Beate Zschäpe: Wirklichkeit & Reduktion
Posted: January 27, 2016 Filed under: 3 mittwochsporträt Leave a commentKammerspiel im Konvoi
Der fabelhafte ZDF-Film Letzte Ausfahrt Gera – Acht Stunden mit Beate Zschäpe (Foto: Kartelmeyer/ZDF) kommt einem umfassenden ARD-Dreiteiler zum NSU-Terror zuvor und zeigt (noch eine Woche in der Mediathek) eindrücklich: In der Reduktion liegt oft viel mehr Kraft als in angestrengter Unterhaltsamkeit.
Von Jan Freitag
Die Realität ist bisweilen ganz schön wankelmütig. Kaum hat man sich daran gewöhnt, wirft die Zukunft sie übern Haufen. Was gestern richtig war, wird oft heute schon wieder zum Irrtum, der morgen abermals wahr werden könnte, wer weiß. Ein echtes Windei, diese Wirklichkeit. Das denken sich wohl auch die Verantwortlichen eines Films, der in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist: inhaltlich, zeitlich, namentlich vor allem. Als das ZDF sein Dokudrama Das Schweigen der Beate Zschäpe vorstellte, begann ja die Angeklagte des NSU-Prozesses nämlich grad unverhofft (wenn auch schriftlich) zu reden. Ein neuer Titel musste her, beredtes Ende inklusive. Es ist ein Kreuz, mit der Realität.
Besonders, wenn man sie so nutzt wie Raymond Ley. Der Regisseur dreht mit Vorliebe Hybride, die dann oft zum Besten der manipulationsanfälligen Grauzone zwischen Fiktion und Sachfilm zählen. Das Zugunglück in Eschede, Eichmanns Ende, zuletzt die letzten Tage von Anne Frank – wann immer er sich spielerisch Zeitgeschichte nähert, wird sie unterhaltsam erlebbar. Nun gelingt ihm ein ähnliches Kunststück, das die Handlung im aktualisierten Titel trägt: Letze Ausfahrt Gera. Acht Stunden mit Beate Zschäpe, leicht sperrig, aber journalistisch präzise.
Leys Drehbuch, geschrieben wie so oft gemeinsam mit seiner Frau Hannah, basiert vorwiegend auf einer realen Dienstfahrt. Als Beate Zschäpe ein paar Monate nach Prozessbeginn ihre kranke Oma in Thüringen besuchen durfte, setzte ihr das BKA nämlich zwei Verhörprofis ins Auto. Auf Hin- und Rückfahrt sollten sie dem verstockten Untersuchungshäftling zweimal vier Stunden lang Informationen übers Leben vor der Festnahme entlocken. Eine Terrorverdächtige, zwei Polizisten, zwölf Seiten Gedächtnisprotokoll, dessen Ergebnisse vor Gericht unverwertbar sind – klingt nicht unbedingt nach prickelndem Hauptabendentertainment. Dass es die Zuschauer trotzdem bis zum Schluss fesseln dürfte, hat drei Gründe: Raymund Ley, Lisa Wagner, Joachim Król.
Der Filmemacher montiert das heimliche Verhör im Hochsicherheitskonvoi mit Rückblenden, Archivmaterial, Zeugenaussagen und Prozesssequenzen zu einem furiosen Kammerspiel, das die Psyche der Protagonisten mit meist simplen Mitteln offenlegt. Dafür sorgt schon Lisa Wagner, deren Hauptfigur gespenstisch glaubhaft zwischen kalkulierter Arroganz und emotionaler Durchlässigkeit agiert, wofür sie oft nur ein Zucken im Tränensack benötigt. Was wiederum Joachim Król als schnauzbärtig behäbiger Bulle provoziert, der wie das Original anderen Namens falsche Fraternisierung perfekt mit westfälischer Bodenhaftung kombiniert und sein Gegenüber so ein ums andere Mal aus der Reserve lockt.
Ihr Zusammenspiel wirkt dabei, als verlören sich die Darsteller vollends in den Rollen. Als sei Wagner wirklich diese Zschäpe, deren Fassade mit jeder Gesprächssimulation stärker reißt, ohne einzustürzen. Als sei Król tatsächlich dieses unscheinbar effiziente BKA-Fossil, das auch „Conférencier aufm Rheindampfer“ sein könnte, wie es die Gerichtsreporterin vom Spiegel im Dokuteil ehrfürchtig ausdrückt. „Ham’se die Haare anders?“, fragt er einmal freundlich. „Ich werd‘ nur von der Chefin geschnitten“, entgegnet Zschäpe fühlbar stolz. Viel mehr bedarf es kaum, um einerseits die zweckgebundene Intimität zweier Antipoden in Worte zu fassen und anderseits Psychogramme von großer Aussagekraft zu erstellen. Ereignisrückblenden und Gerichtssequenzen, etwas nachgestellter Nazi-Thrill mit Runen-Tattoo und echte Hinterbliebeneninterviews ergänzen die Wucht solcher Dialoge da eher dramaturgisch, als Kern der Handlung zu sein. Den nämlich bilden überwiegend Worte statt Bilder.
Kommunikation unter kommunikationsfeindlichen Bedingungen ist demnach vermutlich auch der große Unterschied zum anstehenden Konkurrenzprodukt. Ab März befriedigt der ARD-Dreiteiler Terror in Deutschland den wachsenden Bedarf nach Zeitgeschichte in Echtzeit, wie es unlängst auch zwei Filme zur Haft von Uli Hoeneß taten, die noch vor seiner Entlassung liefen. Mit Anna Maria Mühe als Beate Zschäpe beschränkt sich das Erste dabei weniger auf einen Ausschnitt, sondern erzählt die ganze Story umfassend aus Opfer-, Täter-, Polizeiperspektive. Dem Publikumsinteresse nach lückenloser Aufklärung mit dramaturgisch aufwändigen Mitteln könnte das angesichts der kaum zweieinhalb Millionen Zuschauer, die sich gestern um 20.15 Uhr zur ARD verirrten, zwar um einiges näher kommen. Intensiver, näher, glaubhafter als das Kammerspiel im Konvoi kann es – auch wenn es die taz in ihrem anstrengenden Bedürfnis, jede Art von bürgerlicher Kommentierung rechten Terrors zu kritisieren, anders sieht – kaum werden.