Bilderbuch, Chinesman, Cairobi, Devlin

tt17-bilderbuchBilderbuch

Dem Wahnsinn Gesicht und Stimme zu geben, ganz bewusst, also nicht vom Wahnsinn gesteuert, sondern gewissermaßen kognitiv, das ist eine Leistung, die im Pop nur wenige zu leisten willens und in der Lage sind. David Byrne von den Talking Heads war einst einer von der kognitiven Sorte, sein Landsmann Daniel Johnston eher innerestimmengesteuert, der Berlin-Schweizer Disco-Wizzard Bonaparte liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Ungefähr wie die Wiener Artpopband Bilderbuch also. Auch in ihr viertes Album stopfen sie den Aberwitz der drei Erstgenannten, verfeinern es mit dem gehobenen Gaga-Funk des gefeierten Vorgängers Schick Schock und könnten damit endlich auch hierzulande zu jenen Superstars werden, die sie in Österreich bereits sind.

Verantwortlich dafür ist eine Songwriting, das es in dieser Form vielleicht überhaupt noch nie gegeben hat. Magic Life vereint nämlich erneut die Virtuosität glamourös abgestimmter Instrumente zu tiefgründig depperten Texten mit dem unbedingten Bedürfnis, das Ganze im Gewitter irrer Ideen explodieren zu lassen. Das klingt dann manchmal wie Prince auf einer Überdosis Falco, dabei aber eigensinnig und elegant wie sonst allenfalls Ja, Panik aus dem gleichen Wiener Stall. Wie da eine halluzinierende Orgelpeitsche ins betuliche Baba hämmert oder ein kafkaeskes E-Gitarrensolo durchs zart gehauchte Sweetlove – das ist ein so furioser Bildersturm, dass man in die Box kriechen will, um auch was vom Zeug zu kriegen, das die vier kognitiv irrsinnigen Schulfreunde genommen haben.

Bilderbuch – Magic Life (Maschin Recorcs)

tt17-chineseChineseman

Seit die globalisierte Popkultur den kleinen Mainstream-Seitenarm Weltmusik ausgetrocknet hat, fristet er unter „Ethno“ ein noch viel kleineres Nischendasein als Accessoire. Abgesehen von Panflöten in der FuZo oder dem politischen HipHop des First-Nation-Trios Tribe Called Red, bleibt die Aufgabe geografisch verortbarer Kreativität somit (mal wieder) am Electro kleben. Der Turntableism des dänischen Duos Den Sorte Skole etwa klingt dabei oft orientalisch, aber nie folkloristisch, was Frankreichs elegantem House-Export St. Germain zuletzt in Afrika gelang. Nun zog es seine Landsleute Chinese Man nach Indien, wo Zé Mateo, Sly und High Ku das Risiko volksmusikalischer Peinlichkeit spielend umschiffen.

Tracks wie das famose What You Need zum Beispiel wildern dabei fröhlich im Klangkosmos dessen, was man zumindest ohne exakte Kenntnis des Subkontinents von dort erwartet. Allerdings filibustert das DJ-Team dabei Funkpeitschen, Feuerwerkskörper, Fahrradklingeln und ähnliche Alltagssequenzen unter den amerikanisch intonierten Rap, dass dieser tanzbare Ethno-Pop allenfalls einen Ort zur Heimat erklärt: die Disco. Mit der Kraft abertausender Bits und Samples ist Shikantaza demnach gar keine Weltmusik – es ist Menschheitsmusik, kosmisch erweitert, strictly happy, einfach toll.

Chineseman – Shikantaza (Chines Man Records)

tt17-cairobiCairobi

Wer den seltsam diffusen Sound der polyrhythmischen Popband Cairobi begreifen will, dem könnte das Cover vom gleichnamigen Debütalbum helfen. Es zeigt vier Kröten auf nächtlichem Asphalt, die vom Blitzlicht erwischt mit rotem Blick ins Leere glotzen. Vielleicht über-, nicht aber fehlinterpretiert könnten die verstörten Froschlurche also Georgio Poti, Salvador Garza, Aurélien Bernard und Allesandro Marrosu symbolisieren – vier Musiker aus drei Ländern, die vom Glanz des glitzernden Berlins geblendet erstarren. Doch statt sich überfahren zu lassen, hüpft das Quartett mit Drums, Gitarre, Keyboard, Bass bewährt durch den Großstadtdschungel und gewinnt aus Verblüffung Vielfalt.

So klingt das lässig verschwommene Lupo wie der Titelsong einer bunten Sechzigerjahreserie mit Frauen im Cat-Suit am Steuer schnittiger Cabrios. Das orientalisch verspielte Saint hingegen erinnert an die späten Beatles beim Experimentieren mit modernem Sampling. Und zwischendurch plöttern karibische Steeldrums oder deutsche Kiffergitarren ins fröhliche Chaos. Daraus macht Cairobi eine Art eklektischen Krautpopsalsa, bei dem man erstarrt, dann aber loshüpft. Wie die Cover-Kröten.

Cairobi – Cairobi (Week Of Wonders)

Hype der Woche

tt17-devlinDevlin

Vorweg: James Devlin ist kein Mike Skinner oder Plan B, weder Mike Wiley noch Professor Green. James Devlin ist ganz er selbst und vereint dabei doch so viel dieser mal lässigen, mal reizbaren Rapper des Vereinigten Königreichs, dass er trotz seiner kaum 30 Jahre längst eine eigene Marke im unerschöpflichen Pool britischen Sprechgesangs mit politischer Attitüde ist. James Devlin, besser bekannt ohne Vorname, hat der Dystopie des Grime als Grenzgang zwischen amerikanischem Gangsta-Rap und britischem Dubstep eine Art Übellaunigkeit hinzugefügt, die das Publikum beim Zuhören schaudern macht. Damit ist er zwar noch nicht so erfolgreich wie einige seiner Kollegen, aber immerhin auf dem Weg dorthin, den Devlins neues, drittes Album The Devil In (Devlin Music) weiter planieren dürfte. Die Raps darauf sind reizbar, die Beat darunter halluzinierend, alles wirkt wie die Vertonung trabantenstädtischen Aggressionspotenzials. Doch all die Bitches und Fucks und finsteren Gesichtsausdrücke können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um musikalische Reflexion realer Lebensumstände geht, nicht Bling Bling oder Verkaufsargumente. Devlin will einschüchtern, aber weniger uns als die Ziele seiner Wut. Es sind die richtigen.

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