Neil Tennant: Pet Shop Boy & Super Popper
Posted: April 14, 2016 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a comment
Ich fühle mich wie ein Pop Kid
Seit ihrem Durchbruch vor 30 Jahren gehören die Pet Shop Boys zum globalen Pop wie kaum eine andere Band. Nun legen die beiden Engländer ihr 13. Album Super vor, zwölf Stücke voller Eurodance, Orgelpeitschen, arglosem Trallala und modernisierter Disco, die so unbekümmert und arglos klingen, dass eine Zeile wie I loved you darin glatt zum zeitkritischen Statement werden kann – sagt Sänger Neil Tennant (Foto@Beaucoupkevin) im Gespräch.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Neil Tennant, hätten Sie sich nach dem Debütalbum der Pet Shop Boys träumen lassen, 30 Jahre später Interviews über die 13. Platte zu geben?
Neil Tennant: Nein (lacht)! Aber weniger, weil wir nicht an uns geglaubt hätten, sondern weil wir nie sonderlich weit im Voraus dachten. Als wir angefangen haben, bestand unser Ehrgeiz allein darin, in einem bestimmten Londoner Plattenladen in Soho eine 12‘‘ stehen zu haben.
Vinyl! Nostalgische Zeiten…
In der Tat. Als das geschafft war, ging es uns darum, das zu wiederholen, und zwar möglichst mit einem guten Plattenvertrag.
Den es dann ziemlich schnell mit dem früheren EMI-Sublabel Parlaphone gab.
Und zwar gleich für sieben Platten! Damals war ich mir aber ziemlich sicher, nie so viele Platten zustande zu kriegen. Wir waren ja nicht mehr die Jüngsten damals, aber auch Realisten, was die Chancen langfristigen Erfolgs im Popgeschäft betrifft.
Auf Super singen Sie an einer Stelle über die frühen Neunziger „They called us the pop kids / cause we loved the pop hits“ – ist diese Liebe eines Popkinds zu Pophits biografisch gemeint oder ironisch?
Weder noch. Es geht gar nicht um uns, sondern einen Freund, der damals von Birmingham nach London gezogen ist, um zu studieren, stattdessen aber mit seiner Freundin jede Nacht clubben war, weshalb man sie an der Universität nur „Pop Kids“ genannt hat. Es war also gar nicht meine Story, hat aber natürlich auch ein wenig mit mir zu tun.
Obwohl Sie Anfang der Neunziger mit fast 40 schon recht alt waren für den Begriff…
Ach, ich fühle mich noch immer oft wie ein Pop Kid, das heute wie damals Pop Hits mag. Meine Liebe dazu hat sich in all den Jahren kaum verändert.
Sich dazu zu bekennen, empfinden nicht wenige als oberflächlich oder?
Ich mag Oberflächlichkeit, sie macht Popmusik aus, aber nur, wenn unter der leichten Oberfläche eine gewisse Tiefe steckt, die sich hinter den eingängigen Sounds und Lyrics verbirgt. Das können manchmal Kleinigkeiten sein wie jene drei Worte, die der Erzähler in The Pop Kids sagt: „I loved you“. Past tense! Die Vergangenheitsform besagt nicht weniger, als dass in der heiteren Welt der Pop Kids am Ende doch etwas schief gelaufen ist. Wer das Lied aufmerksam hört, spürt diesen kleinen Bruch. Wer nicht, darf auch einfach nur tanzen. Wie 1986 zu „West End Girls“, wo es unter der Popmelodie um Klassenunterschiede ging. Diese Option ist für mich das Wesen des Pop.
Haben die Pet Shop Boys diese Optionen vor 30 Jahren anders genutzt als heute?
Im Grunde nicht, wir sind uns sowohl musikalisch als auch textlich treu geblieben. Aber die Technologie hat sich so radikal geändert, dass man in unserem Genre viel größere Möglichkeiten hat als damals. Bis tief in die 90er war elektronische Musik extrem kompliziert herzustellen. Selbst der legendäre Synthesizer DX7 war nicht annähernd so einfach zu bedienen wie heutige Software, mit denen jeder zuhause Techno machen kann. Was uns allerdings damals wie heute kennzeichnet, ist, dass wir seit jeher mit Samplings arbeiten. Schon in West End Girls mischen sich echte Sounds von der Straße mit der Melodie. Damit versuchen wir unsere Songs seit jeher filmischer zu machen als andere Popbands.
Und dafür gehen Sie mit dem Rekorder raus und nehmen den Alltag mit ins Studio?
Dafür haben wir heute natürlich auch Programme. Aber das Prinzip bleibt das Gleiche.
Wurde es dadurch beeinflusst, dass Sie nun bereits das zweite Album auf eigenem Label veröffentlicht habt, also für sich allein verantwortlich seid?
Nicht wirklich, denn wir waren auch schon vorher für uns allein verantwortlich, das unterscheidet das erste kaum vom neuen.
Das Sie allen Ernstes im Londoner Royal Opera House spielen dürfe. Wie bitte schön kam es dazu?
Das hat zunächst mal einen profanen Grund: Im Sommer haben die Ensembles klassischer Konzerthäuser wie dem Royal Opera House meist Pause, weshalb Platz für andere Stile ist. Darum haben sie uns wohl gefragt. Vor ein paar Jahren war das schon mal an Termingründen gescheitert; nun klappt es und das ist wirklich eine extrem große Sache für uns.
Welch ein Ritterschlag!
Ich war jetzt gerade kurz davor, zu sagen, dass es fürs Opera House einer ist, aber nein; ich betrachte es für beide Seiten vor allem als große Chance, ein neues Publikum anzulocken, dass weder die eine noch die andere Seite kennt und oft genug gar nicht kennenlernen will.
Werden Sie Ihr Werk denn dem Ort angemessen orchestraler, klassischer darbieten?
Im Gegenteil – wir bleiben wie wir sind: elektronisch, verglichen mit Orchestern also minimalistisch. Es wird keine große Oper, aber gewiss irgendwie mit dem Ort korrespondieren.
Und damit Ihrem Ruf als erfolgreichstes Pop-Duo aller Zeiten, wie das Guiness-Buch der Rekorde schreibt, weiter steigern?
Ich hätte jetzt gedacht, die Eurythmics lägen noch vor uns, aber gut. Was da im Guiness-Buch steht, ist vor allem Statistik, mit der ich mich nicht weiter befasse. Das hat keinen künstlerischen Einfluss auf uns.
Spornt es Sie nicht ein wenig an?
Ach, wie früher bin ich, was Erfolg betrifft, gar nicht so ehrgeizig. Bis heute planen wir das wenigste und sehen viele Möglichkeiten erst, wenn sie direkt vor uns liegen. Wie vor gut zehn Jahren, als wir einen neuen Soundtrack für Eisensteins Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ machen sollten, den
Den Sie dann mit den Dresdner Philharmonikern eingespielt haben.
Genau. Auf sowas wären wir doch nie von allein gekommen! Ich würde uns noch immer als spontan bezeichnen. Dabei hat geholfen, dass wir seit ein paar Jahren auch in Berlin leben, wo wir große Teile der letzten drei Alben aufgenommen haben. Es ist ein großartiger, freier, kreativer Ort und verglichen mit London einer, wo man dennoch wunderbar zur Ruhe kommt.
Hört man das den Platten an?
Unterschwellig vielleicht, nicht bewusst.
Was bei der neuen abermals auffällt: Ihre Stimme hat sich seit 1986 kaum verändert.
Also mir wurde mal gesagt, sie sei mit den Jahren kräftiger geworden.
Dabei allerdings wie früher ungemein hoch. Wie halten Sie sie bloß derart in Form?
Wissen Sie was? Indem ich überhaupt nichts damit tue.
Nicht die kleinste elektronische Hilfe?
Na ja, manchmal ein Doppler drauf, das war’s. Passt wunderbar zum Pop.
Den Sie offenbar aufrichtig lieben.
Ganz genau.