Peace’n’Pop: Frieden & Katastrophen

Protestkunst

Die Dokumentation Peace’n’Pop verdichtet den Arte-Schwerpunkt zum Frieden fast 100 Minuten lang zum Lehrstück über Macht und Ohnmacht der Protestkultur. Auch dank vielfältiger Zeitzeugen wie Ken Follett ist das weit mehr als eine unterhaltsame Nummernrevue.

Von Jan Freitag

Der Krieg hat keine Melodie, allenfalls Rhythmus. Krieg stampft, marschiert, er rattert, knallt und lärmt wie billiger Techno. Und falls der Krieg doch mal eine Poesie findet, ist es die der Trennung, des Hasses, Gefechtslyrik gewissermaßen: Copkiller, Arschficksong, Deutschland Deutschland über alles. Kein Wunder, dass Gewalt sang- und klanglos daherkommt. Musik, erklärt Thomas Hübner, besser bekannt als Clueso, im Arte-Zweiteiler Peace’n’Pop, sei ja „das Esperanto der Kommunikation“, sorge also für Verständigung über Barrieren, Grenzen, Schlagbäume hinweg. Musik ist die Antithese zur Gewalt. Sie steht für Harmonie und Einvernehmen. Für Frieden.

Peace!

Doch Baez und Lennon, Blumenkinder und Folkbarden, Pazifisten und Beatniks – sie alle mögen ihm noch so innbrünstig „a chance“ geben; weil wahrer, ganzheitlicher, nicht nur militärischer, auch sozialer Frieden höchstens in der (zugegeben schönen) Fantasie existiert, hat Musik doch mehr mit Krieg zu tun, als vielen Künstlern lieb ist. Von dieser Schnittstelle handelt Christian Bettges‘ sehenswerte Analyse künstlerischer Ausdrucksformen in der Kakophonie menschlicher Spannungen jeder Art, die den Sommerschwerpunkt des Kulturkanals zum Thema Kultur & Kampf in rund 100 Minuten bündelt.

Sieben Jahrzehnte lang reist der Autor von Pop 2000 durch die jüngere Geschichte kultureller Konfliktbegleitung und wird dabei so umfassend fündig, dass er weit mehr als den Soundtrack unserer kriegerischen Gegenwart liefert. Bettges verknüpft die Bilderflut des medialen Zeitalters so geschickt und schlüssig zur Sinfonie renitenter Ästhetik, dass deutlicher wird, warum die Ära der Protestsongs erst nach dem furchtbarsten aller Kriege begann. Startschuss 1945.

Schon ein Jahr später begann nach den Völkerschlachten vorangehender Epochen das Zeitalter der Stellvertreterkriege. Seit Frankreich in Indochina unterm Vorwand kommunistischer Gefahrenabwehr sein Kolonialreich verteidigte, was die USA 1950 in Korea fortsetzten, wurde die Existenzfrage somit räumlich abgeschoben. Statt vor der eigenen Haustür floss das Blut nun ferner der Heimat. Erst diese Distanz, so Bettges, ließ aus der Sicherheit körperlicher Unversehrtheit heraus jenen Widerstand gegen das gottgewollte Recht auf Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln florieren, den die Hörweite detonierender Granaten zuvor unterdrückt hatte.

Weil die nukleare Weltvernichtungsgefahr jener Tage zugleich das Rock’n’Roll-Credo vom hedonistischen „live fast, die young“ befeuerte, blieb Emanzipation aber nie auf den Bellizismus der Elterngenerationen beschränkt. Ungehorsam, Drogenrausch, langes Haar, Love-Parade: Zwischen Angst und Spaß befreiten sich die Unterdrückten überkommener Konventionen nach und nach von allen Fesseln der Altvorderen – die darauf verlässlich mit Repression reagierten. Um diese Eskalationsspirale zu illustrieren, hat Christian Bettges nicht nur plakatives Archivmaterial gefunden, sondern allerlei redselige Zeitzeugen: Maler, Rapper, Modemacher, Alt-68er, Ken Follett, Bettina Wegner, wer auch immer dabei war. Oder ist. Wie besagter Clueso.

Zum Glück macht der Regisseur daraus im Gegensatz zu seiner preisgekrönten ARD-Reihe Pop 2000 nicht nur eine unterhaltsame Nummernrevue zeitgenössischer Kreativität; Peace’n’Pop ist ein Lehrstück über Macht und Ohnmacht des Ungehorsams. Vor 16 Jahren, erklärt Bettges die Entwicklung, habe noch „großes Abgrenzungsbedürfnis zum Protestsong in Wollsocken“ bestanden. Seit 9/11 definieren sich junge Künstler wie Anfang der Achtziger wieder explizit politisch. Von diesem Wandel handelt der zweite Teil von 1979 bis heute.

Dummerweise will Bettges auch darin zu viel und zu wenig zugleich. Er schlägt den ganz großen Bogen der Protestkultur, springt von Vietnam über Techno zum War on Terror, blickt auf Zombiefilme, Punkrock, Mainstream und Off-Art, begleitet Ostermärsche, Sitzblockaden, Attac-Demos, spart abgesehen vom kurzen Schwenk auf Ballerspiele die Gegenseite der popkulturellen Politisierung zum Guten jedoch aus.

Dabei hat auch die ihre Lieder, Kunst und Kreationen. Horst Wessel, Kid Rock, Böhse Onkelz, Rednecks, Rechtsrocker und nicht zu vergessen all die Promis medial vermittelter Konflikte, deren Frontbesuch den Kampfesmut stärken sollte und soll: Marlene Dietrich, Marilyn Monroe, Chuck Norris, Jessica Simpson, zuletzt gar der deutsche Techno-Star Paul Kalkbrenner auf Stippvisite bei der Bundeswehr in Kunduz. Das ist keineswegs verwerflich, aber gewiss kein Pop zum Peace. Vielleicht ganz gut, ihn hier nicht zu hören. Ein Friedenslied von Lennon klingt allemal schöner.


One Comment on “Peace’n’Pop: Frieden & Katastrophen”

  1. […] „(…) weil wahrer, ganzheitlicher, nicht nur militärischer, auch sozialer Frieden höch… […]


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