Kurt Rosenwinkel, Cancer, Sampha, Die Sterne
Posted: February 10, 2017 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a comment
Kurt Rosenwinkel
Zehn Jahre für ein einziges Album? Das hat fast schon antikes Ausmaß, als ginge es um ägyptische Pyramiden, römische Tempel, gar Hamburger Konzertsäle. Zehn Jahre – so lang hat der weltweit geachtete Gitarren-Virtuose Kurt Rosenwinkel an seinem erste Solo-Album auf dem Heartcore-Label gearbeitet. Man könnte also gerade im Genre des Mittvierzigers aus dem eher popkulturell bedeutsamen Philadelphia vermuten, es gehe darauf nun verkopft zu, überstrukturiert, kognitiv statt impulsiv. Da jedoch kennt man den langjährigen Professor am Berliner Jazz-Institut schlecht. Auf Caipi nämlich macht Kurt Rosenwinkel dem strandbarselig beschwingten Plattentitel alle Ehre.
Verantwortlich dafür ist etwas, dass er in den vergangenen 20 Jahren Bühnen- und Studiokarriere meist gemieden hat: Er singt. Und zwar so nonchalant und beiläufig, dass es die perfekte Garnierung für wellige Poparrengements ist, die sich geschmeidig um sein ewig währendes Gitarrensolo wickeln, das wiederum die Leistung vollbringt, nie wie ein Gitarrensolo zu klingen, sondern eher nach der Notwendigkeit, jetzt halt nur diese Saiten erklingen zu lassen. So entkommt Caipi elf Tracks lang dem verrauchten Existenzialistenkeller in die sonnige Welt vor der Tür und fügt ihr ein wunderschönes Neoklassik-Album hinzu, als wäre Pat Metheny mit Joe Jackson bei Foxygen und De La Soul auf Frischzellenkur.
Kurt Rosenwinkel – Heartcore/RazDaz
Cancer
Um seine Band Cancer zu nennen und ein Debütalbum Totem, bedarf es vermutlich einer explizit tristen Gemütslage oder großen Gespürs für triste Gemütslagen anderer, gern auch beides. Wenn sich Nikolaj Manuel Vonsild, nebenbei Sänger der dänischen Elektropopper When Saints Go Machine, mit seinem jammervollen Tremolo hemmungslos dem Trennungsschmerz von Die One More Time hingibt, ist es da gut zu wissen, wer ihm im Schlüsseltrack wegstirbt: Ein Elternteil, dessen Krebstod Band und Platte einst Pate stand. Also nix mit PR – es ist pure, ungeschützte Schwermut, die dem Duett da entströmt wie ein Gewitter aus tiefschwarzer Wolke.
Das klavierbegleitet harmonienumflorte Melodram ist dabei jedoch von so fragiler Anmut, dass sich daraus gleichsam große Kraft schöpfen lässt. Stilistisch ähnlich, aber noch theatralischer als die wesensverwanten The XX oder Anohni, treiben sich Vonsild und Kristian Finne Kristensen (Chorus Grant) den ganzen aufgestauten Kummer in einer wohltemperierten Eigentherapie aus, die nie kitschig klingt, aber hinreißend gefühlvoll und nie langweilig. Ein wenig Weltschmerz ist hilfreich, um Totem zu ertragen. Lebensmüdigkeit zum Glück nicht.
Cancer – Totem (Tambourhinoceros)
Sampha
Mit Tod und Weltschmerz hat auch Sampha Sisay gut zu tun. Als jüngstes von fünf Kindern eines früh verstorbenen Afrikaners in London, dürfte sein Leben nie leicht gewesen sein. Kurz bevor er im Herbst auch noch seine Mutter an den Krebs verlor, wurde bei ihm selbst ein verdächtiges Geschwür entdeckt. Wie gut, dass dem 27-Jährigen von Kindesbeinen an die Musik als Ventil dient, schlechte Stimmung zu verarbeiten. „Oh, sleeping with my worries / I didn’t really know what that lump was” singt er auf dem Opener seines Solodebüts und zeigt dabei etwas, das schon Weltstars von Kanye West bis Beyoncé veranlasste, sein Talent zur Verfeinerung oberflächlichen R’n’B in Anspruch zu nehmen.
Mit überragendem Gespür für rhythmische Harmonie motzt Sampha schlichte Popstrukturen zu einer orchestralen Größe auf, die haarscharf am Überfluss vorbeischrammt und dadurch aus jedem Ton Funken sprühen lässt. Dank seiner Gemütsverfassung wirken die natürlich trister als bei Auftragsarbeiten. Hier nach Trip-Hop der Art von Massive Attack, da nach dem elektronischen Songwriter James Blake, dank seines bisweilen arg pathetischen Gesangs allerdings stets eigensinnig. Traurig schön.
Sampha – Process (Young Turks)
Hype der Woche
Die Sterne
Ein Vierteljahrhundert und immer noch keine richtigen Stars: Die Sterne feiern ihr Bandjubiläum mit einem Tribute-Album. Auf Mach’s besser! (Materie Records) variieren Wegbegleiter, Idole und Kollegen von Isolation Berlin bis Kreisky, von Peter Licht bis Fehlfarben, von Björn Beton bis Egotronic mehr oder weniger bekannte Songs der Hamburger Schulpioniere. Im Gespräch erzählen Sänger Frank Spilker und Bassist Thomas Wenzel, wie man 25 Jahre zusammen bleibt, wie sich das Metier seit der Gründung verändert hat und wie es zur Kompilation kam.
freitagsmedien: Im Grunde feiern die Sterne grad Silberhochzeit oder?
Thomas Wenzel: Stimmt.
Frank Spilker (schaut Thomas verliebt an): Ach Thomas.
Thomas: Schatz!
Fühlt sich das schon alt an oder noch jung?
Frank: Sag jetzt nicht das Böseste, was dir einfällt. Höchstens das Zweitböseste.
Thomas: Ich finde ja, dass man in dieser Zeit schon zu den älteren Bands gehört, wenn man zehn Jahre beisammen ist. Aber stimmt schon – wer ältere Fotos von uns sieht, merkt schon recht deutlich, wie viel Zeit seither vergangen ist.
Frank: Die Zahl an sich ist dabei ziemlich egal.
Ist das jetzt Kokettieren mit dem Alter im Sinne von: Mein Alter ist mir egal, mit 50 fängt das Leben doch erst an?
Thomas: Ich weiß nicht. Zurzeit ist ja viel vom 90er-Revival die Rede, also jener Epoche, in der wir als Sterne angefangen haben. Die liegen tatsächlich schon eine Weile von uns entfernt. Aber seit den Nullerjahren ist alles so furchtbar schnell gegangen; das fühlt sich gar nicht nach Altern an; viel mehr nach Echtzeit.
Frank: Bis auf ein paar Megakarrieren ist in der Tat für die meisten Bands nach zehn Jahren Schluss. Gar nicht so sehr, weil dann die Streitereien beginnen, sondern das Familienleben. Das war bei uns allen auch so, bei mir sogar schon sehr früh. Aber bei uns haben die Kräfte, nach dem letzten Major-Deal zu sagen, jetzt machen wir alle mal was anderes…
Thomas: Ruhigeres vor allem.
Frank: Die haben nicht so recht gewirkt. Wir hatten einfach noch zu viel Bock, die Sache noch mal wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Gab es dennoch einen Punkt, an dem Die Sterne als Projekt auf der Kippe standen?
Frank: Eigentlich nicht. Auch, weil sich die Frequenz geändert hat. Bis 2001 haben wir alle zwei Jahre ein Album gemacht, also eine Kampagne an die nächste gehängt und zwischendurch höchstens mal in Urlaub gefahren. Seither fahren wir sehr viel ruhiger.
Thomas: Und gab ja auch personelle Umsetzungen. Christoph, Frank und ich sind zwar von Anfang an dabei, aber dass Frank nicht mehr dabei ist und auch Richard nicht…
Eure Keyboarder Frank Will und Richard von der Schulenburg…
Thomas: Da ist schon was passiert und führt einer Band vor Augen, dass nichts für die Ewigkeit ist und Krisen ebenso dazu gehören wie neue Platten. Nichtsdestotrotz: Dass es uns so lange gibt, hat natürlich auch damit zu tun, recht erfolgreich zu sein. Wir konnten ja gut davon leben. Und das gilt bis heute.
Frank: Unser Ertrag hängt halt immer davon ab, wie viel wir wovon machen. Viele unserer musikalischen Projekte bringen gar nichts ein oder wir müssen sogar draufzahlen. Die Sterne sind solide aufgestellt, das ist schon mal was.
Thomas: Wir können jederzeit ‘ne Tour machen oder es lassen; das ist schon mal was.
Frank: Touren bringen Geld, Festivals auch, es gibt zwar nicht mehr wie in den 90ern noch fette Vorschüsse für die Sterne als Fulltimejob. Aber für uns als Freiberufler sind sie nach wie vor eine gute Einnahmequelle.
So weit zum Materiellen. Aber wie fühlt es sich denn atmosphärisch an nach einer Zeitspanne, die man auf die Ehe der eigenen Eltern bezogen als ewig lang betrachtet?
Frank: Gut, echt. Aber was für ein Zeitraum 25 Jahre wirklich sind, hab ich erst gemerkt, als die ersten Stücke der neuen Platte fertig gemastert auf dem Tisch lagen. Das ist eine Werkschau, die andere für uns durch ihre Auswahl zusammengestellt haben. Gefühlsmäßig kann ich die Stücke der Sterne im Gegensatz zu den Studioalben dadurch erstmals wirklich konsumieren, also als etwas wahrnehmen, das mir vorgelegt wird, ohne noch etwas ändern zu können wie sonst. Das schafft Abstand zum eigenen Werk.
Ihr habt überhaupt keinen Einfluss auf die Auswahl genommen?
Thomas: Nur, was die Auswahl der Titel betrifft.
Frank: Wir haben schon darauf geachtet, dass es nicht zu viele Dopplungen gibt. Inhaltlich wollten wir da aber von Beginn an nicht den Spielverderber machen.
Und nach welchen Kriterien ist die Auswahl der Künstler erstellt worden?
Frank: Wir haben uns vor einem Jahr zusammengesetzt und eine Liste gemacht.
Thomas: Die im Laufe der Zeit immer größer geworden ist, aber auch wieder geschrumpft, wenn jemand abgesprungen ist.
Frank: Das hat sich irgendwann total verselbständigt. Am Ende aber haben wir schon eine Mischung gefunden aus den Leuten, die uns am liebsten sind, und denen, die für den Hörer am interessantesten sind, weil sie mit der Kombination nicht rechnen durften. Da sind viele junge Bands dabei, aber mit Fehlfarben oder Family Five auch welche, die uns selber oder zumindest mich einst beeinflusst haben.
Thomas: Wir bringen zum Album noch eine Single mit zwei unveröffentlichten Tracks vom Anfang der 90er raus, wo man diese Einflüsse sehr gut heraushören kann. Da singst du sogar ein bisschen wie Peter Hein.
Frank: Wobei das auch damals schon als Ablösungsprozess von den 80er-Jahre-Vorbildern gemeint war. Kurz, bevor 1992 Fickt das System rauskam, als wir so mit New School HipHop experimentiert haben.
Würde eure eigene Werkschau denn ähnlich aussehen wie diese hier?
Thomas: Nein, ganz sicher nicht. Wobei das keine Wertung dieser Auswahl beinhaltet.
Frank: Wir hätten einfach ganz andere Kriterien zugrunde gelegt. Interessanterweise dachten wir aber, alle wollen „Universal Tellerwäscher“ oder „Was hat dich bloß so ruiniert?“ machen, aber das war gar nicht so. Isolation Berlin dagegen haben sich „Irrlicht“ ausgesucht, was bei uns unter ferner liefen rangierte. Was die da rausgeholt haben, war wirklich grandios.
Fühlt man sich da geehrt, wenn die jungen Epigonen euch sogar in diesen Ecken eures Schaffens Tribut zollen?
Frank: Ach, geehrt…
Thomas: Weiß nicht…
Anders gefragt – wer hat wen eigentlich in 25 Jahren mehr beeinflusst, womöglich gar geändert: das MusikBiz euch oder ihr das Musikbiz?
Thomas: Ach so sehr hat sich das Geschäft gar nicht gewandelt. Es geht immer noch darum, das hier zu machen (hält CD hoch) und dafür Käufer zu finden.
Frank: Und wir dürfen uns nichts vormachen: unsere frühen Sachen haben sich alles andere als gut verkauft. Der Mythos Sterne war da weit größer als die Erträge.
Ihr wollt aber doch mehr als nur Tonträger verkaufen?
Frank: Gewiss, man kann natürlich auch unsere Platten auf iTunes zusammenkaufen, dann wird’s aber teurer als das Gesamtwerke; das kann man am Ende als betriebswirtschaftliche klüger deuten. Aber das Bundle ist uns nach wie vor wichtig.
Für wen ist Mach’s besser eigentlich gemacht – Kollegen, Fans, euch selbst?
Thomas: Ach am Ende schon für unsere Fans, als Übersicht dessen, was wir gemacht haben, nur aus Sicht anderer.
Frank: Aber natürlich spielen da auch all jene mit rein, die irgendwie etwas zu den zehn Platten beigetragen haben. Die ganze Szene, das Umfeld.
Eure letzten beiden Alben waren technoide Disco und Krautrock. Mit welcher Art Stilbruch dürfen wir auf der nächsten Platte rechnen, die ihr wieder selber einspielt?
Frank: Gerade auch Krautrock und Disco. In der öffentlichen Wahrnehmung sind wir oft eine Indie-Gitarren-Band, wegen der frühen Hits Universal Tellerwäscher und Ruiniert. Aber wir haben ja mit den ersten beiden Alben schon einen ziemlichen Blumenstrauß an Stilen auch in Form von Zitaten hin gelegt. Insofern muss man bei den Sternen immer mit allem rechnen.
Thomas: Vielleicht legen wir ja auch einfach nur ein Vol. II vom Tribute-Album auf, nur eben von uns selber, die eigene Werkschau.
Frank: Oder doch wieder was richtig Schredderiges. Am Ende sind die Sterne ja vor allem rabiat und rau.