Indiefriday: Die Nerven, Griefjoy

NervenDie Nerven

Es ist ja schon erstaunlich, dass sich in diesen hektischen Zeiten zwischen Turboabitur, Batchelorstudium und Generation Praktikum noch immer junge Menschen anderen Dingen verschreiben als Karriereplanung, Karriereverzögerung oder Karriereverweigerung. Dass es also Bands gibt wie 206 oder Kreisky, Turbostaat und Ja, Panik, die sich allen Verwertungsregeln des Musikgeschäfts verweigern und dabei das eigene Genrenest nach Kräften beschmutzen. Die zu verstörender Punk- bis Poprhythmik den Untergang besingen und dabei eine Energie an den Tag legen, als sei er doch noch abzuwenden. Die dem Mainstream unablässig ans Bein pinkeln und dafür dennoch manchmal so etwas wie Erfolg ernten. Die gehörig nerven, damit irgendwie durchkommen, und zwar trotz und gerade weil sie sogar so heißen.

Denn das schwäbische Noise-Trio Die Nerven, sagt ihr Bassist und Sänger Julian Knoth, wollten zu Beginn ihrer Karriere vor vier Jahren genau das: Nerven. Sie haben an einem Band-Contest teilgenommen, nur um dort am lautesten zu sein; sie haben ein Kleinstadtfest leergespielt, als sie mit dem Umzug nach Stuttgart grad den Schritt in die Großstadt geschafft hatten; sie haben mit Fluidum ein hoch gelobtes Debütalbum gemacht und darauf nun kein zweites folgen lassen, das irgendwelche Geschmäcker bedient, sondern eines, das selbst abgebrühten Nihilisten aufs Gemüt schlägt. FUN ist Postpunk der allerbesten Sorte, virtuos gespielt, wütend gesungen, mit realitätsbewussten Texten wie “Alles, was wir hier machen / ist mit Sicherheit egal” (Und ja), die trotzdem etwas bewegen. Im Kopf, im Herzen, vielleicht ja sogar in der Gesellschaft. Bands wie Die Nerven haben das Zeug dazu und Platten wie FUN liefern den passenden Soundtrack. Grandioses Album!

Die Nerven – FUN (This Charming Man)

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Bands, die stark von Schlagzeugern geprägt sind, schlagen meist ruppigere Töne an. Erst Tim Alexander machte den Hardcore von Primus ja jazzig und somit außergewöhnlich. Nur dank Kyle Stevenson wurde Helmet mehr als eine Alternativecombo unter vielen. Weil John Bonham so lässig am Takt vorbeitrommelte, verseifte Led Zeppelin doch nicht im Glamrock. Und man stelle sich nur mal Slayer ohne Dave Lombardos Doublebass vor. Schlagzeuger sind halt oft harte Jungs, weshalb sie sanfterem Pop nur selten ihren Stempel aufdrücken. Romain Chazaut ist ungefähr so hart wie Marmelade und seine Band Griefjoy wie die Butter darunter. Dennoch drückt der Drummer mit dem Dackelblick seinem blutjungen Indiepopquartett Griefjoy mehr als nur irgendwas auf; vor allem nämlich bewahrt er die schnuckeligen Franzosen davor, eine hübsch anzuschauende Phoenix-Kopie mit oberflächlich verwendetem Dictionnaire-Englisch zu sein.

Und mehr noch: Seine pointiert-kreativen, mal rastlosen, mal unterschwelligen Beats treiben dem melodramatischen Eklektizismus der vier Jugendfreunde so dynamisch den Trübsinn in Moll aus den zehn Liedern ihres Debütalbums, dass daraus nicht bloß die nächste Eloge eines weiteren Kollektivs larmoyanter Fusselbarthipster wird. Sondern ein ganz großer Wurf des jungen Popjahrs. Stücke wie das getragene Eröffnungsstück Taste Me, in dem sich Romain Chazaut zugunsten von Guillaume Ferrans gläserner Stimme noch einigermaßen zurückhält, sind daher ebenso untypisch für das Album wie das anschließende Feel, in dem David Spinellis flächiges Keyboard den Ton angibt.

Brillanz erlangen Griefjoy auf ihrer gleichnamigen Platte erst zur Mitte hin, wenn übers technoide People Screwed up ein technoider Trommelfuror hetzt, der Ferrans Liebeskummergesang passgenaue Intermezzi lässt, bis Bass und Felle wieder vibrieren. Wenn Chazaut die hoffnungsschimmernd melodische Videovorlage Touch Ground immer wieder mit fast industriellem Stakkato unterlegt. Wenn er in Blind Visitors die Kesselränder zum vielstimmigen Extra-Instrument veredelt. Wenn Crimson Rose durch präzise wechselnde Taktfolgen beinahe sinfonischen Charakter erhält, was im nach folgenden Kids turn around so weitergeht.

So steigern sich Griefjoy Stück für Stück für Stück in Richtung einer Klangdichte, die an vieles erinnert, was hinlänglich bekannt ist, allerdings eine Eigenständigkeit entfaltet, der man sich kaum entziehen kann. Einer, der am Ende eben auch Chazauts Bandkollegen ihre Stempel aufdrücken: mit frickeligen Samples, unerwarteten Hintergrundgesängen und so mancher irren Wendung in Chanson, Ethno, Wave und Elektro. Das klingt zuweilen, als würden A-Ha plötzlich Stonerrock spielen, als trieben die Yeasayer Coldplay den leidigen Stadiongestus aus. Es klingt also unerhört vertraut und gleichsam überraschend gut. Dass die vier Franzosen dabei auch noch zum Knuddeln aussehen, kann man ihnen ja nicht zum Vorwurf machen.

Griefjoy – Griefjoy (Sony); mehr Sound’n’Pics’n’Kommentare unter http://blog.zeit.de/tontraeger/2014/01/22/griefjoy_17417



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