Tupac 2Pac Shakur, 42

Ein Comic-Leben

Sonntag wäre Tupac Shakur, Künstlerkürzel 2Pac, 42 Jahre alt geworden. Wäre. Hätte der Gangsta-Rapper seine aggressiven Texte nicht auch real gelebt. Ein leich akutalisiertes Porträt, das seinerzeit in der FR erschienen ist, fast 20 Jahre nach 2Pacs Tod und sieben nach einem bemerkensewerten Comic über sein Leben

Von Jan Freitag

Im HipHop, so hört man oft, ist alles Inszenierung: Die Gewalt, das Potenzgehabe, aller Ghetto-Ethos, ja selbst der Tod. „My only fear oft Death is coming back reincarnated“, steht auf dem Arm von Tupac Shakur: Sterben ist soweit okay, sofern er nur endgültig ist. So lautet also auch die Attitüde des Gangsta-Rappers. Und von denen war 2Pac schließlich der größte. Annähernd zwei Jahrzehnte ist es her, dass die muskelbepackte Ikone des delinquenten, brutalen, aufsässigen, dabei jedoch zutiefst lyrischen, anteilnehmenden und empathibegabten Sprechgesangs auf offener Straße erschossen wurde. Wie es dazu kam, das erzählt neben all den Platten, Gedichtsammlungen und Texten vom gefallenen Poeten, den Fotobänden, Biografien, Theorien und Filmen über ihn auch ein Comic. Ausgerechnet, selbstverständlich.

Der Mann mit PR-tauglichem Künstlerkürzeln war ja schon zu Leben dem Jenseits so nahe wie dem Diesseits, getrieben von todesverachtender Ruhmsucht. Sie wurde in jeder Hinsicht befriedigt, sie machte ihn zum Erfolgreichsten seiner Branche, zum millionenschweren Vorzeige-Outcast. Und das war er nicht wegen seiner Musik; die war allenfalls guter Durchschnitt, kaum provozierender jedenfalls als das Werk seiner Kollegen; er war es, weil wohl nie zuvor jemand derart gezielt im Rampenlicht auf seine postmortale Karriere hingearbeitet hat. „Live fast, die young“ – 2Pac hat die alte Parole des späten Rock’n’Roll mit nur 25 Jahren vollendet. Und das nicht bloß, indem er wie ihre Erfinder The Who gelegentlich beim Auftritt das Schlagzeug zerlegt, sondern alles: Menschen, Konventionen, Moral Gesetze, geschriebene wie ungeschriebene, vor allem aber: sich selbst. „Keinen Platz in der zivilisierten Gesellschaft?“, kommentierte er seinerzeit den entsprechenden Vorwurf von George Bushs Vizepräsidenten Dan Quayle, „dann scheiß ich auf die zivilisierte Gesellschaft“. Bis zum Exodus.

Denn 2Pacs Werdegang war ein Mix aus Attitüde und Überzeichnung, aus echter Wut und ihrem marktgerechtem Ausleben, aus Brooklyn, dem Ort seiner Geburt, und Las Vegas, wo er aus einem fahrenden Auto heraus erschossen wurde. So gesehen taugt natürlich kein Medium besser zur Darstellung seines Werdegangs als ein Comic. Zu seinem 42. Geburtstag sei also nochmals an Death Rap erinnert, wie ihn der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf zum 10. Todestag leicht pathetisch betitelt. Mit penibler Strichführung, sehr kontextbewusst und bewusst brutal, wie es die Szene von Southeast-LA bis Aggro-Berlin gern konstruiert. Ein Leben in Bildern, waffenstarrend, blutig, aggressiv. Männergewalt, Frauenerniedrigung, Weißenhass, harte Jungs, böse Cops und der videoerprobte Code vom afroamerikanischen Bling Bling, jener teils grotesken Zurschaustellung von Muskeln, Geld und dicken Autos als Insignien des besiegten Ghettos – Death Rap ist wie ein Glossar aller Klischees aus einem Vierteljahrhundert HipHopHistory. Die Polizisten sind stiernackig, ihre Opfer körperbetont, Frauen bloß Sexobjekte (oder Mutter), geweint wird nie, aufgegeben nur im Kugelhagel.

Doch schon im Vorwort zerlegt der Popkultur-Kritiker Nick Hasted das dichtmaschige Fangnetz aus Absonderung, Fluchtwegsuche und Sackgassen in seine historischen Elemente und fügt sie zur Gegenwartskultur der USA zusammen. Michael Jackson, O.J. Simpson oder ein Mike Tysen seien nun mal die wahren Helden afroamerikanischen Selbstwertgefühls, schreibt Hasted, nicht die wenigen, die dem immerwährenden Abstieg ohne Basketball oder Schnellfeuergewehr in der Hand entkommen sind und schon gar nicht der ehrliche Angestellte mit Häuschen in Suburbia. Aus jeder Liedzeile über Tits’n’Guns’n’Ghettolife, über willige Bitches, phallische Pistolen und beherrschte Häuserblocks, auf HipHop-Covers oft gekennzeichnet durch das verlockende Parental Advisory: Explicit Lyrics, quillt Gesellschaftskritik, die nicht sonderlich an Argumente glaubt. Das mag der europäischen Mittelschicht so übertrieben vorkommen wie die Videos selbst, aber Death Rap zeigt das in einer kontrastierten Farbigkeit, die wohl nur diesem Medium derart plakativ zur Verfügung steht.

Dabei hält sich das Autorentrio von Death Rap nur als Applikation mit Klischees auf. Den groben Rahmen bilden Rassentrennung, Repression, Ausschluss. Zu Tode kommen bei ihnen nicht nur ein prominenter Gangsta-Rapper, sondern auch der Nation of Islam-Führer Malxom X, ein unbeteiligter schwarzer Jugendlicher oder der drogensüchtige Schmusesänger Marvin Gaye. Die Täter – Schwarze, Weiße, Väter, Verschwörer, Unbekannte – werden symbolisiert durch den erzählenden Raben Jim Crow, Synonym für gesetzlich zementierte Rassentrennung made in USA. Doch Flameboy, Barnaby Legg und Jim McCarthy, die für Schwarzkopf auch Kurt Cobains und Eminems Leben nachgezeichnet haben, deuten Segregation ebenso als Geschäftsmodell. Für und wider die (weiße) Kundschaft, für und wider das (weiße) Establishment, für und wider den (schwarzen) Bruderfeind. „Zwischen der 27. und Vermont gibt es keine zivilisierte Gesellschaft“, fügt 2Pac seiner Replik auf den Republikaner Quayle hinzu. Er steht dabei vorm Graffito einer erleuchteten Madonna. „Behaltet eure zivilisierte Gesellschaft bei euch im Haus für weiße Jungs und verpisst euch aus unserem Hood.“

Integration, so lautet die Botschaft drei Jahre vor dem ersten schwarzen Präsidenten, ist gescheitert, die gegenseitige Skepsis zu groß, alle Gräben zu tief. Auch untereinander, vor allem da: Death Rap erzählt primär vom HipHop-Krieg zwischen West- und Ostküste. Schuld an den Fronten ist die bekannte Reaktionskette von ghettoisierter Chancenlosigkeit über Knasterfahrung bis hin zum Mangel an unbescholtenen Vorbildern. Und sie mündet in der Überbetonung schwarzer Popkultur. „Wer nichts hat“, schreibt Jennifer McLunie in ihrem brillanten Essay HipHop Betrays Black Woman, „hat ja immer noch seinen Körper“. Und der wird gestählt, befriedigt, geplündert, präsentiert, beschossen, tätowiert, bis jeder Inhalt dahinter verschwimmt.

Auch 2Pac war so gesehen vor allem Projektionsfläche, seine Haut bedruckt wie eine Litfasssäule, eine Hülle ganz im Sinne des Public Enemy-Sängers Chuck D, Rap sei das CNN der Schwarzen. Auf Tupacs Sixpack prangt folglich Thug Life, übersetzbar mit Gangsterleben und Akronym für The Hate U Give Little Infants, Fuck Everybody. Darüber die Black Unity-Parole 50 Niggaz, mit Schnellfeuergewehr, versteht sich. Und neben Dutzenden anderer Tätowierungen der Panterkopf am Oberarm als Referenz an seine Mutter, der Black Panther-Aktivistin Afeni Shakur, die ihn erst intellektuell stählte, dann politisch und später mit in den Cracksumpf zog. Bereits auf dem Cover von Death Rap steht die Fleischbeschau im Mittelpunkt: Ein Leib mit ausgestrecktem Mittelfinger und Knarre in der tief sitzenden Hose, im Rücken Gefängnisgitter. Es ist eine selbstreferenzielle Show aus Macht und Muskeln, aus denen 2Pac Seite für Seite mehr blutet, bis der Leib drum herum in einem finalen Drive-by-Shooting stirbt. Ein Schicksal, das das Genre seit den Tagen der ersten authentischen Gangster-Rapper von NWA bis Run DMC kommerziell befeuert, seit das weiße Establishment, so geht die passende Verschwörungstheorie, zu Beginn der Neunzigerjahre Drogen in die schwarzen Viertel geschleust hat.

So werden sie alle zu Opfern: 2Pacs Rivale Notorious B.I.G., Jam Master J von Run DMC, Ol’Dirty Bastard aus dem berüchtigten Wu Tang Clan oder drei Fünftel der Crossover-Rapper Bodycount – abgeknallt, verelendet, ausgebrannt, aber weiter höchst erfolgreich. „Indem sie sich früh verabschieden“, schreibt Penny Stallings in ihrer Prominenzbetrachtung Flesh and Fantasy, „ersparen uns die Stars die Peinlichkeit, mit ansehen zu müssen, wie sie in Vergessenheit geraten“. Der Rock’n’Roll-Tod des Clubs der 27-Jährigen deutet die Kulturwissenschaftlerin so geradezu als Gefallen am Publikum. Zumindest macht er ein bisschen unsterblicher. Vom toten 2Pac wurden doppelt so viele Platten herausgebracht wie vom lebenden, digital aufbereitet verkaufen sie sich bis heute prächtig. Der postmortale Kult um ihren Sohn nahm solche Ausmaße an, dass seine Mutter die Verwertungskette mit allen Mitteln zu stoppen versucht. Auch, weil zunehmend Zweifel an deren Echtheit aufkommen. Das Online-Magazin zyn.de hält die Wahrscheinlichkeit, Tupac Shakur habe derart große Teile seines Lebenswerkes nicht veröffentlicht, für ähnlich groß, wie „auf dem Mond intelligentes Leben zu finden“.

Ebenso undenkbar ist, dass eine der unzähligen Biografien über 2Pac besser an seine Existenz heranreichen könnte als Death Rap. Das Dasein des Ghetto-Elvis, wie ihn der Kulturwissenschaftler Michael Dyson nennt, war eben ein echtes Comic-Leben.

2Pac Shakur – Death Rap. Sein Leben als Comic – Schwarzkopf & Schwarzkopf, 96 Seiten, 19,90 Euro

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One Comment on “Tupac 2Pac Shakur, 42”

  1. Wɦat’s up i am kavin, its my first time
    to commenting anyplace, when i read this paragrɑph i thought i could alѕο create comment due to tɦis brilliant article.


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