Karies, Fewjar, Odd Couple, Soft Hair,
Posted: November 4, 2016 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a comment
Karies
Das Schwäbische steht ja generell für Sauberkeit und Ordnung der traditionelleren Art: Kehrwoche, Weltmarktführer, Altnazis als Bundesligaclubpräsidenten – so Sachen halt. Das kann Menschen mit weniger traditionellem Sauberkeits- und Ordnungsansatz schon mal schlechte Laune machen. Aber muss sie denn gleich so mies sein wie derzeit im Independentfach üblich, eine Mixtur aus Depression, Wut und Agonie? Die Frage drängt sich bei der neuen Stuttgarter Postpunk-Schule rings ums Alternative-Band Die Nerven förmlich auf. Auch bei deren Spin-off Karies breitet sich von der ersten Sekunde an ein dystopischer Trübsinn überm latent angepissten Gesang aus, dass man ihr Genre Noise-Rock durch Genervt-Rock ersetzen müsste. Oberflächlich betrachtet.
Tief drunter aber bündelt das Quartett um den Nerven-Trommler Kevin Kuhn (den mittlerweile der Bruder des Nerven-Sängers Philipp Knoth ersetzt hat), all den berechtigten Zorn über die Dinge die da sind in ihrem Musterländle und ringsum in einen so gediegenen Industrialpop, dass man nur hoffen kann, sie erhalten sich diese Kraft des Unmutes. Der Albumtitel “Es geht sich aus” zeugt ja auch durchaus von einer gewissen Hoffnungszugewandtheit; und wenn dazu die Gitarrenflächen scheppern wie einst bei Sonic Youth und jetzt bei Human Abfall, bringt die Wut immerhin den Kopf zum Arbeiten – gedanklich wie moshend. Der perfekte Sound für den anbrechenden Winter.
Karies – Es geht sich aus (This Charming Man)
Fewjar
Durch die Zeit zu reisen, zählt zum festen Stamm unerfüllter Menschheitsträume, seit sie sich der Existenz von gestern und morgen gewahr ist. Aber was böte das auch für Chancen: Fehler ungeschehen zu machen oder besser, mit den Mitteln von heute in Zukunft besiegbar?! Stellen wir uns also einfach mal vor, man hätte Synthpop-Stars von Ultravox bis The Human League aus den frühen 80ern in die digitale Gegenwart unbegrenzter Soundmöglichkeiten gebeamt – sie hätten vielleicht geklungen wie nun Fewjar. Als Duo mischen Jakob Joiko und Felix Denzer bereits zum dritten Mal orchestralen Wave mit verspielter Electronica.
Und der entstehende Progressive-Glamrock klingt, als implodierten die Epochen der neueren Musikgeschichte in einer funkensprühenden Supernova. Auch auf Until scheint den beiden Berlinern von freddymercuryeskem Operettenpathos bis zum skrillexschen Dubstep-Bombast ja nichts zu überfrachtet für ihr gewaltiges Mashup. Alles ist dauernd in Bewegung, ständig flattern Geigen, Pauken, Beats und Lyrics in jeden Zwischenraum. Duran Duran wären entzückt gewesen über all die Möglichkeiten von Fewjar anno 2016. Und wir sind es auch.
Fewjar – Until (S.M.I.L.E.)
Odd Couple
So dreckige Gitarren hat man schon lange nicht mehr gehört. Nicht in Deutschland, nicht in dessen Hauptstadt und schon gar nicht in Ostfriesland – den drei Heimatzuschreibungen der Berliner Garagenbewohner mit Küstenwurzeln Tammo Dehm und Jascha Kreft. So innbrünstig zerren sie die Saiten auch auf ihrer zweiten Platte zu Brei, dass man sich kurz an Mudhoney erinnert fühlt, gemischt mit einer großen Portion Krautrock der Art von Grobschnitt. Zusammen genommen hat das etwas flächig Wuchtiges, zugleich aber auch seltsam Ulkiges. Womit wir beim Namen dieser Kleinstband wären.
Odd Couple ist hier nämlich nicht nur ein Wort, sondern Wesen. Übersetzbar als merkwürdige Männerwirtschaft, steht es für den gehobenen Wahnsinn der Kindergartenfreunde aus dem hohen Norden, denen der Daueraufenthalt im Moloch Berlin die ländliche Verschrobenheit sehr unterhaltsam zum urbanen Wahnsinn verdickt hat. Flügge ist demzufolge ein bilinguäres Meisterwerk verstiegener Kreativität in 14 Akten, die textlich nicht weiter der Rede wert sind und gerade deshalb zum Gesamtkunstwerk passen. Nennen wir es mal Stonerpoppostpunkkraut. Herrlich!
Odd Couple – Flügge (Cargo Records)
Soft Hair
Selbstironie ist nicht das populärste Attribut unserer postpostheroischen Zeit. Wenn der größte Wirrkopf Präsident des mächtigsten Landes werden kann, ohne sich seiner Wirrnis gewahr zu werden, hat es heitere Selbstreflexion auch andernorts schwer. Sogar im Pop, dem Leichtigkeit ja quasi im Wesen steckt. Mit umso mehr Respekt sollten wir da zwei Wirrköpfe beachten, die zwar bloß flotten Lo-Fi-Glam synthetisieren, dies aber mit einem Augenzwinkern tun, das zuletzt allenfalls die Metal-Persiflage The Darkness gezwinkert hat.
Unterm Namen Soft Hair haben die englischen Elektro-Bastler LA Priest und Connan Mockasin ein Album zubereitet, das wie Prince auf Lachgas klingt, also funky und albern zugleich. Der Legende nach aufgenommen in Autowerkstätten, Schulruinen und Hotels rund um den Globus, kennzeichnet ihr eigenbetiteltes Debütalbum eine Hingabe für tanzbaren Dadaismus, den man angesichts all des Größenwahns ringsum kaum hoch genug schätzen kann. Wenn sich die Welt mal wieder beruhigt, wird man Soft Hair wohl wieder vergessen; für den Moment aber ist es ein kleines Fenster zur heilsamen Kraft des rhythmischen Unsinns.
Soft Hair – Soft Hair (Weir World)