JaKönigJa/Bosco/BadBadNotGood/Snoop D.

jakoenigja-coverJaKönigJa

Der so genannten Hamburger Schule wurde ja so einiges nachgesagt, wovon wenig schlüssig war: hedonistisch zu sein, aber gleichsam verkopft, stilistisch ebenso progressiv wie regressiv, weil mal indiepoppig, mal schweinerockig, außerdem textlich selbstbezogen und dabei hyperpolitisch, also geiler Scheiß für die Mainstreamnische. All dies stimmte oft, öfters stimmte es nicht, doch falls es überhaupt so etwas wie die Hamburger Schule gab, konnte im Grunde nur eine Band praktisch alles auf sich vereinigten, was man daran liebte und hasste: JaKönigJa. 1994 vom Liebespaar Ebba und Jakobus Durstewitz dort gegründet, wo damals wie heute die alternative Musik in Deutschland spielt, haben sie von Beginn an verträumten Orchsterpunk mit minimalistischer Grandezza vermengt und das auf den ersten fünf Platten genauso hingebungsvoll zelebriert wie auf der neuen.

Auch Emanzipation im Wald ist demnach ein sprudelnder Quell musikalischer Absurditäten. Ein Album, das sich hinter sich selbst versteckt und dabei abermals überragt. Mit gewohnt überreichem Angebot randständiger Instrumente von Mandoline über Posaune bis in die unbekanntesten Register der Hammondorgel oder dem Schlagwerk des ewigen Percussionisten Marco Dreckkötter verwebt Familie Durstewitz ihr Sammelsurium ineinanderlappender Töne zu einer Sinfonie von aufgewühlter Verträumtheit, die Ebbas sanfter Singsang mal aufmischt, mal unterspült. Entscheidend aber ist: Immer dann, wenn das Gefühl aufkommt, das klinge seicht, bricht sich in der Harmonie irgendwas Dystopisches, immer wenn es allzu durcheinander geht, kommt ein geschmeidiges Riff daher, das alles ins Lot bringt. Auf diesem Waldspaziergang gut gelaunter Misanthropie.

JaKönigJa – Emanzipation im Wald (Buback)

TT16-BoscoBosco Rodgers

Pilzköpfe, Popstarcodes, Spiegelsonnenbrillen? In Zeiten zunehmend dialektischer Männlichkeit mit androgyn konnotiertem Vollbart lag der Schluss nah, mit dem Reifungsprozess der Gebrüder Liam und Noel Gallagher sei die ironiefreie Schnöseligkeit des Britrock endgültig passé. Aber gilt das nicht generell für soundbegleitende Ästhetik, sobald deren Zenit überschritten ist? Krautrockgitarren und Hammondorgelpeitschen jedenfalls waren ebenso raus wie Blumenleggings und Holzfällerkaro, doch weit gefehlt: Alles längst zurück! Selbst die 60er/70er/80er oder alles in einem wie bei Bosco Rodgers. Das französische Duo würzt seinen Psychobeatsalat mit Dressings vieler Epochen.

Dabei schmeckt er zwar oft ein bisschen wie die Last Shadow Puppets, deren Mash-up sich ebenfalls durch die Jahrzehnte wälzt; allerdings nacheinander. Barthélémy Corbelet und Delphinius Vargas dagegen stopfen alles in alle Songs ihres Debütalbums, jauchzen schon mal ein Woohoo mit Frühlingswiesenpfeifen über verzerrte Surfpunkriffs und erinnern dabei an die Beatles mit so viel Frozen Margarita intus, dass Beach!Beach!Beach! wie BitchBitchBitch klingt und das feministische Gemüt dennoch stillhält. Die Vereinigung zweier EPs samt zweier Netzhits namens GooGoo und French Kiss ist eben einfach zu schmissig. Sind Sommeralben eigentlich zu Neunziger? Egal – hier wäre eins.

Bosco Rodgers – Post Exotic (Bleep Machine)

TT16BadbadBadBadNotGood

Zeitreisen sind unmöglich, das lehrt uns Einsteins Relativitätstheorie, der zufolge nichts schneller ist als das Licht, was eine Fahrt gegen die Richtung allen Seins jedoch sein müsste, auch wenn das ohne Promotion in Physik keiner erklären kann. Um in herrlich hedonistische Epochen ungezügelter Fortschrittsfreude zurückzufahren, bedarf es demnach autosuggestiver Methoden. Diese zum Beispiel: Ins Auto setzen (am besten Ford Granada), Tapedeck an (keine CD), Kassette von BadBadNotGood einlegen (kann man sich gegebenenfalls überspielen) und schon brettert man ohne Gurt und schlechtes Gewissen, dafür mit viel Zucker in der Coladose und 80 Pfennig pro Liter Super verbleit eine Serpentine der frühen Siebziger talwärts.

Das neue Album der Experimentaljazzpopper aus Toronto mit dem – angesichts eines weiteren mit Ghostface Killah – irritierenden Titel IV klingt schließlich wie ein Roadmovie der Kategorie C bis D aus nostalgischer Zeit, als man sie mit Koteletten und Kippe im Gesicht noch gänzlich sorglos entlangfuhr. Wenn Leland Whittys Saxofon in Speaking Gently dabei über die psychedelisch flatternden Keyboards von Matthew Tavares weht, wähnt man sich demnach in den Straßen von San Franzisco, die Ära des knallbunten Cool ohne Gewissensbisse, dafür mit viel selbstgerechter Grandezza und fantastischem Sound. Großartig.

BadBadNotGood – IV (Innovative Leisure)

Hype der Woche

TT16-SnoopSnoop Dogg

Von Gewissensbissen weiter entfernt als Michael Douglas vom Kino seines Vaters ist Calvin Cordozar Broadus Jr., der sich auch 23 Jahre nach dem Durchbruch weigert, nur ein einziges Zeichen der Zeit zu hören. Nach Kurztrips in Reggae und Funk ist Snoop Dogg zum Hip-Hop zurückgekehrt und ehrlich: ist echt egal. Egal, was der Mittvierziger anpackt – es verkauft sich eh. Egal auch, welcher Großproduzent von Timbaland über Just Blaze bis Nottz, Daz, Swizz Beatz gebucht ist – alles klingt wie Hip-Hop klingt, wenn er nicht dem Herzen, sondern Kalkül entspringt: Bis ins kleinste Detail perfektioniert, oft seelenlos. Man könnte es für würdelos halten, wenn sich ein faltenfrei gereiftes Fossil der Generation MTV im Video zum Kiffersong Kush Ups vorm Flügeltüren-BMW zwischen die Wackelärsche halb so alter Hotpant-Chicks stellt und das gleiche Bitches-Niggaz-Weed-Zeugs faselt wie einst, als so was wowowo war; solang es ökonomisch funktioniert – so what?! Oder sind die 20 Tracks auf Coolaid (Ca$h Machine Records) etwa ironisch gemeint, also reifer als Snoop Dogg sich gibt? Ein extrabitchniggaweedfettes Egal obendrauf!

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