Sivan Talmor, Camera, Arkells, Blossoms

CACD8455_Pac_Talmor_print.inddSivan Talmor

Wer aus Israel kommt, muss sich darauf gefasst machen, jenseits der ziemlich kurzen Grenze schnell als Botschafter dieses Landes eingeordnet zu werden, das dank seiner geringen Größe im Kreise feindseelig gesinnter Staaten nur mit größtmöglichem Zusammenhalt überlebensfähig scheint. Auch Sivan Talmor ist sich dessen voll bewusst, wenn die Singer/Songwriterin nun mit ihrem englischsprachigen Debütalbum (nach eine auf Hebräisch) in alle Welt hinauszieht – was sie unbedingt sollte, denn Fire ist ein siebenteiliger Almanach des globalen Pop von so hinreißend verspielter Intensität, dass die Welt dafür gar nicht genug ist.

Ihre Botschaft sei allerdings gar nicht unbedingt Liebe und Frieden, sagt sie selbst. Die 29-Jährige gibt der Platte und damit sich selbst lieber etwas anderes mit auf den Weg in die Ferne: Intimität. In der Tat. Zerbrechlich, fast engelsgleich klingt ihr Gesang zu sprühenden Folkmelodien manchmal. Dann aber wird er auch wieder kraftvoll und verwegen, als als rausche sie im offenen Mustang durch Mexico. Mariachi und Americana klingt da zuweilen durch, Nancy Sinatra und Serge Gainsbourg, Theatralik und Chanson. Manchmal pfeift sie dazu fröhlich, dann spricht nur die Gitarre, aber stets das Herz einer Frau, die sich selbst so wenig wichtig nimmt wie ihre Herkunft. Ein traumhaft schönes Album zum Abschalten und Dranbleiben.

Sivan Talmor – Fire (Chaos Rec)

cameraCamera

Wenn es um musikalische Betriebstemperaturen geht, sind sie selbst im fernbeheizten Pop oft weniger die Folge äußerer Wärmezufuhr als innerer Gemütslagen. Camera würden so gesehen wohl selbst im Eisschrank glühen. Auch auf seinem vierten Album macht das Trio aus Berlin zerzausten Krautrock, der sich aus dem Bauch nach außen brennt. Dem psychedelischen Teppich ihrer bekifften Ahnen der frühen Siebziger weben sie dabei allerdings zwei Fäden unter, die seine Gestalt nachhaltig verändern: Aberwitziges, von fiebrigen Drums befeuertes Tempo, das weniger von beats per minute als von intensity per second herrührt.

Und von irrlichternden Synths, als wollten sie die Autojagden grisseliger B-Movies nachvertonen. Das basslastige Grummeln hetzt schon in Affenfaust zum Einstieg so ergreifend über Orgeltupfer hinweg, dass selbst das permanente Gitarrensolo darin cineastische Melancholie wachruft. Kein Wunder – stammt Steffen Kahles doch aus der Filmmusik und entwirft nun für Camera die Tonkaskaden wie Bildabfolgen. Zum Ende hin verlieren sie sich zwar leicht im Rausch ihrer Protagonisten; bis dahin aber heißt es: Im Ford Mustang anschnallen und mit Vollgas in die Häuserschlucht.

Camera – Phantom of Liberty (bureau b)

arkellsArkells

Verrückte Jungssachen, die große Jungs halt so machen, gehen aus adulter Sicht meist in die kurze Hose. Enthemmte Sauftouren etwa ohne Gedanken an morgen: Im Kino lachen darüber vor allem Gleichgesinnte, denen jeder Satz ohne PS und Promille schon einer zu viel ist. So gesehen sollten die Arkells uns auf ihrer vierten Platte kurz zu denken geben. Im Video zum Eröffnungsstück Drake’s Dad etwa gehen die fünf Kanadier gleich mal mit Party am Pool, Dosenbier beim Duschen und Rock ’n’ Roll rund um die Uhr steil.

http://www.vevo.com/artist/arkells?utm_medium=embed_player&utm_content=artist_image&syn_id=af330f2c-5617-4e57-81b5-4a6edbef07cc

Doch wie der hinreißende Max Kerman ins Chaos singt, wie seine Stimme zuweilen nach oben ausbricht vor Euphorie, wie der entfesselt fröhliche, dabei filigran komponierte Southern Rock dazu um die Häuser rennt, als hätten sich Franz Ferdinand und Del Amitri zur Supergroup vereinigt – da sprüht aus jedem der elf Tracks so viel lebensbejahender Schwung, dass man ihnen alle Plattitüden ebenso leichten Herzens nachsieht wie die thematische Arglosigkeit. Jungssachen für Erwachsene ohne Hangover-DVDs im Regal – Ausgelassenheit kann so klug klingen.

Arkells – Morning Report (Last Gang Records)

Hype der Woche

blossomsBlossoms

Das waren noch Zeiten, als man Shoegazer an Hochwasserröhren erkannte und Hochwasserröhren am Shoegazer. Heute starrt eigentlich jeder an hautengen Jeans über Knöchelhöhe vorbei auf seine Schuhe, was die Verknüpfung von Musikstil und Kleidung weiter erschwert. Dennoch dürfte vermutlich jeder, der die Blossoms aus dem Großraum Manchester ohne Hörprobe sieht, schnell mit Zuordnungen bei der Hand sein: bisschen Synthie, Wave und Indie, angeblich beeinflusst von Arctic Monkeys, Depeche Mode, Doors wie Kritiker vorm gleichnamigen Debütalbum (Warner) halluzinierten. Ergo: das neue siedend heiße Britpopding? Von wegen! Englands meistgehypte Band klingt, als sei ihr Demo-USB in einen Eimer Best-Of-Tapes der 80er gefallen und von StockAitkenWaterman rausgefischt worden. Die zwölf Stücke der fünf sorgsam verstrubbelten Schulfreunde sind so perfekt auf modernisierte Nostalgie gebürstet, dass einem der Kopf schwirrt vor Codes und Referenzen. Für Rentner klingt da Chris Norman durch, für deren Kinder Jarvis Cocker und für die Enkel Justin Bieber. Alles hochprofessionell konzipiert, alles aber auch mit dem Soul eines Algorithmus im ersten iMac. Bitte rasch abkühlen!

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