Gladbeck: 25 Jahre Geiseldrama

Das öffentliche Verbrechen

Vor 25 Jahren hielt die Geiselnahme von Gladbeck das Land in Atem. Auch, weil Dieter Degowski, Hans-Jürgen Rösner und ihre Gefangenen nicht nur 54 Stunden von der Polizei, sondern auch von einer Pressemeute verfolgt wurden. Rückblick auf einen Sündenfall

Von Jan Freitag

Jung sieht Frank Plasberg aus, sein Schnauzer ist zeitgemäß und das Mikro schmucklos. Doch er hält es schon mit jener drängelnden Lässigkeit, die ihn noch heute kennzeichnet. Kaum zu glauben, dass der harte, aber faire Talkshowhost im August 1988 Akteur einer echten Katastrophe der Medienkultur war. „Es hatte was von einem geordneten Verfahren“, schildert Plasberg, wie er sich beim Geiseldrama von Gladbeck vor 25 Jahren artig in die Reihe enthemmter Reporter zum Interview mit Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner samt ihrer zwei Gefangenen einreihte.

Es war ein journalistischer Sündenfall.

Die Disziplin der Presse war schließlich das einzig Geordnete in diesen 54 Stunden zwischen einem Bankraub und seinem blutigen Ende. Ansonsten herrschte das blanke Chaos: Polizisten ohne Konzept, Politik ohne Einfluss und Medien ohne Ethos machten den Fall zum „spektakulärsten Verbrechen der Nachkriegszeit“, wie es Bremens damaliger Innensenator Bernd Meyer beschreibt, „sowohl von der kriminellen Energie als auch von der Öffentlichkeitswirkung her“.

In der Tat. Denn das erste fast vollständig gefilmte Verbrechen der Bundesrepublik, im Osten nur eine Randnotiz wert, war mit drei Toten und zweimal lebenslang nicht nur besonders spektakulär; erstmals standen in der Mediengesellschaft die Medien selbst derart im Fokus der Kritik. Nicht einzelne Genres wie der Boulevard oder einzelne Magazine wie der Stern, sondern die ganze Branche. Und ohne das Flugunglück von Ramstein zehn Tage nach dem Ende der Geiselnahme hätte es vielleicht gar einen Reinigungsprozess gegeben. So aber ersetzte eine Sensation die andere und es blieb bei der Ergänzung des Pressekodexes um die Selbstverpflichtung, künftig kein „Werkzeug von Verbrechern“ mehr zu sein. Als sei das zuvor eine Option gewesen.

Das war es nicht. Zu undenkbar schien ein Fall wie Gladbeck: Rasende Reporter zwischen Verfolgten und Verfolgern, interviewte Bankräuber beim Fliehen, Kidnapper als Fernsehstars – eine Situation, zu absurd, um untersagt zu werden. Dann aber ruft Hans Meiser in der besetzten Bank an und fragt, welches Fluchtauto gefordert sei. Dann heftet sich ein Pressemob ans Heck und behindert die Polizei. Dann sagt der Desperado Rösner vor laufenden Kameras, „ich scheiß’ auf mein Leben“, und 13 Millionen Zuschauer sind live dabei.

Eine Topquote für eine Bombenshow. Erst 1985 hatte Neil Postman gemutmaßt, im kommerziellen TV-Zeitalter gehe alles in Unterhaltung auf, da lieferte ein Gangster-Event den Beleg. Gladbeck trieb den Journalismus tief ins Entertainment und vermengte wie nie zuvor Nähe mit Relevanz, Teilhabe mit Erkenntnis. „Wir waren wie berauscht“, gestand Udo Röbel vom Kölner Express 2008 in besagter Dokumentation, warum er das Fluchtauto vom Beifahrersitz aus zur Autobahn lotste. Ein Eingriff, den der spätere Bild-Chef an gleicher Stelle damit rechtfertigte, alle seien „geil auf die Story“ gewesen. So geil, dass ein dpa-Reporter auf Verfolgungsjagd selbst angeschossen zur News wurde und Radioreporter Plasberg sein Mikro so dicht unter Entführernasen hielt, dass das SEK ringsum nur deshalb nicht zugriff, weil wohl irgendein Reporter, wie deren Einsatzleiter Spiegel TV zu Protokoll gab „versucht hätte, das entscheidende Foto zu machen“.

Diese Verquickung von Subjekt und Objekt wurde zwar nicht erst im August 1988 geboren, gewann aber damals eine Strahlkraft, ohne die weder Leserreporter von Bild bis Stern noch Regenbogenpromis von Wulff bis Guttenberg denkbar sind. Und wenn die Tagesschau Berichte mit Bildern aus Köln garniert, wo die Täter kurz vorm Showdown eine Art Pressekonferenz in der Fußgängerzone abhielten, heiligt das Mittel einen bestimmten Zweck: Emotion durch Nähe. Andererseits schloss die Spitzenmeldung seinerzeit mit einer Medienkritik, die noch während der Geiselnahme von Presserat bis Polizeigewerkschaft geübt wurde.

Was folgte, war eine heilsame Debatte. Denn auch wenn der Boulevard zusehends mit seinen Themen verschmilzt, hat sich die seriöse Presse nie mehr so grotesk gemein mit den ihren gemacht wie damals. Und falls doch, fließt die Grenze zur Vereinnahmung. Beim Grubenunglück in Borken hielt man zwei Monate zuvor über den Hessischen Rundfunk Kontakt in den Schacht, was neben tollen O-Tönen die Rettung von sechs Kumpels mit sich brachte. Interviewte Nazis am Lichtenhagener Sonnenblumenhaus durften sich vier Jahre später zwar vor selbst inszenieren, sorgten aber auch für Gegenmobilisierung. Und in Gladbeck wog man die Entführer mit falschen Radiomeldungen über planlose Verfolger in Sicherheit und erfuhr beim Interview von Rösners schwerer Kindheit.

Es ist die Grundsatzfrage nach dem Mehrwert des Illegitimen. Vor Gericht beantwortet sie das Verbot illegal beschaffter Beweise, der Journalismus aber lässt offen, ob und wie man Kritik mit dem Kritisierten bebildern darf. Weil die Erregungsgesellschaft jedoch nicht Zaudern noch Moral duldet, nimmt das Image des Journalismus mit jeder Grenzübertretung, jedem Skandal um des Skandals Willen weiteren Schaden. Weil Gladbeck gezeigt habe, „was passiert, wenn der Jagdtrieb mit Journalisten durchgeht“, sagte Frank Plasberg vor zwei Jahren reuig, „würde ich das heut nicht mehr machen“. Das Publikum riete ihm wohl etwas anderes. Als der NDR mal Die bewegendsten TV-Momente wählen ließ, landete das Geiseldrama auf Platz 13 – hinter Lady Di’s Beerdigung. Aber vor ihrer Hochzeit.

Text, pics, Kommentare: http://www.zeit.de/kultur/film/2013-08/gladbeck-geiseldrama-medien



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