Das Molotow & Hamburgs Clubsterben

Clubkulturkampf

Am Popstandort Hamburg wird noch jeder kleine Kellerclub planiert, sobald die große Eventkultur mehr Rendite verheißt. Das Ende des Molotow ist da nur die nächste Etappe zur Ballermannisierung der einst wichtigsten deutschen Musikstadt. Ein Abgesang.

Von Jan Freitag

Vielleicht ist es ja hier, das Epizentrum eines Bebens, das die Subkulturen ganzer Stadtlandflussgebiete hinwegfegt. Vielleicht dreht sich das Auge eines Sturms, der das trübe Sein des Undergrounds unterm Schein glitzernder Massenevents begräbt, hinter dieser Hauswand. Sie steht zwischen zwei Institutionen der Reeperbahn und somit für vieles, was die Stadt so toll, so furchtbar macht. Zwischen zwei Häusern des Schmidt-Theater ragt die pinkweiße Fassade empor. Hamburger Gründerzeit, stolze Architektur. Doch statt des Etagenclubs Cocoon, der im umliegenden Aberwitz für etwas Off-Art gesorgt hatte, ist dahinter nun – nichts. Nur Wiese, Abfall, Ödnis. Wie in der frischen Baulücke am benachbarten Rockschuppen Docks, der vor allem Flatrate-Partys veranstaltet. Symbolischer geht’s kaum.

Denn Hamburg – die Pop- und Beatles-Stadt, die Rock-, Punk- und Schul-, die Brotedelayblumfeldzitronenschamonibegemann-Stadt der 1000 Läden, Schuppen, Kaschemmen, wie sie Christoph Twickels gleichnamiger Interviewband rühmt – dieses Hamburg ist mindestens hinfällig, zusehends hirntot, demnächst verblichen? Es mag Zweckpessimismus sein, den subkulturellen Untergang am Elbestrand nur laut genug beklagen, damit er doch nicht erfolgt. Aber nun wurde gleich neben der trügerischen Hausattrappe ein weiterer Grabstein der lokalen Independentkultur gesetzt: Dort wo das berühmte Molotowjungen Bands von Vampire Weekend über die White Stripes bis zu The Hives eine erste Bühne bot, entsteht die nächste Edelimmobilie fürs ortsübliche Plastikentertainment. Kurz vor Weihnachten wurden die umkämpften Esso-Häuser wegen angeblicher Einsturzgefahr geräumt und das Molotow gleich mit. In einer Nacht- und Nebelaktion. Nach 25 Jahren.

Das könnte man so hinnehmen. Clubs kommen, Clubs gehen wie die Gäste darin, und bevor eine Band namens Metallica das Docks vor 20 Jahren den „verdammt besten Klub der Welt“ nannte, befand sich darin das verdammt älteste Kino im Land. Städte sind Orte dauernder Veränderung. Wie Bodenversiegelung und Frühstau ist ihr Umbau ein urbanes Strukturmerkmal. Doch Hamburg macht keinen Wandel durch, „Hamburg ist hermetisch“, wie es Tino Hanekamp ausdrückt. „Eine verkaufte Stadt, wo nichts Wildes mehr wachsen kann“. Er muss es wissen.

Mitte des vorigen Jahrzehnts, als es noch Restluft, Raum und Mietpreise gab, um im Strasscollier der Massenbespaßung echte Perlen zu fischen, hat der Mittdreißiger Kiezinstitutionen wie das famose Uebel & Gefährlich eröffnet. Doch wo Hanekamp das elektroalternative Clubtriumvirat aus Phonodrome, Click und Echochamber noch ohne größeren Widerstand um die plüschig-illegale Weltbühne erweitern konnte, steht nun eine Privatklinik. Die Liste der Streichungen ließe sich fortführen. Das Kir, in dem die Sisters of Mercy ihre Weltkarriere starteten: Wohnblock. Onkel Pö, wo der deutsche Jazzrock bis in die Achtziger Selbstbewusstsein tankte: Kettenrestaurant. Powerhouse, Spielfeld berühmter DJs: Luxushotel. Madhouse, das Disco-Denkmal in Citynähe: Edelkaufhaus. Hafenklang-Exil, Off-Art-Eldorado auf Zeit: IKEA. Und die nächsten auf der Abschussliste: Astrastube, Fundbureau, Hasenschaukel, die gerade auf einer trotzigen Verleihungsparty den Hamburger Clubaward gewann. Ja selbst das gute alte Logo scheint in Gefahr. Das Siechtum, wie Hanekamp es nennt, geht weiter. Doch das größte Loch, meint Sven Herwig, „reißt das Molotow“.

Und auch er muss es wissen. Wenn aufstrebende wie etablierte Bands mittlerer Kategorie einen Ort für 300 Gäste suchten, war der Club erste Adresse. „Das fehlt jetzt“, sagt Herwig in seiner Dependance des britischen Beggars-Labels, an dessen Wänden goldene Schallplatten von Adele zeigen, wie Indie funktioniert: Masse finanziert Klasse. Das war in Hamburg nicht anders, früher. Durch die Planierung mittelkleiner Hallen à la Molotow und mittelgroßer wie der Ernst-Merck-Halle fehlen jedoch die Kapazitäten knapp über Punkrock im Störtebeker für 100 Leute und klar unter der O2World.

Einst war die Clubszene stolz, dass Blockbuster von Turner bis Cocker mangels Großhalle einen Bogen um Hamburg machten; jetzt, erklärt Hanekamp, gehen coole Band „notgedrungen nach Leipzig oder Berlin, weil es hier keine neuen Räume für Clubs mit experimentellerem Ansatz gibt“. War Hamburg früher oft Pflichttermin, belegen viele Booker die Stadt heute nur, wenn sie günstig auf der Route liegt. Das ist längst nicht immer der Fall. Offenbar pfeift da also einer etwas im Wald, wenn Andi Schmidt tapfer verkündet, sein Club mache auf der Suche nach Alternativen „nur Pause“. Die tapfere Mischung aus Idealismus und Zuversicht, mit der der ergraute Idealist das chronisch klamme Molotow seit 20 Jahren leitet, könnte allerdings an Grenzen stoßen. Bislang galt für maximal 350 Gäste eine Konzession mit dem lässigen Brandschutz aus Eröffnungszeiten; für diese Zahl bräuchte er 2014 gleichwohl weit mehr Platz – ohne auch nur einen Cent mehr Miete zahlen zu können. Da hilft eigentlich nur noch, was Kollege Hanekamp fordert: Hausbesetzungen. „Am besten in all die leeren Bürogebäude.“ Da müsse man rein. Wie einst seine Weltbühne in ein altes Kaufhaus.

Doch auch das wäre derzeit luxussaniert, bevor das erste Transparent aus dem Fenster hängt. Und ein Ausweichen in andere Viertel scheitert entweder an den Anwohnern, die selbst zwischen Kiez und Schanze den Radical Chic mögen, aber abends in Ruhe fernsehen wollen. Oder am Publikum, das in Hamburg scheinbar bequemer ist als andernorts. Wer aus Sicht von Sven Herwig in den angesagten Vierteln wohnt, „sieht schon die Markthalle als Provinzclub“. Weil vielen also schon der Weg zum früheren Hardrocktempel am Hauptbahnhof zu weit ist, sterben mit den Kiezbühnen die der ganzen Stadt.

Hamburg hatte nie den Schwabinger Glamour, nie die Kreuzberger Strahlkraft, keinen Bowie, Moroder, Mercury. Hamburg war stets alternative Wühlarbeit zwischen Hanseatenstolz und Nischenkultur. Bis in die Neunziger öffnete sich schon irgendein Fenster, falls mal ein altes verrammelt wurde. Es war „wie in Ost-Berlin“, schwelgt der Pudel-Club Betreiber Schorsch Kamerun in Erinnerungen, „nur mit mehr Puffs“. Doch so sehr das offizielle, blankgeputzte, gefahrengebietsichere Pfeffersäckehamburg auch mit Rotlicht und Blaulicht, Kiez und Party, Reeperbahnfestival und Gängeviertel wirbt, so wenig versteht es das Wesen der Clubkultur. Seit jeher. Schon der berühmte Starclub wurde „mit allen Mitteln bekämpft“, wie Andi Schmidt weiß. Und heute? Liegt die Wahrheit bei Wikipedia. Musicals füllen da unterm Stichwort Hamburg ein eigenes Kapitel. Clubs finden sich dort keine.

Der Text ist bei ZEIT-Online erschienen unter http://www.zeit.de/kultur/musik/2014-01/hamburg-clubsterben-gentrifizierung

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