Pete Doherty, Nosizwe, Sonaa

tt16-dohertyPete Doherty

Was will man machen – Pete Doherty, der vielleicht letzte große Herzensrüpel im Mainstream des Pop, sorgt verlässlich für weiche Knie, wann immer man ihm beim Singen zuhört. Mit den Libertines tat er es das Anfang des Jahrtausends robuster, mit den Babyshambles nach deren Split sodann etwas gezähmter, doch egal an wessen Seite: stets verband das offensiv drogenaffine Milchgesicht aus London eleganten Britrock mit seiner hinreißend schnodderigen Stimme so schön zum unvergleichlichen Doherty-Sound, dass man ihm in den Arsch treten und einen Moment später knuddeln möchte. Das zeigt er nun auch auf seinem Solo-Album.

Weil er es im Hamburger Cloud Hill Studio aufgenommen hat, heißt es Hamburg Demonstrations. Um die selbsterklärte Heimstadt des Mythos vom deutschen Cool im Rock’n’Roll geht es zwar nur am Rande; ein paar lautmalerische Textfragmente auf Deutsch im Opener Kolly Kibber hier, etwas St.Pauli-Aura dort – das war’s schon. Aber man merkt den neun Stücken doch an, dass Pete Doherty die Atmosphäre des Kindergarten der Beatles gesucht hat, dass er auf der Suche nach etwas Nostalgie im zeitgenössischen Indierock war. Die hat er gefunden. Hamburg Demonstrations klingt wie so oft bei ihm herrlich verschroben und dabei eingängig, bisschen versoffenes Hafen-Flair, bisschen britische Lässigkeit und über allem diese Stimme. Zum Herzerweichen.

Pete Doherty – Hamburg Demonstrations (Clouds Hill)

tt16-nosizweNosizwe

Die Heimat in sich zu haben und sein Idol nebenan, kann das Herz selbst fern von beiden erwärmen. Die Heimat vor Augen zu haben und sein Idol noch dazu, das gleicht indes schnell einem Feuer, das alles auftaut, was lange eingefroren war. Die südafrikanische Songwriterin Nosizwe zum Beispiel kam in Norwegen zur Welt, fühlte sich aber erst nach dem Umzug ins Land ihrer Eltern wirklich zuhause und reifte bald zur festen Größe der regionalen Soulszene. Vervollkommnet wurde ihr Glück allerdings erst, als sie mit Anfang 30 die gleichaltrige Multiinstrumentalistin Georgia Anne Muldrow aus L.A. traf, eine Heldin ihrer musikalischen Gegenwart, so betont sie gern.

Vor allem aber: Quell großer Inspiration. Gemeinsam haben sie nun ein Debütalbum produziert, das in jedem der zwölf Tracks spüren lässt: Hier ist eine angekommen, wo sie hingehört. Bereichert um elektronischen Pop ihres Geburtslandes, erinnert In Fragments vielfach an Lauryn Hills Fugees – elaborierter R’n’B mit Anflügen von Rap und Jazz im Mash-up der Neunziger, das sich zur afrikanischen Wurzel ebenso bekennt wie zur kosmopolitischen Gegenwart von Oslo bis L.A. Gäbe es den Begriff noch, es wäre wohl die wahre Weltmusik.

Nosizwe – In Fragments (Knirckefritt)

PO2-V1FZ-003.pdfSONAA

Wo wären wir, wenn es den Jazz nicht gäbe? Würde es ohne die radikale Abweichung von der klassischen Metrik überhaupt moderne Bandmusik geben, vom Rock mit all dem Post, Prog, Indie davor ganz zu schweigen? Systemisch bleibt das die ungeklärte Frage des Missing Link zur Gegenwart. Für die Sons of Noel and Adrian hingegen ist sie leicht zu beantworten: Ohne Jazz? Böte das Kollektiv unterm Akronym SONAA nur – Pop. Da die (von 13 auf 9 reduzierten) Mitglieder ihr zeitgenössisches Instrumentarium jedoch konsequent verjazzen, kreiert das Kleinorchester aus dem englischen Brighton auf dem offiziell dritten Album seit 2008 ein Stilkompendium, das es so – ehrlich! – noch nie gegeben hat.

https://soundcloud.com/kfrecords/01-perses

Viele, viele filigrane Streicher werden darin mit verzerrter E-Gitarre geschreddert, artifizielle Synthesizer-Fragmente drängeln sich an Horn, Klarinette, Flöten vorbei zum oftmals archaisch klingenden Schlagzeug und vereinigen sich dort mal mit weiblichem Feengesang, mal mit Jacob Richardsons melodramatischen Bariton zu einem klangvollen Durcheinander, dem der Bandgründer auf unerklärliche Weise Struktur verleiht. Und zwar spielend. Auf einem der ganz großen Exponate experimentellen Pops von heute.

SONAA – Turquoise Purple Pink (K&F Records)

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