Mario Adorf, Hamburg 2010
Posted: July 31, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a comment
Wer riskiert denn heut noch was?
Foto: Siebbi
Mario Adorf ist einer der bekanntesten Schauspieler im Land. Ob er auch einer der besten ist, bleibt zwar umstritten, dass ihm zwei Rollentypen besonders liegen, weniger: Schurken und Machtmenschen. Letzteren spielt er Donnerstag und Freitag in der ARD. Dabei bietet Der letzte Patriarch sicher keine ausgesprochen gute Unterhaltung, aber einen ausgesprochen guten Adorf.
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Adorf, eine Rolle wie Der letzte Patriarch scheint Ihnen schon vom Titel her auf den Leib geschrieben.
Mario Adorf: Hoffentlich weniger auf den Leib als auf mein schauspielerische Tauglichkeit, ihn mit Leben zu füllen. Es war nie mein Ziel, nie meine Berufsauffassung, mich mit einer Rolle völlig zu identifizieren. Ein Schauspieler sollte sich wandeln können, in andere Leben hineinversetzen. Die Deckungsgleichheit ist nicht erstrebenswert.
Dennoch sagt Norbert Sauer, der Produzent, ebenso wie die Autorin, dass die Figur ohne Sie gar nicht denkbar gewesen wäre. Wo liegen dann also die Parallelen zum Patriarchen?
Im Bild, dass die Menschen von meinem schauspielerischen Werk haben womöglich. Film lebt von visuellen Reizen. Dass ich nun verstärkt Patriarchen spiele, hängt sicher auch damit zusammen, dass meine Haare im Alter weiß geworden sind. Das wirkt präsidialer. Ich glaube aber nicht, dass die Rolle darauf hin zugeschrieben ist, wie ich bin oder sein kann. Es ist mehr der Schauspieler gefragt, der eine Rolle mit Persönlichkeit ausfüllt, mit Charisma, Charakter, vielleicht sogar dem Aussehen. Das traut man mir offenbar zu.
Sind das Attribute des Alters, die in Ihrem Schauspielerleben gewachsen sind?
Das Alter hilft sicher nicht bei allen Menschen bei der Vergrößerung des Charismas, aber wenn man über charismatische die Anlagen verfügt, ist der Nährboden eben fruchtbar. Von alleine kommt da nichts, aber man kann es auch nicht bestimmen. Wenn man also behauptet, dass ich sie habe, nehme ich das dankbar an. Aber man darf sich darauf nie verlassen. Glaubhaft zu sein bedarf weitaus mehr als bloßer Ausstrahlung.
Hat der Begriff des Patriarchen denn mehr mit Charisma und Charme oder mit Führungsqualität und Willen zur Macht zu tun?
Eher letzteres. Er erwächst in der Regel aus einem dynastischen Element heraus, in eine Familie hineingeboren zu sein, die ihm Grundlagen eines Führungsanspruches liefert. Es muss dieses Übriggebliebene geben, den Alleinherrschaftsanspruch. Das ist wie im Rudel; da gibt es einen Leitwolf, der entweder leitet, weil es keinen Konkurrenten gibt oder weil er sich gegen sie durchgebissen hat. Dafür bedarf es auch des Charismas, aber alleine reicht das kaum aus. Es muss dazu auch einen Umgang mit dem Unrecht geben, denn einsame Entscheidungen führen zu Irrtümern und Willkür.
Ist unsere Zeit der Shareholder und Manager denn überhaupt noch geeignet für den allein regierenden Patriarchen?
Eigentlich nicht, deswegen lautet der Titel ja auch Der letzte Patriarch. Selbst Unternehmen, die von Persönlichkeiten gegründet und geführt wurden, wechseln ihr Führungspersonal aus gegen abstrakte Manager ohne emotionale Bindung an ihre Firma.
Schafft die Krise aus Ihrer Sicht eine neue Sehnsucht nach Führung?
Absolut. Es entsteht in dieser großen Blase unrealistischer Werte eine neue Sympathie für jene, die selber geschaffen haben und darauf ihren Führungsanspruch gründen. Ich bin ja in der Nachkriegszeit groß geworden und habe da viele dieser Wirtschaftswundertypen kennen gelernt in einer Periode, als alles in Trümmern lag und niemand glauben mochte, dass es eine neue Kultur, neuen Reichtum, neue Industrien geben könnte. Und da gab es diese Männer, die sich hingestellt haben und sagten: Ich mache das! Diese Macher waren zwar oft rücksichtslos, bisweilen sogar brutal, aber sie haben auch etwas geleistet. Es war also auch damals so, dass die Krise solcherlei Gestalter hervorgebracht hat, die im saturierten Wirtschaftswachstum ersetzt werden konnten durch Sachwalter ohne Bindung an das eigene Werk. Ihnen geht es um Karriere, Fortschritt, Geld, nicht Erhaltung.
Und sie fallen weicher als Firmengründer, die mit Ihrer Existenz für ein Unternehmen einstehen wie derzeit Frau Schaeffler, die keine Millionen-Boni trotz Missmanagement zu erwarten hat.
Es wird nicht mehr gehaftet. Das sieht man auch in meiner Branche. Früher gab es noch große Filmproduzenten, die mit eigenem Vermögen für waghalsige Projekte garantiert haben. Vor allem in Frankreich, Italien. In Deutschland fällt mir da kaum jemand ein.
Ein Horst Wendland vielleicht.
Oder Gyula Trebitsch. Aber sonst? Wer riskiert denn heute noch was, eigenes Geld für eine eigene Geschichte mit einer eigenen Handschrift? Wenn man eine Idee hat, geht man nicht in die Offensive, sondern sucht sich erst einen Sender oder Verleiher, der es finanziert oder die Ausstrahlung garantiert. Vor der Tat steht die Akquise. Da hat das Fernsehen als Einrichtung viel Wagemut zerstört und das steht sinnbildlich für die Gesellschaft insgesamt.
Haben Sie mal eigenes Geld in ein Projekt investiert, das Ihnen so sehr am Herzen lag, dass es ein Scheitern wert gewesen wäre?
Als Schauspieler gerät man selten in solche Situationen, weil man in der Regel zu den letzten zählt, die auf das Pferd springen. Erst wenn man schon fast drauf sitzt, kann man dem Projekt entgegenkommen, für weniger Gage spielen oder sogar ganz ohne. Das habe ich natürlich schon getan. Aber man riskiert damit doch herzlich wenig.
Das tut man aber durchaus mit der Rollenwahl, so wie Gerd Fröbe nach Es geschah am hellichten Tag lange Zeit kaum Angebote erhielt, weil er fortan aufs Böse gebucht war.
Auch das hat es bei mir gegeben. Man hat es mir fast über Jahrzehnte übel genommen, dass ich bei Winnetou N’tschotschie erschossen habe. Als Sympathieträger war ich erst mal passé.
Jetzt, mit 80 Jahren, gibt es da eine Rolle, die Ihnen bislang verwehrt geblieben ist?
Ich glaube, der Schauspieler kann, soll, darf so lange spielen, wie er sich in der Lage fühlt, die Rolle zu spielen. Das tue ich und möchte deshalb doch noch ein bisschen weitermachen. Und da gibt es noch die eine Wunschrolle, die mir am Herzen liegt. Das ist der Karl Marx. Weil ich glaube, dass seine Persönlichkeit neues Interesse wachrufen sollte und dies auch tun wird. Gerade jetzt, wo der Kapitalismus so in der Krise steckt, gibt es ein neues Bedürfnis, zu verstehen, wer dieser Mann eigentlich war? Welche Alternative existiert zu diesem System? Was lief bei den Revolutionen falsch; lag das an Marx? Was war das überhaupt für ein Mensch? Dieses neue Interesse interessiert mich schauspielerisch enorm.
Lässt sich das realisieren?
Sicher, deshalb engagiere ich mich diesmal auch persönlich in der Realisierung, was ich früher nie getan habe. Dieser Mann muss erzählt werden.