Newmoon/WayneGraham/DBrown/Keshavera
Posted: October 14, 2016 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a comment
Newmoon
Melodramatik ist ein durchtriebener Begleiter innerer Aufgewühltheit. Als hochgepitchte Emotionalität verabreicht, kann sie selbst den schwersten Liebeskummer und so manches Filmende erträglich machen, in Gestalt pathetischer Gefühlsduselei hingegen alles auch nur noch viel, viel schlimmer. Man ist also gerade im hochsensiblen Fach melodramatischer Rockmusik gut beraten, es nicht zu übertreiben mit Emotionalität und Pathos. Davon können Stile von Shoegaze über Ethereal und Psychedelic bis Dream Pop ein paar flächig wimmernde Riffs singen – heikle Klangwelten, die auch das Debütalbum der belgischen Band mit dem himmelschreiend melodramatischen Namen Newmoom prägen.
Kein Wunder, dass es kaum weniger melodramatisch, aber stichhaltig Space heißt. Denn das ausgesprochen analoge Quintett um den wächsern klingenden Sänger Bert Cannaerts schreddert seine drei Gitarren so herzzerreißend durch acht breit orchestrierte Tracks, als gälte es, Millionen seifige Happyends in dramatischen Wendungen aufzulösen. Wenn der Frontmann aus Antwerpen dazu erklärt, er wolle, “dass sich die Menschen in Space verlieren und zugleich finden”, wird deutlich, dass Melodramatik ein Motor erfolgreicher Sinnsuche sein kann, solange sie sich jeder Form von Pathos enthält. Im eigenen Weltall gelingt das Newmoon ganz gut.
Newmoon – Space (Pias)
Wayne Graham
Von Melodramatik, Pathos und sonstwie überdramatisierten Gefühlsausbrüchen sind zwei völlig andere Newcomer ohne Moon im Namen weiter entfernt, als ein Planet vom übernächsten. Unterm Bandnamen Wayne Graham haben Hayden und Kenny Miles daheim in den USA zwar bereits drei vollumfängliche Alben veröffentlicht, obwohl sie mit 21 und 26 Jahren fast noch im Schulbandalter sind. Erst das vierte namens Mexico jedoch erscheint offiziell auch in Europa und zeigt, was selbst aus den finstersten Tiefen des amerikanischen Bibelgürtels so alles zu uns kommen kann: Ein Country-Sound zum Beispiel, der klassisch und zugleich progressiv klingt, in jedem Fall aber betörend schön.
Atmosphärisch irgendwo zwischen Eels und Ween, Wilco und Cake, zelebrieren die beiden Brüder aus der zusehends verarmten Kohlegrube Kentucky nämlich den ganzen Formenreichtum ihres Genres, sofern es sich konsequent im Hier und Jetzt verortet, ohne die eigene Historie zu verleugnen: Herrlich verschrobene Harmonien, wunderbar schnodderige Poesie, alles auf eine Art nostalgisch, dass man geneigt ist, früher doch nicht alles schlechter zu finden und heute nicht alles besser. Benannt nach ihren eigenen Großvätern, füllen die beiden blutjungen Veteranen ihr Metier mit einem Leben, das darin selten geworden ist.
Wayne Graham – Mexico (K&F Records)
Danny Brown
Was wohl geschehen wäre, wenn die seligen Beasty Boys noch beisammen sein dürften? Was Busta Rhymes wohl zuwege brächte, ginge ihm das Gras aus? Was renditefixierter HipHop wirklich mal verdient hätte wie die Cheeleaderqueen ein Bad im versifften Schulteich? Die Antwort lautet dreifach: Danny Brown. Der Rap-Berserker aus dem Industriedesaster Detroit ist die brachiale Antithese zu allem, was sein Metier oft unerträglich macht: Kommerz, Stromlinie, Bling Bling, Big Tits, Bigger Cars, all das selbstverliebte Ghettoflüchtlingsgehabe mit Studiolyrik, die allenfalls noch im Hochglanzvideo vorgibt, von draußen zu kommen.
Auch das vierte Album seit 2010 straft alles, was Hip-Hop oberflächlich macht, mit der Verachtung eines Mittdreißigers, der für Gefallsucht gleichermaßen zu alt und zu jung ist, der die Intelligenz besitzt, kindliche Radikalität erwachsen klingen zu lassen, und die Jugend, dabei nicht manieristisch zu wirken. Beim experimentellen Label Warp kann er da noch radikaler sein, noch wilder sampeln, noch schriller rappen, noch aufdringlicher Nigger durchdeklinieren, noch mehr Grenzen sprengen. Dabei nach Kellerloch und Glitzerdisco zu klingen, ist das Alleinstellungsmerkmal von Danny Brown.
Danny Brown – Atrocity Exhibition (Warp Records)
Keshavara
Wenn die Welt mal wieder im lautstark blubbernden Morast aus Realitätsverleugnung, Wahrheitsverachtung und Gewaltverherrlichung abzusaufen droht, hilft es sehr, sie als Totalität zu begreifen: ein symphonisch kompaktes System, organisch verbunden wie das Meer. Keshav Purushotham hat das begriffen. Mit all der Weisheit einer musikalischen Lebensreise zu den Wurzeln seines Vaters, dem indischen Jazz-Trommler Ramesh Shotham, packt der Künstler aus Köln die Komplexität der Welt in ein Unterseeboot, taucht damit tief in den Ozean, lässt den global inspirierten Sound wie durch Wasser aufwärts dringen und schafft es damit spielerisch, die neue Härte dort oben ein wenig aufzuweichen.
Das unbetitelte Solodebüt des verträumten Weltenwanderers, der die Kanten der Realität schon mit seiner früheren Band Timid Tiger in synthetisch zarten Schmelz getaucht hat, ist ein Popalbum wie es einst Laid Back gelungen wäre und später vielleicht dem norwegischen DJ Todd Terje: bis zum Muskelschwund tiefenentspannt, aber gerade in dieser ungeheuren Lässigkeit auch energiegeladen genug, um auf dem blubbernden Morast zu treiben, statt darin unterzugehen. Luftmatratzenmusik der gediegeneren Art.
Keshavara – Keshavara (Papercup Records)