Besorgte Kanzler & rote Bänder
Posted: November 7, 2016 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a comment
Die Gebrauchtwoche
31. Oktober – 6. November
Recep Tayyip Erdoğan hat ein kreatives Verhältnis zum Rechtstaat. Zuhause haut ihn der türkische Despot nach Herzenslust in Stücke, bei uns kriegt er kaum genug von seiner gerechtigkeitsstiftenden Instanzenvielfalt. In Hamburg muss daher – wenn der Verfasser schon nicht im Kerker verrottet – mal wieder Jan Böhmermanns Schmähgedicht vor Gericht. Derweil echauffiert sich RTE über jede äußere Kritik am inneren Drang, die Pressefreiheit zu beseitigen, was schon deshalb putzig ist, weil Angela Merkel erneut ewig gebraucht hat, um ihre Klage über die Verhaftung eines Dutzends unbotmäßiger Journalisten der liberalen Cumhuriyet von „Sorge“ auf „alarmiert“ upzugraden.
Und das tat sie aus gutem Grund. In der Türkei firmieren fast nur noch soziale Medien als Korrektiv der aufgehenden Tyrannei. Die Digitaldiktatoren Youtube und Facebook als Garanten von Vielfalt und Demokratie: es kann einem Angst und Bange werden. Auch und gerade jetzt, da sich die autokratische Gema mit Youtube auf ein (streng geheimes) Verwertungssystem lange gesperrter Musikvideos geeinigt hat. Wovon freilich nur maximal kommerzieller Pop profitiert, während die Subkultur weiter fröhlich ausgebeutet wird.
Apropos Ausbeutung: Ronny kehrt zurück auf den Bildschirm, der ulkige Affe mit eigener Pop Show. Allerdings nicht in echt mit Ottos Stimme, sondern als Attrappe am Arm des Puppenspielers Martin Reinl, der mit ihr auf RTL Nitro die Fossilien der unerschöpflichen 80er reanimiert. Fast könnte man meinen, den Fernsehmachern falle nichts Neues mehr ein. Dagegen spricht höchstens zweierlei: Dass Tom Tykwer vorige Woche endlich den ersten Trailer seiner seit gefühlt zehn Jahren angekündigten Serie Babylon Berlin übers selbige in den 20ern gezeigt hat. Und natürlich die Fortsetzung der Stunde.
Die Frischwoche
7. – 13. November
Heute Abend startet Staffel 2 vom Club der roten Bänder. Jene Vox-Serie, deren Erfolg den Verdacht nährt, das Regelprogramm sei doch noch nicht am Ende. Die Schicksalsgemeinschaft mehr oder minder todkranker Teenager um den coolen Leo (Tim Oliver Schulz) darf zehn Teile mit ihrer „romantischen Unterhaltungsscheiße“ weitermachen, wie das Hipster-Organ Vice ätzt. Wenn man das einzige weibliche Clubmitglied Emma sieht, deren blutleere Schönheit alles Furchtbare am Kommerz-TV verkörpert, ist da sogar was dran; insgesamt aber hebt sich auch der Aufguss ab vom Einerlei ringsum.
Das junge Ensemble agiert mit instinktiver Präzision, die Bildsprache bleibt hochwertig, inhaltlich gewinnt die Story um den erwachten Koma-Patienten Hugo dem Coming-of-Age-Stoff zwar wenig Neues ab. Doch im Ganzen bleiben die Bänder bei aller Frische so sehenswert wie es linear gelegentlich der Tatort schafft. Ein Format, dass Sonntag die 1000. Folge feiert. Wie die erste 1970 heißt sie Taxi nach Leipzig, in das aber nicht Kommissar Trimmel steigt, sondern sein Enkel Borowski nebst Kollegin Lindholm – mit dem weiteren Unterschied, dass der Fahrer ein traumatisierter Afghanistan-Veteran ist, der die beiden auf eine vogelwilde Odyssee durch den Osten entführt. Leider ist sie dieses Jubiläums unwürdig.
Wobei wir ohnehin abwarten müssen, ob die Welt zuvor nicht untergeht. Schließlich sind morgen US-Wahlen, die ARD und ZDF, Nachrichtenkanäle und überhaupt alle außer Sat1 bis Mittwochfrüh mehr oder minder umfassend begleiten. Falls – was alle weltlichen und überirdischen Kräfte verhindern mögen – Donald Trump siegt, könnte also auch manch Programmschema kippen. Das von Arte zum Beispiel, wo am Abend drauf (21.55 Uhr) womöglich nicht die schöne Doku Wie das Kino erwachsen wurde über die Ursprünge des Kintopp liefe. Aber wie gesagt – wird schon nicht…
Und falls doch? Ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass der … der… tja: US-Präsident Trump einen Mann wie Bernard L. Madoff, der wegen Anlagebetrug in Höhe von mindestens 50 Milliarden US-Dollar zu 150 Jahren Knast verhaftet wurde, begnadigt. Aus dieser Story unfassbarer Gier macht Sky ab Donnerstag eine Miniserie, die einen alten Bekannten aus der nostalgischen Erinnerung an den Weißen Hai in die Gegenwart holt: Richard Dreyfuss. Er spielt den Verbrecher mit hinreißend beiläufiger Boshaftigkeit. Das leitet über zur schwarzweißen Wiederholung der Woche: Sergej M. Eisensteins Meisterwerk Iwan der Schreckliche (Montag, 23.15 Uhr, Arte), den der russische Regisseur 1944 untermalt von Sergei Prokofjew zu einer Mischung aus Stalin und Hitler gemacht hat, was ersterer erst im zweiten Teil bemerkte, den er dann flugs verbot.
Angesichts der fast dreistündigen Länge ist jedoch eher die Mediathek ratsam. Zumal man andernfalls am Abend drauf nicht bis zum Farbtipp durchhält: Der Name der Leute (23.50 Uhr, BR). Die linke Traumfrau Bahia (Sara Forestier) bekehrt darin Rechte beim Sex zur Umkehr, was zum Niederknien lustig ist. Ganz im Gegensatz zum tödlichen Polizeieinsatz gegen die RAF-Flüchtigen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams, den der Dokumentarfilm Endstation Bad Kleinen heute Nacht um halb drei aufarbeitet.