2 Bier – 1 Platte
Posted: December 6, 2016 | Author: Jan Freitag | Filed under: 2 dienstagsmarthe |Leave a comment
Der Fall Böse & Tom Waits
Der Fall Böse feiern in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bandbestehen. Mit Phönix Baby! ist im Oktober das siebte Studioalbum der Jungs aus St. Pauli erschienen. Björn aka Burns ist nicht nur Sänger der Band, sondern auch DJ und das, was man wohl einen echten Musikjunkie nennt. Deshalb hat er sich mit mir auf zwei Bier im Haus 73 getroffen, um über eine Platte zu sprechen – nicht irgend eine, seine Lieblingsplatte.
Von Marthe Ruddat
Dringende Empfehlung der Autorin: Legt genau jetzt Tom Waits’ Rain Dogs auf.
Björn aka. Burns: Eine besondere Platte, das hätten natürlich echt viele sein können. Ich bin vorhin noch mal meine Sammlung durchgegangen. Letztendlich habe ich mich aus vielerlei Gründen für ein Tom Waits-Album entschieden. Und zwar Rain Dogs.
Rain Dogs erschien 1985. Das Album wurde ein echter Kritikerliebling und vielfach als Meilenstein der 80iger betitelt. Die Songs Jockey Fullof Bourbon und Tango Till They’re Sore sind in Jim Jarmuschs Film Down by Law zu hören.
freitagsmedien: Warum muss es genau dieses Album von Waits sein?
Der Wichtigste ist eigentlich, dass es das erste Album war, das total anders klang, als alles andere, was ich bis dahin gehört hatte. Ich war damals noch total jung, 15 oder so. Ich hab nur Punk und Hardcore gehört und meine Protestnummer durchgezogen, wie man das halt so macht. Meine große Schwester und ihr Freund hatten eine riesen Plattensammlung, das war quasi meine musikalische Früherziehung. Und dann haben die plötzlich Rain Dogs aufgelegt und ich dachte nur: Krass!
Krass, weil…?
Ja, ich weiß, es ist Tom Waits. Aber man darf das ja mal jemanden erzählen lassen!
Zum Beispiel, weil der Schlagzeuger da mit irgendwelchen Klöppeln an Lampen haut, um die Beats zu machen. Solche Sachen passieren ganz viel auf diesem Album. Und dann einfach diese Stimme von Tom Waits. Das war alles ein totaler Bruch mit der Musik, die ich vorher so gehört habe. Witziger Weise habe ich später herausgefunden, dass das Coverfoto und die Fotos im Album aus dem Café Lehmitz sind. Irgendein schwedischer Fotograf hat mal eine Fotoreihe über das Lehmitz gemacht und die ganzen besoffenen Pärchen da fotografiert. Und auf dem Cover der Rain Dogs ist genau so ein Pärchen zu sehen. Ich finde das besonders schön, weil wir unser erstes Konzert im Lehmitz gespielt haben und Anfang der 2000er sogar die Hausband dort waren. Das ist irgendwie eine ganz schöne Geschichte und die musste ich mir nicht mal ausdenken!
Der schwedische Fotograf heißt Anders Petersen. Sein Bildband Café Lehmitz erfährt immer noch große Anerkennung und wurde 2014 noch einmal neu aufgelegt.
Tom Waits ist für seine melancholisch-düsteren Texte bekannt. Worum geht es auf der Rain Dogs?
Auf der Rain Dogs geht es meistens um die verlorenen Leute. Es geht um Prostituierte, es geht um Trinker, es geht um Drogenabhängige, um eigentlich traurige Leute, die aber gar nicht wissen, dass es ihnen schlecht geht und sich auch nicht beschweren.
Wie laut.de schreibt, sagte Tom Waits einmal über den Titel seines Albums: „’Rain Dogs’ ist ein Begriff, den ich für jene armen Teufel schrieb, die ohne Heim in den Hauseingängen schlafen. Hunde im Regen verlieren ihren Orientierungssinn, weil das Wasser all ihre Markierungen und Geruchsspuren erbarmungslos hinfort spült. Du siehst diese Gestrandeten nach dem großen Regen überall auf den Straßen, wie sie den Kopf nach dir drehen, und ihre flehenden Augen bitten dich, ihnen den Weg nach Hause zu zeigen. Es ist aussichtslos. Genau wie sie sind all die besungenen Leute auf diesem Album miteinander verbunden. Zusammen genäht von einem Faden aus Schmerz und Unannehmlichkeiten.“
Fühlst du dich davon persönlich angesprochen?
Tom Waits erzählt auf diesem Album Geschichten und deshalb habe ich mich davon natürlich angesprochen gefühlt. Ich finde die kaputten Themen und Menschen einfach viel interessanter, als die leuchtenden Dinge des Lebens. Die interessieren mich nicht wirklich.
Hat die Musik von Tom Waits deshalb auch deine eigene Musik beeinflusst?
Ja total, sowohl inhaltlich, als auch musikalisch. Der Fall Böse mache ich ja nicht alleine, da sind noch sechs andere, die auch ein Wörtchen mit zu reden haben. Aber Tom Waits’ Art, mit Sprache umzugehen hat mich auf jeden Fall sehr inspiriert. Es geht darum, nicht immer nur das Naheliegendste zu suchen, sondern den Leuten und auch sich selbst Rätsel aufzugeben. Ja, das klingt ziemlich prall, ich weiß. Aber mein Ziel ist, dass die Leute, die unsere Songs hören, zum Nachdenken angeregt werden und ihre ganz eigenen Interpretationen für die Texte finden. Das ist ja auch viel spannender, als das alles so vorzukauen.
Wer die auf eurem neuen Album besungene Mathilda ist, ist also auch Interpretationssache?
Ja, Mathilda ist keine bestimmte Person. Eigentlich ist der Song tatsächlich eine Fortsetzung eines Liedes von Tom Waits, von Waltzing Mathilda. Genau genommen ist es keine Fortsetzung, aber als wir gerade einen Namen für den Song gesucht haben, habe ich Waltzing Mathilda gehört. Das ist ein sehr trauriges Lied und die Person in unserem Song ist auch sehr traurig. Deshalb bin ich darauf gekommen. Unsere Mathilda bekommt aber noch die Kurve, also vielleicht…
Tom Waits – Waltzing Mathilda aka Tom Traubert’s Blues
Wasted and wounded, it ain’t what the moon did, I’ve got what I paid for now
See you tomorrow, hey Frank, can I borrow a couple of bucks from you
To go waltzing Matilda, waltzing Matilda,
You’ll go waltzing Matilda with me
I’m an innocent victim of a blinded alley
And I’m tired of all these soldiers here
Noone speaks English, and everything’s broken, and my Stacys are soaking wet
To go waltzing Matilda, waltzing Matilda,
You’ll go waltzing Matilda with me
Now the dogs are barking and the taxicab’s parking
A lot they can do for me
I begged you to stab me, you tore my shirt open,
And I’m down on my knees tonight
Old Bushmill’s I staggered, you’d bury the dagger
In your silhouette window light
To go waltzing Matilda, waltzing Matilda,
You’ll go waltzing Matilda with me
Now I lost my Saint Christopher now that I’ve kissed her
And the one-armed bandit knows
And the maverick Chinamen, and the cold-blooded signs,
And the girls down by the striptease shows, go
Waltzing Matilda, waltzing Matilda,
You’ll go waltzing Matilda with me
No, I don’t want your sympathy, the fugitives say
That the streets aren’t for dreaming now
And mans laughter dragnets and the ghosts that sell memories,
They want a piece of the action anyhow
Go waltzing Matilda, waltzing Matilda,
You’ll go waltzing Matilda with me
Hat es Dir auch auf der Rain Dogs ein Song besonders angetan?
Hm, ich kann das gar nicht auf einen Song runterbrechen. Das ganze Album ist einfach toll. Grundsätzlich entwickelt jeder Song sein ganz eigenes Szenario, tief traurig, manchmal mit einem Dreh ins Positive, manchmal aber auch nicht. Es gibt einen Song, mit einer ganz spannenden Geschichte, Downtown Train. Tom Waits selber mochte das Lied gar nicht. Rod Steward hat es dann später gecovert und zu einem richtigen Welthit gemacht.
Rod Steward coverte nicht nur Downtown Train, sondern eben auch Waltzing Mathilda.
Wenn Du Tom Waits mal treffen würdest. Was würdest Du ihm sagen oder ihn fragen?
Da wäre ich wahrscheinlich… (überlegt kurz), ja ich wäre wahrscheinlich starr vor Angst. Irgendwie macht der Typ mir auch einfach Angst. Ich mag diesen Verehrungsbegriff nicht und idealisiere auch nicht gerne Menschen oder Dinge, aber ich habe einen solchen Respekt vor diesem Talent und diesem Irrsinn. Wenn ich es mir ausmalen könnte, dann würde ich unheimlich gerne einen sehr guten Whiskey aufmachen und eine Zigarre anzünden und das Gespräch einfach irgendwohin fließen lassen. Einzelne Fragen würden der Sache einfach nicht gerecht. Ein Traum von mir wäre tatsächlich, Tom Waits mal live zu erleben. Aber er spielt ja leider nur sehr wenige Konzerte, und wenn, dann irgendwo in Schottland unter der Erde oder so.
Der Fall Böse legen zum Glück eine andere Konzert-Mentalität an den Tag und sind gerade mit ihrem neuen Album Phönix Baby!auf Tour. Am 14.12.2016 spielen sie in Hamburg unter der Erde, im Mojo. Mathilda wird auch da sein. Weitere Infos und Tickets gibt’s hier.