Schulz & Böhmermann: Genie & Wahnsinn
Posted: January 13, 2016 Filed under: 3 mittwochsporträt 1 Comment
Wie im Rausch
Die zwei hoffnungsvollsten Berserker der hiesigen TV-Unterhaltung bitten zur gemeinsamen Talkshow. Ein Jammer, aber kein Wunder, dass das ZDF Schulz & Böhmermann (Foto: ZDF) lieber im Nachtprogram eines Spartenkanals versteckt (Sonntag, 22.45 Uhr, ZDFneo)
Von Jan Freitag
Staatsgewalt und Anarchie waren einst höchst unterschiedlich gekleidet. Wer das System mit aller Macht stützte, trug gemeinhin Zwei- bis Dreiteiler, vornehmlich mit Krawatte. Wer dagegen rebellierte, eher Kapuzenpulli und Jeans, vornehmlich in schwarz. Mittlerweile jedoch sehen sich Umsturzwillige und Besitzstandwahrer nicht nur oft zum Verwechseln ähnlich, sie sind gelegentlich gar deckungsgleich. So wie Olli Schulz und Jan Böhmermann.
In feinem Anzug, schmal geschnitten und farblich gedeckt, mischen die Moderatoren das Fernsehen auf, als wollten sie es vom Erdboden fegen wie eine Tyrannei. Zugleich aber verteidigen sie das Fundament jenes eingestaubten Leitmediums stilisiert, das die zwei im subversiven Furor ihres Bildersturms erneuern sollen, als seien sie nicht renitent, sondern Heilsbringer. Seltsam. Und, pardon, irgendwie alternativlos. Niemand sonst als der respektlose Humorberserker aus Hamburg und sein Bremer Kollege mit dem zynischen Charme haben schließlich das Talent, die Frechheit und den nötigen Atem, Deutschlands TV-Unterhaltung nachhaltig zu retten. Das Besondere daran: Man lässt sie sogar. Und zwar gemeinsam.
Endlich.
Nachdem sie mit der Kraft ihrer kreativen Kaltschnäuzigkeit getrennt sämtliche Kanäle des multimedialen Zeitalters zur Bühne ihrer gewaltigen Egos gemacht haben und gemeinsam das gute alte Radio Berlin-Brandenburg als Sanft & Sorgfältig unterwandert, dürfen Olli & Jan am Bildschirm gemeinsam tun, was sie besonders gut können: Reden. Mit ihren Gästen. Vor allem aber mit sich selbst. Schulz & Böhmermann heißt ein neues Talkformat, das seit Sonntag nun vier Wochenende um etwas gesprächigen Aberwitz bereichert; und es wirft abgesehen von der bemerkenswerten Existenz dieses Formats an sich erneut ein trübes Licht aufs ZDF, dass es sein zukunftstauglichstes Zugpferd a) sonntags um 22.45 Uhr b) im Spartenkanal ZDFneo und dann auch noch c) als Konserve versendet.
So sehr die Gremlins in den Lerchenberger Gremien ihren Nachwuchs(Böhmer)mann nämlich zu schätzen wissen, so sehr misstrauen sie ihm, zumal an der Seite des Perpetuum Mobiles anarchistischen Humors (Schulz). Wie gut, dass die zwei da weniger verzagt sind. Zum Auftakt hatten sie sich nämlich Gäste eingeladen, die ihre Debattentauglichkeit konfliktgeladen auf die Probe stellen dürften: der narzisstische Wetterfrosch Jörg Kachelmann traf dabei auf den manipulativen Hochstapler Gert Postel, die es beide mit Deutschlands zurzeit erfolgreichster Drehbuchautorin Anita Becker und dem brutalstmöglichen Gangstarapper Kollegah zu tun kriegten.
Der Auftakt zeigte zwar, wie wichtig ein betuliches Regulativ wie Charlotte Roche für den entfesselten Böhmermann war, aber auch, welch unglaubliche Spielfreude er zusammen mit seinem Fuck-Buddy Schulz entfaltet. Es war, es ist, es wird also sein: Eine energetische Mischung in vertrautem Ambiente. Das Studio nämlich erinnert verteufelt an Böhmermanns viel zu früh vergangenen Nostalgietalk mit der wunderbaren Charlotte Roche, die vor ein paar Jahren vor ein paar namentlich bekannten Zuschauern vor allem damit befasst war, das erstarrte Ritual selbstverliebten Faselns der ewig gleichen Gäste in kreative Gesprächskultur echter Persönlichkeiten zu verwandeln. Wie damals wird auch diese Sendung von der Kölner Produktionsfirma bildundtonfabrik produziert. Wie damals ist das Interieur optisch entsprechend reduziert und konsequent nostalgisch. Wie damals darf, ja muss beim Reden geraucht und gesoffen werden. Und wie damals dürfte es dabei wie im Rausch zugehen.
Schließlich beweisen die Diskussionsleiter ihre gesamte Medienexistenz über bereits großes Balancegefühl auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Als betrunkener Außenreporter der Berlinale etwa hat der gelernte Singer/Songwriter Schulz Fernsehgeschichte geschrieben, während Jan Böhmermann mit Neo Magazin Royale Woche für Woche beweist, was man dem abgedroschenen Genre Late Night noch abringen kann, wenn man es ernst und zugleich leicht nimmt.
So gesehen könnte etwas Großes, Bleibendes entstehen, in fünfmal 60 Minuten, sonntags zu später Stunde im Nischenprogramm, beim nächsten Mal mit Gästen wie Nora Tschirner und Katrin Göring-Eckhart, denen hoffentlich ein paar mehr als die 400.000 Zuschauer der Premiere zusehen. Und falls nicht? Wälzen Schulz & Böhmermann die Sehgewohnheiten eben woanders um. Was bleibt den Verantwortlichen des alten Regelfernsehens auch übrig; sie haben ja sonst keinen…
Die Frau heisst tatsächlich Anika Decker.