Peter Simonischek: Weltkino & TV-Provinz

simonischekMehr Siegfried als Bergfried

Seit dem Welterfolg Toni Erdmann steht Peter Simonischek unter besonderer Beobachtung. Im ARD-Mittwochsfilm Bergfried wäre Wegsehen zwar besser, aber der Burgschauspieler allein macht das Kriegsverbrecher-Melodram nach teilweise realen Motiven dann doch einigermaßen sehenswert.

Von Jan Freitag

Burgschauspieler haben’s auch nicht leicht. Schon der Begriff klingt mythisch beladen, beinah märchenhaft, so als würden Burgschauspieler stets unter tropfenden Kandelabern spielen statt im profanen Kunstlicht, das längst ja auch durchs namensgebende Burgtheater scheint. Trotzdem wird dessen Personal seit Kaisers Zeiten überhöht wie Wagners Bayreuth: Will Quadflieg und Curt Jürgens, Adele Sandrock und Jane Tilden, O.W. Fischer und Boy Gobert – sie alle konnten die salbungsvolle Erhabenheit der Bühne an Wiens Ringstraße vor die Kamera retten, agierten dort aber oft mit einer Theatralik, die nunmehr antiquiert daherkommt.

Davor sind auch aktuelle Burgschauspieler selten gefeit: Martin Wuttke etwa, August Diehl, Udo Samel – oder Peter Simonischek. Geboren in der steirischen Einöde war das Internatskind über Jahrzehnte ein herausragender Darsteller sperriger Bühnenklassiker, der es in Film und Fernsehen nie so ganz über den Sidekick hinausschaffte; zu maniriert wirkte sein Spiel für die Gegenwart, zu getragen der Auftritt zwischen den wahren Helden. Da reichte es oft eher für Adlige und Tatverdächtige in Historienevents oder Krimis als für die Berliner Schule. Abseits der weltwichtigsten Bretter schien zwischen Derrick und Ludwig II. schlichtweg kein Platz zu sein für den herausragenden Mimen mit der würdevoll ergrauten Dirigentenmatte.

Dann kam Maren Ade.

Die Großregisseurin unverstellter Wahrhaftigkeit besetzte ihn als Titelfigur ihrer grandiosen Generationenkomödie Toni Erdmann und gebar damit einen ungewohnten Simonischek: Bis an den Rand der Karikatur realistisch, dabei oft durch pure Präsenz lustig und dennoch von einer Tiefe durchdrungen, die ebenso zu Tränen der Freude wie der Ergriffenheit rührt. Da liegt sie nun, die Messlatte – hoch droben auf dem Niveau von Cannes bis Hollywood, wo der Film bald um den Auslands-Oscar kämpfen dürfte. Auch sein neues Werk muss sie nehmen, obwohl es gewiss lange vorm globalen Jubelsturm über Ades Transformation seiner Filmpersönlichkeit im Kasten war.

Er heißt Bergfried und reißt die Hürde – soviel vorweg – recht deutlich. Das Melodram von Autorenfilmer Jo Baier, der gern mal zwischen Mach- (Die Heimkehr) und Meisterwerk (Wambo) pendelt, versucht sich an der vielfach erzählten Aufarbeitung deutscher NS-Verbrechen. Anfang der Achtziger quartiert sich der geheimnisvolle Italiener Salvatore ins österreichische Alpennest Arnbrunn ein, um dort jenen SS-Schergen zu finden, der einst sein Dorf als Strafaktion im Partisanenkrieg niedermetzeln ließ – wofür Baier in der Realität das Vorbild des niedergemetzelten Dörfchens Sant‘ Anna die Stazzema fand. Verfolgt von Martin Gschlachts bedächtiger Kamera, stromert der einzig Überlebende nun 40 Jahre später durch ein feindlich gesinntes Umfeld voller Stammtischgewächse, die weder von Fremden noch von der Moderne geschweige denn von damals irgendwas wissen wollen.

Das ist vom Gedanken her spannend und relevant. In der Umsetzung hingegen begräbt Baiers Buch die Geschichte mit jeder Minute mehr unter einer dicken Schicht Theatralik, Pathos, Bedeutsamkeit. Jenen drei Faktoren also, die Simonischeks Karriere auf der Bühne unvergleichlich machen, im Film hingegen kompliziert, seit er darin vor 25 Jahren im Heimatschinken Wildfeuer unter der Regie desselben Jo Baiers erstmals ein breiteres Publikum auf sich aufmerksam machte. Umso erstaunlich, dass ausgerechnet in diesem Panoptikum überzeichneter Charaktere ausgerechnet sein Oberscharführer für Authentizität sorgt.

Während Fabrizio Bucci als Salvatore schlicht zu schön ist für die Rolle des Rächers, dem natürlich die Tochter des Gesuchten namens Erna (Katharina Haudum) verfällt, während Gisela Schneeberger ihre Haushälterin Frieda mehr persifliert als verkörpert und Randfiguren wie der körperbehinderte Mann einer promiskuitiven Wirtin offenbar eher Siegfried als Bergfried im Hinterkopf hatten, erdet der Burgschauspieler von 70 Jahren das ständige Overacting mit minimalistischer Präzision. Wenn sein Grantler liebevoll mit dem Enkelsohn spielt, wird die Nähe des Bösen zur Normalität fast körperlich spürbar; wenn er die Welt in tonlosen Dreiwortsätzen wie „Gehst‘ noch weg?“ (zur Tochter) oder „die ist zu!“ (zur Tür) wissen lässt, dass sie ihn nicht mehr sonderlich interessiert, ist das TV-Theater von eindringlicher Größe.

Vielleicht kriegt er für dieses herausragende Talent, mit sehr sehr wenig sehr sehr viel zum Ausdruck zu bringen, bald ja auch wieder bessere Bücher. Muss ja nicht gleich eines von Maren Ade sein…

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