dienstagabends, 20.15 Uhr im Ersten, prägte sein Weltkriegsveteran Benedict eine Unterhaltung, die Dalli Dalli und Paukerfilme zwar bereits ausprobiert hatten. Erst Klimbim allerdings bracht das damalige Fernsehpublikum perfekt auf den Punkt.

Von seiner (Mit-)Schuld am Nationalsozialismus, mehr aber noch den Fragen Spätgeborener dazu ermüdet, verschanzte sich das Tätervolk hinterm Klamauk einer schlüpfrig behämmerten Nummernrevue, deren letzter Vortänzer am Dienstag gestorben ist. Mit Didi Hallervorden ist also nur noch ein Fluchthelfer jener eskapistischen Tage am Leben, der jedoch wie seine Ahnen nun antisemitisches Zeug faselt.

Damit befindet er sich in stabiler Gesellschaft von Xavier Naidoo, den Oliver Pocher kürzlich aus dem Rabbit Hole rechtsblöden Geschwurbels auf die Bühne einer Live-Show in Saarbrücken hievte. Zwei Orte, die der Thinktank Das progressive Zentrum in einer großen Studie erkundet hat. Gemeinsam mit IG Metall, BMW Foundation, Bundeszentrale für politische Bildung und ein paar Ministerien wurde darin die Berichterstattung zum Heizungsgesetz untersucht.

Ergebnis: Der Großteil aller Medien hat sachlich darüber berichtet, bis auf – Surprise! – die Bild, in der ein Viertel aller Berichte erstunken und erlogen waren, was nur von rechtsextremen Blättern übertroffen wurde, in denen nicht mal ein Viertel den Tatsachen entsprach. Was an den Übernahmegerüchten von Pro7 dran ist, wird sich derweil noch zeigen. Als gesichert kann aber gelten, dass der DFL die Verhandlungen über die Fernsehrechte der Fußballbundesliga gestoppt hat.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

22. – 28. April

Die Folgen sind fürs aktuelle Programm allerdings noch nicht sichtbar. Wobei: irgendwie gilt das auch für vieles, was diese Woche darin zu sehen ist. Einzig bemerkenswert scheint da der Start von Edins Neo Night zu sein. Am Freitag entert der rasend sympathische Schauspieler mit Rampensauqualitäten – Edin Hasanovic – nämlich die gleichsam größte und kleinste TV-Bühne: Late Night Show.

Es wird sich also zeigen, ob sie beim wichtigsten Nischenkanal Deutschlands zu groß oder zu klein ist für ihren ziemlich prominenten Gastgeber. Richtig fett war hingegen die besonders haarige Hair-Metal-Band Bon Jovi, der Disney+ ab Freitag ein vierteiliges Porträt widmet, das wenig originell The Bon Jovi Story heißt und womöglich besser ist als die verabreichte Musik darin.

Wenn die ARD und andere Großsender mit dem Kampfbegriff Event-Film Aufmerksamkeit erheischen, ist dagegen Vorsicht geboten. Im Fall des Mystery-Dramas Die Flut aber wirkt das Ereignis eventtauglich. Frei nach Robert Habecks Roman Hauke Haiens Tod von 2001 transferieren Daniela Baumgärtl und Constantin Lieb Theodor Storms Schimmelreiter am Samstag in die Gegenwart.

Und was Regisseur Andreas Prochaska daraus macht, ist zwar manchmal bisschen arg düster geraten, liefert aber einen kriminalistisch angedickten Ansatz, den Klimawandel fiktional einzubinden. Den Terror in den USA verarbeitet derweil die 2. Staffel THEM bei Amazon Prime ab Donnerstag. Wobei das wahre Wochenschmankerl von Netflix stammen dürfte.

In Fight for Paradise – Wem kannst du trauen? wagt sich der Streamingdienst an deutsche Semi-Promi-Reality. Elf jungerwachsene, influencende, also irgendwie einigermaßen bekannte Wachspuppen verschiedener Anabolika- und Hyaluronsättigungsstufen ziehen dafür in ein mexikanisches Luxusresort, wo sie über Wochen hinweg gegeneinander… ach, auch egal.

Und noch ein kleiner Tipp am Rande: Auf dem leicht angestaubten Feld von Guido Knopps Dokudrama, rekonstruiert die ARD-Mediathek ab Sonntag in Die Mutigen den längsten Streik der deutschen Nachkriegsgeschichte von 1956, als Millionen Arbeitnehmer*innen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf die Straße gingen.


Bernd Begemann: Ziegenbart & Sophia Thiel

Auftreten ist wie Atmen

Bernd_Begemann_Die_Befreiung_Credit_BrillJant_Sounds-1

Gut 20 Platten in fast 40 Jahren, Hamburger Schulgründer, Inspiration kommerziell erfolgreicherer Bands: Bernd Begemann ist der unbekannteste Weltstar der deutschen Popmusik und doch ein Rätsel. Mit seiner Begleitband Die Befreiung (Foto: Miguel Ferraz Araujo) bringt das 61-jährige Waisenkind nun sein Album Milieu heraus. Ein küchenphilosopisch funkensprühendes Interview.

Von Jan Freitag

Freitagsmedien: Wer, bitteschön, ist Patrizia Dembrovski, der du auf deiner neuen Platte Milieu ein ganzes Lied widmest?

Bernd Begemann: Niemand, der Name ist erfunden. Ich bin komplett antiesoterisch, glaube aber, dass Namen eine Auswirkung auf den Charakter haben. Und bei einer Patrizia Dembrovski stelle ich mir vor, dass sie Ärger macht, wenn es nicht sein muss.

Wegen Patrizia oder Dembrovski?

Patrizia klingt nach Eltern, die viel mit ihrem Kind vorhatten, wozu der Nachname aber nicht passt, weshalb sie ihr Leben lang leicht sauer war und jetzt mir als Sänger Probleme bereitet.

Und was haben „Bernd“ und „Begemann“ aus dir als Mensch gemacht?

Nichts Besonderes. Aber dadurch, dass Bernds über 40 sind, also aus einem anderen Zeitalter, existiere ich in der aktuellen Pop-Gegenwart nicht mehr. Trotzdem werde ich mir keinen Künstlernamen mehr zulegen.

Zumal die sanfte Alliteration auf B schon künstlich klingt, wie Bernhard Brink.

Aber eher so ein Bauernkünstler. Ähnlich wie Jan übrigens. Dabei denke ich an jemandem mit Kombi, den jeder anhauen kann, wenn man was vom Baumarkt braucht. Als Jan und Bern gäben wir ein prima volkstümliches Schlagerduo ab.

Heißen die Baumarkt-Jungs nicht eher Holger oder Jochen

Ich sehe schon – meine Namenswissenschaft ist nicht fehlerlos (lacht).

Nehmen wir den nächsten Namen auf der Platte: Sophia Thiel.

Die gibt’s wirklich! Ich sehe gern fern, habe einen Bildschirm mit 77-Zoll-Diagonale und 100.000 Programmen, die ich manchmal durchzappe. Und einmal bin ich dabei auf einen Konsumkanal gestoßen, der nicht Kauf dies oder Happy das heißt, sondern Sophia Thiel, die rund um die Uhr Workouts macht, gut aussieht, gesund kocht oder mit anderen Coaches oder alleine Menschen coacht und dabei immer positiv wirkt.

Oh Gott!

Wer dabei allerdings in ihre Augen sah, der spürte, wie kurz sie vorm Zusammenbruch stand. Und siehe da: Vier Monate später zog sie sich mit einem Burnout zurück. Angesichts all der ausgebrannten Influencer, die 24 Stunden gut gelaunt und topfit geliefert haben, war da mein erster Gedanke: Man kann einfach nicht immer nur so tun, als ob.

Hast du selber Menschen in deinem Milieu, wie euer neues Album heißt, die so sind, also nur tun als ob?

Bestimmt. Aber sie machen es so gut, dass ich es nicht merke. Im schönen Lied The only time I’m really me singt Tammy Wynette, für die Nachbarn ist sie diejenige, die immer Wäsche aufhängt, für die Bank ist sie diejenige, die ständig das Konto überzieht und so weiter. Für sich aber ist sie diejenige, die nur einmal am Tag sie selbst sei – im Moment zwischen Augenschließen und Einschlafen.

Deprimierend.

Aber im fluffigen Country-Sound auch ein poetisches Statement über die vielen Gesichter, mit denen wir uns und andere was vormachen. Schlimmer finde ich allerdings Leute, die uns wie Sophia Thiel dabei ständig etwas verkaufen wollen. Nahrungsergänzungsmittel, Schönheitsprodukte, Lügen wie im CSU-Konservatismus der Adenauer-Jahre, wo hinter der heilen Welt makelloser Fassaden ebenfalls das Dunkel lauerte.

Du selbst bist noch in Adenauers Kanzlerschaft zur Welt gekommen. Wie kongruent sind denn deine Außenwirkung und die Persönlichkeit dahinter?

Auch ich habe eine Art Benutzeroberfläche, die auf der Bühne zum Vorschein kommt und alle umarmt. Privat komme ich dagegen auch gut mit mir alleine klar, treffe tagelang niemanden und bin dennoch glücklich oder fühle mich zumindest wohl. Ein glücklicher Asozialer oder um es mit Walt Whitman zu sagen: ich enthalte viel Leiden.

Aber bei dir sind privater Rückzug und öffentlicher Exzess einfach zwei Komponenten derselben Materie, kein vorgegaukeltes Trugbild zu Verkaufszwecken?

Ying und Yang, innen einatmen, draußen ausatmen. Beides macht mich glücklich.

Wo bist du als Entertainer denn glücklicher: vor 20.000 Leute in der Arena oder vor 20 im Club?

Je weniger, desto schwieriger. 20.000 hatte ich noch nicht, aber auch vor der Hälfte zu spielen ist einfach, da muss man bloß schlicht bleiben. Zehn misstrauische Leute in Vorarlberg fordern dagegen die volle Aufmerksamkeit. Tougher Gig!

Wie definierst du da Erfolg?

Einige Rapper halten sich für erfolgreich, weil sie 40 Lamborghinis haben. Ich glaube, damit stopfen sie nur das Loch in ihren kalten Herzen. Ich definiere Erfolg anders. Als Waisenkind aus einem Heim der Sechziger, über das es vermutlich schreckliche Dokus gibt, war ich dank meiner Adoptiveltern mit vier Monaten ein Gewinner. Ich bin daher, auch wenn es nach evangelischem Kirchentag klingt, für jeden Tag dankbar.

Amen.

Und dabei fällt mir auf, wie viele Leute ihr Leben so organisieren, dass sie es gerade so aushalten und ständig auf der Suche nach Sorgen sind, die ihr Leben beeinträchtigen. Ich bin mir dagegen oft selbst genug. Auch, weil ich mir bewusst bin, 60 der 80 friedlichsten und, wohlhabendsten Jahre unserer Weltregion erlebt zu haben. Deshalb riskieren Leute außerhalb davon ihr Leben, um meine Nachbarn zu sein. Das hält mir mein unverdientes Glück vor Augen, aus dem man aber auch was machen sollte. Freude empfangen, Freude verteilen – sorry, dass ich in Kalendersprüchen rede.

Hatte dieses Denken nur Einfluss auf dein Leben oder auch die Kunst dazu?

Insofern, als es mein Temperament beeinflusst. Weil ich mich zugleich von innen und von außen betrachten kann, schreibe ich als Reporter meines eigenen Lebens besser darüber, ohne ständig Groll zu hegen. Selbst Leuten, die mir Böses wollten, kann ich nicht richtig böse sein.

Du empfindest generell niemals Wut?

(überlegt lange) Menschen machen gemeine Sachen, aber wenn ich das jetzt länger vertiefe, fordere ich womöglich das Schicksal heraus. Ich bin ja nicht mal auf mich richtig wütend. Nur häufig enttäuscht, nicht besser zu sein, als ich bin.

Kennst du das Gefühl der Scham für Dinge, die du getan hast oder gewesen bist?

Scham ist unkonstruktiv. Ich habe bestimmt schon gesagt, die ich heute nicht mehr sagen würde. Aber was man durch Worte vermasselt, kann man auch durch Worte gutmachen.

Musst du die Worte in Du wirst dich schämen für deinen Ziegenbart von 1996 wieder gutmachen?

Da rede ich ja von der Scham anderer. Und Ziegenbärte sahen schon damals furchtbar aus. Wenn ich darüber nachdenke, was mir jemals peinlich war, hätte ich gern meinen Körper von früher zurück und meine Fähigkeiten von heute früher entwickelt. Es ärgert mich, die ersten 100 Konzerte vermasselt zu haben. Aber ich vergebe mir!

Sind noch 100 weitere Konzerte im älteren Körper drin oder spürst du den Zahn der Zeit?

Auftreten ist wie Atmen. Ich habe eine Rente plus Zusatzrente und selbst für den Ausnahmefall des vorigen Winters, in dem ich mir den Ellbogen gebrochen hatte und dachte, nie mehr Gitarre spielen zu können, eine Arbeitsausfallversicherung. Aber warum auf Spaß verzichten? Wenn ich unfähig werde, mich auszudrücken, und zu gebrechlich, um die Leute mitzunehmen, wenn sie sich bei den Konzerten Sorgen um mich machen, höre ich vielleicht auf. Vorher nicht.

Das Interview ist vorab bei MusikBlog erschienen


Ripley: Matt Damon & Andrew Scott

Ästhetisches Nervenreißen

3d2f339a-4116-48cd-b1ca-5b2eef4d2d72

Die Netflix-Serie von Patricia Highsmiths Der talentierte Mr. Ripley ist nicht nur umfangreicher als der Kinofilm von 1999, sondern ein Meisterwerk der Verbindung von Schönheit mit Spannung und Tiefe.

Von Jan Freitag

Der Weg nach ganz oben ist für Menschen weit unten lang und beschwerlich. Also nicht für Dickie Greenleaf, versteht sich. Der Spross eines New Yorker Großreeders blickt von seiner Luxusvilla hinunter aufs Mittelmeer, muss jedoch offenbar nie selbst hinaufsteigen. Ganz im Gegensatz zu Tom Ripley. Der Trickbetrüger müht sich zu Beginn einer fabelhaften Netflix-Serie die Treppen zu Dickies Domizil erst aufwärts, dann abwärts, bergan, bergab. Immer und immer wieder.

Es ist ein schweißtreibender Kampf gegen die kapitalistische Höhendifferenz, den er mit sich und seinem Ehrgeiz austrägt. Schließlich könnte es sich lohnen: Beauftragt von Dickies Vater soll Tom dessen Sohn überreden, sein Lotterleben als alimentierter Tunichtgut aufzugeben und heimzukehren. Erster Klasse nach Italien. Honorar und Spesen inklusive. Ein verlockendes Angebot für jemanden, der Ottonormalverbraucher um Kleinbeträge erleichtert.

Und eins, das Cineasten vertraut vorkommen dürfte. Als Anthony Minghella Patricia Highsmiths Thriller Der talentierte Mr. Ripley 1999 verfilmt hat, schlidderte Matt Damon beim Versuch, jemand besseres zu sein, von einer Katastrophe zur nächsten. Zwei Jahre nach seinem Mafia-Epos The Irishman nun schickt Steven Zaillion den noch viel talentierteren Andrew Scott zurück in die Neo-Noir-Sixties. Und man fragt sich: Kann das Fernsehen dem Roman etwas abgewinnen, das dem Kino verborgen blieb?

Antwort: Sie kann. Mehr noch: Sie verlängert die Spielfilmlänge nicht nur auf achtmal 30 bis 60 Minuten, sondern zur vielleicht besten Fiktion 2024, wenn nicht aller Zeiten. Denn Ripley, so heißt sie in aller Kürze, gelingt nahezu Einmaliges: Dramaturgischer Tiefgang und schauspielerische Brillanz, gepaart mit ästhetischer Vollkommenheit und erzählerischer Stringenz, die trotz hinlänglich bekannter Story zum Zerreißen fesselt.

Dass der vermeintliche Studienfreund des Hobby-Malers Dickie plant, in dessen Rolle zu schlüpfen, erschließt sich nämlich schon früh, nimmt der Erzählung aber nichts von ihrer Spannung. Bis dahin aber muss Ripley Treppensteigen. Um fremdes Vertrauen zu gewinnen, quartiert er sich in dessen Haus himmelhoch über Neapel ein und wird vom Besucher zum Freund, der seinen Gastgeber so virtuos manipuliert, dass weder Dickie (Johnny Flynn) noch seine Freundin Marge (Dakota Fanning) etwas davon bemerken.

Wo Matt Damon seinen Eindringling als Impulstäter spielt, der eher zufällig in die Eskalationsspirale gerät, bleibt Showrunner Zaillion somit der Buchvorlage näher und kann sich dabei auf seinen Hauptdarsteller verlassen. In dessen Figur skizzierte Highsmith vor 70 Jahren eine Klassengesellschaft, die so hermetisch verriegelt ist, dass man ihr nur auf krummen Weg – oder endlos geschwungener Wendeltreppe – aufwärts entkommen kann. Und diesen Eifer spielt Andrew Scott mit einer unsichtbaren Vielschichtigkeit, die sprachlos macht.

Von argloser Naivität bis zur maliziösen Infamie muss er nur zwei, drei Gesichtsmuskeln bewegen und variiert sein Minenspiel damit in einer Sekunde mehr als ein Heino Ferch in seiner gesamten Karriere. Die eigentlichen Stars sind allerdings gar nicht im Bild: Robert Elswitt und Jeff Russo. Während der Kameramann jede seiner schwarzweißen Einstellungen zum Gemälde macht, das für sich genommen schon ins Filmmuseum gehört, legt der Komponist einen Soundtrack darüber, der gleichermaßen eindrücklich und beiläufig ist.

In seiner unaufdringlichen Detailversessenheit, die oft über Minuten hinweg Schnappschüsse der Umgebung zu machen scheint, erinnert Ripley dadurch an Meisterwerke von Lost in Translation bis Smoke, in denen die Optik inhaltliche Aufgaben übernimmt, ohne sie zu ersetzen. So kreiert Zaillion das atemberaubende Stadtlandfluss-Porträt einer eleganten Ära, deren visuelle Schönheit anmutig mit der sozialen Ungleichheit ringsum kontrastiert und beides damit zur Formvollendung führt. Doch obwohl hier jedes einzelne Bild heillos überfrachtet wirkt, bettelt keines davon je um Bedeutung.

Das Herausragende einer einzigartigen Inszenierung aber besteht darin, dass die Sechzigerjahre hier zu keiner Zeit kostümiert wirken – als würde Netflix Super-8-Filme jener Jahre digitalisieren, anstatt sie nachzustellen. Für den Deutschen Louis Hofmann ist es da die größte Ehre, an der Seite von John Malkovich mitspielen zu dürfen – und sei es auch nur am Rande. Wobei Ripley für alle Beteiligten das Beste sein dürfte, was sie von ihrer Karriere erwarten dürfen. Nur bei Andrew Scott darf man sich da nicht zu sicher sein. Er zählt zwar schon jetzt zu den Größten unserer Zeit, hat sein Potenzial aber noch nicht annähernd ausgeschöpft.


Höckes Mett & Artes Kant

Die Gebrauchtwoche

TV

8. – 14. April

Die Nachricht der Medienwoche ist, dass – nein, nicht Olaf Scholz nun TikTok nutzt und gleich mal vorführt, was er in seiner Aktentasche hat. Die Breaking News besteht eher in der gleichermaßen naheliegenden und überraschenden Erkenntnis, dass Björn Höcke ein brauner Schaumschläger ist. In den knapp zehn Jahren seiner rechtsextremistischen Selbstdämonisierung dachte man ja lange, er sei zu gerissen für Selbstentlarvung.

Im Zwiegespräch mit dem Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt allerdings ist die westfälische AfD-Pumpgun zur Luftpumpe geworden. Man mag an Voigts Eigen-PR via Welt TV am Freitag alles Mögliche kritisieren: Dass Ministerpräsident Bodo Ramelow nicht dabei war. Dass über Mettbrötchen gestritten wurde. Dass man Nazis nicht entzaubern kann, weil ihre Fans nun mal ausschließlich an Magie glauben.

Tatsache aber bleibt: AfD-Verantwortliche sind auch in den Studios von ARZDF häufiger zu Gast. Und am Ende dieser Einladung stand Björn Höcke als blaubrauner Wüterich bar nennenswerter Argumente da, dem unter Druck ständig Propaganda und Gesichtszüge entgleiten. So gesehen war dieser seltsame Abend beim Springerkanal zwar kein Sieg für Demokratie und Pluralismus, aber doch über seine ärgsten Feinde.

Schwer davon zurück in die Spur beiläufiger Fernsehunterhaltung zu kommen. Egal: Sebastian Puffpaff hat Mittwoch zum 100. Mal TV total moderiert und kurz nach Stefan Raabs Rückkehrankündigung wurde dabei zum 100. Mal deutlich, wie missraten, vor allem: unwitzig die Sendung ohne ihren Erfinder ist. Ein paarmal seltener hat Elton Schlag den Star geleitet, taugte aber wie in jedem seiner Formate zum Sympathieträger.

Umso erstaunlicher, dass ihn Pro7 nun ziemlich rüde rausgeworfen hat. Noch erstaunlicher war hingegen, wie lautstark er seinem Ärger darüber Luft gemacht und vielleicht gerade deshalb unmittelbar danach ein irgendwie unmoralisches Angebot von RTL-Programmchefin Inga Leschek erhalten hat, doch einfach zur Konkurrenz zu wechseln. Schwer vorstellbar, aber vielleicht könnte es ja helfen.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

15. – 21. April

Denn auch in dieser Woche hat RTL absolut gar nichts von auch nur annähernder Bedeutsamkeit im Programm, wie es dieser Tage überhaupt verblüffend dünn mit Neuerscheinungen aussieht. Herausragend ist da schon, dass Netflix ab Dienstag Greta Gerwigs erste, maximal gelungene Solo-Regie Lady Bird mit Saoirse Ronan als Schülerin beim Versuch, aus Kalifornien an die Ostküste zu gelangen, zeigt.

Bemerkenswert scheint auch die Sky-Serie The Sympathizer um einen Spion des Vietcongs zu werden, der am Ende des Vietnamkrieges in die USA geht und dort zwischen zwei Loyalitäten zu seiner alten und der neuen Heimat schlingert – woran nicht nur die bissige Kapitalismuskritik überzeugt, sondern Robert Downey jr. in einer ganzen Reihe Nebenrollen, die das amerikanische Establishment jener Tage aufs Korn nehmen. Ansonsten?

Tja…

Am Dienstag gehen Joko & Klaas ins 50. Duell gegen ProSieben, was schon ein echtes Highlight dieser Woche werden dürfte. Am Mittwoch läuft Das Experiment der Freiheit, in dem Arte Immanuel Kant zum 300. Geburtstag dokumentarisch auf die Spur kommt. Freitag setzt das Erste in seiner Mediathek Phil Laudes Kartoffel-Püree Almania fort, das in der ersten Staffel ganz gut, aber ausbaufähig war.

Und Sonntag darf Felicitas Woll im ZDF-Herzkino Neuer Wind im Alten Land erneut beweisen, dass sie eigentlich zu talentiert ist für öffentlich-rechtliche Schnulzen. Was natürlich auch für die unendliche Flut mittelmäßiger Krimis gilt, von denen tags zuvor in der Mediathek ein weiterer Fall vom Kommissar und die Angst zu sehen ist. Einer Krimireihe eines – Achtung! – seelisch irgendwie vernarbten Polizeiermittlers mit Paranoia und … ach, lassen wir das.


Voigts Welt & Norwegens Festung

Die Gebrauchtwoche

TV

1. – 7. April

Die Aufmerksamkeitsökonomie des (kommerziellen) Fernsehens funktioniert wie jene rechter Populisten: Man kippt kommunikative Gefahrengüter in öffentliche Debatten, lässt sie mit der digitalen Umgebung reagieren, bezeichnet etwaige Emissionen als ungewollt, Zufall oder nebensächlich, kümmert sich nicht weiter um deren Entsorgung und genießt die allgemeine Erregung – Stefan Raabs Entertainmentelixier.

Es besteht seit jeher aus großem Getöse über Bagatellen wie Maschendrahtzäune oder Boxkämpfe und erzeugt auch neun Jahre nach seinem Rückzug von der Pro7-Bühne verlässlich Breaking News wie die, er werde gegen Regina Halmich kämpfen, neue Shows moderieren, einen Sender gründen, womöglich gar alles in einem, zugleich und gigantisch. Wie viel daran reines Marketing ist, lässt sich vorerst nur erahnen.

Zumal sie im Kernschatten einer weit größeren PR-Attacke steht: dem Streitgespräch des Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt mit dem rechtsextremsten Gottseibeiuns Joseph-Adolf Höcke. Moderiert vom Senderchef Jan Philipp Burgard, will der Ministerpräsident in spe die Persona non grata a.D. Donnerstag beim Springer-Portal Welt TV vorführen – trotz warnender Beispiele. Die MDR-Sommerinterviews zum Beispiel.

Darin ist Moderator Lars Sänger bereits mehrfach an der geschmeidigen Faktenverachtung des AfD-Ostgauleiters abgeprallt wie fleischlose Wurstalternativen am CSU-Parteitag. Umso gespannter darf man sein, ob und vor allem: wie gut sich die Voigt und Burgard diesmal vorbereiten, um den Leitsatz der Mediendemokratie gerecht zu werden: Schweigen ist Silber, Reden – nun ja, besser als nix.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

8. – 14. April

In Umkehrung dieses Grundsatzes, halten wir uns bei der Vorstellung anstehender Fernseh- und Streamingformate mal kurz und arbeiten sie chronologisch in Stichworten ab

Am Mittwoch begeben sich vier Unbekannte in der ARD-Mediathek auf die Suche nach verschollenen Elternteilen und machen den Vierteiler My Roots zu einer intensiven Tauchfahrt ins eigene Seelenleben, bevor bei Netflix die sechsteilige Alpen-Mystery-Serie Anthracite startet.

Ab Donnerstag mach Arte eine impulskontrollgestörte Gewerkschafterin mit dem Kampfnamen Machine zur Hauptfigur einer französischen Dram-Serie, während Amazon Prime das populäre Videospiel Fallout zur wuchtigen Serienfiktionen mit Tiefgang umdefiniert

Freitag dann schottet die skandinavische Near-Future-Dystopie The Fortress (ARD-Mediathek) Norwegen zu einer Festung für Klimawandelgewinner ab und die schwedische Comedyserie Dreaming of England reist in der Arte-Mediathek zurück in die Achtzigerjahre.

Am Samstag weht Neuer Wind im Alten Land durchs ZDF, als Felicitas Wolls Top-Journalistin Beke an ihre Wurzeln zurückkehrt. Und kurz darauf die Schauspielerin dann auch noch an gleicher Stelle in Hannu Salonens Psychodrama Blindspot Teil eines neoliberalen Intrigantenstadls ist.

Und Sonntag rundet der Neo-Sechsteiler Infiniti die Woche dann mit einem weiteren Ausflug ins All ab, der sich nach Das Signal und Constellation schon wieder auf der ISS abspielt – dem neuen Serienhotspot oberhalb der Erdatmosphäre.


AUGN, oh alien, Khruangbin

AUGN

Das Prinzip Sleaford Mods ist auf komplizierte Art simpel: Rotzige Beats auf die Ohren, rotzigere Lyrics an die Nieren, das Ganze mit 3000 Litern Adrenalin, Testosteron und Schweiß in einen Kellerclub gekippt – fertig ist eine der erstaunlichsten Alternative-Karrieren, die natürlich Nachahmer findet. AUGN zum Beispiel. Wobei es viel zu kurz gedacht ist, das Kreuzköllner Duo als puren Abklatsch der englischen Vorbilder zu nehmen.

Auch auf ihrem neuen Doppelalbum Fata Morgana/Gerstenkorn nämlich klingen die technoiden Bässe im vorderen Hintergrund zwar verteufelt nach Andrew Fearns Dosenbier-Kakophonie. Aber wenn der unerkannte Strumpfmaskensänger dem Hass auf Berlin, Beyoncé, Habibibullshit und alles rechts der Linken dystopisch verzerrt seinen Lauf lässt, klingt Jason Williamson geradezu versöhnlich. AUGN tun richtig weh. Aber es ist ein guter Schmerz.

AUGN – Fata Morgana/Gerstenkorn (Dioptrien)

oh alien

Das Gewöhnliche ungewöhnlich zu machen oder wenigstens klingen zu lassen, ist eine der ganz großen Kunstgriffe. Dem Wiener Trio oh alien gelingt er buchstäblich spielend. Sein Elektropop wurde in den vergangenen 20 Jahren schließlich rauf und runter dekliniert. Gelangweilte Frauenkopfstimme, eher gehaucht als gesungen. Dazu analoge Synthetik zwischen TripHop und Wave – Billie Eilish hat das zuletzt abermillionenfach verkauft.

Wie es da neu erscheinen kann, ist ein Geheimnis aus Österreich, dem man nördlich der Alpen schwer habhaft wird. Auf ihrem Debütalbum kreieren oh alien nämlich popkulturelle Lückenbebauung, die ihren Überfluss als Originalität verschleiert und umgekehrt. Das cheezy Shining wird so zum Beispiel mit einer öligen Gitarre verfüllt, die andernorts nach Ricky King klänge. Hier macht sie daraus große Kleinkunst für nebenbei. Man kann sich an ihr kaum satthören.

oh alien – What We Grow (Assim Records)

Khruangbin

Und wo wir schon bei Musik mit Milchprodukten sind: Das texanische Trio Khruangbin ist zurück und tunkt uns auch auf der vierten Platte in ein käsiges Quarkgemisch aus Psychopop, Americana und LoFi-Funk, als wäre Beck in einen Topf Laid Back gefallen. Unter Marko Speers Gitarrentupfern schleichen DJ Johnsons Schlagzeug und Laura Lee Ochoas Bass hindurch wie Kiffer auf Ketamin – als wäre selbst ihr Downbeat zu schnell für heiße Sommernächte.

Das Besondere an A La Sala – Spanisch für “zum Zimmer”: Es ist dabei ziemlich gut gelüftet, also frisch genug, um wach zu bleiben. Man möchte sich einfach in warme Chai-Latte legen, Ochoas hauchzartem Gesang lauschen und leicht wegdösen, ohne einzuschlafen. Was schon deshalb gut gelingt, weil die Klangteppiche Aufmerksamkeit erfordern, um darin Takte zu erkennen. Bedroom-Pop für Aufgeweckte gewissermaßen.

Khruangbin – A La Sala (Dead Oceans)


Reichelts Rassenwahn & Krens Crooks

Die Gebrauchtwoche

TV

25. – 31. März

Zeigefinger haben viele Funktionen. Sie können sich melden, hakeln, alle Aufmerksamkeit einfordern, sie können dich anzeigen, belehren, in der Nase bohren, seit einiger Zeit sogar islamistische Gesinnung bezeugen und für Resonanzraum-Rassisten wie Julian Reichelt noch viel besser: auch jenseits solcher Gesinnungen Hass und Hetze schüren.

Wäre der frühere Bild-Chef nicht nur ein rechtsradikaler Schreihals, sondern Reichsführer JR, würde Antonio Rüdiger wohl allenfalls im KZ-Team spielen. Weil er es jedoch in der deutschen Fußballnationalmannschaft tut, hat Reichelt ein Bild mit erhobenem Zeigefinger auf seiner Plattform Nius zum Terrorakt umgedeutet, wofür ihn Rüdiger und der DFB angezeigt haben.

Siege gegen Frankreich und Holland, die erst dem ZDF, dann RTL zweistellige Quoten brachten, empfindet der brustbehaarte Volkverhetzter angesichts nichtarischer Beteiligung eben als Rassenschande. Für empathie- und vernunftbegabte Menschen dagegen sind sie Vorboten auf etwas, das vor kurzem noch undenkbar schien: Euphorie und Optimismus während der EM im eigenen Land.

Dazu passt, dass ein Moderator beim Sommermärchen 18 Jahre zuvor den Höhepunkt seines TV-Schaffens erreicht hatte, der im Sommer wieder auf Sendung gehen könnte. Stefan Raab kündigt sein Comeback an. Schöne alte Medienwelt. In der hässlichen neuen hingegen schadet Daniel Drepper gerade jener pluralistischen Demokratie, die er für NDR, WDR und SZ zu schützen vorgibt.

Der Investigativ-Journalist beehrt eine Unternehmensberatung per Gastbeitrag, hält es aber nicht für nötig, Kress auf Nachfrage Auskunft über sein Honorar zu geben, verachtet also jene Transparenz, die er bei anderen einfordert. Drepper hat aber auch achtbare Kolleg*innen – und juristisch entlastete: Correctiv hat auch den (vorerst) letzten Prozess gegen Teilnehmer der Potsdamer Remigrations-Verschwörung gewonnen.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

1. – 7. April

Auf wessen Seite Gerhard Schröder steht, lässt sich hier nur mutmaßen. Im konventionell gelungenen ARD-Porträt Außer Dienst? aber zeigt NDR-Autor Lucas Stratmann (Kevin Kühnert und die SPD) den Altkanzler ab Mittwoch in der Mediathek als unbelehrbares Alphatier mit Diktatorenfaible, das perfekt in die Netflix-Serie Crooks passen würde. Ab Donnerstag schickt Showrunner Marvin Kren sein Gang-Gemetzel 4 Blocks darin quasi auf Europareise.

Und wenn Frederick Lau als Safeknacker Charlie mit der organisierten Kriminalität in Wien, Marseille, Berlin um den Verbleib einer geraubten Goldmünze rangelt, suppt aus jeder zweiten Szene fast noch mehr gewaltverliebtes Testosteron als Kunstblut. Unterhaltsam ist es dennoch – oder gerade deshalb. Ähnlich viel drastisches Entertainment verströmt die Apple-Serie Sugar.

Collin Farrell spielt darin ab Freitag einen Detektiv, der vermisste Personen findet. Die Hommage an schwarzweiße Film-Noir-Legenden ist zwar schön gefilmt, ästhetisch also wertvoll. Inhaltlich aber nervt die Reminiszenz an misogyne Mackerzeiten mehr als sie fesselt. Einen Zeitsprung vorwärts macht derweil die 4. Staffel Charité und reist zugleich in der ARD-Mediathek 25 Jahre vorwärts.

Der Klimawandel ist darin raue Realität, unserer Fortschrittsgläubigkeit kann er aber ebenso wenig anhaben wie die AfD, von der nichts zu spüren ist. Ohne den üblichen Superstarcast wird stattdessen sechsmal 45 Minuten der medizinische Fortschritt mit queer-diversem Herzschmerz angedickt. Das ist ungefähr so okay wie das schwedische Vermisstendrama Dark Heart, ab Montag bei Prime.

Oder Ripley, die Serienadaption des 90er-Blockbusters, aber Donnerstag mit Andrew Scott statt Matt Damon bei Netflix. Oder parallel die Aurel Mertz Neo-Late-Talk Tropical Tonight und Dan Aykroyds Mystery-Dokureihe UnBelievable. Oder das Matriarchats-Experiment Girls State, tags drauf bei Apple, gefolgt von Hannah Emde als neue Moderatorin von Terra X am Sonntag im Zweiten.


Maischbergers Nuhr & Schalkos Kafka

Die Gebrauchtwoche

TV

18. – 24. März

Ob und wie viel Rücksichtnahme, gar Pietät vonnöten ist, entscheiden empathische Gemüter meist mittig zwischen Herz und Hirn. Dort also, wo sie eigene Emotionen mit denen anderer irgendwie austarieren. Bei Boulevardmedien wie RTL dagegen gibt es weder den Begriff der Rücksichtnahme noch Pietät. Entscheidungen fallen daher grundsätzlich mittig zwischen End- und Mitteldarm. Auch jene also, ein Kate-Spezial zu zeigen.

Nur Stunden zuvor hatte die Princess of Wales ihre Krebserkrankung publik gemacht. Für Sender mit Herz und Hirn ein Moment des Innehaltens, wie er sich auch nach Fritz Weppers Tod gehört. Für Sender ohne Herz und Hirn bietet es indes die Gelegenheit, beides auszuschalten, damit das Stammpublikum einschaltet. So funktioniert nun mal die Aufmerksamkeitsökonomie, in der auch Dieter Nuhr nach Kräften mitmacht.

Umso irritierender, dass er Mittwoch bei Sandra Maischberger in einer Sendung zur Spaltung der USA gravitätisch dreinblickend die der deutschen Gesellschaft beklagen durfte, ohne dass sie ihn groß mit seiner fundamentalistischen LinksgrüngenderwokenessF2F-Feindlichkeit konfrontiert hätte. Im Gegenteil. Sie stellte den AfD-Liebling als AfD-Gegner dar, der sich entsprechend zum Opfer von, tja – was eigentlich stilisieren durfte?

Kritik ganz generell vermutlich. Die gab es vorige Woche aber auch in konstruktiver Form. Nämlich beim Deutschen FernsehKrimi-Preis, den unter anderem die Podcast-Verfilmung ZEIT-Verbrechen erhielt. Noch mehr würde sich X Filme Creative Pool zwar über eine Abspielplattform freuen, nachdem sich Paramount+ aus der deutschen Inhaltsproduktion komplett zurückgezogen hat.

Aber so eine Trophäe dürfte die Suche vermutlich befeuern. Weitere Preisträger übrigens: Allerlei mit Landkrimi oder Tatort im Label. Und apropos Label: House of Dragons, zugkräftig-lukratives Prequel im endlosen GoT-Universum kriegt ab Juni die 2. Staffel und belegt damit, was eigentlich alle längst wissen: Dass einmal zugerittene Fernsehpferde reiten müssen, bis sie sterben.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

25. – 31. März

Und manchmal sogar darüber hinaus. Deutsches Historytainment zum Beispiel ist im Grunde tot, seit Miguel Alexandre Die Frau vom Checkpoint Charlie 2007 auf 1982 bügelte. Ab Donnerstag dekoriert RTL+ nun Bochum für Disko 76 zurecht, wo Jannik Schümann den popkulturellen Aufbruch im Ruhrpott jener Tage simuliert. Die sechs Folgen à 45 Minuten sind auf so lächerliche Art überkostümiert, dass Mettigel in verbleitem Benzin bekömmlicher wärne.

Oder sagen wir: Teil 2 der Passion, die RTL am Mittwochabend durch Kassel treibt – und wieder freut sich die hauseigene Promi-Kaderschmiede auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, etwa für Ben Blümel als Jesus, Nadja Benaissa als Maria, Timur Ülker als Petrus, Jimi Blue Ochsenknecht als Judas und kein Scherz: der Autor dieser Zeilen als Kreuzträger-Komparse, Donnerstag nachzulesen bei DWDL.

Vorher gibt’s aber noch verblüffendes Fernsehen wie das sechsteilige Biopic Kafka. Zum 100. Geburtstag spielt der famose Joel Basman den weltweit meistverkauften deutschsprachigen Schriftsteller im Kreis eines beispiellosen Casts von Lars Eidinger bis Verena Altenberger. Wenn das Erste Dienstag/Mittwoch zwei Dreierfolgen zeigt, dürfte die Quote allerdings nicht nur wegen des morgigen Länderspiels bei RTL mies sein.

So experimentelles, originelles, herrlich wirres Historytainment wie David Schalkos nach Daniel Kehlmanns Buch ist dem Durchschnittspublikum nämlich kaum zuzumuten. Das schätzt eher Krimis wie Signora Volpe. Drei Teile lang ermittelt die britische Geheimagentin im italienischem Urlaubsidyll, und wer dachte, nur Deutsche können derart bescheuerte Ausflugsmorde lösen – hier ist der Gegenbeweis.

Empfehlenswerter ist dagegen – zumindest für Märchenfans – ab Freitag die Disney-Serie Renegade Nell um eine Engländerin mit Superkräften auf ihrer achtteiligen Flucht vor Magie und Machismo der frühen Neuzeit. Und immerhin erwähnenswert: A Bloody Lucky Day, ein zehnteilige Mystery aus Südkorea (Freitag, Paramount+) und zeitgleich bei Apple TV: STEVE!, ein zweiteiliges Porträt des Komikers S. Martin.


Kates Bilder & GoTs Nachfolger

Die Gebrauchtwoche

TV

11. – 17. März

Man fragt sich angesichts der anhaltenden Debatte um falsche Fotos aus dem Buckingham Palast ja schon, was merkwürdiger ist: Dass Bilder kursieren, die nicht den wahren Zustand von Prinzessin Kate darstellen. Oder dass überhaupt jemand erwartet, es könnte Bilder von ihr geben, die etwas anderes als Fake sind, also – hüstel – der Wahrheit entsprechen. Schließlich ist es seit jeher Teil der erhabenen Wirklichkeit, genau die im Sinne profaner Ansprüche zu gestalten.

Anders gesagt: Ob mit KI, simpler Retusche oder der strikten aristokratischen Angebotspolitik – nichts, was aus Königshäusern nach außen dringt, geschieht zufällig, ist also auch nur annähernd authentisch. Schon drollig, dass selbst seriöse Medien solch ein Aufhebens um den wahren Zustand irgendwelcher Royals machen. Zumindest hierzulande ist da doch weitaus interessanter, was Peter Kloeppel macht.

Aufhören nämlich. Und das ist wirklich mal der Rede wert. Denn als der Henri-Nannen-Schüler 1993 zu RTL ging, war der Sender unseriöser als eine Peepshow unweit seiner Journalistenschule in Hamburg. Peepshows sind mittlerweile zwar verboten und der frühere Marktführer hat auch weiterhin die Seriosität einer vergessenen Unterhose im Stundenhotel. Aber Peter Kloeppel – der stand fast 30 Jahre lang fürs halbe Prozent Anspruch, den sein Arbeitgeber nur kurz mal erfüllen wollte.

Dazu passt, dass RTL dieses Jahr keinen Grimme-Preis kriegt, wie überhaupt nahezu ausnahmslos öffentlich-rechtliche Produktionen prämiert wurden. Wobei geehrt: Dass die Sieger Nichts, was uns passiert, Tamara und Sam – Ein Sachse mit der toxisch-obszönen Macho-Exkulpation Boom Boom Bruno um den Titel beste Fiktion konkurriert haben und weder das sensationelle Historytainment Deutsches Haus noch die herausragende BRD-Doku Capital B gewonnen haben, lässt gehörig am Sachverstand der Jury zweifeln.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

18. – 24. März

Umso mehr steht zu befürchten, dass die Fortsetzung der harmlos depperten Glubschaugen- Satire Miss Merkel, seit gestern bei RTL+ zu sehen, 2025 im Marler Lostopf steckt, während die Fortsetzung der abermals hinreißend originellen Coming-of-Age-Real-Groteske Oh Hell, ab Donnerstag bei Magenta TV, wohl wieder leerausgeht – und damit die letzte fiktionale Eigenproduktion des Streamingdienstes der Telekom.

Das ist wirklich schade, wird vom Konkurrenzprogramm dieser Woche allerdings an den Rand der Aufmerksamkeitsschwelle verdrängt. Parallel startet bei Netflix nämlich 3 Body Problem, und wer die chinesische Romanvorlage nicht kennt: Darin geht es acht Teile lang um fünf Physiker, die mit der möglichen Ankunft Außerirdischer konfrontiert werden. Für geschätzte 25 Millionen Dollar pro Folge wird daraus nun ein opulentes SciFi-Drama.

Wobei schon die Showrunner andeuten, welche Wucht es entfaltet: Die GoT-Macher David Benioff & D.B. Weiss haben sich des angeblich unverfilmbaren Stoffes angenommen und nicht weniger als Kino fürs Fernsehen daraus gemacht, das zum Fettesten zähl, was bislang je gestreamt wurde. Fett vor allem, weil es ein bildgewaltiges, wissenschaftsaffines, aber nie verkopftes Panoptikum zivilisatorischer Ängste entwirft, das nie in billigen Budenzauber abdriftet.

Auf kleinerer Flamme köchelt hingegen ab Freitag in der Mediathek hingegen Friedefeld, nach ARD-Angaben die „erste deutsche Animated Sitcom“. Zehnmal 25 Minuten orientiert sich die Bevölkerung des anarchistischen Zeichentrick-Städtchens um den Prokrastinierer Paul (gesprochen von David Kross) spürbar an Formaten wie Family Guy oder Bob’s Burger, erreicht zwar zu keiner Zeit deren Aberwitz, ist aber ziemlich kurzweilig.

Was auf heitere Art auch für den Comedy-Zehnteiler Palm Royale um Kristen Wiig als gewöhnliche Frau gilt, die in den Siebzigerjahren versucht, im Jet Set von Palm Springs Fuß zu fassen. Und auf ernste Art gilt es ebenso für die deutsche Doku Bittere Früchte, in der Arte in seiner Mediathek unseren irrsinnig umweltfeindlichen, weil ausschließlich egoistischen Nahrungsmittelkonsum unter die Lupe nimmt.