Ingo Zamperoni: Eloge zum 50. Geburtstag

195 Zentimeter Gefühlsdistanz

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Kaum zu glauben, aber belegt: Ingo Zamperoni (Foto: Schwichtenbergf) ist jetzt 50 Jahre alt. Die Hälfte davon arbeitet der deutsch-italienische Moderator mittlerweile daran, die Nachrichtenlage einigermaßen erträglich zu machen. Mit Erfolg.

Von Jan Freitag

Dante Alighieri wird hierzulande selten zitiert und noch viel seltener tagesaktuell. Von daher war der 28. Juni 2012 ein gewichtiges Datum fürs hiesige Infotainment und seines schönsten Kopfes. Damals traten Ingo Zamperonis Heimatländer im Halbfinale der Fußball-EM gegeneinander an. Und dass der deutsch-italienische Moderator die Halbzeit-Tagesthemen mit dem biografisch-fairen Satz „möge der Bessere gewinnen“ schloss, brachte ihm zwar den allerersten Shitstorm seiner Karriere ein.

Nachhaltiger wirkt im Nachhinein jedoch der Dante-Verweis vorweg. Das Gesicht, zitierte Zamperoni den Nationaldichter aus dem Land seiner Vorfahren väterlicherseits, „verrät die Stimmung des Herzens“. Wie genau es nach dem Aus von einem seiner zwei Lieblingsmannschaften aussah, ist nicht überliefert. Grundsätzlich allerdings darf man vermuten, dass Ingo Zamperoni ziemlich oft guter Stimmung ist.

Trotz allem.

Fast 25 Jahre arbeitet der studierte Amerikanist für Deutschlands wichtigste Nachrichtenredaktion, zur Hälfte vor statt hinter den Kameras. Von Euro-Krise bis AfD-Aufstieg, von Klima-Krise bis Trump-Chaos, von Ukraine-Krieg bis Inflationsspirale hat er seither nahezu ausnahmslos katastrophale Nachrichten verbreitet. Sein Gesicht aber, dieses Gemälde aus verbindlichem Charme und professioneller Empathie – es sorgt für Trost. Abend für Abend.

Wenn er heute – kaum zu glauben, aber belegt – 50 wird, mag Zamperonis Haar demnach grauer geworden sein; das Antlitz darunter wirkt auf ähnlich optimistische Art sachorientiert wie am sieg- und verlustreichen Halbfinaltag zwölf Jahre zuvor. Damit aber genug von Äußerlichkeiten, hin zur Kernkompetenz. Von Ulrich Wickert hat er schließlich nicht nur die nonchalante Lässigkeit geerbt, sondern deren Nebeneffekt, manch Grausamkeit unserer desaströsen Zeit ohne Sinn- oder Bedeutungsverlust erträglicher zu machen.

Sein sonniges Wesen, gepaart mit der Fähigkeit, stürmisch zuzupacken, dient damit als das, was öffentlich-rechtlicher Magazinjournalismus bilden sollte: Die Scharnierfunktion zwischen Ernst und Leichtigkeit, Staatsauftrag und Zerstreuung zur Nacht, in die uns Zamperoni alle zwei Wochen sieben Tage mit dem Abschiedsimperativ „Bleiben Sie stabil“ entlässt. Sie ließ sich nirgends besser bestaunen als im Trialog mit Barack Obama und Bruce Springsteen.

Danach war man wie so oft ab 22.15 Uhr im Ersten informierter, aber auch entspannter, entkrampfter, entertainter. Publizistischer Konfrontationseskapismus gewissermaßen im Dienst analytischer ausgewogener Analyse. Vor allem aber ein Beleg guter Gesprächsführung vom Bauch übers Herz ins Gehirn und wieder zurück, der das Fegefeuer von Corona, Tumulten, Rechtspopulismus Ende 2021 herunterkühlte, ohne es vollends zu löschen. Denn das, da ist der Moderator kategorisch, entspricht nicht seiner Aufgabe.

Schließlich sei es „ein Privileg, unterschiedlichste Menschen verschiedenster Ansichten zu interviewen“, hatte der dreifache Vater zwei Jahre zuvor den Start des Justizmagazins „Das soll Recht sein?“ bei seinem Haus- und Herzenssender NDR kommentiert. Da garantiere er, „nie eine Agenda zu pushen“. Und weil sich der juristisch ausgebildete Journalist ohnehin ständig im „Spannungsfeld von Fakten und Fairness“ befinde, „bin ich auch nicht dauernd innerlich zerrissen, diese Ausgeglichenheit ist absolute Routine“.

Wie gut, dass er die großen und kleinen Tiere nicht nur im Nachrichtenstudio befragt, sondern auch abseits der Redaktionsräume am Hamburger Zoo. So hat uns Ingo Zamperoni zuletzt herausragende Reportagen aus Italien und den USA geliefert. Auf subjektive Art objektiv, reif und jung in einem, ebenso glaubhaft wie kurzweilig: Was bei anderen Gegensatzpaare wären, vereint der 50-Jährige auf 195 Zentimetern distanzierten Mitgefühls.


Presse of Germany & Tattooist of Auschwitz

Die Gebrauchtwoche

TV

29. April – 5. Mai

Klingt eigentlich nach einer guten Nachricht: Deutschland ist im Pressefreiheitsranking der Reporter ohne Grenzen vom 21. auf den 10. Platz vorgerückt. Dass es zwischenzeitlich abgerutscht war, lag zwar nicht an staatlicher Repression, sondern der neuen SA, die AfD und andere NS-Fans auf Journalist*innen gehetzt haben. Aber auch private Gewalt setzt der freien Berichterstattung massiv zu.

Wenngleich weit weniger als nahezu überall sonst. In weniger als einem Dutzend Ländern außerhalb Europas ist die Lage auch nur zufriedenstellend. Für fürchterliche 36 dagegen ist sie sehr ernst – mehr denn je, seit RSF diese Zahlen erhebt. Und eine Ahnung davon, wie es hierzulande aussähe, falls die barbarischen Angriffe auf Wahlkämpfer von SPD und Grünen wie am Wochenende in Sachsen das Klima weiter verrohen.

Abgesehen davon, dass sie durchaus mal einen ARD-Brennpunkt wertgewesen wären, muss man Nils Minkmar angesichts öffentlich-rechtlicher Gesprächsangebote an die parteipolitischen Steigbügelhalter dieser Eskalation rechtgeben. In der Süddeutschen Zeitung nannte er Talkshows Orte der Repräsentation, nicht der Weiterbildung, weshalb er von Einladungen an AfD-Sturmbannführer dringend abrät.

Da hilft – anders als beim Fußball – auch keine Mediation. Dort nämlich ist sie nötig geworden, seit die DFL ihre Verhandlungen mit DAZN aussetzen musste, weil das (zumindest in Deutschland) unprofitable Unternehmen keine Bankbürgschaft beibringen konnte. Nun soll ein Schiedsgericht schlichten, aber die Fronten sind verhärtet. Das schien lange Zeit auch beim Grimme-Institut der Fall zu sein.

Jetzt aber ist es vor der Pleite gerettet. Denn sein neuer Interims-Direktor Peter Wenzel, zuvor Sozialdezernent in Datteln, kriegt vom Volkshochschulverband 100.000 Euro. Damit ist nicht nur die Preisverleihung gesichert, auch der abgesetzte Online Award kann zurückkehren. Bei der Verleihung des Deutschen Filmpreise haben am Freitag derweil Koproduktionen der üblichen Sender gewonnen – allein siebenmal das ZDF.

Der Preis für den schlimmsten Angriff auf die Pressefreiheit geht parallel an – Benjamin Netanjahus Regierung dafür, Al-Dschasira in Israel zu schließen. Was (für alle, die jetzt impulsiv „Antisemitismus“ schreien) weder eine israelische, geschweige denn jüdische, sondern schlicht rechtsradikale Verletzung pluralistischer Prinzipien ist. Und um zu erleben, wohin das führen kann, empfehlen wir an dieser Stelle eine Bestseller-Verfilmung.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

6. – 12. Mai

Die Sky-Serie The Tattooist of Auschwitz, handwerklich Hausmannskost, überzeugt mit Harvey Keitel als Holocaust-Überlebender, der mit über 80 seine Erlebnisse im Vernichtungslager als Love-Story erzählt. Die schonungslose Dichotomie von Abstumpfung und Allmacht in der Tötungsfabrik mag manchmal arg konventionell sein. Ihre Nüchternheit geht ohne Umweg des Herzens in die Magengrube und sorgt dort ab Mittwoch für schmerzhaftes Erinnern.

Das Gegenteil davon startet tags drauf bei Prime. Ebenfalls eine Bestseller-Adaption, erzählt Maxton Hall sechs Teile lang eine Aschenputtel-Geschichte am gleichnamigen Elite-College, in dem sich die arme Ruby und der reiche James zugleich verlieben und bekämpfen. Das klebt zwar vor Klischees, dürfte aber zumindest in der Zielgruppe maximal 29-jähriger Frauen weltweit Erfolg haben. Mit erweiterter Zielgruppe gilt das auch für die Apple-Serie Dark Matter.

Worum es zeitgleich geht, ist verwirrend. Irgendwas mit Teleportation, Schroedingers Cat, dem Multiversum alternativer Lebensentwürfe eines Physikdozenten. Aber Blake Crouch wickelt es in so unterkühlte Bilder, dass man kaum davon loskommt. Das gilt leider nicht fürs neue Projekt der Kleinen Brüder. Die fünfteilige Reality-TV-Mockumentary Player of Ibiza hat zwar originelle Fremdschammomente, aber weniger Esprit als Die Discounter.

Was sonst noch so läuft: Die sehr solide schwedische Familiendrama-Serie Meaning of Life (Montag, Magenta), die ziemlich glamouröse Betrugsdoku Hollywood Con Queen (Mittwoch, Apple). Die gut renovierte Beatles-Legende Let it be (Mittwoch, Disney), das deutsche Christian-Schertz-Porträt Der Staranwalt (Sonntag, ARD-Mediathek). Und zwischen natürlich, wer’s mag – den ESC.


Dowideit & Daniels: correctiv & Remigration

Das hat uns komplett überrascht!

Correctiv-Artikel

Mit ihrer Enthüllunt zum Potsdamer Remigrationstreffen mit AfD-Beteiligung hat das Recherchekollektiv correctiv die Republik und ihre Medienlandschaft nachhaltig verändert. Ein Gespräch mit den Verantworlichen Anette Dowideit und Justus von Daniels (Foto: Hannes Wiedemann) über Zustandekommen, Umsetzung und Folgen des bislang größten Scoops, vorab veröffentlicht im Medienmagazin journalist/in

Interview: Jan Freitag

freitagsmedien: Anette Dowideit, Justus von Daniels, gab es angesichts vieler Millionen Menschen, die infolge Ihrer Recherchen über rechtsextreme Treffen in Potsdam mittlerweile bundesweit gegen die AfD demonstriert haben, so was wie ein Triumphgefühl bei Correctiv, zumindest Genugtuung?

Justus von Daniels: Die erste Reaktion war eigentlich Überwältigung, weil damit natürlich niemand von uns gerechnet hatte. Wir waren uns zwar im Klaren darüber, dass die Recherche brisant genug war, um politische Reaktionen hervorzurufen, aber diese zivilgesellschaftliche Welle war wirklich nicht zu erwarten, schon gar nicht in der Konsequenz für uns als Correctiv.

Anette Dowideit: Wir haben vielleicht damit gerechnet, dass sich der Bundestag oder sein Innenausschuss damit befassen. Aber alles darüber hinaus hat uns komplett überrascht. sind deshalb mit dem Begreifen dieser Situation zunächst gar nicht hinterhergekommen, weshalb uns am Anfang auch gar nicht klar war, ob wir diese Dimensionen der Aufmerksamkeit überhaupt gut finden.

Mit einer Berichterstattung, die so spürbare Auswirkungen auf Land und Leute, Parteienlandschaft und Wahlen hat, buchstäblich Geschichte zu schreiben, kann man als Medium ja schwer schlecht finden?!

Daniels: Ach, Geschichte zu schreiben ist überhaupt nicht unser journalistischer Ansatz.

Dowideit: Zumal wir aus meiner Sicht vielleicht den Auslöser der Demonstrationen geliefert haben. Aber offenbar war die Mitte der Gesellschaft dafür schon längst bereit. Sonst wäre die Mobilisierung in der Größenordnung so schnell gar nicht möglich gewesen. Deshalb hat sich bei uns auch niemand auf die Schultern geklopft.

Daniels: Mit irgendeiner Berichterstattung eine Bewegung auszulösen – damit kann und darf schlicht keine Journalistin und kein Journalist vorab rechnen. Aber auch, wenn so etwas nicht planbar ist, passt es natürlich perfekt ins Selbstverständnis von Correctiv. Wir wollen ja mit unseren Veröffentlichungen Anlässe liefern. Damit die Leute aktiv werden. Nicht umsonst lautet einer unserer Grundsätze, Demokratie stärken zu wollen.

Ist der Correctiv-Journalismus demnach haltungsgetriebener als derjenige anderer Medien?

Dowideit: Wenn wir gefragt werden, welcher Standpunkt hinter unserem Motto Recherchen für die Gesellschaft steht, antworten wir gern damit, Menschen dazu bringen zu wollen, sich für Demokratie und Gesellschaft zu aktivieren – aber ohne ihnen dabei bestimmte Haltungen oder Handlungen vorzuschreiben, geschweige denn auf ein AfD-Verbot hinzuwirken.

Daniels: Uns geht es nicht um Meinungsbildung, sondern explizit um Diskurs, den wir aktiv anstoßen wollen.

Und um den zu fördern, geht Correctiv mit ähnlicher Vehemenz und Gefühlslage in Recherchen über Fußballfans oder Pflegenotstand wie über rechte Remigrationspläne?

Dowideit: Beim Vorsortieren steht bei uns ein wenig mehr die Frage im Mittelpunkt, warum etwas relevant sein könnte, als ob es das ist. Wenn es also um Fußballfans oder Pflegemängel geht, würden wir uns vorab fragen, welche Auswirkungen es auf die Demokratie hat.

Daniels: Anlass unserer Bemühungen sind in aller Regel Missstände – ganz gleich, ob in einem Unternehmen, einer Partei, dem Parlament oder der Gesellschaft. Deshalb machen wir uns als Team so frei wie möglich von jeder persönlichen Agenda. Aber je heißer die Geschichte wird, desto mehr spürt man die Hitze auch persönlich. Es ist einfach etwas anderes, Dinge von großer gesellschaftlicher Brisanz im Moment ihrer Entstehung vor Ort zu erleben als eine Dokumentenanalyse im Büro.

Dowideit: Die meisten von uns sind ja aus anderen Redaktionen zu Correctiv gekommen; ich zum Beispiel war zuvor im Investigativ-Team von Axel Springer. Und fast überall haben wir ähnlich recherchiert. Mit dem Unterschied: der Ausgangslage. Investigative Journalisten kriegen zunächst mal weitaus mehr Material, als sie bearbeiten können. Bevor wir sortieren, müssen wir daher erstmal die große demokratische Frage dahinter stellen. Handwerklich bleibt die Arbeit identisch, inhaltlich muss sie eine Haltung zur Demokratie einnehmen.

Daniels: Es gibt ja Vorwürfe gegenüber dem Journalismus, er sei nicht neutral. Dabei kann er das auch gar nicht sein, denn dahinter stehen immer Menschen mit Haltungen. Entscheidend ist, ob möglichst objektiv recherchiert und berichtet wird. Für den Investigativ-Journalismus ist das ein elementarer Standard.

Gelten da auch qualitativ strengere, Stichwort Konfrontation in der Verdachtsberichterstattung?

Dowideit: Im Vergleich zu allen anderen journalistischen Formen, die ich damit nicht abwerten möchte, unterliegen wir einer ungleich höheren Qualitätskontrolle. Deshalb befinden wir uns schon im Vorfeld jeder Recherche im intensiven Austausch mit unserer Rechtsabteilung, die juristische Fragen im journalistischen Grenzbereich stellen.

Wo befindet sich der?

Dowideit: Dort, wo jede Aussage zwingend durch belastbare Fakten gedeckt sein muss. Der Faktencheck unserer eigenen Arbeit dauert in der Regel selbst schon schnell mal eine Woche und länger, das ist ein ständiges Sparring mit unserer juristischen Beratung.

Setzte die im Fall der Recherche übers Potsdamer Geheimtreffen wegen der erwartbaren Brisanz noch früher an – nämlich bei der Frage, ob das Einschleusen eines Correctiv-Mitarbeiters ins Tagungshotel an sich juristisch angreifbar sei?

Daniels: Nein, die Anfangsrecherche lief zunächst ohne Rechtsbeistand und hat im kleinen Team sondiert, ob unsere sehr klaren Hinweise über Ort, Veranstalter und Hauptredner weitere Recherchen rechtfertigen. Der juristische Beistand ging früher los als üblich, aber nicht von Anfang an.

Dowideit: Es begann ja damit, dass uns ein Einladungsschreiben vorlag, in dem sinngemäß stand, um Deutschland zu retten, müsse jetzt etwas getan werden. Das erschien uns zwar für sich schon interessant. Aber erst die Unterschrift von Hans-Christian Limmer…

Ehemaliger Investor der Bäckerei-Kette Backwerk, der dem völkisch-rechten Milieu zugeordnet wird.

Dowideit: …und dann Investor der Burger-Kette „Hans im Glück“. Das hat uns wirklich hellhörig gemacht. Eigentlich wollten wir über den die Geschichte machen, sind im Verlauf der Vorrecherche aber auf weitere Einladungen gestoßen, in denen kein Geringerer als der Rechtsextreme Martin Sellner seinen Masterplan zur „Remigration“ vorstellen wolle. Personal und Thema legten also den Verdacht nahe, dass in Potsdam mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungsfeindliche Pläne und deren Umsetzung diskutiert werden.

Daniels: Wer sonst an dem Treffen teilnehmen würde, war zu dem Zeitpunkt ebenso unklar wie die Beteiligung der AfD. Also wir von der Ankunft von Leuten wie Roland Hartwig hörten, der damals ja noch enger Mitarbeiter von Alice Weidel rechter Hand Roland Hartwig erzählte war, wussten wir, dass es politisch höchst brisant wird.

Also nicht, was das Narrativ der AfD seither behauptet: Ein privates Treffen patriotischer Bürgerinnen und Bürger.

Dowideit: Das war schon in der Einladung klar, aber die Beteiligung von Berufspolitikern mit und ohne Mandat einer Bundestagspartei am Masterplan zur Vertreibung von Menschen – das hat schon andere Dimensionen als beim Grillen über Fußball zu diskutieren.

Der zweite Vorwurf von Seiten der AfD neben der Überinterpretation eines vermeintlichen Privat- als Geheimtreffen bestand darin, Correctiv Geheimdienst-, gar Stasimethoden vorzuwerfen.

Dowideit: Was schon deshalb reiner Unsinn ist, weil beide staatliches Handeln beschreiben. Wir sind mal abgesehen vom repressiven Charakter der DDR-Staatssicherheit ein gemeinnütziges Privatunternehmen ohne exekutive Durchsetzungsmittel mit dem Ziel, Missstände publik zu machen.

Daniels: Und um darüber journalistische Informationen zu sammeln, bedarf es halt manchmal verdeckter Methoden und guter Quellen: So nah dran wie möglich, so unerkannt wie nötig, um zu belegen, was in einem abgeschlossenen Raum von öffentlichem Interesse ist.

Das journalistische Prinzip dahinter lautet: je klandestiner der Berichtsgegenstand, desto klandestiner die Recherchemethodik?

Dowideit: Ich überlege gerade, ob das ein Automatismus ist, aber ja. Der Pressekodex sagt dazu, wenn die offene Informationsbeschaffung ausgeschöpft ist, wird die verdeckte legitim. Und hier hätten wir ja definitiv nicht einfach ins Hotel gehen und uns dazusetzen können.

Und was hat der Reporter vor Ort heimlich gemacht? Das kolportierte Spektrum reicht von Bild- und Tonmaterial bis hin zum Lippenlesen.

Daniels: Er war als Hotelgast im Haus und konnte sehen, wer reinkam und wer am Frühstück teilnahm. Ein Zufallsfund waren etwa Briefe für die Gäste, wo ihre Namen draufstanden oder ein Ablaufplan des Treffens, was ihm die Tagesplanung erleichterte. Und dann hat Greenpeace ja mit Dashcams in geparkten Autos vor und wir vom Saunaboot hinter dem Hotel aus auch eine Menge Bilder machen können, um zu bestätigen, welche Gäste wirklich an dem gesamten Treffen dabei waren.

Ist diese Art verdeckter Informationsbeschaffung Ausnahme- oder Regelfall bei Correctiv?

Daniels: Wir haben jedenfalls genügend Erfahrung mit verdeckter Recherche, um sie jederzeit einsetzen zu können. Etwa, als wir vor vier Jahren zur amerikanischen Heartland-Lobby gearbeitet haben, die PR-Beratungen zur richtigen Klimawandelleugnung anbieten. Da Interviewanfragen hier naturgemäß wenig bringen, hatten wir uns als interessierte Kunden ausgegeben.

Dowideit: Aber der allergrößte Teil unserer Arbeit besteht in Datenauswertungen statt Undercover-Journalismus.

Daniels: Auch hier war die verdeckte Recherche nur ein Teil, wir haben zudem intensiv über das Umfeld und die Netzwerke der Teilnehmer recherchiert. Investigativ-Recherche hat generell viele Ausprägungen. Neben Datenrecherchen oder klassischer Quellenarbeit gehören dazu zum Beispiel auch unsere Beteiligungsrecherchen, in denen wir Tausender Bürgerinnen und Bürger ganz offen um Informationen bitten.

Haben Sie die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Potsdamer Tagung offiziell mit ihren Rechercheergebnissen konfrontiert?

Dowideit: Natürlich. Wir haben in 17 Informationsschreiben um Stellungnahme gebeten, inklusive Detailfragen zu einzelnen Personen, aber interessanterweise keine klaren Dementis erhalten.

Daniels: Einige haben sich gar nicht zurückgemeldet, und die, die es getan haben, bestreiten weder Treffen noch Thema, sondern nur kleinere Details, machen Erinnerungslücken geltend oder betonen den privaten Charakter der Veranstaltung.

Hat der teilnehmende AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau, Mitglied der CDU, an seine Antwort auf die Konfrontation bereits eine Unterlassungsklage angeheftet?

Dowideit: Nein, die kam später. Zunächst schrieb er, gewisse Sachen nicht zu erinnern.

Daniels: Das haben wir auch im Text geschrieben, worauf er Wochen später einen Antrag auf einstweilige Verfügung beim Landgericht Hamburg gestellt hat, die sich auf ganze drei Zitate vergleichsweise unwichtiger Rechercheaspekte bezieht.

Dowideit: Wir haben überwiegend recht bekommen.

Heute Morgen!

Dowideit: Und zwar in zwei der drei Punkte. Ein toller, aber erwartbarer Erfolg, den wir gerade durch einen Text in eigener Sache schildern. Recht bekam er nur bei der Verwendung einer Aussage zur Wahlprüfungsbeschwerde, die er nicht getätigt haben will. Mit dem Masterplan hat sie aber nichts zu tun.

Daniels: Vor allem der Eindruck, unsere Recherche sei im Kern widerlegt, den Vosgerau mit einem riesigen Berg Akten erwecken wollte, war nie Bestandteil des Streits.

Die eidesstattlichen Erklärungen von Seiten der Teilnehmenden und Correctiv haben keine Rolle gespielt?

Dowideit: Nein.

Weil es gewissermaßen ein eidesstattliches Erklärungspatt von 7:8 gibt

Daniels: Wie ich es juristisch verstehe, hat so eine Erklärung nur verfahrensrechtliche Bedeutung, wenn sie sich auf einen angegriffenen Punkt bezieht. Das war allerdings bei Vosgerau gar nicht der Fall. Die eidesstattlichen Erklärungen hatten in diesem Fall nur symbolischen Charakter.

Dowideit: Im Verhältnis zur gesellschaftlichen Wirkung unserer Recherchen sind die Resultate der juristischen Auseinandersetzung bislang echt minimal.

Daniels: Es gab noch ein weiteres Verfahren, das wir komplett gewonnen haben. Ein Unternehmer, dessen Name im Zusammenhang mit einer Spende fiel, der aber nicht vor Ort war, wollte aus dem Bericht gestrichen werden. Dem hat das Gericht eine klare Absage erteilt.

Was die juristische Auseinandersetzung betrifft, häufen sich allerdings Vorwürfe, beide Seiten betreiben Litigation PR, legen identische Gerichtsurteile also zum Marketing in eigener Sache unterschiedlich aus…

Daniels: Die Kanzlei Höcker hat das maximal so betrieben, und einige Blogger haben diese Verdrehung auch direkt aufgegriffen, als habe das Gericht unsere Recherche infrage gestellt. Aber die Beschlüsse sind klar, die Gegenseite hat in dem einen Fall zu großen Teilen, ein anderes Mal komplett verloren. Wir sehen hier auch einen Trend, Gerichtsverfahren als PR-Mittel zu nutzen, um in der Öffentlichkeit Zweifel zu säen, egal wie das Verfahren ausgeht. Wie gesagt, der Kern unserer Recherche war ja gar nicht Teil des Streits vor Gericht. Wir waren in beiden Fällen entspannt.

Weniger entspannt sind Sie hingegen, was ihr redaktionelles und individuelles Sicherheitsgefühl betrifft. Das Correctiv-Schild am Eingang etwa ist abgeklebt. Hat sich die Gefahrenlage der Mitarbeitenden erhöht?

Dowideit: Das läuft in Wellen und ist individuell sehr verschieden. Im Shitstorm der sozialen Netzwerke hatte ich eine Weile lang schon ein komisches Gefühl, aber beides ist mittlerweile abgeflaut. Dennoch ist es nie schön, attackiert und gar als Lügnerin dargestellt zu werden.

Daniels: Wir hatten zuvor jedenfalls noch keine Recherche, wo wir bei der Veröffentlichung so viele Sicherheitsvorkehrungen diskutiert haben. Jetzt gibt es regelmäßige Einschätzungen der Sicherheitsbehörden, ob sich die Gefahrenlage einzelner oder der Redaktion insgesamt geändert habe. Auch intern existieren Vorsorgemaßnahmen wie die, dass wir nicht mehr sofort jedem, der ohne ersichtlichen Grund vor der Tür steht, aufmachen.

Dowideit: Unsere Geschäftsführung hat die Cyber-Gefährdungslage nun besser im Blick als zuvor. Und was die persönliche Betroffenheit einzelner betrifft, gibt es institutionalisierte Gesprächskanäle, Kriseninterventionsteams, Telefonlisten, was ein paar auch bereits in Anspruch genommen haben. Wir machen unsere Arbeit also nicht einfach weiter, aber der wichtigste Faktor, um mit der Gefahrenlage umzugehen, ist die Redaktion an sich.

Ihr Zusammenhalt?

Dowideit: Und die Möglichkeit, sich auch einfach mal rauszuziehen, wenn es mental kompliziert wird und man sich neu sortieren muss. Wir reden viel miteinander.

Daniels: Da sind schließlich schon harte Wellen voll Hass und Hetze auf Correctiv zugerollt. Unser Faktencheck-Team kennt das leider zu gut: Je persönlicher die Angriffe werden, desto härter wird es. Die AfD zum Beispiel hat Bilder einzelner Redaktionsmitglieder mit der Forderung veröffentlicht, man müsse diese Form von Journalismus in ihre Schranken weisen, also die unterschwellige Aufforderung an Gleichgesinnte, uns mal einen Besuch abzustatten.

Digitales Dog Whistling.

Daniels: Und Beatrix von Storch hat extra noch mal unsere Redaktionsadresse getwittert und den Namen eines einzelnen Reporters hervorgehoben.

Sorgt das dann im Team für Verunsicherung oder im Gegenteil, erhöhte Stressresilienz?

Dowideit: Weder noch. Leute, die sich für Correctiv entscheiden, wissen in der Regel, worauf sie sich einlassen, und entscheiden sich damit nebenbei bewusst, weniger zu verdienen als anderswo (lacht). Dahinter steckt also viel Überzeugung, das Richtige zu tun. Von daher sind die meisten also schon ein bisschen vorgepanzert.

Auch dank ihrer Erfahrungen mit Klagen rechter Populisten wie Roland Tichy oder Henryk M. Broder?

Daniels: Aber auch von Unternehmen, die mit zunehmender Größe heftiger zurückschießen. Insofern sind wir relativ rasch dazu in der Lage, auf Gegenwehr zielgenau zu reagieren. Aber dass wir in dieser Hinsicht resilient werden, heißt keineswegs, dass wir unempfindlich sind.

Dowideit: Zum Glück bringen Investigativ-Journalisten ähnlich wie Juristen per se die Lust an der Auseinandersetzung mit. Auch außerhalb von Correctiv gehen die bereitwillig in Konflikte und tragen sie selbstbewusst aus, da haben wir überhaupt keine so exponierte Position innerhalb der Branche.

Daniels: Deshalb besteht keine Angst vorm Streit, aber schon ein Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit der Gefährdungslagen. Solche Konfliktpotenziale sind in jeder Recherche eingepreist und werden im Vorweg besprochen.

Zieht ihr Metier, überspitzt formuliert, dennoch Adrenalin- und Stressjunkies an?

Dowideit: Das klingt mir zu negativ. Unser Antrieb ist immer, fakten- und argumentationsbasiert zu überzeugen.

Daniels: Wer nach Adrenalin und Stress süchtig ist, könnte am Ende enttäuscht sein, wie häufig unsere Arbeit im Sichten zahlloser Dokumente und O-Töne zur Aufdeckung struktureller Missstände statt offen ausgetragener Konflikte besteht. Das ist schon auch Stress, aber kein allzu abenteuerlicher.

Dowideit: Wobei es echte Glücksmomente sind, ein tolles Dokument zugespielt zu kriegen.

Daniels: Oft gefolgt von der Freude am Durchbruch nach Monaten akribischer Arbeit, der einem die gewünschte These bestätigt.

Ist Freude sozusagen der emotionale Ausgleich für die schlechte Bezahlung, von der Sie vorhin sprachen?

Dowideit: (lacht) So schlecht ist sie jetzt auch nicht, aber dass in den Shitstorms der vergangenen Wochen gerne gepostet wurde, wir würden uns mit Unsummen vom Staat dumm und dämlich verdienen, ist totaler Quatsch. Wenn ihr wüsstet…

Correctiv ist allerdings auch ohne Unsummen vom Staat gut durchfinanziert, oder?

Dowideit: Nicht besser und schlechter als andere Medien, würde ich sagen. Während die normalerweise Abo-Modelle mit monatlichem plus Kioskkunden mit täglichem Zahlungseingang haben, sind es bei uns Dauerspender und Stifter. Nur: alle vier können jederzeit abspringen.

Daniels: Aber wir sind über die letzten zehn Jahre hinweg ein ziemlich stabiles Boot, das vorsichtig, aber stetig gewachsen ist. Und das hat viel damit zu tun, die Basis der Einzelspender kontinuierlich zu steigern.

Mit einem Peak nach oben seit der Potsdam-Enthüllung?

Dowideit: Ja, klar. Das hat uns neben Sichtbarkeit viel Unterstützung und Zutrauen gebracht – auch in unseren Newsletter Spotlight als Pendant zur Tageszeitung, den wir im vergangenen halben Jahr aufgebaut haben. Vor der Veröffentlichung hatte er 80.000 Abonnierende, jetzt sind es 15.000 mehr, von denen der eine oder andere Euro hängen bleibt.

Ijoma Mangold kritisiert in der Zeit, dass Correctiv Bundesmittel aus dem Fördertopf Demokratie leben erhält und damit von staatlicher Seite beeinflussbar sei…

Daniels: Da muss man klar differenzieren: Unsere Arbeit als Recherche-Team wird ausschließlich von Spenderinnen und Spendern sowie Stiftungen finanziert. Darüber hinaus erhält Correctiv auch staatliche Gelder, die aber zweckgebunden sind, etwa fürs Standbein der Medienbildung für Erwachsene, Kinder oder den journalistischen Nachwuchs.

Dowideit: Weil das Teil unseres Gemeinnützigkeitsauftrags als gGmbH ist, achten wir streng darauf, dass sich beide Bereiche nicht vermengen. Was die investigativen Recherchen betrifft, sind wir von staatlicher Einflussnahme in jeder Hinsicht unabhängig.

Umso mehr könnte Correctiv, wenn es so solide durchfinanziert ist, von sich aus auf Zuwendungen von staatlicher Seite verzichten, um jedem Verdacht vorzubeugen.

Dowideit: Wer diesen Verdacht hat, könnte auch einfach unsere FAQ lesen. Aber das kannst du den Leuten in der Bubble, die gegen uns agitieren, ja tausendmal erklären. Und die staatlichen Zuschüsse sind ja genau dafür da, diesen Bubbles durch Bildung vorzubeugen und Fake News von seriöser Berichterstattung unterscheiden zu können. Das eine bedingt das andere!

Daniels: Außerdem geht es nicht darum, irgendetwas sein zu lassen, nur um nicht angegriffen zu werden. Wir wissen ja was wir tun und welche Kritik Substanz hat, welche nicht.

Substanzielle Kritik kommt dagegen von Stefan Niggemeier, der Correctiv am Beispiel einer AfD-Politikerin, deren Prostitutionsvergangenheit hier aufgedeckt wurde, Bild-Methoden zugunsten der Reichweite vorwirft.

Daniels: Oje, long time ago.

Dowideit: Sechs, sieben Jahre?

Und heute weniger möglich, weil die Alarmglocken für Clickbait empfindlicher sind?

Dowideit: Heutzutage wird jedenfalls unglaublich lange in der Redaktion debattiert, bevor eine Recherche beginnt, von der Veröffentlichung ganz zu schweigen. Als ich 2023 hier begonnen habe, war eines der ersten Dinge, die mir aufgefallen sind, wie krass das ist.

Kriegt man da als Journalistin gelegentlich das Bedürfnis, mal wieder was Schnelles, Unkompliziertes zu recherchieren?

Dowideit: Deshalb haben wir ja den Newsletter eröffnet, der nachrichtlicher und tagesaktueller ist als unsere Investigativ-Recherchen.

Daniels: Auch, um uns thematisch breiter aufzustellen. Es entspannt die Leute sehr, auch mal kürzere Stücke zu recherchieren, was sie dann wieder motiviert, sich ewig in große Themen zu knien. Wobei beides gesellschaftlichen Impact haben kann, und aus kleinen Recherchen manchmal große entstehen.

Wird investigative Recherche abseits publizistischer Leuchttürme wie Süddeutsche, Zeit oder Spiegel auf mittlere Sicht nur noch in Verbünden wie Correctiv und Krautreporter oder Gemeinschaftsredaktionen finanzierbar bleiben?

Dowideit: Sie haben den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergessen, auch wenn die rechten Trolle den ebenfalls als staatlich finanziert verunglimpfen. Wo ich beide Seiten kenne, würde ich sagen, gemeinnütziger Journalismus funktioniert in Verbünden wie unserem sogar besser, weil wir viel freier in der Themenauswahl sind, als wären wir privatwirtschaftlich organisiert. Dort muss man ständig in die Echokammer horchen, was gewünscht wird. Das macht unwichtige Recherchen schnell wichtiger als sie sind und umgekehrt.

Im Sinne von Clickbait und nachfrageorientiertem Journalismus?

Daniels: Deshalb sehe ich es als Riesenchance, dass Verbünde aller Art den investigativen Journalismus einzelner Medien in Zeiten knapper Mittel ergänzen, ohne sie ganz zu ersetzen. Besonders wichtig könnte es dabei werden, dass sich die Redaktionen einzelner Medien punktuell Vernetzungen suchen.

So wie Süddeutsche, WDR und NDR bei einer Reihe von Leak-Recherchen.

Daniels: Und fast mehr noch im Lokaljournalismus, der besonders große Finanzierungsprobleme hat. Deshalb suchen wir diese Verbundlösungen sehr, um Schnittstellen zu schaffen und damit Synergieeffekte.

Dowideit: Wobei wir anders als verkaufsfinanzierte Medien keine Paywall haben, sondern frei verfügbar sind und damit nicht das bringen, was die Leute sehen wollen, sondern was uns demokratierelevant erscheint. Daran lassen wir lokale Medien gern teilhaben.

Daniels: Wie groß medienübergreifend die Bereitschaft ist, kollaborativ zusammenzuarbeiten, sieht man ja auf Branchentreffen wie Netzwerk Recherche. Wo früher alle ihr Haus geschützt haben, geht es jetzt häufiger darum, wie man Recherchen gemeinsam groß kriegt.

Verwenden Sie dafür den Begriff „Qualitätsjournalismus“?

Dowideit: Ich bevorzuge handwerklich gut gemachten Journalismus, ein bisschen wie Schreiner, die täglich einfache Möbel für den Tagesbedarf bauen, aber manchmal auch ein langlebiges Prachtstück mit Schublade und Schnörkeln, das hundert Jahre hält. Beides ist wichtig.


Schweigers Schelle & Zweiflers Feinkost

Die Gebrauchtwoche

TV

22. – 28. April

Das Fernsehlagerfeuer ist erloschen, als Facebook und Netflix das Programmschema aufgeweicht haben, aber ein bisschen davon, es glimmt noch – meinte zumindest Juli Zeh bei Maybrit Illner, wenngleich nicht nett. Deren Talkshow nannte die Schriftstellerin nämlich ein „Lagerfeuer des Grauens“, was natürlich nicht nur am Gesprächskreis vom Donnerstag lag, sondern wer schon wieder darin platznahm: Tino Chrupalla.

Nur vier Tage also, nach Caren Miosgas Kuschelkurs mit dem AfD-Chef, stellte der aufs Neue False Balance her und befeuerte die Diskussion, ob man mit Nazis reden soll oder nicht. Immerhin geriet Chrupalla zwischen Caren Miosga und Armin Laschet ins Schwimmen wie schon lange nicht mehr und mahlte sichtbar mit den Kiefern, als ihm letzterer angesichts der rechtspopulistischen Diktaturen-Nähe Landesverrat vorwarf.

Ach, manchmal hätte man sich da Til Schweiger im Stuhlkreis gewünscht, der Typen, die ihm nicht passen, lieber Schellen als Argumente verpasst. Namentlich Jan Böhmermann, dem er im Zeit-Interview unwidersprochen Prügel androhte – und adäquates Feedback bekam. Oder Stefan Cantz, dem er für dessen Drehbuch von Manta Manta 35.000 Euro nachzahlen muss, weil dessen Fortsetzung auf seiner Vorarbeit basierte.

Ein gerichtlicher Vergleich, den Harvey Weinstein selbst dann nicht erwarten dürfte, wenn sein Prozess wegen sexuellen Missbrauchs bis hin zur Vergewaltigung nun wieder aufgerollt wird – wegen Verfahrensfehlern. Eine schmerzhafte, aber rechtmäßige Entscheidung des Gerichts, um Rechtssicherheit zu erlangen. Darum geht es vordergründig auch ARD und ZDF, wenn sie die Erhöhung des Rundfunkbeitrags einklagen.

Falls – vor allem ostdeutsche Länder – die fachlich errechneten, juristisch begründbaren 58 Cent mehr pro Monat ablehnen, müssten die Öffentlich-Rechtlichen geradezu zwangsläufig vors Bundesverfassungsgericht gehen. Das allerdings, wendet die sächsische CDU ein, sei dem Publikum schwer zu vermitteln und rät davon ab. Origineller Gedanke für eine demokratische Partei, Rechtstaatlichkeit sei am Ende nicht so wichtig wie das gesunde Volks-, pardon: Rechtsempfinden…

Die Frischwoche

0-Frischwoche

29. April – 5. Mai

Dass man mit dem bekanntlich auch Konzentrationslager betreiben könnte, steht auf einem anderen Blatt, passt aber zur Serie der Woche: Die Zweiflers. So heißt eine jüdische Mischpoke mit Feinkost-Laden in Frankfurt, die sich sechs Teile à 45 Minuten zwischen Shoah und Geschäftsfragen, Antisemitismus und Alltagssorgen um Normalität bemüht. Wie Showrunner David Hadda das für die ARD-Mediathek inszenieren lässt, ist von einer bittersüßen Wahrhaftigkeit, die es so selten gibt im Fernsehen.

Interessanterweise startet am selben Tag in der ZDF-Mediathek ein artverwandter, völlig anderer Ansatz jüdische Leben darzustellen. Die deutsch-israelische Dramaserie Borders skizziert einen Kleinganoven in Tel Aviv, der nach einer Auseinandersetzung mit arabischen Großganoven zur Armee geht, um sich an letzteren zu rächen. Daran ist dann mal gar nichts bittersüß, sondern alles drastisch.

Was sonst noch läuft: Die Netflix-Serie Fiasco um einen Regisseur, dessen Film über die französische Résistance auf unheimliche Art sabotiert wird und Realität dabei ab Dienstag auf dreifacher Ebene mit Fiktion vermengt. Einen denkbar dämlichen Titel hat sich Sky dagegen für die Doku-Serie Wenn Bären töten ausgesucht. Es geht darin um den ewigen Kampf Mensch gegen Tier, der selten so populistisch ausgetragen wurde wie in Zeiten der Wolfsphobie.

Zuletzt noch zwei Filme: Mittwoch zeigt das Erste die Krimi-Groteske Mordnacht mit Maximilian Brückner als Stadtflüchtigen, der einen Immobilienspekulanten ermordet haben soll und dafür von seinem Dorf gefeiert wird, was die Ermittlung einer Kommissarin (Rosalie Thomass) umso merkwürdiger macht. Ähnlich blöder Titel, deutlich weniger grotesk ist der deutsche KI-Thriller Unsichtbarer Angreifer um ein spooky Smart Home, ab Samstag in der ZDF-Mediathek.


Mai Thi Nguyen-Kim: Hass & Resilienz

Ich komme mit Hass gut klar

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Mai Thi Nguyen-Kim (Foto: Ben Knabe/ZDF) ist Deutschlands bekannteste Wissenschaftsjournalistin. Im freitagsmedien-Interview, das vorab im Medienmagsazin Journalist erschienen ist, erklärt sie, wie man das Publikum für Wissenschaft begeistert – und warum sie Lottozahlen in der Tagesschau falsch findet.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Mai Thi Nguyen-Kim, Sie haben der Instagram-Community gerade in einem sehr ausführlichen Video erklärt, wie genau man Milch und Cornflakes mischen sollte, damit sie lange knusprig bleiben.

Mai Thi Nguyen-Kim: Erst die Milch, dann die Cornflakes, nicht umgekehrt, wie es die meisten wohl machen.

Das ist also das Spektrum, in dem sich die Wissenschaftsjournalistin Nguyen-Kim bewegt!

(lacht) Das ist meine Range, genau.

Und damit das Gegenteil dessen, was Wissenschaftsjournalismus am Bildschirm ausgemacht hatte, als vorwiegend ältere Herren im Cord-Sakko wichtiges Wissen nüchtern verabreicht haben.

Von welcher Zeit genau sprechen Sie denn da?

Bis Anfang der 90er, als Ihr Metier im Sog der Privatsender sein Themenfeld popkulturell erweitert hat. War die Entwicklung naturgegeben, quasi ein evolutionärer Prozess?

Wir, also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sind ja zunächst mal auch nur Menschen. Sehr verschiedene sogar, mit Hobbys und manchmal sogar Freunden. Deshalb habe ich schon mit den ersten Youtube-Videos vor zehn Jahren versucht, bei aller wissenschaftlichen Sachlichkeit ich selber zu sein. Mir fällt daher kein rationaler Grund ein, warum ich mich als Wissenschaftlerin von Spaß oder Humor fernhalten sollte.

Ein Grund könnte sein, dass es im Elfenbeinturm früherer Tage den Anspruch gab, Erhabenheit auszustrahlen, damit wissenschaftliche Expertise nicht unter zu viel Leichtigkeit leidet.

Womöglich. Wobei ich diesen Drang zur akademischen Ernsthaftigkeit schon deshalb schade fand, weil er schnell etwas Dogmatisches ausstrahlt. Das Missverständnis, zumindest Naturwissenschaft sei etwas unfassbar Kompliziertes, das nur weltfremde Freaks verstehen, trägt teilweise Mitverantwortung dafür, dass die Allgemeinbildung in Deutschland diesbezüglich nicht besonders groß ist. Natürlich ist ein naturwissenschaftliches Studium extrem anspruchsvoll. Aber die Basics kann man auch ohne Master ganz gut verstehen, sofern sie einigermaßen verständlich vermittelt werden. Naturwissenschaften haben ein Vermittlungs-, kein Verständnisproblem.

Darf Wissenschaftsjournalismus dennoch didaktisch sein?

Wissenschaftsjournalismus muss sogar didaktisch sein – sofern er Forschungsergebnisse vermittelt. Ich finde es dagegen spannender, die Methoden dahinter deutlich zu machen, also woher die Fachleute, deren Quellen ich nutze, eigentlich wissen, was ich hier über ihre Studienergebnisse sage. Mir ist wichtig, wissenschaftliches Arbeiten und Denken zu vermitteln. Wer sich bei Google Scholar nur die Resultate anschaut, merkt stattdessen schnell, dass sie sich gegebenenfalls widersprechen. Wenn man nicht nachvollziehen kann, woher diese Widersprüche kommen, ist Wissenschaft nicht Verstehens-, sondern Vertrauenssache.

Also an den Glauben an diejenigen gekoppelt, die wissenschaftliche Expertise haben und verbreiten?

Eher an deren Bereitschaft, die Unsicherheiten ihrer Forschungsergebnisse transparent zu machen. Unsicherheiten sind fester Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens. Manchmal sind sie größer, manchmal geringer, aber so ganz auszuräumen sind Unsicherheiten selbst dann nicht, wenn sich die Evidenz mit einer steigenden Anzahl von Messmethoden häuft. Aber nehmen wir mal die Schuld des Menschen am Klimawandel. Das thront auf einem derart großen Berg von Evidenz, dass man von einem Fakt spricht. Wer das anzweifelt, muss Evidenz auf den Tisch legen, die stark genug ist, den bisherigen Evidenzberg umzuwerfen. Ansonsten darf man nicht erwarten ernstgenommen zu werden. Fakt ist Fakt.

Das wäre die inhaltliche Ebene der Wissensvermittlung. Hinzu kommt die äußerliche: ihre Präsentation. Wie haben Wissenschaftsapparat und Publikum reagiert, als die junge, hippe Mai Thi 2014 mit HipHop und Hotpants online Chemie erklärt hat?

Als ich damit angefangen habe, war der Begriff „Wissenschaftskommunikation“ noch ebenso neu wie ich in der Öffentlichkeit. Umso positiver war ich damals überrascht, dass meine Art dieser Kommunikation eher positiv aufgenommen wurde. Da hat besonders in meiner Generation ein Umdenken stattgefunden, das ältere Riegen vielleicht nicht so gerne sehen. Aber man muss ja in die Zukunft schauen. Und interessanterweise wird man mit meinem Habitus ganz woanders weniger ernst genommen.

Ich ahne, wo…

In den Medien. Wer nicht aussieht wie Harald Lesch, hat es in ihrer Branche deutlich schwerer (lacht).

Gibt es denn da so etwas wie ein Medien-Manual oder Youtube-Tutorial, was Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen besser vermeiden, um das Gegenteil zu bewirken?

So banal das klingt: Am Ende geht es immer um Inhalte. Deshalb achte ich sehr darauf, nicht irgendwann nur noch Moderatorin zu sein. Ich moderiere zwar meine eigenen Inhalte. Der redaktionelle Teil macht dabei aber den weitaus größeren meiner Arbeit aus.

Redaktionell im Sinne von wissenschaftlich?

Quasi. Ich meine den Teil meiner Arbeit, der am Schreibtisch stattfindet, also recherchieren, lesen, verstehen, aufschreiben. Da hat tatsächlich viel mit wissenschaftlichem Arbeiten gemeinsam. Bevor ich mich ins Rampenlicht stelle, sorge ich dafür, das Vorgetragene bestmöglich zu beherrschen. Und das vermittelt sich aus meiner Sicht auch dem Publikum.

Welche Bedeutung hat darin Ihr Doktortitel?

So wichtig er ist: ohne die Authentizität meiner Person dahinter bliebe er reine Dekoration. Wenn Menschen aus der Wissenschaft in die Medien gehen, liegt das typischerweise in ihrer Natur, öffentlich inhaltlich arbeiten zu wollen. Dass ich am Anfang auch durch etwas so Oberflächliches wie mein Äußeres aufgefallen bin, habe ich daher versucht mitzunehmen, für die nötige Aufmerksamkeit nutzbar und damit das Beste draus zu machen.

Dass dieses Beste am Ende der Sieg des Inhalts über den Tonfall sein soll, klingt jetzt allerdings ein bisschen zu zweckoptimistisch angesichts der Wahrnehmungsvormacht von lautem verglichen mit sachlichem Content…

Dass es umgekehrt läuft, halte ich gerade auch für utopisch. Aber für mich bleiben Inhalte allein deshalb schon maßgeblich, weil nur sie am Ende nachhaltigen Erfolg bringen. Dennoch darf man sich nichts vormachen: In unserer Zeit ist die Verpackung superwichtig: Mein Setting, das Aussehen, der Titel, die Ausstattung – alles Faktoren, um auf mich aufmerksam zu machen. Wenn ich niemanden dazu bringen kann, meinen Inhalten zuzuhören, mache ich alles umsonst. Wichtig ist, dass die Reihenfolge der Prioritäten stimmt.

Inwiefern?

Größtmögliche Aufmerksamkeit für Inhalte zu generieren, die mir wichtig sind. Nicht größtmögliche Inhalte für Aufmerksamkeit zu generieren, die mir noch wichtiger ist. So geht es zumindest mir. Aber weil ich so viele Zuschauer wie möglich möchte, stecke ich mehr Energie als geplant in die Aufmachung.

Unlängst haben Sie für diese Aufmerksamkeit allerdings Inhalte transportiert, die nur vorgetäuscht waren – nämlich ihre Ankündigung, in die Politik zu gehen. Wie wahrhaftig muss, wie aktivistisch darf eine Wissenschaftsjournalistin sein?

Für uns als Redaktion war das ja weder Aktionismus noch Wahrheitssuche, sondern schlicht und einfach ein Experiment, bei dem es wie immer in der Psychologie notwendig sein kann, die Teilnehmenden – in diesem Fall das Publikum – unter einer falschen Prämisse einzubeziehen, um echte Reaktionen hervorzurufen. Wobei das Learning hier sogar in der Tatsache bestand, darauf hereinzufallen.

Worin bestand denn der Lerneffekt?

Letztlich Populismus dadurch entlarven zu können, dass wir populistisch agieren. So ähnlich ist MAITHINK X auch mal in einer Sendung über Homöopathie vorgegangen, in der wir mit der Idee gespielt haben, einen Globuli-Tee herausgebracht zu haben oder auch nicht. Bei der Politik-Meldung ging es um die Prämisse, dass selbst kritische, vor allem aber selbstkritische Leute unserer eigenen Community, denen man nur schwer etwas vormachen kann und die uns eigentlich gut kennen, anfällig sind für Falschmeldungen aller Art. Sich das einzugestehen, fällt den meisten ungeheuer schwer.

Ihnen auch?

Mir auch. Als Chemikerin wird man auch schnell demütig, wenn etwa ein Messgraph schwarz auf weiß beweist, dass die eigene Hypothese Mist war.

Aber wie war denn jetzt die Reaktion ihrer eigenen Community auf die Ankündigung?

Erwartbar war zumindest die gesteigerte Aufmerksamkeit aller Seiten. Ich wäre auch exited, wenn jemand, die wie ich in der Öffentlichkeit steht, so eine Ankündigung macht. Andererseits finde ich es schon interessant, wie wenig hinterfragt wurde, mit welchen Inhalten ich denn eigentlich politisch aktiv hätte werden wollen. Allein schon angesichts der Themen, über die ich mich in den letzten Jahren exponiert habe: Corona, Impfen, grüne Gentechnik, Homöopathie – das erweckt irgendwie den Anschein, als qualifiziere allein das schon für politische Arbeit. Dabei ist die ungleich viel komplexer als ihre einzelnen Felder.

Wobei gerade die repräsentative Demokratie ja nicht nur sachorientiert, sondern characterdriven ist oder um Ihre Aussage über die Wissenschaft von vorhin aufzugreifen: neben der Verständnis- gibt es auch eine Vermittlungsebene.

Aber umso mehr frage ich mich, wieso die Presse meine Aussage nicht sofort in den Kontext der Sendung gestellt hat. Selbst dann nicht, als mein Management und das ZDF jede Anfrage mit derselben Antwort abgelehnt hat, ich stünde für einen Kommentar nicht zur Verfügung, aber schauen Sie doch MAITHINK X am Sonntag, worin es um Rechtspopulismus gehe. Ein größerer Wink mit dem Zaunpfahl ist doch kaum denkbar.

Umso eher können wir den Gedanken, das Mai Thi Nguyen-Kim tatsächlich parteipolitisch aktiv wird, ja mal durchspielen: Könnte die Politik mehr wissenschaftliche Expertise vertragen?

Schon. Wobei ich ja nicht aus einer empiriebasierten Sozialwissenschaft komme, sondern der evidenzbasierten Naturwissenschaft. Einen Fachbereich also, über den man nur schwer diskutieren kann und vielfach auch echt nicht mehr diskutieren muss.

Stichwort Klimawandel.

Genau. Solange es keine neue Evidenz gibt, dass er nicht menschengemacht ist, ist er es eben. Oder verlassen wir die Abstraktionsebene und nehmen ein konkreteres Beispiel: Technologie-Offenheit.

Ein wirtschaftsliberaler Fetisch, mit dem das Ende des Verbrennungsmotors hinausgezögert werden will.

Ja, nur ist Technologieoffenheit natürlich ein super Framing. Warum sollte man fossile Technologien wie den Verbrennungsmotor verbieten, wenn es doch sein könnte, dass er irgendwann mit nachhaltigem Kraftstoff betankt wird? Klingt fortschrittlich, aber ist es angesichts vom enormen Bedarf für andere Fortbewegungsmittel als Pkw auch wissenschaftlich, also klug? Klar kann man sich den schönsten Ponyhof künftiger Mobilität basteln, aber eben nur, wenn man thermodynamisch-physikalische Grenzen der unglaublichen Ineffizienz von E-Fuels im Bereich des individuellen Personenverkehrs draußen lässt.

Wobei das Autofahren in Deutschland definitiv nicht nur mit Effizienz zu tun hat.

Im Gegenteil. Aber so wichtig Freiheit und Fahrspaß kulturell hierzulande ist, so wichtig wird die effiziente Verteilung knapper Ressourcen volkswirtschaftlich und ökologisch. Erneuerbar produzierter Strom wird im Vergleich zum enormen Bedarf künftig begrenzt sein; da fehlt mir dann schlicht die Ehrlichkeit der Technologieoffenheit, dass Träume und Politik selten zusammenpassen.

Dennoch muss Politik doch auch träumen dürfen. Das nennt man Utopie.

Deshalb darf man auch gerne Technologieoffenheit zugunsten individueller Mobilität fordern, aber bitte nicht unterm Deckmantel von Wissenschaft und Forschung. Denn da herrscht einhelliger Konsens, dass E-Fuels in Pkw Unsinn sind. Eigentlich müssten sich daher alle Parteien auf eine physikalisch-chemische Kernrealität einigen, um auf dieser Basis in jede Richtung zu streiten, anstatt Wahrscheinlichkeiten von drei und weniger Prozent zur Grundlage politischer Konzepte zu machen.

Sie sind also Verfechterin einer klaren Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Politik, vermittelt durch Enquete-Kommissionen und Journalistinnen wie Ihnen?

Das klingt mir auch wieder zu einfach. Es gibt schlicht zu wenig Wissenschaft, die überhaupt unumstößliche Fakten schafft. Beispiel Ernährungsforschung. Ein naturwissenschaftliches Gebiet, dessen Ergebnisse fast schon automatisch widersprüchlich sind. Das hat methodisch Gründe, Menschen sind für Ernährungsstudien einfach sehr unzuverlässige Versuchstiere, schlecht vergleichbar, schlecht kontrollierbar. Es ist spannende Grundlagenforschung, aber für konkrete Diättipps und Handlungsanweisungen methodisch zu schwammig. Ähnlich ist das mit Geistes- und Sozialwissenschaften. Für Politik ist beides hochrelevant, aber wegen methodischer Unsicherheiten schwer verwertbar. 

Gerade im Zeitalter des Populismus.

Genau, da gibt es Verzerrungen, da gibt es Cherry Picking, da gibt es False Balance. Mir wäre es daher manchmal fast lieber, man würde die Wissenschaft komplett aus der Debatte herauslassen (lacht). Aber ernsthaft: Dem Vertrauen in wissenschaftliche Forschungsergebnisse tut deren politischer Ge- oder Missbrauch generell nicht gut.

Haben Sie als Wissenschaftsjournalistin, um nicht -influencerin zu sagen, dennoch den Bedarf, auch politisch gehört zu werden?

Insofern schon, als publizistisch wahrgenommen zu werden immer auch politische Relevanz hat. Politik will ja nicht nur Wählerstimmen gewinnen, sondern Wählerwünsche erfüllen. Die beste Möglichkeit, Wissenschaft in die Politik zu bringen, besteht demnach darin, Menschen so gut aufzuklären, dass ihr Wünsche möglichst rational sind. Es gibt zum Beispiel keinen logischen Grund dafür, dass grüne Gentechnik gefährlicher ist als die gute alte Züchtung. Wenn man Konsens darüber herstellt, dass sie im Gegenteil sogar ein Gamechanger des Klimawandels sein kann, könnte es grüne Politik mehr beeinflussen als Ernährungswissenschaftler im Parteipräsidium.

Was ist aus Ihrer Sicht denn das perfekte Medium, um Menschen mit größtmöglicher Reichweite wissenschaftlich aufzuklären?

Wissenschaft lässt sich besser erklären, je mehr Zeit man ihr gibt. Deswegen funktioniert ihre Vermittlung nach dem Zwiebelprinzip. Im Innern steckt der Kern wissenschaftlicher, evidenzbasierter, valider Erkenntnisse, die nur sehr wenigen Menschen zugänglich sind. Ganz außen befindet sich mein Cornflakes-Video: oberflächlich, aber reichweitenstark. Bis dahin arbeitet man sich Schicht für Schicht, Medium für Medium von innen nach außen vor, um immer mehr Wissen immer klarer zu machen.

Und MAITHINK X?

Halbe Stunde monothematisch? Steckt ungefähr in der Mitte. Da ist schon viel drin, aber morgen ist die nächste Aufzeichnung, und wir sind immer noch am Kürzen (lacht). Und für mehr als 30 Minuten reicht die Aufmerksamkeitsspanne in der Regel nicht aus. Anders wäre es bei einem Podcast, da hätte ich mehr Zeit, das würde ich gern mal machen, um gut belastbares Transferverständnis zu erzeugen. Aber genau dafür braucht es auch oberflächlicheres Zeug wie die Cornflakes-Geschichte. Das macht mir, davon abgesehen, halt auch riesigen Spaß.

Wie wichtig ist Ihnen als Wissens- und Unterhaltungsprinzip – egal in welcher Zwiebelschicht – der Humor?

Nach außen hin immer wichtiger. Zu mir verirren sich schließlich auch Leute. Und die hält man mit Humor eher beim trockenen Fach Wissenschaft.

Aber wie kriegt man innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie die Balance zwischen affektgesteuerter Youtube-Bubble und ernsthaft wissenschaftsinteressiertem Zeit-Publikum?

Indem man diesen Grundkonflikt von Fall zu Fall immer wieder aufs Neue aushandelt. Aber das gilt für alle, die das Bedürfnis haben, möglichst viele Menschen zu erreichen – ob Medienschaffende oder Parteien. Zu dem Thema haben wir vor unserer Populismus-Sendung viel mit der Prof. Paula Diehl geredet.

Politikwissenschaftlerin an der Uni Kiel.

Die meinte, ein bisschen Populismus sei gar nicht automatisch schlimm, sondern das Salz in der Suppe der Aufmerksamkeitsökonomie, die man aber auch schnell überwürzen kann. Ähnliches gilt für Clickbait. Um Inhalte zu verbreiten, ist Reichweitenorientierung okay, solange sie nicht selber zum Inhalt wird. Deshalb betreibe ich bei Youtube seit jeher Clickbait.

Oha.

Denn genauso wie man fragen könnte, ob die knallige Verpackung wissenschaftlicher Fakten Erkenntnisgewinne bringt, könnte man ja fragen, ob es nicht sogar kontraproduktiv ist, wenn man sie nüchtern aufbereitet hinter Bezahlschranken für Besserverdienende versteckt. Es gibt da einfach keine pauschalen Rezepte. Und die Medienlandschaft ändert sich so rasant, dass man versuchen muss hinterherzukommen, ohne die Prioritäten zu verschieben. Denn erste Priorität ist und bleibt: der Inhalt. Alles andere ist Mittel zum Zweck.

Aber gibt es denn dafür ein Regelbuch, das Ihnen sagt, wo der Inhalt womöglich doch hinter die Hülle zurücktritt?

Der beste Weg dorthin ist, möglichst wenige Entscheidungen allein zu treffen. Deshalb diskutieren wir in der Redaktion gern gemeinsam aus vielen Perspektiven. Dafür gibt es neben der Unterhaltungsabteilung, die auf mediale Außenwirkung achtet, noch eine Nerd-Abteilung promovierter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die auf Evidenz achten (lacht). Eine Möglichkeit, um das Publikum bei der Stange zu halten, ohne es zu bevormunden, ist da zum Beispiel, in Videos Kapitel einzufügen, damit man sich gegebenenfalls vorklicken kann.

Welche Rolle hatte für Ihre Art des Wissenschaftsjournalismus denn die Pandemie, in der Sie nicht nur bekannter, sondern auch ernster geworden sind?

Die Pandemie hatte in vielerlei Hinsicht großen Einfluss auf mich und meine Arbeit. Bis dahin war ich ein Stückweit naiver, was die Akzeptanz wissenschaftlicher Evidenz betrifft. Zuvor hätte ich wohl gedacht, wenn ein genbasierter mRNA-Impfstoff aufkommt, wird es zwar Skepsis geben, Aber wenn ein Impfstoff schon von unserer – wie ich finde übervorsichtigen – Stiko empfohlen wird…

Für all jene, die Corona komplett verdrängt haben: Die Ständige Impfkommission.

… dann ist das statistisch gesehen ein absoluter No-Brainer, dann steht der Nutzen der Impfung in keinem Verhältnis zu ihren Risiken. Da hat mir der große Widerstand gegen die beste aller Optionen einen ordentlichen Reality-Check verpasst. Weil Statistik für mich so aussagekräftig ist, spiele ich ja auch nie Lotto. Mehr noch: Wenn mein Mann aus Spaß einmal im Monat so einen Schein ausfüllt, weil angeblich ja immer einer gewinne, regt mich so auf!

Weil die Erfolgswahrscheinlichkeit praktisch bei null liegt.

Trotzdem werden die Zahlen Woche für Woche sogar in der Tagesschau verlesen! Da muss man sich ja nicht wundern, dass wir statistische Unwahrscheinlichkeiten so ernstnehmen. Was mir vor Corona ebenfalls nicht bewusst war: Wie schnell Wissenschaft Gegenstand politischer Diskussionen wird. Meine Vorstellung, sie könne neutral sein, hat sich als Trugschluss erwiesen.

Wie sind Sie dann damit umgegangen, dass sogar wissenschaftliche Objektivität zum Gegenstand von Hass und Hetze bis hin zu physischer Gewalt geführt hat?

Das gab es vorher auch. In weitaus geringerem Maßstab zwar, aber wo immer Erkenntnisse auf vorgefertigte Weltbilder treffen, kollidieren sie teils heftig miteinander. Wobei die Intensität von Hass und Hetze mit der Reichweite wissenschaftlicher Fakten korreliert. Von daher betraf es mich mehr als andere, hat aber auch gezeigt, dass mein Impact größer geworden ist.

Macht es das besser?

Besser nicht. Aber als Wissenschaftlerin komme ich mit Hass gut klar, weil ich ihn von mir als Person trennen kann. Die hassen mich schon irgendwie auch mit, aber ja über den Umweg dessen, was ich zum Impfen sage. Wenn man die Hater mit mir in einen Raum sperren würde, könnten wir wahrscheinlich miteinander reden. Aber gerade durch ihre Objektivität stellt gerade die Naturwissenschaft eine so große Bedrohung für geschlossene Weltbilder dar, das vielen ihre Täter-Opfer-Umkehr gar nicht bewusst ist.

Wie meinen Sie das?

Dass sie sich von wissenschaftlicher Objektivität bedroht fühlen und daraufhin Wissenschaftlerinnen wie mich teils physisch bedrohen. Dank meines Teams kriege ich davon jedoch relativ wenig mit. Und dank meiner Ressourcen geht es mir auch darüber hinaus vergleichsweise gut. Ich habe das ZDF im Rücken, meine Redaktion, den Droemer-Verlag, ein stabiles Umfeld und kann meine Arbeit daher sehr frei machen. Aber dass es dieser Ressourcen dafür bedarf, ist die Ausnahme und damit ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft und die Demokratie.

In unserer misogyn und rassistisch aufgeheizten Atmosphäre überrascht es jetzt ein wenig, dass Sie sich als junge Frau mit vietnamesischer Familiengeschichte, also intersektional diskriminierte Figur der öffentlichen Wahrnehmung, so sicher fühlen…

Das gilt insbesondere im Vergleich mit Frauen in der Politik. Was die abkriegen, ist viel, viel, viel schlimmer. Der Hass auf Wissenschaftlerinnen, so zynisch es klingt, ist immer noch sachlicher als der Hass gegen Politikerinnen. Wenn jemand sagt, meine Impf-Empfehlungen töten Kinder, ist das schlimm, aber irgendwie … themenimmanent.

Dennoch sind Sie während der Pandemie teilweise nur mit Bodyguard vor die Tür gegangen. Haben Sie für Menschen, insbesondere Frauen, im Shitstorm einer aufgewühlten Gesellschaft dennoch so etwas wie Resilienz-Rezepte übers stabile Umfeld hinaus?

Nein, denn gerade wegen meiner gesicherten Position möchte ich mich ungern in die Rolle der schlauen Ratgeberin begeben und kann ja niemandem empfehlen, sich ein gutes Umfeld oder einen so tollen Partner wie meinen zuzulegen (lacht). Ich durfte einige Preise während der Pandemie annehmen, aber hatte manchmal das Gefühl, dass meine Auszeichnung als Beweis herhalten soll, dass man als Frau und Wissenschaftlerin alles schaffen kann. Damit hatte ich so meine Probleme, denn ich bin einfach nur sehr privilegiert.

Sie wollen kein Role-Model sein?

Ach, warum nicht… Ich will nur keines dafür sein, angstfrei Wissenschaft zu betreiben und zu kommunizieren. Wir sind nämlich noch sehr, sehr weit weg von ansatzweise geeigneten Rahmenbedingungen, als Frau unbehelligt in der Öffentlichkeit zu stehen und zu arbeiten, geschweige denn seine Meinung kundzutun. Besonders letzteres erfordert immer noch gehörigen Mut. Dass ich als Wissenschaftlerin mit meiner Außenwirkung automatisch ein Role-Model bin, sollte mir darüber hinaus aber schon bewusst sein. Das finde ich auch okay bis hin zu schön.

Aber?

Aber mit einer Einschränkung: Wenn Frauen – oder auch Männer – meinetwegen sagen, sie möchten Chemie studieren. Das sollte man sich sehr genau überlegen! (lacht) Chemie ist ein extrem hartes Studium. Das sollte man aus innerer Überzeugung, nicht wegen irgendwelcher Vorbilder machen. Ansonsten finde ich es super, andere Frauen zu motivieren.

Auf welcher Plattform dürfte das denn auch künftig der Fall sein? Welches Medium setzt aus Ihrer Sicht gegen andere durch, um Informationen im Allgemeinen und wissenschaftliche im Besonderen zu verbreiten?

Hmmm…

Die Generationen Z und Alpha, heißt es, beginnen gerade wieder, mehr Bücher zu lesen und sich von Messenger-Diensten in Kleingruppen zu verabschieden, um wieder im kleineren Kreis zu kommunizieren.

Ich bin da offenbar optimistischer als andere, dass die Zukunft diesbezüglich vielfältig bleibt. Wenn Netflix zum Beispiel lineares Fernsehen anbietet, um das Programm für die Nutzer zu kuratieren, scheint ja auch das öffentlich-rechtliche Programm eine Zukunft zu haben. Wenn ich sehe, wie groß der Bedarf nach langen, informativen Podcasts ist, wie sich das Radio hält, wie inhaltsreich selbst TikTok sein kann, bin ich ganz guter Dinge. Für seriöse Wissensvermittlung braucht man vor allem Zeit und Aufmerksamkeit. Beides nehmen sich noch immer und schon wieder viele.

Und auf welcher Plattform?

Ist mir dabei eigentlich egal. Kommunikation unterliegt seit jeher ständiger Veränderung, deshalb sehe ich einen Wert darin, dass die Zahl der Plattformen eher wächst als schrumpft.

Was können neuere Medien wie das Internet da von älteren wie Presse, Funk, Fernsehen lernen und umgekehrt?

Der größte Unterschied ist ja Gatekeeping. Das ist gut und schlecht. Ich denke nicht, dass ich langfristig in die Medien gewechselt hätte, wenn ich nicht im Internet angefangen und bei maiLab die Freiheit bekommen hätte, meine eigene Arbeits- und Herangehensweise zu entwickeln. Andererseits wird im Zuge der Informationskrise redaktionelles Gatekeeping, Abnahmen und Faktenchecks ja eigentlich immer relevanter. Aber im Kampf um Aufmerksamkeit rutschen viele der „alten Medien“ zumindest auf ihren Online-Plattformen immer weiter nach außen in der Kommunikationszwiebel. Hauptsache schnell, Hauptsache Reichweite, auf Kosten von Korrektheit und Tiefgang.

Wie werden Sie selber denn da künftig mutmaßlich kommunizieren?

Also ich liebe Audioformate – sehr fokussiert, vor allem aber entspannt. So sehr ich Publikum mag, fühle ich mich ohne noch immer ein bisschen wohler. Kopfhörer auf und sich reizminimiert wirklich auf etwas konzentrieren, gefällt mir glaube ich am besten. Im März bringe ich jetzt erstmal zusammen mit Marie Meimberg die Kinderbuchreihe BiBiBiber hat da mal ‘ne Frage raus.

So was wie wissenschaftliche Früherziehung?

Eher so was wie Wissenschaft mit Kleiner Prinz-Vibe. Mal sehen, was danach kommt.

Kleine Prognose am Ende: Wird die Sachlichkeit der Wissenschaft übers Raunen, Raten, Brüllen der Aufmerksamkeitsindustrie siegen?

Ich muss da für mein eigenes Seelenheil irrational optimistisch bleiben, also: Ja.

Das Interview ist vorab im Medienmagazin journalist/in erschienen

Pochers Naidoo & Edins Late Night

Die Gebrauchtwoche

TV

15. – 21. April

Wichart von Roëll ist tot, und wer mit dem Namen nichts etwas anfangen kann, also alle Generationen nach Boomer plus X: Am 24. Juli 1973 war er Teil einer sehr schrillen Kulturrevolution. Dienstagabends, 20.15 Uhr im Ersten, prägte sein Weltkriegsveteran Benedict eine Unterhaltung, die Dalli Dalli und Paukerfilme zwar bereits ausprobiert hatten. Erst Klimbim allerdings bracht das damalige Fernsehpublikum perfekt auf den Punkt.

Von seiner (Mit-)Schuld am Nationalsozialismus, mehr aber noch den Fragen Spätgeborener dazu ermüdet, verschanzte sich das Tätervolk hinterm Klamauk einer schlüpfrig behämmerten Nummernrevue, deren letzter Vortänzer am Dienstag gestorben ist. Mit Didi Hallervorden ist also nur noch ein Fluchthelfer jener eskapistischen Tage am Leben, der jedoch wie seine Ahnen nun antisemitisches Zeug faselt.

Damit befindet er sich in stabiler Gesellschaft von Xavier Naidoo, den Oliver Pocher kürzlich aus dem Rabbit Hole rechtsblöden Geschwurbels auf die Bühne einer Live-Show in Saarbrücken hievte. Zwei Orte, die der Thinktank Das progressive Zentrum in einer großen Studie erkundet hat. Gemeinsam mit IG Metall, BMW Foundation, Bundeszentrale für politische Bildung und ein paar Ministerien wurde darin die Berichterstattung zum Heizungsgesetz untersucht.

Ergebnis: Der Großteil aller Medien hat sachlich darüber berichtet, bis auf – Surprise! – die Bild, in der ein Viertel aller Berichte erstunken und erlogen waren, was nur von rechtsextremen Blättern übertroffen wurde, in denen nicht mal ein Viertel den Tatsachen entsprach. Was an den Übernahmegerüchten von Pro7 dran ist, wird sich derweil noch zeigen. Als gesichert kann aber gelten, dass der DFL die Verhandlungen über die Fernsehrechte der Fußballbundesliga gestoppt hat.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

22. – 28. April

Die Folgen sind fürs aktuelle Programm allerdings noch nicht sichtbar. Wobei: irgendwie gilt das auch für vieles, was diese Woche darin zu sehen ist. Einzig bemerkenswert scheint da der Start von Edins Neo Night zu sein. Am Freitag entert der rasend sympathische Schauspieler mit Rampensauqualitäten – Edin Hasanovic – nämlich die gleichsam größte und kleinste TV-Bühne: Late Night Show.

Es wird sich also zeigen, ob sie beim wichtigsten Nischenkanal Deutschlands zu groß oder zu klein ist für ihren ziemlich prominenten Gastgeber. Richtig fett war hingegen die besonders haarige Hair-Metal-Band Bon Jovi, der Disney+ ab Freitag ein vierteiliges Porträt widmet, das wenig originell The Bon Jovi Story heißt und womöglich besser ist als die verabreichte Musik darin.

Wenn die ARD und andere Großsender mit dem Kampfbegriff Event-Film Aufmerksamkeit erheischen, ist dagegen Vorsicht geboten. Im Fall des Mystery-Dramas Die Flut aber wirkt das Ereignis eventtauglich. Frei nach Robert Habecks Roman Hauke Haiens Tod von 2001 transferieren Daniela Baumgärtl und Constantin Lieb Theodor Storms Schimmelreiter am Samstag in die Gegenwart.

Und was Regisseur Andreas Prochaska daraus macht, ist zwar manchmal bisschen arg düster geraten, liefert aber einen kriminalistisch angedickten Ansatz, den Klimawandel fiktional einzubinden. Den Terror in den USA verarbeitet derweil die 2. Staffel THEM bei Amazon Prime ab Donnerstag. Wobei das wahre Wochenschmankerl von Netflix stammen dürfte.

In Fight for Paradise – Wem kannst du trauen? wagt sich der Streamingdienst an deutsche Semi-Promi-Reality. Elf jungerwachsene, influencende, also irgendwie einigermaßen bekannte Wachspuppen verschiedener Anabolika- und Hyaluronsättigungsstufen ziehen dafür in ein mexikanisches Luxusresort, wo sie über Wochen hinweg gegeneinander… ach, auch egal.

Und noch ein kleiner Tipp am Rande: Auf dem leicht angestaubten Feld von Guido Knopps Dokudrama, rekonstruiert die ARD-Mediathek ab Sonntag in Die Mutigen den längsten Streik der deutschen Nachkriegsgeschichte von 1956, als Millionen Arbeitnehmer*innen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf die Straße gingen.


Bernd Begemann: Ziegenbart & Sophia Thiel

Auftreten ist wie Atmen

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Gut 20 Platten in fast 40 Jahren, Hamburger Schulgründer, Inspiration kommerziell erfolgreicherer Bands: Bernd Begemann ist der unbekannteste Weltstar der deutschen Popmusik und doch ein Rätsel. Mit seiner Begleitband Die Befreiung (Foto: Miguel Ferraz Araujo) bringt das 61-jährige Waisenkind nun sein Album Milieu heraus. Ein küchenphilosopisch funkensprühendes Interview.

Von Jan Freitag

Freitagsmedien: Wer, bitteschön, ist Patrizia Dembrovski, der du auf deiner neuen Platte Milieu ein ganzes Lied widmest?

Bernd Begemann: Niemand, der Name ist erfunden. Ich bin komplett antiesoterisch, glaube aber, dass Namen eine Auswirkung auf den Charakter haben. Und bei einer Patrizia Dembrovski stelle ich mir vor, dass sie Ärger macht, wenn es nicht sein muss.

Wegen Patrizia oder Dembrovski?

Patrizia klingt nach Eltern, die viel mit ihrem Kind vorhatten, wozu der Nachname aber nicht passt, weshalb sie ihr Leben lang leicht sauer war und jetzt mir als Sänger Probleme bereitet.

Und was haben „Bernd“ und „Begemann“ aus dir als Mensch gemacht?

Nichts Besonderes. Aber dadurch, dass Bernds über 40 sind, also aus einem anderen Zeitalter, existiere ich in der aktuellen Pop-Gegenwart nicht mehr. Trotzdem werde ich mir keinen Künstlernamen mehr zulegen.

Zumal die sanfte Alliteration auf B schon künstlich klingt, wie Bernhard Brink.

Aber eher so ein Bauernkünstler. Ähnlich wie Jan übrigens. Dabei denke ich an jemandem mit Kombi, den jeder anhauen kann, wenn man was vom Baumarkt braucht. Als Jan und Bern gäben wir ein prima volkstümliches Schlagerduo ab.

Heißen die Baumarkt-Jungs nicht eher Holger oder Jochen

Ich sehe schon – meine Namenswissenschaft ist nicht fehlerlos (lacht).

Nehmen wir den nächsten Namen auf der Platte: Sophia Thiel.

Die gibt’s wirklich! Ich sehe gern fern, habe einen Bildschirm mit 77-Zoll-Diagonale und 100.000 Programmen, die ich manchmal durchzappe. Und einmal bin ich dabei auf einen Konsumkanal gestoßen, der nicht Kauf dies oder Happy das heißt, sondern Sophia Thiel, die rund um die Uhr Workouts macht, gut aussieht, gesund kocht oder mit anderen Coaches oder alleine Menschen coacht und dabei immer positiv wirkt.

Oh Gott!

Wer dabei allerdings in ihre Augen sah, der spürte, wie kurz sie vorm Zusammenbruch stand. Und siehe da: Vier Monate später zog sie sich mit einem Burnout zurück. Angesichts all der ausgebrannten Influencer, die 24 Stunden gut gelaunt und topfit geliefert haben, war da mein erster Gedanke: Man kann einfach nicht immer nur so tun, als ob.

Hast du selber Menschen in deinem Milieu, wie euer neues Album heißt, die so sind, also nur tun als ob?

Bestimmt. Aber sie machen es so gut, dass ich es nicht merke. Im schönen Lied The only time I’m really me singt Tammy Wynette, für die Nachbarn ist sie diejenige, die immer Wäsche aufhängt, für die Bank ist sie diejenige, die ständig das Konto überzieht und so weiter. Für sich aber ist sie diejenige, die nur einmal am Tag sie selbst sei – im Moment zwischen Augenschließen und Einschlafen.

Deprimierend.

Aber im fluffigen Country-Sound auch ein poetisches Statement über die vielen Gesichter, mit denen wir uns und andere was vormachen. Schlimmer finde ich allerdings Leute, die uns wie Sophia Thiel dabei ständig etwas verkaufen wollen. Nahrungsergänzungsmittel, Schönheitsprodukte, Lügen wie im CSU-Konservatismus der Adenauer-Jahre, wo hinter der heilen Welt makelloser Fassaden ebenfalls das Dunkel lauerte.

Du selbst bist noch in Adenauers Kanzlerschaft zur Welt gekommen. Wie kongruent sind denn deine Außenwirkung und die Persönlichkeit dahinter?

Auch ich habe eine Art Benutzeroberfläche, die auf der Bühne zum Vorschein kommt und alle umarmt. Privat komme ich dagegen auch gut mit mir alleine klar, treffe tagelang niemanden und bin dennoch glücklich oder fühle mich zumindest wohl. Ein glücklicher Asozialer oder um es mit Walt Whitman zu sagen: ich enthalte viel Leiden.

Aber bei dir sind privater Rückzug und öffentlicher Exzess einfach zwei Komponenten derselben Materie, kein vorgegaukeltes Trugbild zu Verkaufszwecken?

Ying und Yang, innen einatmen, draußen ausatmen. Beides macht mich glücklich.

Wo bist du als Entertainer denn glücklicher: vor 20.000 Leute in der Arena oder vor 20 im Club?

Je weniger, desto schwieriger. 20.000 hatte ich noch nicht, aber auch vor der Hälfte zu spielen ist einfach, da muss man bloß schlicht bleiben. Zehn misstrauische Leute in Vorarlberg fordern dagegen die volle Aufmerksamkeit. Tougher Gig!

Wie definierst du da Erfolg?

Einige Rapper halten sich für erfolgreich, weil sie 40 Lamborghinis haben. Ich glaube, damit stopfen sie nur das Loch in ihren kalten Herzen. Ich definiere Erfolg anders. Als Waisenkind aus einem Heim der Sechziger, über das es vermutlich schreckliche Dokus gibt, war ich dank meiner Adoptiveltern mit vier Monaten ein Gewinner. Ich bin daher, auch wenn es nach evangelischem Kirchentag klingt, für jeden Tag dankbar.

Amen.

Und dabei fällt mir auf, wie viele Leute ihr Leben so organisieren, dass sie es gerade so aushalten und ständig auf der Suche nach Sorgen sind, die ihr Leben beeinträchtigen. Ich bin mir dagegen oft selbst genug. Auch, weil ich mir bewusst bin, 60 der 80 friedlichsten und, wohlhabendsten Jahre unserer Weltregion erlebt zu haben. Deshalb riskieren Leute außerhalb davon ihr Leben, um meine Nachbarn zu sein. Das hält mir mein unverdientes Glück vor Augen, aus dem man aber auch was machen sollte. Freude empfangen, Freude verteilen – sorry, dass ich in Kalendersprüchen rede.

Hatte dieses Denken nur Einfluss auf dein Leben oder auch die Kunst dazu?

Insofern, als es mein Temperament beeinflusst. Weil ich mich zugleich von innen und von außen betrachten kann, schreibe ich als Reporter meines eigenen Lebens besser darüber, ohne ständig Groll zu hegen. Selbst Leuten, die mir Böses wollten, kann ich nicht richtig böse sein.

Du empfindest generell niemals Wut?

(überlegt lange) Menschen machen gemeine Sachen, aber wenn ich das jetzt länger vertiefe, fordere ich womöglich das Schicksal heraus. Ich bin ja nicht mal auf mich richtig wütend. Nur häufig enttäuscht, nicht besser zu sein, als ich bin.

Kennst du das Gefühl der Scham für Dinge, die du getan hast oder gewesen bist?

Scham ist unkonstruktiv. Ich habe bestimmt schon gesagt, die ich heute nicht mehr sagen würde. Aber was man durch Worte vermasselt, kann man auch durch Worte gutmachen.

Musst du die Worte in Du wirst dich schämen für deinen Ziegenbart von 1996 wieder gutmachen?

Da rede ich ja von der Scham anderer. Und Ziegenbärte sahen schon damals furchtbar aus. Wenn ich darüber nachdenke, was mir jemals peinlich war, hätte ich gern meinen Körper von früher zurück und meine Fähigkeiten von heute früher entwickelt. Es ärgert mich, die ersten 100 Konzerte vermasselt zu haben. Aber ich vergebe mir!

Sind noch 100 weitere Konzerte im älteren Körper drin oder spürst du den Zahn der Zeit?

Auftreten ist wie Atmen. Ich habe eine Rente plus Zusatzrente und selbst für den Ausnahmefall des vorigen Winters, in dem ich mir den Ellbogen gebrochen hatte und dachte, nie mehr Gitarre spielen zu können, eine Arbeitsausfallversicherung. Aber warum auf Spaß verzichten? Wenn ich unfähig werde, mich auszudrücken, und zu gebrechlich, um die Leute mitzunehmen, wenn sie sich bei den Konzerten Sorgen um mich machen, höre ich vielleicht auf. Vorher nicht.

Das Interview ist vorab bei MusikBlog erschienen


Ripley: Matt Damon & Andrew Scott

Ästhetisches Nervenreißen

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Die Netflix-Serie von Patricia Highsmiths Der talentierte Mr. Ripley ist nicht nur umfangreicher als der Kinofilm von 1999, sondern ein Meisterwerk der Verbindung von Schönheit mit Spannung und Tiefe.

Von Jan Freitag

Der Weg nach ganz oben ist für Menschen weit unten lang und beschwerlich. Also nicht für Dickie Greenleaf, versteht sich. Der Spross eines New Yorker Großreeders blickt von seiner Luxusvilla hinunter aufs Mittelmeer, muss jedoch offenbar nie selbst hinaufsteigen. Ganz im Gegensatz zu Tom Ripley. Der Trickbetrüger müht sich zu Beginn einer fabelhaften Netflix-Serie die Treppen zu Dickies Domizil erst aufwärts, dann abwärts, bergan, bergab. Immer und immer wieder.

Es ist ein schweißtreibender Kampf gegen die kapitalistische Höhendifferenz, den er mit sich und seinem Ehrgeiz austrägt. Schließlich könnte es sich lohnen: Beauftragt von Dickies Vater soll Tom dessen Sohn überreden, sein Lotterleben als alimentierter Tunichtgut aufzugeben und heimzukehren. Erster Klasse nach Italien. Honorar und Spesen inklusive. Ein verlockendes Angebot für jemanden, der Ottonormalverbraucher um Kleinbeträge erleichtert.

Und eins, das Cineasten vertraut vorkommen dürfte. Als Anthony Minghella Patricia Highsmiths Thriller Der talentierte Mr. Ripley 1999 verfilmt hat, schlidderte Matt Damon beim Versuch, jemand besseres zu sein, von einer Katastrophe zur nächsten. Zwei Jahre nach seinem Mafia-Epos The Irishman nun schickt Steven Zaillion den noch viel talentierteren Andrew Scott zurück in die Neo-Noir-Sixties. Und man fragt sich: Kann das Fernsehen dem Roman etwas abgewinnen, das dem Kino verborgen blieb?

Antwort: Sie kann. Mehr noch: Sie verlängert die Spielfilmlänge nicht nur auf achtmal 30 bis 60 Minuten, sondern zur vielleicht besten Fiktion 2024, wenn nicht aller Zeiten. Denn Ripley, so heißt sie in aller Kürze, gelingt nahezu Einmaliges: Dramaturgischer Tiefgang und schauspielerische Brillanz, gepaart mit ästhetischer Vollkommenheit und erzählerischer Stringenz, die trotz hinlänglich bekannter Story zum Zerreißen fesselt.

Dass der vermeintliche Studienfreund des Hobby-Malers Dickie plant, in dessen Rolle zu schlüpfen, erschließt sich nämlich schon früh, nimmt der Erzählung aber nichts von ihrer Spannung. Bis dahin aber muss Ripley Treppensteigen. Um fremdes Vertrauen zu gewinnen, quartiert er sich in dessen Haus himmelhoch über Neapel ein und wird vom Besucher zum Freund, der seinen Gastgeber so virtuos manipuliert, dass weder Dickie (Johnny Flynn) noch seine Freundin Marge (Dakota Fanning) etwas davon bemerken.

Wo Matt Damon seinen Eindringling als Impulstäter spielt, der eher zufällig in die Eskalationsspirale gerät, bleibt Showrunner Zaillion somit der Buchvorlage näher und kann sich dabei auf seinen Hauptdarsteller verlassen. In dessen Figur skizzierte Highsmith vor 70 Jahren eine Klassengesellschaft, die so hermetisch verriegelt ist, dass man ihr nur auf krummen Weg – oder endlos geschwungener Wendeltreppe – aufwärts entkommen kann. Und diesen Eifer spielt Andrew Scott mit einer unsichtbaren Vielschichtigkeit, die sprachlos macht.

Von argloser Naivität bis zur maliziösen Infamie muss er nur zwei, drei Gesichtsmuskeln bewegen und variiert sein Minenspiel damit in einer Sekunde mehr als ein Heino Ferch in seiner gesamten Karriere. Die eigentlichen Stars sind allerdings gar nicht im Bild: Robert Elswitt und Jeff Russo. Während der Kameramann jede seiner schwarzweißen Einstellungen zum Gemälde macht, das für sich genommen schon ins Filmmuseum gehört, legt der Komponist einen Soundtrack darüber, der gleichermaßen eindrücklich und beiläufig ist.

In seiner unaufdringlichen Detailversessenheit, die oft über Minuten hinweg Schnappschüsse der Umgebung zu machen scheint, erinnert Ripley dadurch an Meisterwerke von Lost in Translation bis Smoke, in denen die Optik inhaltliche Aufgaben übernimmt, ohne sie zu ersetzen. So kreiert Zaillion das atemberaubende Stadtlandfluss-Porträt einer eleganten Ära, deren visuelle Schönheit anmutig mit der sozialen Ungleichheit ringsum kontrastiert und beides damit zur Formvollendung führt. Doch obwohl hier jedes einzelne Bild heillos überfrachtet wirkt, bettelt keines davon je um Bedeutung.

Das Herausragende einer einzigartigen Inszenierung aber besteht darin, dass die Sechzigerjahre hier zu keiner Zeit kostümiert wirken – als würde Netflix Super-8-Filme jener Jahre digitalisieren, anstatt sie nachzustellen. Für den Deutschen Louis Hofmann ist es da die größte Ehre, an der Seite von John Malkovich mitspielen zu dürfen – und sei es auch nur am Rande. Wobei Ripley für alle Beteiligten das Beste sein dürfte, was sie von ihrer Karriere erwarten dürfen. Nur bei Andrew Scott darf man sich da nicht zu sicher sein. Er zählt zwar schon jetzt zu den Größten unserer Zeit, hat sein Potenzial aber noch nicht annähernd ausgeschöpft.


Höckes Mett & Artes Kant

Die Gebrauchtwoche

TV

8. – 14. April

Die Nachricht der Medienwoche ist, dass – nein, nicht Olaf Scholz nun TikTok nutzt und gleich mal vorführt, was er in seiner Aktentasche hat. Die Breaking News besteht eher in der gleichermaßen naheliegenden und überraschenden Erkenntnis, dass Björn Höcke ein brauner Schaumschläger ist. In den knapp zehn Jahren seiner rechtsextremistischen Selbstdämonisierung dachte man ja lange, er sei zu gerissen für Selbstentlarvung.

Im Zwiegespräch mit dem Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt allerdings ist die westfälische AfD-Pumpgun zur Luftpumpe geworden. Man mag an Voigts Eigen-PR via Welt TV am Freitag alles Mögliche kritisieren: Dass Ministerpräsident Bodo Ramelow nicht dabei war. Dass über Mettbrötchen gestritten wurde. Dass man Nazis nicht entzaubern kann, weil ihre Fans nun mal ausschließlich an Magie glauben.

Tatsache aber bleibt: AfD-Verantwortliche sind auch in den Studios von ARZDF häufiger zu Gast. Und am Ende dieser Einladung stand Björn Höcke als blaubrauner Wüterich bar nennenswerter Argumente da, dem unter Druck ständig Propaganda und Gesichtszüge entgleiten. So gesehen war dieser seltsame Abend beim Springerkanal zwar kein Sieg für Demokratie und Pluralismus, aber doch über seine ärgsten Feinde.

Schwer davon zurück in die Spur beiläufiger Fernsehunterhaltung zu kommen. Egal: Sebastian Puffpaff hat Mittwoch zum 100. Mal TV total moderiert und kurz nach Stefan Raabs Rückkehrankündigung wurde dabei zum 100. Mal deutlich, wie missraten, vor allem: unwitzig die Sendung ohne ihren Erfinder ist. Ein paarmal seltener hat Elton Schlag den Star geleitet, taugte aber wie in jedem seiner Formate zum Sympathieträger.

Umso erstaunlicher, dass ihn Pro7 nun ziemlich rüde rausgeworfen hat. Noch erstaunlicher war hingegen, wie lautstark er seinem Ärger darüber Luft gemacht und vielleicht gerade deshalb unmittelbar danach ein irgendwie unmoralisches Angebot von RTL-Programmchefin Inga Leschek erhalten hat, doch einfach zur Konkurrenz zu wechseln. Schwer vorstellbar, aber vielleicht könnte es ja helfen.

Die Frischwoche

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15. – 21. April

Denn auch in dieser Woche hat RTL absolut gar nichts von auch nur annähernder Bedeutsamkeit im Programm, wie es dieser Tage überhaupt verblüffend dünn mit Neuerscheinungen aussieht. Herausragend ist da schon, dass Netflix ab Dienstag Greta Gerwigs erste, maximal gelungene Solo-Regie Lady Bird mit Saoirse Ronan als Schülerin beim Versuch, aus Kalifornien an die Ostküste zu gelangen, zeigt.

Bemerkenswert scheint auch die Sky-Serie The Sympathizer um einen Spion des Vietcongs zu werden, der am Ende des Vietnamkrieges in die USA geht und dort zwischen zwei Loyalitäten zu seiner alten und der neuen Heimat schlingert – woran nicht nur die bissige Kapitalismuskritik überzeugt, sondern Robert Downey jr. in einer ganzen Reihe Nebenrollen, die das amerikanische Establishment jener Tage aufs Korn nehmen. Ansonsten?

Tja…

Am Dienstag gehen Joko & Klaas ins 50. Duell gegen ProSieben, was schon ein echtes Highlight dieser Woche werden dürfte. Am Mittwoch läuft Das Experiment der Freiheit, in dem Arte Immanuel Kant zum 300. Geburtstag dokumentarisch auf die Spur kommt. Freitag setzt das Erste in seiner Mediathek Phil Laudes Kartoffel-Püree Almania fort, das in der ersten Staffel ganz gut, aber ausbaufähig war.

Und Sonntag darf Felicitas Woll im ZDF-Herzkino Neuer Wind im Alten Land erneut beweisen, dass sie eigentlich zu talentiert ist für öffentlich-rechtliche Schnulzen. Was natürlich auch für die unendliche Flut mittelmäßiger Krimis gilt, von denen tags zuvor in der Mediathek ein weiterer Fall vom Kommissar und die Angst zu sehen ist. Einer Krimireihe eines – Achtung! – seelisch irgendwie vernarbten Polizeiermittlers mit Paranoia und … ach, lassen wir das.


Voigts Welt & Norwegens Festung

Die Gebrauchtwoche

TV

1. – 7. April

Die Aufmerksamkeitsökonomie des (kommerziellen) Fernsehens funktioniert wie jene rechter Populisten: Man kippt kommunikative Gefahrengüter in öffentliche Debatten, lässt sie mit der digitalen Umgebung reagieren, bezeichnet etwaige Emissionen als ungewollt, Zufall oder nebensächlich, kümmert sich nicht weiter um deren Entsorgung und genießt die allgemeine Erregung – Stefan Raabs Entertainmentelixier.

Es besteht seit jeher aus großem Getöse über Bagatellen wie Maschendrahtzäune oder Boxkämpfe und erzeugt auch neun Jahre nach seinem Rückzug von der Pro7-Bühne verlässlich Breaking News wie die, er werde gegen Regina Halmich kämpfen, neue Shows moderieren, einen Sender gründen, womöglich gar alles in einem, zugleich und gigantisch. Wie viel daran reines Marketing ist, lässt sich vorerst nur erahnen.

Zumal sie im Kernschatten einer weit größeren PR-Attacke steht: dem Streitgespräch des Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt mit dem rechtsextremsten Gottseibeiuns Joseph-Adolf Höcke. Moderiert vom Senderchef Jan Philipp Burgard, will der Ministerpräsident in spe die Persona non grata a.D. Donnerstag beim Springer-Portal Welt TV vorführen – trotz warnender Beispiele. Die MDR-Sommerinterviews zum Beispiel.

Darin ist Moderator Lars Sänger bereits mehrfach an der geschmeidigen Faktenverachtung des AfD-Ostgauleiters abgeprallt wie fleischlose Wurstalternativen am CSU-Parteitag. Umso gespannter darf man sein, ob und vor allem: wie gut sich die Voigt und Burgard diesmal vorbereiten, um den Leitsatz der Mediendemokratie gerecht zu werden: Schweigen ist Silber, Reden – nun ja, besser als nix.

Die Frischwoche

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8. – 14. April

In Umkehrung dieses Grundsatzes, halten wir uns bei der Vorstellung anstehender Fernseh- und Streamingformate mal kurz und arbeiten sie chronologisch in Stichworten ab

Am Mittwoch begeben sich vier Unbekannte in der ARD-Mediathek auf die Suche nach verschollenen Elternteilen und machen den Vierteiler My Roots zu einer intensiven Tauchfahrt ins eigene Seelenleben, bevor bei Netflix die sechsteilige Alpen-Mystery-Serie Anthracite startet.

Ab Donnerstag mach Arte eine impulskontrollgestörte Gewerkschafterin mit dem Kampfnamen Machine zur Hauptfigur einer französischen Dram-Serie, während Amazon Prime das populäre Videospiel Fallout zur wuchtigen Serienfiktionen mit Tiefgang umdefiniert

Freitag dann schottet die skandinavische Near-Future-Dystopie The Fortress (ARD-Mediathek) Norwegen zu einer Festung für Klimawandelgewinner ab und die schwedische Comedyserie Dreaming of England reist in der Arte-Mediathek zurück in die Achtzigerjahre.

Am Samstag weht Neuer Wind im Alten Land durchs ZDF, als Felicitas Wolls Top-Journalistin Beke an ihre Wurzeln zurückkehrt. Und kurz darauf die Schauspielerin dann auch noch an gleicher Stelle in Hannu Salonens Psychodrama Blindspot Teil eines neoliberalen Intrigantenstadls ist.

Und Sonntag rundet der Neo-Sechsteiler Infiniti die Woche dann mit einem weiteren Ausflug ins All ab, der sich nach Das Signal und Constellation schon wieder auf der ISS abspielt – dem neuen Serienhotspot oberhalb der Erdatmosphäre.