Berufszyniker & Lustwandelnde

0-GebrauchtwocheDie Gebrauchtwoche

11. – 17. April

Es müssten eigentlich gute Zeiten sein, wenn lebenszugewandte Themen wie Mindestlohn, Kabinettsgipfel oder Übertragungsrechte der Fußballbundesliga so die Schlagzeilen dominieren, dass lebensabgewandte Themen wie Krieg und Terror glatt in hintere Regionen der Aufmerksamkeit verbannt werden. Wenn selbst das hochkulturelle Akademikerblatt Die Zeit den Nischenkomiker Jan Böhmermann auf den Titel hievt, könnte sich die brutalstmögliche Gegenwart also tatsächlich kurz mal entspannt haben. Aber es ist aus medienpolitischer Sicht natürlich auch einzigartig, wenn ein unrechtsstaatlicher Despot zwar nicht sehr lustig, aber zweifellos satirisch verunglimpft wird und dafür mit ausdrücklicher Genehmigung der genehmigungspflichtigen Bundesregierung – genauer: der CDU-CSU; noch genauer: deren Kanzlerin – allen Ernstes den deutschen Rechtsstaat um Hilfe ersucht.

Der dürfte nach allen Gesetzen von Moral, Anstand und StGB höchstens eine Geldbuße verhängen, und doch sind die Folgen des Skandals übers Strafmaß hinaus bemerkenswert. Der sonst so wortreich austeilende Berufszyniker Böhmermann hat sein Neo Magazin Royale bis auf Weiteres abgesagt, steht unter Polizeischutz, schweigt erstmals in seiner Laufbahn länger als drei Minuten am Stück und muss zudem die eklige Fraternisierung des Springer-Konzerns erdulden. Erst hat sich Konzernchef Döpfner mit der Wiederholung des Ziegenfickergedichts an Böhmermanns Zielgruppe rangewanzt, dann versuchte der hauseigene Vulgärpopulist Diekmann in Gestalt eines fiktiven Bild-Interviews witzig zu sein. Was ihm ebenso misslang wie Rudi Carrell, als seine Tagesshow 1987 Irans Revolutionsführer Khomeini mit einem schlüpfrigen Witz brüskierte. Die deutsche Politik reagierte jedoch nur mit regierungsamtlichem Bedauern fürs Verletzen religiöser Gefühle. Fertig.

Ging ja auch nur um Damenschlüpfer, die der Ayatollah statt Allahs Wort unters Volk warf – was für sexuell verklemmte Islamisten indes provozierender war als jedes Montagsspiel für einen Erstligafan, von denen es ab 2017 fünf Stück gibt. Und nicht für die, also Islamisten.

tw_sex_and_love2_keyvisual_n_481x270Die Frischwoche

18. – 24. April

Wenn man sich die Themenwoche Sex & Love auf 3sat ansieht, wird deutlich, wie verklemmt es auch im christlichen Kulturkreis zugeht. Schon die Doku Lust und Lüge befasst sich zum heutigen Auftakt (20.15 Uhr) mit dem Falsch- bis Unausgesprochenen, das uns echte Erfüllung im Bett so schwer macht. Offenbar besonders Frauen, um die es in Matrix der Lust am Mittwoch geht, bevor den tags drauf das Wunderwerk Penis erklärt wird, das die Herren der Betten dummerweise chronisch an der Ware Mädchen missbrauchen, wie das Finale am Freitag vermittelt. Sex als Schlachtfeld; lustige Schlüpfer fliegen da selten.

Lustige Zoten fliegen hingegen durch den neuen Weimarer Tatort, dessen unterhaltsame Skurrilität Sonntag auch deshalb locker ans Niveau der ersten zwei Folgen heranreicht, weil sich zum humoristischen Dreamteam Christian Ulmen und (endlich vom Babybauch befreit) Nora Tschirner die aktuelle Allzweckwaffe gediegenen Entertainments gesellt: Matthias Matschke. Ein Breitbandkomödiant von grandioser Wandlungsfähigkeit und beängstigendem Timing, das er als Kriminaltechniker im Fall um einen ermordeten Stahlarbeiter – Der treue Roy – gekonnt zum Einsatz bringt.

Weit ruhiger, gar nicht humorvoll, aber ungemein intensiv geht es im Regiedebüt von Juliane Fezer zu. Meeres Stille zeichnet am Donnerstag (23.10 Uhr, Arte) das einfühlsame Porträt einer Mutter, die im Urlaub erst nach sich, dann ihrer Vergangenheit sucht, was ihr peu à peu entgleitet. Um scheinbar gewöhnliche Menschen und ihr Selbstbild geht es auch am Dienstag, wenn der RBB ab 20.15 Uhr im sehenswerten Dreiteiler Russland, mein Schicksal das vertrackte Verhältnis der Deutschen zum östlichen Nachbarn und umgekehrt am Beispiel der heutigen Bewohner zwischen Ural und Kamtschatka skizziert.

Als dieses Verhältnis gewissermaßen noch vom Pulverdampf vernebelt war, entstand die schwarzweiße Wiederholung der Woche. Helmut Käutners Kriegsromanze Unter den Brücken aus der unmittelbaren Nachkriegszeit zeigte bereits 1945, welche Kraft die Liebe im Untergang entfaltet (Montag, 22.05 Uhr, Arte). Liebe zum Understatement bewies Detlev Buck, als sein Erstlingslangwerk Karniggels (Montag, 23.15 Uhr, NDR) um einen Landpolizisten so hinreißend reduziert von Bucks norddeutscher Heimat erzählte, dass es selbst im fremdsprachlichen Süddeutschland (untertitelt) Erfolg hatte und seither mit ähnlichen Geniestreichen wie „Kleine Haie“ zum Kanon des neuen deutschen Humors zählt. Gar nicht zum Lachen ist hingegen die Doku der Woche namens Das Comeback der Rüstungsindustrie. Heute um 23.30 Uhr legt Teil 2 der ARD-Reihe Akte D versiert den Finger in die Wunde deutscher Geopolitik – und wird abermals bis auf ein bisschen Staub wenig aufwirbeln.

Wie es halt so ist, am Standort Deutschland.

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