Bilds Wahrheit und Raabs Relevanz

Werbung, RFT Color 20, FernseherRücksichtnahme

Die Woche, die war: 19.-25. August

Das erste Opfer des Krieges, so sagt man, sei die Wahrheit. Und die Bild-Zeitung führt ja bekanntlich seit ihrem Bestehen einen Krieg, genauer: ganz viele Kriege. Gegen guten Journalismus, gegen alles Fremde, Unheimliche, Bedrohliche, gegen die weibliche, homosexuelle, nichtdeutsche Würde und natürlich, genau, gegen die Wahrheit, jedenfalls jene, die einer schönen fetten Meinungsmache im Wege steht. Deshalb tat es am Donnerstag auch nicht Not, dass der Vorwurf eine Giftgaseinsatzes in Syrien irgendwie bewiesen war – für die Feststellung in Text und Kommentar, nun töte Assad auch noch mit ABC-Waffen, reichte ein Verdacht allemal. Womit neuerlich bewiesen wäre, dass die Bild mit Journalismus so viel zu tun hat wie eine Pfälzer Schlachtplatte mit Veganismus, wie der neue Fernsehsender Al Jazeera USA, der dort seit voriger Woche weit seriöser als etwa Fox über die Welt berichtet, mit Islamismus.

Oder wie Hamburg mit der Medienhauptstadt Deutschlands.

Der nämlich verblasst zusehend – nicht zuletzt dank dem, was die aktuellen Sachwalter von Springer aus Axel Caesars Erbe machen. Mit dem Verkauf diverser Titel an die Essener Funke-Gruppe, sorgt der „Verlag“ nämlich gerade dafür, dass demnächst selbst die alte Hörzu von Hamburg ins Ruhrgebiet zieht, so wie es in zwei Jahren Auto-Bild erwischen dürfte. Auf diesen Zug springt nun auch der Bauer-Verlag, indem er seine Frauenzeitschrift das neue fortan von seiner Tochter Pabel-Moewig in Rastatt produzieren lässt. Wenn, was absehbar ist, auch die Zentrale des Spiegels nebst der verbliebenen Zeit-Ressorts das Weite suchen, wenn zudem selbst Lokalredaktionen ihre Inhalte von Sammelstellen fern des Lokalen fertigen lassen, wird sich ein weiteres Stück alter Medienwirklichkeit in Luft auflösen: Die Ortsgebundenheit des Journalismus.

Was auch dem Ruf der Menschen, die ihn betreiben, weiter schaden wird. Falls das überhaupt geht. Denn laut einer Allensbach-Umfrage rangiert der Beruf des Reporters zwar vorm Spitzensportler, aber hinterm Unternehmer auf Rang 12. Selbst Polizisten und Geistliche sind beliebter. Nicht aber Fernsehmoderatoren, deren Tätigkeit satte drei Prozent der Befragten wertschätzen, also ebenso viele wie Banker, deren Renommee von SS-Offizieren mittlerweile nur noch um Aktienbreite unterboten wird. Mut macht da aus journalistischer Sicht allenfalls eine Studie des europäischen Statistik-Instituts Eurostat. Jede(r) fünfte Deutsche, so das Ergebnis, hat noch nie das Internet genutzt – das ist ein gesicherter Platz im EU-Mittelfeld, weit hinter Schweden (5 Prozent), aber doch deutlich vor Schlusslicht Rumänien (48 Prozent), und könnte Auskunft darüber geben, wie es um die Mediennutzung bestellt ist. Denn dieses Fünftel dürfte noch so erzogen sein, auf Papier gedruckte Infos zu konsumieren, ja sogar zu bezahlen.

Die können dann auch womöglich sogar noch etwas mit dem Namen Jörg Plewa anfangen, der diese Woche gestorben ist. Plewa hat 1970 in einem TV-Film namens Millionenspiel die Hauptrolle als Quizshowteilnehmer gespielt, der sich für die Titelsumme von Killern jagen lassen muss. Das war seinerzeit nicht nur sensationelles, sondern auch visionäres Fernsehen.

Aussichtsplattform

Die Woche, die wird: 26. August – 1. September

Und weil es davon nicht immer ausreichend gibt, weil Fernsehen heutzutage ja selbst bei Sendern, die sich für innovativ halten, oft nur endlose Reproduktion des Bewährten ist, gerät Schulz in the Box in zur Sensation der anstehenden Fernsehwoche – und zwar ausdrücklich nicht, wegen des Konzeptes, sondern wegen des Mannes, den Pro7 heute um 22.10 Uhr testweise in eine Kiste steckt und an unbekanntem Ort aussetzt. Denn eins ist sicher: Oli Schulz wird selbst aus ein paar einsamen Stunden im Wald etwas Anarchistisches zaubern.

Etwas weniger anarchistisch, aber dafür sachdienlich wird es dagegen am Sonntag auf gleich fünf Kanälen, die Das TV-Duell übertragen. Wobei der Schlagabtausch zwischen Kanzlerin Merkel und Herausforderer Steinbrück vor allem dadurch an Bedeutung gewinnt, dass beide neben Anne Will, Maybrit Illner und Peter Kloeppel von jemandem auf den Prüfstand gestellt werden, der mit einem relevanten Sender so viel zu tun hat wie Sat1 (das zeitgleich mangels eigenem Moderator Navy CIS zeigt): Stefan Raab. Den leidlich unterhaltsamen, journalistisch aber vollends inkompetenten Klassenclown der kommerziellen TV-Gosse in ein so wichtiges politisches Format zu platzieren, ist mit Schande noch milde umschrieben.

Ganz treffend umschrieben wäre damit allerdings die Tatsache, dass sich der künftige Spiegel -Chef Wolfgang Büchner ausgerechnet Bild-Vize Nikolaus Blome zum Vize erwählt hat, also einen konservativen Scharfmacher fürs linksliberale Kampfblatt früherer Tage. Es sei denn, die außerordentliche Versammlung der Mitarbeiter KG macht dem ordinären Spuk Mittwoch ein Ende. An dem Tag entscheidet sich also nicht nur das Schicksal von Blome, sondern auch das von Büchner und wie einige bereits unken, das des wichtigsten Magazins in Deutschland gleich mit. Na ja, wenn der Printmarkt noch so für Aufregung sorgt, scheint ja noch richtig Leben darin zu stecken.

Was man vom Fernsehen weit weniger behaupten kann. Für den bedeutsamsten Film der Woche Eine mörderische Entscheidung (Freitag, 20.15 Uhr, Arte), die Aufarbeitung des Dramas am Kundus, wo die Bombardierung zweier Tanklaster vor vier Jahren fast 100 Zivilisten in den Tod gerissen hat, wählt Regisseur Raymond Ley schließlich das reichlich abgenutzte Format des Dokudramas. Was auch durch den famosen Matthias Brandt als Oberst Klein nur bedingt kreativer wird. Interessanter ist da doch die Idee des Brausekanals Servus TV, eine Oper live fürs Fernsehen zu inszenieren, auch wenn es mit Mozarts Entführung aus dem Serail heute natürlich eine der leichtere Art ist.

Eher leichter unterhält auch die Kinoadaption der ARD-Serie Türkisch für Anfänger, die voriges Jahr zu den Kassenschlagern zählte und dafür nun im Ersten sogar die Primetime erhält. Die kriegt auch Du bist dran, der Mittwochsfilm an gleicher Stelle, in dem der grandiose Lars Eidinger diesmal einen Hausmann spielt, dem die moderne Arbeitsteilung mit einer erfolgreichen Frau zusehends auf den, Pardon: Sack geht. Apropos grandios: Die Frau, der dieses Attribut passt wie sonst keiner im öffentlich-rechtlichen Sachfernsehen, stellt heute nach den Tagesthemen im trimedialen Format Überzeugt uns! Politiker aller Parteien auf den Prüfstand. Da kann man den schlechtesten St. Pauli-Film aller Zeiten (Gegengerade) trotz der namhaftesten Schauspieler (wie Mario Adorf) zur gleichen Zeit im NDR noch leichteren Herzens verpassen.

Besser nicht verpassen sollten Fans des Münchner Filmemachers Klaus Lemke dagegen die lange Nacht mit drei seiner jüngeren Werke (Berlin für Helden, 3 Kreuze für einen Bestseller, Dancing with Devils), Freitag ab – danke ZDF! – halb ein Uhr nachts. Ebenso die neue alte ZDFneo-Reihe Herr Eppert sucht (Donnerstag, 23 Uhr), diesmal: afrikanische Stammesoberhäupter in Deutschland. Am gleichen Tag auf gleichem Kanal übrigens wie der Tipp der Woche. Diesmal: Nicht nachmachen! mit Wigald Boning und Bernhard Hoëcker als Gefahrensucher. Nicht subtil, aber ungemein witzig.

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