Wachkomapatienten & Einheitstagshelden

Werbung, RFT Color 20, FernseherDie Gebrauchtwoche

23. – 29. September

Der öffentlich-rechtliche Witz ist ein Wachkoma-Patient. Trotz seltener Perlen von Ditsche bis zur heute-show führt er ein Schattendasein im trüben Licht des humoristisch tonangebenden Kaugummikanals Pro7, an Heiterkeit gar überholt vom Romanzensender Sat1 und der unfreiwilligen Komik bei RTL. Kein Wunder, dass sich Markus Lanz nun Hilfe holt, um sich wenigstens nicht durch die Schmunzelkrimis der ARD am Zwerchfell überholen zu lassen: Wetten, dass…?, kündigte dessen Redaktionsleiter vorige Woche in einem Interview an, werde künftig durch die Hilfe professioneller Gag-Schreiber erheitert. Und auch, wenn das Zweite rasch dementierte, steht somit fest: ARZDF mögen selten echt lustig sein; die Erkenntnis, dass sich Frohsinn nicht in kollektivem Schunkeln erschöpft, zeugt von einer gewissen Realitätszugewandtheit.

Der auch die Mainzer Konkurrenz Rechnung trägt, indem sie Neues aus der Anstalt ab 2014 nicht mehr von den leicht abgehangenen Urban Priol und Markus Barwasser, sondern den weit frischeren Claus von Wagner und Max Uthoff präsentieren lässt. Ob das politisch ähnlich amüsant wird wie, sagen wir: Scheibenwischer oder doch eher Hallervordens Dicke-Brillen-Ulk früherer Tage, den die derzeitigen Anstaltsleiter mit Starkstromfrisur und Sepplhut zumindest habituell verkörpern, bleibt abzuwarten. Schon jetzt allerdings wird klar, dass ein privater Mitbewerber um die missvergnüglichste Realität künftig einen gespielten Witz ersetzen muss. Er heißt Senior Vice President Nachrichten und politische Information und müht sich seit Jahren redlich, was die Pro Sieben Sat1 Media AG seit dem Verkauf der News-Sparte so als Information ausgibt, einigermaßen seriös wirken zu lassen.

Jetzt wechselt Peter Limbourg als Intendant zur Deutschen Welle und müsste der Mechanik dieser Vollprogrammkarikatur gemäß eigentlich von Henning Baum ersetzt werden. Oder vielleicht Sonya Kraus. Echte Kandidaten mit nachrichtlicher Kompetenz dürfte es schließlich nicht geben, beim Ex-Kanzlersender ohne Kanzlerduell. Da reicht als Bewerbungskriterium vermutlich schon eine leidlich nüchterne Optik. Graue Haare etwa, was Dominik Raacke qualifizieren könnte. Der scheidende Tatort-Kommissar hat ja nun wieder Zeit, nachdem er dem gerade verkündeten Ende seines Einsatzes in Berlin zuvor kam und die obligatorische Abschiedsepisode verweigerte. Was immerhin wie bei der Anstaltssause für neues Blut in der uralten Reihe sorgen wird.

Eine Frischzellenkur, die dem Emmy 2013 merkwürdigerweise fehlt. Der weltweit wichtigste TV-Preis ging diesmal an tradierte Formate von Breaking Bad bis Big Bang Theory und Darsteller wie Michael Douglas (Liberace) oder Claire Danes (Homeland), statt wirklich ungewohnte Charaktere, etwa die wunderbare Lena Dunham für Girls zu prämieren, geschweige denn das Internetprodukt House of Cards. Irgendwie ist selbst in den USA alles eben doch wie gehabt.

TV-neuDie Neuwoche

30. September – 6. Oktober

Foto: Slickers

Was man vom deutschen Fernsehen ausnahmsweise mal nicht behaupten kann. Selbstredend wimmelt es hier auch ab heute von Stangenware. Die TV-Köche Kotaska, Baudrexel und Zacherl etwa, denen Vox morgen wieder beim Retten irgendwelcher Restaurants beiwohnt. Oder der Wrestling-Greis Mr. T, den Kabel1 Donnerstag allen Ernstes für irgendeine Pannenshow aus der Kiste zerrt. Und da war dann noch nicht vom Irrsinn die Rede, dem Deutschen Fernsehpreis 2013 (Freitag, 22.15 Uhr, Sat1) am Mittwoch durch die moderierende Doppelfrechheit Oliver Pocher und Cindy aus Marzahn weitere Relevanz zu nehmen. Das Erste allerdings beweist Samstagnachmittag, dass man Begriffe von Heimat vermitteln kann, ohne dabei debil zu tümeln. In 16x Deutschland zeigen haupt- wie nebenamtliche Filmemacher von Andreas Dresen über Charly Hübner und Nico Hofmann bis hin zu Rocko Schamoni ihre Sicht auf ihre Bundesländer.

Das ist nicht immer brillant, aber durchweg abseits vom Strom, unkonventionell gar und überraschend, also das exakte Gegenteil von dem, was uns das ZDF als „Event des Jahres“ verkaufen will: Die zweite Staffel von Borgia (Montag, 20.15 Uhr). Gut – die neuen 600 Minuten übers mächtige Adelsgeschlecht an der Schwelle zur Renaissance sind wie die der ersten Staffel vor zwei Jahren ungeheuer aufwändig produziert und opulent bebildert; jede einzelne davon hat allerdings sehr viel Schauwert, aber eher wenig Substanz.

Was wiederum verteufelt an eine filmische Frechheit namens Helden – Wenn dein Land dich braucht erinnert, in der RTL die Bundesrepublik ausgerechnet am Einheitstag von einem schwarzen Loch auffuttern lässt und dabei jedes, wirklich jedes einzelne Klischee des Katastrophenfilmgenres auslutscht. Wer krank das Bett hütet, zum Lesen zu schlapp ist und keinen Festplattenrecorder hat, dem könnte man angesichts so viel Stumpfsinns glatt die zeitgleiche Neuauflage von Dalli Dalli mit dem anbiedernden Titel Das ist Spitze! empfehlen. Aber es gibt ja noch Arte, wo parallel um 21 Uhr die dritte Staffel der dänischen Politserie Borgen startet. Ebenfalls Arte, ebenfalls sehenswert: Der französische Rache-Road-Krimi Auge um Auge am Freitagabend, dicht gefolgt vom Christian Schwochows Psychodrama Die Unsichtbare über eine verklemmte Schauspielschülerin, die von einem manipulativen Regisseur als Femme Fatale (fehl)besetzt wird.

So geht gehaltvolles Fernsehen ohne Bombast – das morgen auch der WDR zeigt, wenngleich als Wiederholungsfall: Ich liebe dich Philipp Morris ist eine lockere Homo-Knast-Story nach realen Motiven mit Ewan McGregor und Jim Carrey. Durchaus interessant verspricht auch eine Dokumentation auf, Achtung: n-tv zu werden. Ab heute läuft auf dem Baggerkanal der Zehnteiler Die Geschichte Amerikas, in der Oliver Stone die Hegemonie der USA kritisch seziert (dabei indes zuweilen fast stalinistisch argumentiert). Der Tipp der Woche kehrt dann wieder in heimische Gefilde zurück und somit auf Anfang: Weil es das letzte Mal sein wird, sollte man Urban Priol und Markus Barwasser bei ihrem letzten Anstaltseinsatz am Dienstag vielleicht doch nochmals die Ehre erweisen. Witziger wird’s öffentlich-rechtlich wohl auch nicht.

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