Thomas Fischer: Bundesrichter & Kolumnist
Posted: April 21, 2016 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a commentDie Grenzen der Sozialpädagogik
Seit gut einem Jahr schreibt Thomas Fischer auf ZEIT-Online eine viel beachtete Rechtskolumne. Und auch sonst hält der Vorsitzende Strafrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe publizistisch nicht mit seiner Sicht auf die Welt hinterm Berg. Ein Gespräch mit dem 62-Jährigen Sauerländer über meinungsstarke Juristen, aufgebrachte Kollegen, überforderte Journalisten, die Gewaltenteilung und wozu er Botaniker herzlich einlädt.
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Fischer, gibt es aus im Jahr 2016 zu viel oder zu wenig öffentliche Meinungsäußerung?
Thomas Fischer: (überlegt lange) Zu viel.
Das klingt aus dem Mund eines BGH-Richters, der nebenbei meinungsstarke Kolumnen schreibt, erstaunlich.
Nicht inhaltlich betrachtet. Es gibt aus meiner Sicht zwar kein objektives Kriterium, öffentliche Meinungsäußerung quantitativ einzuschränken, aber die Motivation, dem großen Teil qualitativ minderwertiger Meinungsäußerung etwas Substanzielles entgegenzusetzen.
Ist das Ihr Antrieb, die Welt seit einer Weile regelmäßig in der ZEIT zu kommentieren?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist, dass mein Fachgebiet in der Berichterstattung viel zu kurz kommt. Über die Zusammenhänge und Bedeutung des Rechts fürs Gemeinwesen wird in der deutschen Medienlandschaft zwar berichtet, aber selten fundiert, teils gar sachlich falsch. In diesem Zusammenhang fühle ich mich nicht grad berufen, aber dazu in der Lage, mit meiner Meinung zur Aufklärung beizutragen.
Und was qualifiziert Sie dann dazu, fachfremde Bereiche des sozialen Lebens von der NSA über den Grexit bis hin zur Causa Beckenbauer zu bewerten, wie in Ihrem Jahresrückblick „Der Deutsche schreit“ in der gedruckten ZEIT?
Man hat mich gefragt und ich habe zugesagt, eine höhere Legitimation will ich mir da nicht zuschreiben. Und wer meine Meinung nicht zur Kenntnis nehmen will, braucht sie weder zu drucken noch zu lesen.
Manche von denen, die sie zur Kenntnis genommen hat, wirft Ihnen allerdings vor, Berufliches auf ungebührliche Weise mit Privatem zu vermischen.
Das sehe ich anders, denn ebenso wie die Kolumne hatte dieser Beitrag des Gastautors einer weit verbreiteten Publikation mit meinem Beruf als Richter oder gar meiner dienstlichen Tätigkeit am BGH nicht das Geringste zu tun.
Lässt sich das so einfach trennen?
Ich arbeite dran, dass es im öffentlichen Diskurs so wahrgenommen wird. Ihre Frage ist allerdings insofern etwas tendenziös, als sie unterstellt, in meiner Position habe man gefälligst den Mund zu halten bei Fragen, die über bloße Verlautbarungen oder den öffentlichen Dienst hinausgehen. Ich kann eine Verpflichtung zum Schweigen weder in meinem beruflichen noch persönlichen Profil erkennen. Warum sollte sich ein Bundesrichter für Strafrecht nicht auch über Fußball, Kunst oder Botanik äußern? Wenn sie etwas Zielführendes dazu beitragen können, dürfen sich Fußballer, Kunstkenner und Botaniker ja auch zu Fragen des Rechts auslassen. Da ich außerdem vornehmlich mein Fachgebiet kommentiere, klappt das aber sowieso nicht mit dem Trennungsgebot. Ich gebe ja auch keine Rechtsberatung in Einzelfällen, sondern versuche allgemeine Fragen des Rechts in populärer Weise zu erläutern.
Populär im Sinne von Klartext oder Verständlichkeit?
Letzteres. Umso mehr will ich nicht den Eindruck erwecken, es handele sich bei mir um eine Art neutraler Instanz. Wer die will, soll sich an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wenden. So neutral ich mich sonst zu verhalten versuche – in meiner Kolumne bin ich Kolumnist mit höchst persönlicher Ansicht, die niemals laufende Verfahren, andere Senate, gar Entscheidungen oder Kollegen kommentieren. Das nämlich wäre völlig unangemessen.
Darf man die Meinungsstärke Ihrer Texte denn als Appell an gelernte Journalisten zu mehr Meinungsstärke entnehmen?
Da ist was dran. In meiner aktuellen Kolumne geht es um die Themen Strafrecht und Presse, deren Berichterstattung ich diesbezüglich als höchst mittelmäßig bezeichne. Das ist meine Meinung, die tue ich kund, verteile deshalb aber keine Ratschläge an Journalisten oder spiele mich gar als Sachverständiger auf. Meine einzige Empfehlung lautet da, sich maximale Sachkenntnis über die Materie anzueignen, um fundierte Meinungen äußern zu können, die ich für notwendig halte.
Meinungsstärke durch Expertise zu rechtfertigen, ist aber gerade jenseits der Qualitätsmedien schwer zu bewerkstelligen.
Genau. Einer Lokaljournalistin, die neben ihrer Zuständigkeit für Kommunal- und Verkehrspolitik plötzlich noch aus dem Amtsgericht zum Stand des Strafrechts berichten soll, fällt das natürlich schwerer als versierten Prozessberichterstattern. Aber selbst die scheitern oft daran, objektiv über angeblich zu lasch behandelte Täter oder zu kurz gekommene Opfer zu befinden. Da sind viele eher von Gerichtsshows als von Fachwissen inspiriert.
Bis auf Gisela Friedrichsen vom Spiegel oder Annette Ramelsberger von der Süddeutschen also alles Laien?
Nein. Es gibt gute Rechtsjournalisten und schlechte, aber ich will das hier nicht namentlich vertiefen. Wichtiger ist: Irgendetwas rauszuhauen, hat selten Sinn und erinnert eher an Extreme von Pegida bis zu deren Gegnern ganz links. Ich erhalte täglich 200 Mails über vermeintliche oder faktische Rechtsangelegenheiten. Dass viele davon weitgehend kenntnisfrei sind, darf man den Bürgern bis zu einem gewissen Grad nicht vorwerfen, Medienprofis hingegen schon. Der Rechtsjournalismus, insbesondere im Strafbereich, ist da zuweilen von fast bedrückender Niveaulosigkeit. Das hat jedoch vor allem strukturelle Gründe, die ich dem einzelnen Journalisten gar nicht vorwerfen will.
Sondern Personalansparung, Arbeitsüberlastung, Etatkürzungen?
Ungefähr. In keinem Fach von der Medizin bis zum Ingenieurswesen gälte es als hinnehmbar, dass eine Person plötzlich fachfremd tätig wird, aber im Journalismus wird der Sportexperte schnell mal zum Gericht geschickt. Das schmerzt mich insofern, als die Justiz so unerlässlich fürs Funktionieren unserer Gesellschaft ist. Recht sorgt für Orientierung. Verwirrung wiegt da doppelt schwer. Meine Kolumne ist auch der Versuch, eine gewisse Aufklärung zu betreiben für diejenigen, die sich interessieren.
Hat dieser Versuch Einfluss auf Ihre Wahrnehmung und Arbeit als Bundesrichter?
Für meinen Beruf hat das keinerlei Bedeutung, zumal ich mich zu eigenen wie den Urteilen und Prozessen anderer weitestgehend jeder Bewertung enthalte. Dennoch gibt es natürlich Reaktionen aus der Justiz, negative wie positive. Erstere werfen mir da vor, Kompetenzen zu vermischen, letztere halten es für eine erfreuliche Auflösung jahrzehntealter Beschränkungen.
Überwiegt da eine der Seiten?
Ich zähle das nicht, freue mich aber – nahe liegend – mehr über Zuspruch als über Ablehnung, und sei sie noch so fundiert. Auch darauf reagiere ich zwar wenn möglich, bin aber überzeugt davon, auch mit noch so viel Mühe keinen Zustand allgemeiner Zustimmung zu erreichen.
Der Berliner Richter Urban Sandherr, Redakteur der Richterzeitung, schrieb in der FAZ, Ihre „brachialen Schuldsprüche“ kennen statt Mitspielern, Freunden, Kollegen nur Feinde, wählen also keinen konstruktiven, sondern rein konfrontativen Ansatz.
Ich halte im Gegenzug die Kritik von Herrn Sandherr für wenig konstruktiv und bin sicher, dass der Kollege gar nicht verstanden hat, worum es mir geht. Ich habe mich dazu aber schon öffentlich geäußert und möchte das hier nicht wiederholen.
Es sei denn, man folgert daraus, dass Publizistik neben der Pflicht zur Aufdeckung von Missständen auch eine zu deren Lösung beinhaltet.
Eine Pflicht kann ich da nirgendwo erkennen.
Ersetzen wir das sehr deutsche Wort „Pflicht“ durch „Verantwortung“ im moralischen und sozialen Sinne.
So wenig, wie ich nur Missstände aufzeige, verkneife ich mir Lösungsvorschläge. Bis zu 1,2 Millionen Menschen pro Woche allerdings, die meine Kolumne lesen und mit weit über 1000 Kommentaren bedenken, fühlen sich da offenbar weder über- noch unterversorgt. Aber bereits die Unterscheidung zwischen „Beschreibung“ und „Lösung“ suggeriert ähnlich wie bei „Meinung“ und „Information“, es gäbe so etwas wie objektive, neutrale Berichterstattung in Reinform. Das ist in der Realität die absolute Ausnahme. Wenn ich mir in der Qualitätspresse zum Beispiel zehn Veröffentlichungen zum Thema Sexualstrafrecht ansehe, werde ich vermutlich zehn verschiedene Sichtweisen lesen.
Gibt es dafür Gründe, die über einen Mangel an Sachkenntnis hinausgehen?
Sprache, Gestaltung, Perspektive. Dass die Berichterstattung variiert, hat ja nicht nur mit Unkenntnis, sondern auch Pluralismus zu tun. Aber dieser Pfeiler unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung sollte eben nicht nur Tarnung dafür sein, im Grunde keine Ahnung vom Thema zu haben. Was man nicht versteht, davon sollte man lieber die Finger lassen.
Zielt die Kritik an Ihren Texten gleichsam auf einen anderen Pfeiler dieser Grundordnung: die Gewaltenteilung, weil sie dritte und vierte Gewalt vermengen?
Nein, die Kritik reicht in der Regel von „wenn das jeder machen würde“ bis hin zum Vorwurf der Wichtigtuerei. Grundsatzfragen zur Gewaltenteilung sind zumindest aus der Justiz noch nicht an mich herangetragen worden, von Seiten der Medien schon eher. Das hat aber oft weniger mit berechtigter Sorge als mit höchstpersönlichen Befindlichkeiten zu tun.
Etwa die, dass Druck- und Sendeplätze seriöser Berichterstattung zu knapp sind, um sie auch noch an Außenstehende zu verteilen?
Mag sein, aber dabei darf man nicht vergessen, dass die journalistische Qualifikation zunächst mal darin besteht, Stift und Tastatur zu bedienen. Von diesem Level bis zum Pulitzerpreis ist das Spektrum gewaltig und irgendwo in der Mitte haben auch externe Kolumnisten wie ich ihren Platz. So wie Journalisten übrigens herzlich eingeladen sind, vor Gericht als Schöffen zu dienen oder am eigenen Auto zu schrauben. Berufe sind nicht mehr die closed shops früherer Tage; umso weniger sehe ich mich als Journalist oder gar Konkurrent. Ich nehme niemandem irgendwas weg. Die Medien kommen ohne mich gut zurecht, aber mit mir eben auch.
In welchem Zustand sehen Sie die Branche nach ein paar Jahren der Innensicht und 62 der Außensicht heute?
Für diese Einschätzung fehlt mir die Kompetenz. Drei Zeitungen und abends etwas Fernsehen reichen bei weitem nicht aus, um Medien als Ganzes zu begreifen, geschweige denn zu beurteilen. Ich erlebe sie demnach ähnlich wie die Leser meiner Kolumne, der Süddeutschen oder der Bild: selektiv. Zumal sich die Landschaft massiv gewandelt hat. In meiner Jugend gab es eine Talkshow: Werner Höfers Internationalen Frühschoppen, wo ein Altnazi unter ständiger Zufuhr von Nikotin und Riesling sonntags um zwölf mit polyglott schwatzenden Gästen faselte, als ob davon irgendwas abhinge. Mehr Debatte war nicht am Fernseher.
Darüber hinaus auch nicht?
Ach, während damals drei Medienkonzerne meinungsführend waren, hat heute keiner mehr den Überblick, wer was wann von wo aus für wen sendet. Die Medien liefern nicht mehr wie früher gemeinschaftliche Bezugspunkte, wo die ganze Region morgens eine von zwei Lokalblättern gelesen hat und abends das gleiche Programm geschaut. Diese Lücke kann weder der ESC noch die WM und schon gar kein Presseprodukt füllen. Jeder bastelt sich seine eigene Medienwelt, so wie sich jeder seine Weltanschauung bastelt.
Was gerade dieser Tage virulent ist.
Genau diese Atmosphäre erlaubt es, dass Hunderttausende Menschen in verschwörungstheoretische Schweinwelten von Pegida und AfD abdriften. Die fahren Montag früh in der Bahn zur Arbeit, essen Mittag nach Wahl, gehen abends einkaufen, wähnen sich danach aber plötzlich in einer Alien-Welt, holen ihre Deutschlandfahnen raus und protestieren gegen die Diktatur, in der sie leben.
Kann man diesem Phänomen denn in deren Vorstellung einer „Lügenpresse“ überhaupt konstruktiv begegnen?
Das muss man sogar, aber auch die Sozialpädagogik hat ihre Grenzen. Meine endet spätestens beim Gewaltterrorismus mit zuletzt mehr als 1000 Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Da muss der Staat zeigen, was in ihm steckt. Wer sich auf eine Debattenkultur einlässt, die anderen das Maul verbietet oder gleich drauf schlägt, hat schon verloren. Trotzdem muss man die Ansprechbaren ansprechen.
Auch wie Sie in einem Medium, das auf Montagsdemos kriminalisiert wird?
Was wäre denn die Alternative – neben Alice Schwarzer in der Bild zu kommentieren? Dazu hab ich keine Lust, aber auch kein Angebot erhalten. Die Frage verschleiert in gewisser Weise auch das Problem, denn man kann nie alle erreichen. Und wer sich einer halbwegs rationalen Diskussion entzieht, in dem er nur Parolen statt Fakten glaubt, ist für mich eben unerreichbar. Nicht, dass meine Kolumne eine bedeutende Funktion in dieser Gesellschaft einnähme! Aber ohne die Hoffnung, sie hätte Sinn und Wirkung, würde ich dafür gewiss keine Freizeit opfern.
Wie viel davon ist das denn genau?
Üblicherweise der Sonntagmorgen, wenn ich Zeit und Muße habe. Die ich übrigens gern investiere, denn die Kolumne macht mir weit mehr Spaß als Akten zu lesen.
Und womit vergütet Ihnen das die ZEIT?
Ich werde finanziell entschädigt.
Der Text ist vorab im Medienmagazin journalist erschienen.