Posted: June 6, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 3 mittwochsporträt |
Im Baedeker-Rausch
Mit Lust auf Deutschland beweist die ARD seit Dienstag (16.10 Uhr) täglich, in welch kritiklosen Jubelpatriotismus der öffentlich-rechtliche Auftrag bisweilen mündet. Statt Regionalität zu fördern, liefern besonders die Dritten oft bloß bräsige Heimattümelei.
Von Jan Freitag
Fernsehen wirkt manchmal wie Bierwerbung. „Deutschland ist schön“, schwelgte zum Beispiel mal eine aus dem schönen Erding, „seine Landschaften sind typisch, die Bauwerke weltberühmt“. So ähnlich klingt es oft, wenn das Öffentlich-Rechtliche in seinen ersten drei Programmen die Tage bis zur Nacht füllt. So ähnlich klingt es auch, wenn die ARD ab heute den Standort im Ganzen zum Dokutainment-Schauplatz macht. Lust auf Deutschland heißt das neue Stück biederer Blut- und Bodenkunde zu Kaffeezeit. Sechs Wochen lang lässt es je „fünf bekennende Nord- und Südlichter“ täglich „Vielfalt und Bandbreite, die unser Heimatland bietet“ entdecken.
Darauf zwei, drei Weißbier.
Denn wie im Rausch werden die Flachländer André, Jasmina, Jürgen, Frank und Diana wie ihre Gebirgsrivalen Peter, Konny, Gege, Hans und Daniela auf einer Rallye zwischen Glücksburg und Bodensee, Eifel und Eisenhüttenstadt geschickt. Zu erleben gibt es für sie nix als tolle Geschichten toller Menschen toller Gegenden. In dreiviertelstündigen Einzeletappen gilt es für beide Teams nämlich nur, richtig Weißwurst oder Austern zu essen, Kölsch zu sprechen oder Sächsisch, bergzusteigen oder wattzuwandern. Das Ziel ist, Klischees und Vorurteile jeder Art so zu verinnerlichen, um diverse Quizfragen über Land und Leute beantworten zu können.
Es geht also ausschließlich um die schönen Seiten der erstaunlich makellosen Werbespotrepublik Deutschland. Rassismus dagegen, Armut, Verfall, Schuldenfallen, Ungerechtigkeit oder auch nur lange Gesichter werden dem Publikum garantiert nirgends zugemutet, bis sich die zwei Reisegruppen ausgerechnet an der national bedeutsamen Wartburg zum Finale treffen. Immerhin ist das Format aus Sicht von Birgitta Kaßeckert, Redakteurin beim verantwortlichen BR, „ein Stück Heimatkunde zum Wohlfühlen“. Und weil das generell ein Strukturprinzip gebührenfinanzierter Unterhaltung ist, gewinnt man oft den Eindruck, ARZDF seien bisweilen von Fremdenverkehrsämtern gestaltet.
Dafür reicht ein Blick aufs kommende Wochenende: Nach der zünftigen Morgenshow Immer wieder sonntags im Zweiten, kriegen vor allem die Zuschauer der Dritten eine Art freundliche Wurzelbehandlung: Im NDR feiert Mein schöner Land TV den Norden und beim RBB der Musikantendampfer den Osten, das BR-Magazin Bergauf-Bergab besingt den Süden und Das große Hessenquiz die betroffene Region. Und während der MDR quasi 24 Stunden vom 14. Thüringentag schwärmt, verlässt der WDR in seiner Reihe Wunderschön! nur ausnahmsweise mal die Landesgrenzen. Ansonsten wird dort zwischen Rhein und Ruhr allem stets vorbehaltlos gehuldigt.
Bei so viel Lokalpatriotismus im modernisierten Sound der Fünfziger fragt sich allerdings, ob das noch Bundesvaterlandsliebe ist oder schon Kleinstaatsnationalismus. Bayerns Rundfunk, 1964 als erstes Drittes auf Sendung, prügelt seine Doktrin schließlich schon mal live von der Großdemo gegen das Kruzifix-Verbot unters Publikum und der Mitteldeutsche Rundfunk hat sich bekanntlich schon vor Jahren vom seriösen Fernsehen jenseits biederer Trachten- und Ostalgieshows verabschiedet. Dabei hat das Loblied auf die eigene Scholle in Zeiten globaler Entwurzelung durchaus gute Gründe. Die Dritten, sagte Patricia Schlesinger vor einiger Zeit zu einem ähnlichen Thema, sollen Bewohnern „Heimat im positiven Sinne“ bieten. „Lokal fühlen, global denken“, lautet das Credo der NDR-Kulturchefin. Und Anja Görzel vom SWR hielt im selben Zusammenhang den Bezug zum Sendegebiet gar für ein „Alleinstellungsmerkmal“, Heimat und Lokalpatriotismus inklusive. Zumindest, sofern man den „Spannungsbogen zwischen Hightech, Moderne und Tradition schlägt“.
Allzu oft aber bleibt von Stoibers berühmter Dualität aus Laptop und Lederhose nur das traditionelle Beinkleid übrig. Und das, obwohl selbst Landesrundfunkgesetz von den Sendeanstalten allenfalls fordern, die Aspekte Bildung, Unterhaltung, Nachrichten zu liefern. Von Regionalität ist da nie die Rede, von kritikloser schon gar nicht. Im Gegenteil: Als die Dritten Programme gegründet wurden, sollten sie kulturelle Nischen besetzen, die von den Hauptsendern zum Wohle der Massenbefriedigung nicht mehr gefüllt werden konnten.
Umso mehr stellt sich nun die Frage, ob regional verankertes TV wirklich zwingend an Baedeker-Kataloge aus der konfliktscheuen Nachkriegszeit erinnern muss. Ausgabe „Garmisch-Partenkirchen“ zum Beispiel. „Ob Sommer oder Winter“, deliriert der Sprecher zu Beginn von Lust auf Deutschland aus dem Off – „die Bergwelt rund um die Zugspitze ist zu jeder Jahreszeit eine Reise Wert.“ Dass dies bis vor 68 Jahren für Juden, Linke, Homosexuelle und ähnlich ungarmisch-partenkirchenerische Menschen irgendwie nur eingeschränkt galt, womit die Garmisch-Partenkirchener heute nicht so gern behelligt werden, muss man den Zuschauern am Nachmittag ja nicht auch noch erzählen. Da ist Deutschland eben einfach schön.
Posted: June 5, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |
Für Mist bin ich zu alt
Foto: Jim Rakete/photoselection
Seit Jahrzehnten liefert der Schauspieler Christian Redl stille Charakterrollen für Film und Fernsehen, meistens in tragenden Nebenrollen. Als melodramatischer Ermittler einer gefeierten Krimireihe tief im Osten der Republik brilliert der 65-jährige Schleswig-Holsteiner auch mal in einer Hauptrole. Interview mit einem unbekannten Star über seinen Kommissar in Der Tote im Spreewald (z.B. Montag, 20.15 Uhr, ZDF), deutsche Mythen, das quotensüchtige Fernsehen und die Angst vorm Verfall. Interview mit einem unbekannten Star.
freitagsmedien: Herr Redl, in Der Tote im Spreewald heißt es an einer Stelle, „Heimat kann man sich nicht wie Dreck von den Füßen wischen“. Ist das nur Zitat oder auch Appell?
Christian Redl: Beides. Man darf das nicht zu sehr aufladen, aber dieser Heimatbegriff ist ein sehr gestriger mit sehr heutigen Komponenten. Ich denke, man muss seine Heimat erst einmal in Gefahr sehen, um ein Verlustgefühl, ein Erhaltungsbedürfnis, ein Interesse daran zu entwickeln.
Spüren Sie das auch privat?
Überhaupt nicht. Meine Heimat ist meine Hosentasche. Mir ist es Wurscht, wo ich bin, so lange ich da gerne bin. Heimat ist für mich da, wo ich mich gerade aufhalte.
Die Masse verbindet weit mehr damit.
Ja, es kommt aber drauf an, in welchem politischen Lager man steht. Heimatgefühle an sich sind durchaus natürlich. Wenn sie aber zur nationalistischen Kategorie ausgestaltet werden, zum übergeordneten Zugehörigkeitsbegriff, hab ich damit meine Probleme.
Je größer das Entwurzelungsgefühl, desto größer die Sehnsucht nach Heimat.
Wo Grenzen verschwimmen, Konzerne multinational sind, Menschen den Wohnort wechseln wie ihre Hemden, wo alles haltlos wird, gewinnt der Heimatbegriff ein Stück seiner Wärme zurück. Insofern ist dieser Film zeitgemäß, weil er Menschen zeigt, die handeln, leben, fühlen wie in den Fuffzigern. Darin schwingt ohne Frage eine Sehnsucht nach Überschaubarkeit vergangener Zeiten: zurück zur Natur, zurück zu alten Werten. Nicht ohne Grund ist der Hauptdarsteller dieses Films eigentlich…
Der Wald.
… ganz genau. Er ist Stimmungsspeicher und -lieferant. Erst sind die Bäume da, dann Konflikte.
Fast ein Wagner’sches Element.
Absolut. Wie und womit ist denn unser Wald besetzt? Welche Kraft legt man ihm zugrunde? Welche Mythen, Ängste, Bilder, Albträume, Märchen verbirgt er?
Haben Sie diesen Mystizismus gespürt, als Sie darin gedreht haben.
Das sehe ich wie ein Kameramann: tolle Motive in einer Landschaft, die die Phantasie in alle Richtungen mobilisiert. Wenn man da mit einem technisch hochgerüsteten Filmteam dreht, wird er automatisch entmystifiziert. Das ist wie mit Liebesszenen. Es geht um Inszenierung – den Arm hierhin, die Hand dort hin; das ist alles andere als erotisch. Die Vorstellung, in einer natürlichen Atmosphäre bilde sich eine natürliche Magie, ist purer Romantizismus. Als Anthony Hopkins gefragt wurde, wie er sich auf Hannibal Lector vorbereitet hat, meinte er, es gäbe Kollegen, die das Method Acting so weit trieben, alle Gerüche, Bilder, Emotionen einer Rolle so lange auf sich einwirken zu lassen, bis sie zu etwas Eigenem werden. Er dagegen lerne den Text, gehe zum Set, den Rest überlasse er seiner Phantasie. Das verstehe ich unter schauspielerischer Professionalität.
Kann man dafür veranlagt sein?
Man muss lernen, sich von nichts und niemand irritieren zu lassen. De Niro spielt den Hamlet in einer vollbesetzten U-Bahn, das macht den Superstar aus, nicht seine Gage, nicht die Einspielergebnisse. Es geht um die Fähigkeit, sich selbst im hysterischen Umfeld, konzentrieren zu können. Begabung, sagt Ulrich Tukur, nützt gar nichts, wenn du sie nicht im Griff hast.
Haben Sie sie im Griff?
Mal so, mal so. Ich muss hart arbeiten, um sie zur Wirkung kommen zu lassen.
Was ist mit der Herzog-Kinski-Konstellation zweier Berserker, die aufeinander einprügeln, um spielen zu können?
So funktionieren die wenigsten Charaktere. Wobei der wirklich Irre keineswegs Kinski war, sondern Herzog mit seiner introvertierten Kälte. Er meinte ja ganz ruhig, wenn du das nicht so spielst, schieß ich dich übern Haufen. Gegen den Moment der Wahrhaftigkeit wirkten Kinskis Wutausbrüche wie lächerliches Theater. Diese reale Gefahr im Wahnsinn hat die beiden Antipoden zusammengehalten.
Ihr Spiel ist da anders: reduziert, leise, bedächtig.
Das kommt auf die Rollen an, aber ich persönlich bin eher zurückhaltend – im Leben, wie im Spielen. Ich mag Lino Ventura oder Jean Gabin, die große Stillen des Autorenkinos. Die regeln alles mit ihrer Persönlichkeit, ohne sich mit Attitüden aufzuladen. Sie stellen sich einer Rolle mit ihren Gesten, ihren Stimmen, ihrem Selbst zur Verfügung. Das versuche ich auch, was natürlich manchmal zu Lasten der Wandelbarkeit geht. Die ist nicht jedem gegeben.
Ihnen etwa auch nicht?
Doch, doch, im Theater durchaus. Aber im Fernsehen… Dass ich auch sehr komisch sein kann, kann sich beim Fernsehen offenbar niemand vorstellen. So besetzt man mich einfach nicht. Meine Visage und meine Ausstrahlung signalisieren offenbar das Bild eines Mannes mit krimineller Energie. Nach Vielseitigkeit wird nicht gefragt. Diese eindeutige Physiognomie ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits verdiene ich damit mein Geld, andererseits finde ich mich in einer sehr ernsten, engen Kategorie wieder. Zum Glück hat sich das im Laufe der letzten Jahre verändert; den Bösewicht spiele ich nur noch ab und an.
Und dann in totaler Zurückhaltung.
Darüber hat Michael Caine ein schönes Buch geschrieben: Weniger ist mehr. Das Entscheidende im Film sei, nicht zu überzeichnen, sondern ein wenig zu untertreiben in Ausdruck und Gestaltung, sehr ökonomisch, sehr dosiert.
Der Trend geht allerdings zum mehr ist mehr.
Dabei hat Fernsehen doch diesen Riesenvorteil, dass ein einziger Blick eine ganze Geschichte erzählen kann, ein Blick, den man im Theater ab Reihe 5 nicht mehr sieht. Doch das minimalistische Fernsehen hat sich teilweise den Maximalismus der Bühne angeeignet. Paradox!
Meinen Sie, es kommt noch mal eine Phase bedächtigen, doch ausdrucksstarken Fernsehens zurück wie Berlin Alexanderplatz, Kir Royal, die Dietl-Schule?
Die 80er? Schwer zu sagen. Wir leben in einer Zeit ausgeprägter Konzentrationsunfähigkeit, einer Zeit der Reizüberflutung, in der sich die Menschen millionenfach totlachen, wenn Mario Barth Witze macht. Da kommt mir alles hoch. Da lachen sogar jene, über die auf Stammtisch-Niveau hergezogen wird: Frauen, oft ganz hysterisch. Ziemlich armselig und erbärmlich finde ich das.
Trotzdem neidisch über 70.000 Live-Zuschauer?
Überhaupt nicht, nicht mal aufs Geld. Aber wenn man so will, ist Der Tote im Spreewald da die Konterrevolution, eine kleine, bewusste Antwort auf die grelle, laute Oberflächlichkeit. Und ein Gegenentwurf zu Filmen ohne Überraschungsmomente, mit Dreiecksbeziehungen, die sich zwanghaft duplizieren, so genannten Events wie Luftbrücke oder Sturmflut, mit vorhersehbarer Dramaturgie, die sich den Werbepausen unterordnet. Die Sender befinden sich heute in einem gnadenlosen Wettbewerb, selbst ARD und ZDF nehmen ohne Not neue Ansätze wie Kommissar Süden nach zwei Folgen aus dem Programm oder versenden sie im Nirgendwo. Alles wegen der Quote!
Umso erstaunlicher, dass die bei Geheimnis im Moor gestimmt hat.
Und das, obwohl kein Quotenschauspieler dabei war.
Ist Quote für jene, die sie nicht durch bloße Anwesenheit generieren, ein Schimpfwort?
Nein, aber wenn ein Regisseur dich will, kommt nicht selten der Produzent oder Redakteur und sagt unabhängig aller fachlichen Eignung für die Rolle, er sei mangels Quotenerwartung ungeeignet. Kein Wunder, dass mir nach Tod in der Eifel zur Quote gratuliert wurde, nicht zur Leistung. Das ist wie aufm Viehmarkt; man wird zwangsverpflichtet, sich mit diesen Erwartungen auseinanderzusetzen und ich merke bereits, wie dieses Gift durch meine eigenen Adern fließt. Also Schluss jetzt mit dem Quotenthema.
Sie haben angefangen.
Stimmt, weil alle so fassungslos waren, dass etwas Zurückgenommenes, Leises, Intimes wie Geheimnis im Moor noch Quote bringt. Nur: was machen denn die 5000 Quotenhaushalte, wenn der Fernseher läuft – Zuschauen, Suppekochen, Angelngehen? Das ist alles so ungenau.
Hinzu kommt die Heisenbergsche Unschärferelation, dass die Probanden genau wissen, beim Fernsehen beobachtet zu werden.
Was zweifelsohne zu gezieltem Sehverhalten führt, aber eigentlich will das niemand so genau wissen. Keiner will das Goldene Kalb eingehend untersuchen, geschweige denn schlachten. Der Quoten-Wahn kreiert Existenzen ebenso, wie er sie vernichtet. Wer oben, wer unten steht, entscheidet ein virtueller Wert ohne empirischen Nutzen.
Wie kam es abseits der Quotenfrage zu einem so sperrigen Thema wie einem Krimi mit Minderheiten-Problematik im polnischen Grenzgebiet?
Wahrscheinlich, weil dieser merkwürdige, unheimliche, abgelegene Spreewald so völlig unverbraucht war, ohne komplett unvertraut zu wirken. Dennoch verwendet der Film diese Gegend samt ihrer Minderheit in erster Linie als Folie. Als Schauspieler ist man eigentlich dauernd auf der Suche nach einer Metaebene, auch wenn man selten fündig wird.
Nach einem soziokulturellen Bezug?
Genau. Minderheitenproblematiken in bedrohter Umwelt haben fraglos einen aktuellen Impetus. Aber als Schauspieler bin ich nur Arbeitnehmer, abhängig von Arbeitsbedingungen und dem Drehbuch. Da kann ich dann nur hoffen, dass ein bisschen mehr Sinn und Substanz in einem Landschaftsfilm wie diesem steckt, als in dem Steilküstenkitsch der Marke Pilcher. Die Konflikte der Protagonisten rühren aus der Konfrontation zwischen Tradition und Moderne.
Fürchten Sie im Erfolgsfall zum Fernsehkommissar ohne Rückfahrkarte zu werden.
Im Gegenteil: durch die Krise hat sich auch unsere Arbeitssituation verschlechtert. Die Angebotslage ist für immer mehr Schauspieler äußerst dünn, obwohl es sich langsam bessert. Das zeigt sich bei den Gagen, die inzwischen so gewaltig runtergehen, dass man beim Casting lange vorm ersten inhaltlichen Gespräch zu hören kriegt, wie wenig Geld man zu erwarten hat. Andererseits sinkt die Zahl guter Rollen. Viele Projekte werden aus purem Kostendenken zurückgehalten. Das spüre ich ganz persönlich. Insofern würde ich mich über einen dritten Spreewald-Teil freuen.
Sie waren aber nie ein Vieldreher.
Meine Auswahl orientiert sich weniger an monetären Erwägungen als an der Lebenszeit, die ich mit einer Arbeit verbringe. Wenn ich mich entschließe, mitzuspielen, sollte das Projekt im weitesten Sinne mit Qualität zu tun haben. Für Mist bin ich zu alt.
Wenn auch nicht für RTL-Blockbuster wie Schatzinsel oder Vulkan. Wo ist die Schmerzgrenze?
Wenn sich Charaktere nur aus Plattitüden zusammensetzen. Aber glücklicherweise fragt mich ja auch keiner danach, Pilcher oder irgendwelche seichten Serien zu spielen. So entgehe ich der Gefahr, über meinen Schatten springen zu müssen und doch mal etwas zu drehen, was ich mir lieber verkneifen würde.
Gerade im Alter, wo man nicht mehr so oft gebucht wird.
Ich denke, dass man mich noch eine ganze Weile gebrauchen kann. Auf mich sollte man nicht verzichten. Außerdem hätte ich mir vor 20 Jahren nicht träumen lassen, dass ich mich mit über 60 noch so wohl fühle.
Fürchten Sie sich dennoch vorm Verfall?
Schon, aber er ist ja vorhersehbar und meine Haare sind mir schon mit 19 ausgegangen. Der Kreis schließt sich und irgendwann ist es vorbei. Ich versuche schlicht und einfach, bereit zu sein. Das beugt Hysterie vor. Altern ist eine Frage der gedanklichen und physischen Vorsorge, um von dem unvermeidlichen Ende nicht allzu sehr überrascht zu werden.
Ist man am Ende allein oder gibt es Freundschaften in der Branche?
Ja, wenn man sich der Spielregeln bewusst ist. Aber unter Schauspielern gibt es keine wirkliche Solidarität. Letztlich ist sich jeder selbst der Nächste.
War das mal anders?
Ich habe in den Siebzigern an Mitbestimmungsexperimenten mitgewirkt. Es war der Versuch am Theater in Frankfurt, autoritäre Strukturen zu beseitigen. Drei Direktoren, Beirat, Vollversammlungen – morgens Probe, mittags Sitzung, abends Auftritt, nachts debattieren und trinken. Da wurde alles öffentlich ausgehandelt, selbst Besetzungen. Man musste sich vor versammelter Mannschaft anhören, für den Woyzcek womöglich doch zu wenig Ausstrahlung zu haben. Auch Einflussnahme kann schmerzhaft sein. Das zeigten sich rasch die Grenzen der Mitbestimmung in der Kunst. Wie sagte Werner Herzog: Jeder für sich und Gott gegen alle.
Interview: Jan Freitag
Das Interview ist Ende 2009 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/2.1756/christian-redl-im-gespraech-fuer-mist-bin-ich-zu-alt-1606065.html
Posted: June 4, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 2 dienstagsmarthe |
Im Fernsehen gibt’s genau drei Sorten Wohnraum: billige Absteigen, geerbte Villen und Designerlofts. In letzteren wohnen sogar Putzfrauen und Polizisten. Merkwürdig
Heino Ferch spielt gern Filmpolizisten. Gut, er spielt sie nicht wirklich, sondern liefert bloß seine stoische Einheitsmimik in der Kamera ab. Aber Filmpolizistenarbeit ist ja auch wirklich zu hart für freundliche Blicke. So hart übrigens, dass sich Filmpolizisten wie Ferch nach Feierabend nicht wie reale Polizisten und ähnlich unterbezahlter Arbeitnehmer in Mietwohnungen oder Reihenhäusern entspannen, sondern in elitären Lofts von Stararchitekte wie Koolhaas, Gehry, Libeskind, mindestens. Kubische Prachtbauten sind das in gedeckten Farben mit elektronischem Housekeeping zum gediegenen Mobiliar. Nicht schlecht fürs Gehalt angestellter Ermittler.
Aber auch nachvollziehbar. Denn abgesehen davon, dass Villen jeder Art einfach mehr Platz für dreißigköpfige Drehteams bieten, gibt es noch eine Art Gerechtigkeitsgrund. Während der echte Durchschnittsbulle in seiner Laufbahn nämlich statistisch gesehen vielleicht fünfmal die Waffe zieht, hat der fiktionale Durchschnittsbulle oft schon in der Anfangsszene scharf geschossen. In Anschluss wird er dann regelmäßig suspendiert, entführt oder eingeschleust, dazu beschossen, getroffen und dennoch nie befördert. Im widerfahren also Dinge, die ganze Brennpunktkommissariate nicht mal pro Schicht und Jahr schaffen. So viel Ballast auf einer einzelnen Filmermittlerschulter lässt sich der Fernsehstaat eben was kosten. Designervillen for free zum Beispiel, in Miami gern noch mit Ferrari obendrauf. Erst die Arbeit und dann…
Posted: June 3, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |
Rücksichtnahme
Die Woche, die war: 27.Mai-2.Juni
Die vorige Medienwoche bestätigt mal wieder ein physikalisches Grundgesetz: Energie wird nie verbraucht, sondern nur in andere Zustände verwandelt. Der Nachricht, dass Frederic Meisner auf den Flatscreen zurückkehrt (wenngleich online), folgte nämlich stehenden Fußes die, dass ihn Reinhold Beckmann verlässt (also den zum Fernsehempfang). Während die Exhumierung des Glücksrads soziokulturell eher verzichtbar scheint, stellt das Ende von Beckmanns Talkshow ab 2014 jedoch durchaus einen Verlust dar. So viel im Fernsehen auch geredet wird – donnerstags tut es da ein Gesprächsvirtuose, dem zu Unrecht unterstellt wird, so selbstverliebt wie überflüssig zu sein. Das war er selten. Womit er sich grundlegend von einigen Kollegen unterscheidet.
Andererseits dürfte Beckmanns Abgang die Debatte darum beenden, welcher ARD-Talk denn nun abgeschafft wird. Und damit auch die Gefahr, dass es im beharrlich sexistischen System Stromlinien-TV eine der zwei Frauen trifft. Noch gleichberechtigter hätte es zwar geklungen, wenn Programmchef Volker Herres am Mittwoch nicht verkündet hätte, der Sieger des Intendantencastings im WDR sei „ein Mann, der komplexe und brisante Themen allabendlich kompetent vermitteln kann“, sondern eine Frau. Also Siegerin. Aber das war ohne Kandidatin natürlich kompliziert. So ist es Tom Buhrow, der das größte ARD-Haus fit für die digitale Zukunft machen soll. Eine Aufgabe, so aussichtsarm, dass dem Tagesthemen-Ansager nach Jahren wundersamen Zuwachses am Tag der Verkündung plötzlich das graue Haar büschelweise ausgefallen zu sein schien.
Ebenso wundersam scheint es von dort aus Kai Diekmann ins Gesicht gerieselt zu sein. Mit Hipstervollbart verkündete der Bild-Boss nämlich folgende Kernerkenntnis seines leider doch nicht lebenslangen Praktikums im Silicon Valley : Ab 11. Juni wird sein Blatt im Netz zu 20 Prozent kostenpflichtig sein, langfristig zur Hälfte. Fragt sich, ob man dem Projekt nun Glück oder Pech wünschen soll. Glück, weil es unerlässlich ist, dass die Netzgemeinde journalistisch erstellen Inhalt finanziell zu würdigen lernt. Pech, da Bild.de wie seine gedruckte Mutter nur selten journalistisch erstellten Inhalt liefert, sondern in der Unterhose erdachten Wortmüll. Den hat auch Thomas Thuma abgesondert. Der Ressortleiter Wirtschaft beim seriöseren, aber oft wesensverwandten Spiegel, zeihte die wichtige Initiative ProQuote für mehr Frauen in publizistischen Spitzenpositionen als „Scheinriesinnen bei der Lobbyarbeit in eigener Sache“. Zu blöd, dass er es ausgerechnet in jenem Blatt tat, dass wohl länger auf eine Chefredakteurin warten wird als Germany`s Next Topmodel auf einen Mann mit Siegerinnenkrönchen. Wobei auch dessen Namen wenige Wochen nach dem Gewinn vollends vergessen wäre wie der diesjährige von, na, wie hieß sie noch gleich…
Aussichtsplattform
Die Woche, die wird: 3.-9. Juni
Sarah Judith Mettke vielleicht? Nein, das ist die Regisseurin eines Films, der garantiert keiner Zuschauerin aus Heidi Klums Fleischbeschau auf den Bildschirm gerät. Er heißt Transpapa und zeigt den grandiosen Devid Striesow am Donnerstag als Vater, der spät erkennt, im falschen Geschlecht zu leben. Zu sehen, danke ARD, um 23.15 Uhr. Aber die Primetime ist ja auch vom Quiz der Menschen mit Dr. Hirschhausen verstopft, der es ja auch sonst wirklich schwer hat mit prominenten Sendplätzen. Auf denen läuft übrigens zeitgleich Nur eine Nacht, was exakt so bescheuert ist, wie es klingt. Ein Tanzfilm, mit dem sich das ZDF derart berechenbar an die Pro7-Kernzielgruppe unter 14 ranwanzt, dass man MTV plötzlich wieder für einen Musikkanal halten könnte.
Aber natürlich nicht so dämlich, dass es dem, womit die ARD ab morgen sechs Wochen lang die Nachmittage füllt, auch nur annähernd das Wasser reichen könnte. Lust auf Deutschland heißt allen Ernstes, was im Ersten unter Dokutainment firmiert und fortan je fünf „typische Nord- und Südlichter“ durch die Republik schickt, um im Wettstreit zu zeigen, dass zwischen Ostsee und Alpenrand, Rhein und Oder alles, aber auch wirklich alles toll ist. Armut, Gewalt, Verfall oder auch nur Unfreundlichkeit ist also von den Menschen Dutzender Klischeeorte kaum zu erwarten. Heimatduselei ist schließlich das Strukturprinzip des öffentlich-rechtlichen Nachmittags, vor allem in den Dritten.
Um dem zu entkommen, muss man also umschalten auf die Spartenkanäle mit Anspruch und Niveau. Arte zum Beispiel, wo ab Freitag Parade’s End startet, eine Koproduktion von HBO und BBC, die in Doppelfolgen das derzeit ziemlich angesagte TV-Thema Fin de Siècle und wie es sämtliche Traditionen der damaligen Welt über den Haufen warf aufgreift. Die Blaupause für diesen famosen Sechsteiler läuft übrigens ab Donnerstag zuvor bei ZDFneo: Downton Abbey. In der übersetzten Fassung ist der schleichende Untergang eines britischen Adelsgeschlechts nach dem ziemlich plötzlichen der Titanic zwar weit weniger gehaltvoll als im Original. Aber immerhin wird sie zu einer angenehmen Sendezeit (20.15 Uhr) ausgestrahlt, und das ohne Werbepausen. So wie am Mittwoch zuvor eine der wunderbarsten Filmkomödien überhaupt: Be Kind Rewind auf Arte, wo Jack Black einer kaputten Videothek aus der Patsche hilft, indem er mit seinem Kumpel (Mos Def) versehentich gelöschte Filme nachdreht. Weniger romantisch als verstörend, aber nicht minder sehenswert ist Dienstag zuvor an gleicher Stelle Weißes Blut. Die beeindruckende Doku erzählt, wie deutsche Weltkriegswaisen den Buren in Südafrika helfen sollten, eine arische Elite aufzubauen.
Bei so viel schmerzhaftem Realismus ist ein bisschen Fußball zum runterkommen vielleicht nicht das Schlechteste. Wer nach dem DFB-Pokalfinale vom Fernsehfußball also noch immer nicht die Schnauze voll hat vom Fernsehfußball, kann Mittwochabend das Abschiedsspiel für Michael Ballack bei MDR sehen. Oder doch lieber bei echten Tatsachen bleiben, Mr. Dicks zum Beispiel, unser TV-Tipp der Woche, ein virtueller Provokteur bei Eins-Festival, der Mittwoch um 22.35 Uhr bewusst subjektiv polarisiert. Zunächst mit einem Thema, dass eigentlich keiner Polarisierung bedarf: Waffen.
Posted: June 1, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 6 wochenendreportage |
Der Blockbusterschmied
Er ist Deutschlands erfolgreichster TV-Produzent, ein Feingeist mit Gespür für Massengeschmack: Nico Hofmann. Anlässlich des aktuellen Kinoprojektes seiner Filmfabrik teamWorx 5 Jahre Leben über den Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz, zeigen freitagsmedien heute die aktualisierte Version eines ZEIT-Porträts
Foto: teamWorx
Nico Hofmann? Was sagt man dem erfolgreichsten Fernsehproduzenten Deutschlands nicht alles nach! Ein Blockbuster-Fetischist soll er sein, ein Quoten-Fanatiker, einer, der Sendergeld verbrenne wie kein Zweiter und dabei doch nur meist flaches, gefühliges Fernsehen abliefere. Nico Hofmann ist ein Mann für jeden Kritikpunkt. In jedem Fall aber ist er der Mann mit dem Telefon. Auf der Fensterbank seines Büros in Berlin-Mitte steht eine Fotoreihe. Sie zeigt Nico Hofmann am Handy. Immer und immer wieder. Stets auf Empfang. Stets abrufbereit.
Hofmann ist ein Rastloser, ein Getriebener, und er ist der bekennende, kompromisslose, passionierte Liebhaber eines Typs TV mit möglichst vielen Zuschauern.In seinem Büro herrscht Durcheinander. Die Fernsehpreise stehen gedrängt auf einer Vitrine, den Urkunden an der Wand fehlt jede Chronologie, die Plakatgalerie alter Arbeiten hält dem Tempo der nachfolgenden nicht stand. Überall stapeln sich Papier, DVD-Türme, Krimskrams. Ein Rechner fehlt, ein System sowieso. „Privatleben kenne ich gar nicht“, sagt der junge Mann von 53 Jahren. Für eine Familie sei keine Zeit, für Hobbys schon gar nicht. Ein wenig Yoga am Morgen, etwas Jogging im Anschluss, der Körper wirkt durchtrainiert. Ansonsten lebt Hofmann für den Film.
Vor 14 Jahren hat er mit seiner langjährigen Weggefährtin Ariane Krampe und Ufa-Geschäftsführer Wolf Bauer eine Firma gegründet, die das Fernsehen made in Germany weltmarkttauglich machen sollte. TeamWorx heißt sie, bieder mit Television & Film GmbH untertitelt, entstanden als 76-prozentige Tochter der Ufa, des „einzigen deutschen Major-Studios“, wie das Branchenmagazin Cut schwärmt. Auch dank Hofmann. Es wurde eine Erfolgsgeschichte sondergleichen, und daher ist heute schwer zu glauben, dass an ihrem Anfang eine Medienschelte stand. 1995 zeichnete sein Film Der Sandmann die Sensationsgier im Entertainment der Zeit nach, und Hofmann machte daraus eine bittere Kritik am Fernsehen insgesamt. Doch dann prägte niemand anders als er die Ästhetik massenkompatibler TV-Fiktion. Heute überbrückt keiner den kulturellen Graben zwischen An- und Zuspruch mit mehr Selbstbewusstsein als er. Und kaum einer erntet mehr Publikum, mehr Auszeichnungen, mehr Kritik.
Dabei war Der Sandmann neben einem Ausflug zum Tatort nicht nur sein erstes Ausrufezeichen, sondern auch das letzte – als Regisseur. Weil er, angeblich nach dem Besuch eines zugefrorenen Dixi-Klos am Set, genug von Außendrehs und Studiopräsenz hatte, wechselte Hofmann ins Produzentenfach und landete Quotenhit auf Quotenhit, um im Jahr 2006 mit Dresden einen televisionären Epochenwechsel einzuläuten. Seither ist nichts mehr, wie es war. Zehn Millionen Euro verschlang das Weltkriegsmelodram und hob somit die Herstellungskosten deutschen Fernsehens auf Kinoniveau. Finanziell ist nun Achtstelligkeit das Maß aller Dinge, siebenstellige Zuschauerzahlen gelten dabei schon mal als Havarie. Strukturell ist es die internationale Koproduktion, ohne die Großprojekte der Marke teamWorx nicht zu stemmen sind. Dramaturgisch ist es die Historie – auch das geht auf Nico Hofmann zurück.
Seit zehn Jahren komprimiert er deutsche Zeitgeschichte auf 180 Minuten. „Bildung und Unterhaltung“, lautet sein Credo, „lassen sich nicht trennen“. Der Lehrplan ist gut gefüllt. Zuletzt mit einer neuen Hindenburg-Katastrophe und dem furiosen Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter, auch ein Porträt seiner eigenen Eltern, sagt er, der Nachkriegsgeneration. Dazu Bio-Pics von Grzimek bis Rommel. Der Generalfeldmarschall sei ein „glitschiges Thema“, wie der Initiator selbst befindet.
Hofmann polarisiert heute noch genauso gern wie als rebellischer Schulsprecher in Mannheim, der gegen rassistische Biologielehrer aufbegehrte und nach den Stammheimer Suiziden das ganze Gymnasium zum Streitgespräch auf dem Pausenhof bat. „Es gibt ein gewisses missionarisches Moment in meiner Person“, sagt der frühere Leiter evangelischer Jugendgottesdienste, und vielleicht ist es diese Mixtur aus Verführung, Leistungsdenken und Emphase, die noch heute den Nerv seines Auditoriums trifft – und das im Inland wie im Ausland. Da die Sender maximal die Hälfte der Produktionskosten zuschießen, sind Vorabverkäufe heute integraler Bestandteil opulenter TV-Events. Seit sein erster großer Publikumserfolg Der Tunnel in 71 Staaten lief, gehen viele Bestellungen auf Skriptbasis ein. Im Gegenzug besetzt Hofmann seine Großprojekte regelmäßig mit Stars großer Zielmärkte – das fördert den Verkauf bis nach Ostasien und Südamerika.
Was noch wächst, ist die prestigeträchtige Anerkennung im angelsächsischen Raum. Für sein Drama um das torpedierte Kriesgsschiff Laconia gewann er immerhin die BBC als Koproduzentin. Sogar im US-Fernsehen könnte Hofmann Erfolg haben, sagte Hofmanns Freund und Förderer Bernd Eichinger kurz vor seinem Tod. Er sei „besser als andere, weil Nico sein Publikum nicht unterschätzt“. Wenn er nun noch amerikanische Darsteller einsetze und die Sprachbarriere knacke, so Eichinger, sei der Weg frei. Zeitgeschichtsdramen à la Laconia entstehen bereits auf Englisch. Megaproduktionen mit Megathemen: Mogadischu und ein Vulkanausbruch in der Eifel, Helmut Kohl und Rudi Dutschke. Dazu Science-Fiction, Klinikserien, Romantik, Krimis – die Ufa, der Hofmann 2002 seine teamWorx-Anteile abgetreten hat, lässt ihrem Erfolgsmann alle Freiheiten, und die nutzt er weidlich, auf allen Kanälen, öffentlich-rechtlich oder kommerziell, wahllos wie kein Produzent zuvor. Und obgleich er betont, ZDF oder RTL unterscheidbare Looks zu verpassen, macht sein Stil – massive Orchestrierung, zugkräftiges Starensemble, schnulzenflankierte Historisierung – längst alle Sender ein wenig verwechselbarer. Und anspruchsvoller, zumindest was Aufwand, Technik oder Authentizität betrifft.
„Meine eigenen Frühwerke will ich mir heute gar nicht mehr angucken“, sagt Hofmann. Arthaus, Experimente, Studentenzeugs. „Ich komme gar nicht aus dem Blockbuster“, sagte er, aber der Wunsch, „extrem große, nicht bewältigte Themen wie Flucht und Dresden zu machen“, der habe sich rasch nach seinem Abschluss (mit Auszeichnung) an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film 1985 entwickelt. Der Weg vom Kurzfilm zum Mainstream war fließend, heute bekennt er sich ohne Scheu zum Massenfernsehen. Nicht minder offen gesteht er seine Verehrung des meistgehassten Publikumsmagneten im Land: Veronica Ferres. „Sie brauchen gar nicht zu lachen“, bittet er geladene Journalisten beim Galadinner zum zehnjährigen Firmenjubiläum in der Berliner Bertelsmanns-Repräsentanz und kündigt an, „weiterhin jedes Jahr einen Film mit ihr zu drehen“.
Es weht stets eine unergründliche Mischung aus Chuzpe und Freundlichkeit durch seine freien Reden, aus urbaner Schnöseligkeit und provinzieller Kumpelei. Absolut zuverlässig und ehrgeizig nennt ihn Kollege Eichinger, „von einem Arbeitseifer, der manchmal geradezu aberwitzig ist“. Hofmann sei quotenfixiert, „dazu steht er ja auch, wirkt dabei aber nie angespannt oder gestresst“. Eine Duz-Maschine mit fotografischem Namensgedächtnis im Maßanzug, stets ohne Krawatte, makellos frisiert und zutraulich wie ein guter Freund. Dazu ein Typ Liebhaber ohne Zeit für die Liebe. Dabei schwärmt Veronica Ferres: „Niemand im deutschen Film liebt Frauen auf eine respektvollere Weise als Nico Hofmann.“
Schließlich ist er vor allem von ihnen sozialisiert worden. Sein Vater, Bonner Büroleiter der Regionalzeitung Rheinpfalz, war oft abwesend (brachte aber gelegentlich Helmut Kohl zum Essen mit). Gemeinsam mit Schwester und Oma erzog ihn seine Mutter, Redakteurin der FAZ, zu häuslichen Pflichten (und zur Gleichberechtigung). Das prägt. Jedenfalls hat das Medienkind nicht nur deutsche Historie zum Exportschlager gemacht, sondern auch Frauen konsequent zu Heldinnen. Gern in Dreieckskonstellation zwischen zwei schwächeren Kerlen. Das alles sei pure Berechnung, heißt es bei Kritikern oft, pathetisch und redundant, bombastisch, oberflächlich, laut. Das lässt Nico Hofmann nicht kalt. „Mich berührt jede einzelne Kritik“, sagt er und schlägt sodann zurück: Wenn man einmal zwölf Millionen Zuschauer habe, „findet’s das Feuilleton per se nicht gut“.
Trotz oder wegen derlei Dissonanzen füttert er es mit Bröckchen intellektuellen Spartenfernsehens. Allein vier schwierige Theaterverfilmungen hat er auf Arte platziert. Pures Quotengift, das nur realisierbar sei, „weil ich Schauspieler anderer Produktionen unterm Gewerkschaftslohn rüberziehe“. Neben all der Hochglanzware investiert Hofmann auch immer wieder in junge Regisseure. Nicht selten solche, die er in 13 Jahren als Professor für Szenischen Film an der Filmakademie Baden-Württemberg ausgebildet hat, Träger des First Steps Award in spe womöglich, den er mit Bernd Eichinger an Newcomer verleiht. Alles Futter für sein Ego, sein Portfolio, nicht unbedingt fürs Konto. Ein Debütfilm namens Kahlschlag habe ihn drei Jahre seines Lebens und 880.000 Euro gekostet, „ohne einen einzigen Euro Gewinn zu bringen“. Die Bandbreite bildet die Basis seines Selbstverständnisses: zu unterhalten, auf allen Ebenen, in allen Schichten und allen Altersgruppen. Koste es, was es wolle.
So realisiert der humanistisch gebildete Büchernarr fulminant flache RTL-Soaps ebenso wie seriöse Filmbiografien, digitales Popcorn-Fernsehen mit gleicher Lust wie stille Kammerspiele, die x-te Telenovela so beiläufig wie die erste Verfilmung deutscher Afghanistan-Traumata. Hunderte von Produktionen waren es bislang, 25 kommen Jahr für Jahr hinzu, Serienepisoden und PR-Aufträge nicht einberechnet. Branchenintern ist von Umsätzen in dreistelliger Millionenhöhe die Rede, Tendenz natürlich steigend. Wie auch die Zahl der Dependancen: Potsdam, München, Ludwigsburg, Köln, Leipzig. Und das alles mit der kleinen Stieftochter des großen Kintopp, die allem Krisengerede zum Trotz sehr wohl eine Zukunft habe, wie Hofmann meint. „Ich bin beim Fernsehen sehr glücklich“, sagt er, obwohl er vor zwei Jahren einen „starken Impuls“ hin zum Kino verspürt habe. Seit fünf Jahren widmet er sich als Chef der neuen Ufa Cinema verstärkt dem Zelluloid. Dutzende Stoffe sind in der Entwicklung, das Biopic 5 Jahre Leben übers Martyrium des Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz ist grad bundesweit angelaufen und mit den Rechten an Noah Gordons Der Medicus hat Hofmann einen künftigen Kassenschlager im Gepäck. Er beherrscht den Einkauf ebenso wie die Vermarktung seiner Projekte. Nicht umsonst hält der einstige ARD-Programmdirektor Günter Struve seinen Exgeschäftspartner für das „größte Verkaufsgenie seiner Generation“.
Mit dem betriebswirtschaftlichen Beifall kann der Kreative gut leben. Mit der Regiearbeit, dem Drehbuchschreiben früherer Tage hat Hofmann abgeschlossen. „Das schaff ich einfach nicht mehr“, sagt er. Seine Tage hätten auch nur 24 Stunden, und neben den Verhandlungen in aller Welt noch ständig am Set zu stehen, das sprenge jede Belastungsgrenze, Yoga hin, Yoga her. Der fernsehverrückte Cineast Hofmann, der als kleiner Nico von sechs Jahren mit eigener Super-8-Kamera durch die Straßen zog, als Fünftklässler mit 25 Schulfreunden im Team seine ersten Kinderbücher verfilmte und bald darauf in der elterlichen Garage ein Kino eröffnete – er rückt hinter die Kulissen? „Es ist ein Vorurteil, dass Produzenten nicht kreativ sind, sie gehen damit nur nicht so hausieren“, sagt er beim Geburtstagsdinner im Hause Bertelsmann, dem Hauptstadt-Palast des größten Medienunternehmens im Land, das RTL-, Ufa- und teamWorx-Mutter in einem ist. Lässig steht Nico Hofmann da vor der Presse und verkündet in seinem sorgsam gepflegten Heimatdialekt, die offizielle Party finde erst statt, wenn die Band Rosenstolz Zeit für einen Auftritt hätte. Es klingt ein bisschen eitel, aber eben auch ehrlich. TeamWorx heißt gewiss nicht kleckern.
Jan Freitag
Der Text stammt aus der ZEIT: http://www.zeit.de/2008/47/P-Hofmann