Maria Furtwängler mit “Frau im Spiegel”
Posted: August 28, 2013 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a commentIch bin eine so arme Sau
Nachdem die Vertreibung aus Ostpreußen lange dem Dokumentarfilm vorbehalten blieb, hat das Fernsehen 2007 den großen fiktiven Zweiteiler mit Maria Furtwängler als aufrechte Gräfin im Kampf mit ein paar fiesen Nazis, aber viel mehr viel fieseren Russen in Szene gesetzt (Wiederholung: Donnerstag und Freitag, 20.15 Uhr, 3sat). Ein spannendes Thema, das Fragen über historische Verantwortung bis zu ihrer filmischen Umsetzung aufwirft – und dann kriegt man zum Interview mit der Hauptdarstellerin eine Redakteurin der Frau im Spiegel zur Seite gesetzt. Das Protokoll eines Interviews mit völlig unterschiedlichen Bedürfnissen
Interview: Jan Freitag
Frau im Spiegel: Frau Furtwängler, also ich muss Ihnen erstmal ein ganz großes Kompliment machen, ich fand das irrsinnig toll, ganz wirklich, würde ich sonst nicht so sagen.
Furtwängler: Ach ehrlich. Das freut mich.
Frau im Spiegel: Mögen Sie Ihre Rolle, die Lena?
Furtwängler: Ja sehr. Sie ist natürlich anders als ich, aber das, was ich an Andersartigkeit für sie lernen und aus mir herausholen wollte, fand ich sehr spannend. Äußerlich musste ich Reiten lernen, was ich vorher weiß Gott nicht gut konnte, oder Haltung trainieren, weil ich persönlich eher schluffig durch die Pfützen wackle. Und rein innerlich war es für mich eine sehr spannende Erfahrung, Grenzgefühle nicht auszuagieren, was wir als preußische Haltung, besonders in Ausnahmesituationen, kennen. Als der Treck loszieht, lässt ihr Vater sie im Stich. Diese Verzweiflung, diese Ohnmacht zuzulassen, aber dennoch nicht zu tun, was man instinktiv tun würde, nämlich ihn zu packen, auf die Knie zu gehen, ihn beim Abschied zu umarmen, sondern die Haltung zu bewahren, das war sehr anstrengend.
freitagsmedien: Ist Lena also eine aristokratische Person oder nur eine Rückkehrerin mit aristokratischen Restbeständen als Gegenpol in einer zutiefst aristokratischen Welt?
Furtwängler: In ihrem Verständnis ist sie Aristokratin geblieben, allerdings nicht im Denken, besser, sondern verantwortlich zu sein. Das Wissen, es gibt ein höheres Ziel als meine familiären Interessen. Sie kommt zurück aus einer bürgerlichen Welt, zuvor verstoßen wegen eines unehelichen Kindes, und der Vater sagt, er will sie nicht. Kaum droht dem Hof allerdings der Verlust seiner Pferde, kehrt das Gräfliche in ihr wieder, dem es um den Erhalt, die Stabilität, die Leute des Gutes geht. Und das, obwohl ihr gerade vom Vater bedeutet wurde, nicht willkommen zu sein. Zack – ist sie in ihrem alten Muster. Man fragt nicht, man macht. Insofern ist sie zutiefst aristokratisch.
Frau im Spiegel: Sie haben im tiefsten osteuropäischen Winter gedreht. Was waren die größten Strapazen?
Furtwängler: Das Frieren natürlich, auf dem Rücken der Pferde, wo man sich kaum bewegt. Und dann war ich in den ersten Nächten so aufgeregt, dass ich fast überhaupt nicht geschlafen habe. Diese Mischung aus Übermüdung und Kälte hat aber auch geholfen, sich in die Rollen einzufinden. Man musste die Erschöpfung nicht mehr spielen. Ich tat mir so leid: ich bin eine so arme Sau, mir ist kalt, ich hätte gern ein Teechen. Wenn einem dann plötzlich die Bilder von damals aus den vielen Dokumentationen vor Augen flashen, kommt die preußische Haltung in jedem durch und man denkt, auch hier gibt es eine höhere Idee, die Geschichte der Frauen und Kinder, die das erlebt haben, zu erzählen, ihnen eine Stimme, ein Bild zu geben. Und das ist so viel wichtiger als meine Befindlichkeiten. Ich liege ja abends nach einer heißen Dusche im warmen Bett.
freitagsmedien: Ist dieses körperlich erfahrene Leid notwendig oder nur hilfreich für solche Rollen?
Furtwängler: Eher hilfreich. Das Leid einer Mutter, der das Kind im Arm erfriert, kann man ja nicht auf der Basis eigenen Erlebens spielen, sondern nur ein Stück in seiner Vorstellungswelt hingehen. Aber es hilft natürlich, in ihr drinzustecken, in der Kälte, den Menschen, den Pferden. Das macht was mit einem.
freitagsmedien: Haben Sie sich über das Drehbuch hinaus historisch auf die Rolle vorbereitet?
Furtwängler: Ja. Ich hatte mich schon länger für das Thema interessiert, auch für die Gräfin Dönhoff, von der meine Mutter mal gesagt hatte, Kindchen, dieses Buch von ihr musst du lesen und spielen. Ich hab das jahrelang liegen lassen, dann aber doch irgendwann gelesen und gemerkt, was das für eine Zeit war, mit welch eigenartigen Menschen. Diese Art, den anderen mit den eigenen Emotionen auch nicht auf die Nerven zu gehen. Das genaue Gegenteil des heutigen Rauslassens. Sehr beeindruckend. Aber ich hatte die Idee dann wieder verworfen, bis Nico Hofmann zu mir kam und fragte, ob ich nicht Lust hätte, so was zu spielen. Das kam dann wie gerufen, ist aber von der Gräfin Dönhoff meilenweit entfernt.
freitagsmedien: War ihnen die Sensibilität des Themas bewusst? Es ist ja längst nicht ausdiskutiert und beinhaltet in dieser Offenheit viele Fallen, ins Revisionistische abzugleiten.
Furtwängler: Wenn ich ganz ehrlich bin, hab ich die politische Dimension dieses Films erst nach und nach begriffen. Da hatte ich eine gewisse Naivität. Ich war aber von vielen Stellen im Buch sehr angetan, zum Beispiel von der historischen Verantwortung, wenn viele Menschen davon betroffen sind, keine Liebesgeschichte in den Vordergrund zu stellen. Ich war stets angetan, wie sensibel mit dem Thema Schuld umgegangen wird; es wurde nie ein Zweifel an den Verbrechen der Wehrmacht gelassen, wie sie umherschwadroniert und sinnlos auf dem Eis Gefangene abknallt. Oder nehmen sie den Untergang der Wilhelm Gustloff, die mit 10.000 Menschen an Bord torpediert worden war, von denen glaube ich 9.000 umgekommen sind. Und am Strand, auf dem die Leichen angespült wurden, hat die Wehrmacht noch in der Nacht 3.000 Juden erschossen, die Menschen sahen nicht die Leuchtfeuer der Gustloff, sondern das Mündungsfeuer der Soldaten. Mit so etwas wird im Buch wie im Film klug umgegangen, diese historische Dimension wird gut erzählt und mir ist erst danach klar geworden, dass man darüber diskutieren wird und soll.
freitagsmedien: Hat man den Arbeitstitel Flucht und Vertreibung um die letzten beiden Worte gekürzt, damit diese Diskussion nicht außer Kontrolle gerät?
Furtwängler: Na ja, Flucht und Vertreibung war die Chiffre für das kollektive Schicksal, wir haben aber nur den ersten Teil davon erzählt und es ist richtig, den Film entsprechend zu benennen. Die Vertreibung ist ein ganz eigenes Kapitel.
Frau im Spiegel: Die Dreharbeiten haben vier Monate gedauert. Wie haben Sie das gemacht – waren Sie immer von der Familie getrennt, haben Ihre Kinder Sie mal besucht, wie hält man das aus?
Furtwängler: Die haben mich besucht und abgesehen davon hatten wir auch mal zehn Tage Pause hier und fünf Tage dort. Und: Ich habe im Vertrag gnadenlos durchgesetzt, alle zwei Wochen mindestens vier Tage frei zu kriegen, was natürlich gerade in dem Litauen-Teil wegen der Kälte schwierig war; ein logistisches Problem, den Treck da anzuhalten, aber es für mich ein absolutes mütterliches Gesetzt. Nun sind die Kinder auch nicht mehr ganz so klein, das konnte ich denen zumuten und ehrlich gesagt war es auch viel, viel weniger schlimm, als ich es befürchtet habe, diese lange Zeit. Aber dadurch, dass ich im Vertrag so stringent darauf geachtet habe, so und so viele Tage hier und da zu sein…
Frau im Spiegel: Das muss man auch!
Furtwängler: Ein großer Kampf. Dadurch war es sehr machbar. Und es ist ja ein schönes Gefühl, wenn einen die Kinder nicht mehr so sehr fordern und brauchen, dass man merkt, mehr Freiheiten zu bekommen. Aber a priori geht es mir darum, dass es denen gut geht.
Frau im Spiegel: Ja. 16 und 14 sind sie, oder?
Furtwängler: 16 und 15 seit ein paar Tagen.
freitagsmedien: Interessieren die sich schon für das Thema des Films und wollen darüber reden?
Furtwängler: Sie haben ihn vor einer Woche zusammen mit meinem Mann gesehen. Das war mir auch wichtig. Meine Tochter war sehr emotional berührt, sehr unmittelbar, meinen Sohn hat vor allem dieser junge Fritz interessiert, der Nazi, wieso der denn immer noch… So hat jeder seine Identifikationsebene gewählt. Es wirkt bei ihm oft subkutaner, hat ihn aber schon beschäftigt. Allein dieses Verbrechen der Wehrmacht, die Maschinen und Geräte, nicht aber die Zivilbevölkerung zu evakuieren, gerade in Ostpreußen durch diesen Gauleiter Koch. Wie hieß er noch?
freitagsmedien: Oh, da bin ich nicht gut informiert.
Frau im Spiegel: Herr Koch.
Furtwängler: Der war ja ganz besonders grausam; kaum, dass man auch nur versucht hat, mit Sack und Pack zu gehen, wurde man ja als Defätist erhängt. Ein Zynismus, der in Hitlers Leitsatz gipfelte, wenn das deutsche Volk den Krieg nicht gewinnen kann, hat es auch kein Recht zu überleben. Dieses Verbrechen an der Bevölkerung hat meinen Sohn sehr beschäftigt. Wieso sind die denn nicht gegangen? Dieses Gefühl, wo soll ich denn hin, das ist doch meine Heimat.
Frau im Spiegel: Wie stolz sind Ihre Kinder auf ihre Mama? Müssen Sie manchmal Autogramme mitbringen, für Schulfreunde?
Furtwängler: Ja, neulich. Einmal. Ich würde denken, die sind schon stolz und finden das toll. Nicht gerade, wenn ich drehe und gar nicht zuhause bin.
freitagsmedien: Immerhin pubertieren sie gerade. Da sollten sie froh sein, mal allein zu sein.
Furtwängler: Mal so mal so (lacht). Im Grunde sollte die Mutter immer da sein, aber bitte nicht auf die Nerven gehen.
Frau im Spiegel: Das ist das Beste. Wie sind ihre weiteren Pläne?
Furtwängler: Ich drehe weiter Tatort, meine Charlotte Lindholm ist gerade schwanger geworden.
Frau im Spiegel: Ja, das wollten Sie doch gerne.
freitagsmedien: Aber nur Charlotte Lindholm.
Furtwängler: Nur Charlotte Lindholm (alle lachen). Das drehe ich im März, dann mache ich einen Actionfilm, etwas ganz anderes, fürs Kino. Im Moment habe ich eine unglaublich privilegierte Phase in meinem Leben, mit vielen Möglichkeiten, die ich selber entwickle. Das macht viel Spaß, kann ich nicht anders sagen.
freitagsmedien: Ist die Flucht eigentlich ein Liebesfilm mit einer Fluchtdramenhandlung oder ein Fluchtdrama mit Liebesrahmenhandlung?
Furtwängler: Beurteilen Sie’s. Ich finde, wir erzählen in vielen Einzelschicksalen die Flucht und es kommt unter anderem eine Liebesgeschichte vor.
Frau im Spiegel: Mehr untergeordnet.
Furtwängler: Ich finde nicht, dass es vordergründig eine große Lovestory ist. Das ist bei diesem Thema wichtig.
freitagsmedien: Ganz ohne Liebesgeschichte, zumal als Dreieckskonstellation, wäre er allerdings primetimeuntauglich.
Furtwängler: Das weiß ich nicht. Ich glaube schon, dass es in uns Menschen bei allem Elend immer Hoffnung gab und wir haben den Moment einer Kindsgeburt. Die Liebe erhält uns letztlich am Leben. Im Film soll diese Geschichte aber auch illustrieren, wie die Unterschiede zwischen oben und unten in solchem Elend, wo sich alle gleich werden, irgendwann aufgehoben werden, was sie als Gräfin zuvor niemals zugelassen hätte. Außerdem muss man aufpassen, den Zuschauer nicht total zu überfordern. Nur Elend – da steigt jeder aus, das geht nicht. Wir zeigen ja nur zehn Prozent von dem, was man da zeigen könnte und schon das ist (stöhnt) tough. Da ist die Liebesgeschichte ein Gegenpol, nach dem wir uns sehnen.
freitagsmedien: Zugleich wird recht detailliert eine Vergewaltigung gezeigt. War das angemessen, zuviel, zu wenig?
Furtwängler: Nicht zu viel, aber meine Tochter hat es doch als sehr unangenehm empfunden und weggeguckt. Aber meine Güte – es wurden so viele Hunderttausende von Frauen vergewaltigt, das mussten wir zeigen und dann eben nicht viermal. Einmal reicht für mein Gefühl.
Frau im Spiegel: War das schauspielerisch Ihre anspruchsvollste Rolle?
Furtwängler: Die nächste ist fast immer die Anspruchsvollste, aber in der Tat – diese war sicherlich in der Vorbereitung, der Veränderung, dem Eintauchen das Anspruchsvollste.
Frau im Spiegel: Haben Sie noch ein Autogramm?