Sönke Wortmann: Charité & Fußballwunder

Nix als Fußball im Kopf

Kleine Haie machte ihn bekannt, Der bewegte Mann berühmt, Das Wunder von Bern unsterblich. Nun macht Sönke Wortmann (Foto: ARD/Nik Konietzny) die Charité (dienstags, 20.15 Uhr, ARD) zum Serien-Thema. Ein Interview über die Medizin-Hölle vor 130 Jahren, seinen Hang zur Unterhaltung und eine Jugend Grimm-Institut und Bolzplatz.

Interview: Jan Freitag

Herr Wortmann, wenn man heutzutage eine Krankenhaus-Serie dreht – wie viel Blut muss da spritzen, wie viel Gedärm quellen, um authentisch zu wirken?

Sönke Wortmann: Nicht viel, wie ich finde. Wir hätten Charité durchaus blutiger machen können, aber es war unsere bewusste Entscheidung des Filmemachers, nicht drastischer zu sein als die Realität. Denn die war hart und schmerzhaft genug. Außerdem sollte man der Phantasie im Kopf des Zuschauers stets ein wenig Spielraum lassen; das passiert mittlerweile leider zu wenig.

Eine Aorta ist allerdings schon vor 70 Jahren sehr plastisch geplatzt, als sie Professor Sauerbruch bei der Film-OP erwischt hat…

Da hat es uns geholfen, dass die Aorta bei der Blinddarm-OP am Anfang ziemlich weit weg ist. Uns war aber ohnehin wichtiger, die Zeit über Kostüme, Masken, Ausstattung als medizinischen Splatter zu erzählen.

Wie viel Realismus verträgt, wie viel davon braucht realistische Fiktion über eine Zeit, in der Hygiene, Anästhesie, die gesamte Heilkunde so infernalisch war wie 1888?

Wenn Sie alle sechs Teile sehen, gibt es jedenfalls noch reichlich Elend zu sehen und äußerst schmerzhafte Todesfälle von Charakteren, die einem ans Herz gewachsen sind. Es gibt keine Regeln, was man dem Publikum zugestehen oder vorenthalten sollte; ich selbst finde es aber falsch, Sensationslust schwerer zu gewichten als Inhalt. Das  Blutrünstige möglichst spektakulär auszustellen, hat mich einfach nicht interessiert.

Was hat Sie dann am Thema interessiert?

Die Epoche. In der habe ich noch nicht gearbeitet und selbst im Geschichtsunterricht ging es stets um andere Zeitalter als das Wilhelminische. Und das, obwohl es so wichtig war für die Phase danach bis hin zu Hitler und dem 2. Weltkrieg. Deshalb hat mich das „Dreikaiserjahr“, in dem Charité spielt, so fasziniert. Das Interesse an der Medizin kam erst später hinzu. Dann aber hat es mich richtiggehend gepackt, dieser Übergang von der reinen Pflege zur therapeutischen Heilung. Wer das Museum der Klinik besucht, möchte auf keinem Fall vor diesem Übergang krank gewesen sein. Und da reden wir noch nicht von weiteren 100 Jahren früher…

Soll Charité da aufklärerisch wirken?

Schon, aber es soll kein Lehrfilm sein. Für mich ist besonders die Emotionalität der Geschichte wichtig, die ja auf wahren Begebenheiten beruht. Nicht nur die Zeit, wie wir sie zeigen, ist historisch verbürgt; auch viele der handelnden Figuren sind es. Von acht Hauptrollen ist abgesehen von Georg Tischendorf nur Ida Lenze frei erfunden.

Ist die weibliche Hauptfigur dem Historiengenre geschuldet, wo sich eine starke Frau gegen mächtige Männer behaupten muss?

Nicht nur. Ida hat auch die Aufgabe, im medizinischen Umfeld unbedarfte Fragen zu stellen, die den akademischen Kontext brillanter Ärzte erklären. Sie nimmt da sozusagen die Rolle des Zuschauers ein, das empfinde ich als spannenden Kniff des Drehbuchs.

Trifft eine so emotionale Figur nur Ihren Geschmack als Regisseur oder als Zuschauer?

Das ist bei mir deckungsgleich. Ich mache nur, was ich selbst gern sehe, und dazu zählt zwingend eine emotionale Seite, die von einer Liebesgeschichte unterstützt wird. Wobei sich daraus hier keine Romanze entwickelt, sondern eher menschliches Drama.

Als Sie vor 30 Jahren mit Ihrem Produzenten Nico Hofmann in München studiert haben, lief gerade die Schwarzwaldklinik.

Verrückt oder?

Hätten Sie damals gedacht, dass eine Krankenhausserie aussehen könnte wie diese jetzt?

Überhaupt nicht, wobei wir auch jetzt nicht wissen, wohin die Reise in 30 Jahren geht. Es gab zwischendurch jedenfalls auch gute Krankenhausserien, vor allem Emergency Room hat da Türen geöffnet oder auf seine Art Dr. House. Das Thema hat die Menschen nie losgelassen.

Umso kritischer sah man es bestimmt an der Hochschule.

In der Tat. Ich wollte schon damals kein Arthaus machen, sondern Unterhaltung, also Filme fürs Publikum, nicht das Feuilleton. Deshalb habe ich seinerzeit mit Komödien angefangen; für einen Filmemacher gibt es ja nichts Schöneres als einen lachenden Kinosaal. Weil das nur ganz wenige von uns wollten, wurden wir an der Uni allerdings angesehen wie Aussätzige.

Gibt es diesen Standesdünkel noch?

Schon, er wird nur nicht mehr so offen kommuniziert. Und der Widerspruch zwischen U und E hat sich längst überholt, da verschwimmen zusehends die Grenzen. Nehmen Sie Toni Erdmann – komödiantisches Arthaus und das kommerziell erfolgreich.

Würden Sie einen Film wie das Wunder von Bern heute genauso machen wie 2003.

Genau wie?

Stark emotionalisiert, in Teilen fast pathetisch, sehr geigenumflort, große Gefühle eben, historisch eingebettet?

Ich bin noch nie irgendeinem Publikumsgeschmack hinterhergelaufen, falls Sie das meinen. Deshalb hab ich das auch damals so gemacht, weil ich es richtig fand. So mache ich es immer und hoffe, die Leute bleiben sitzen und gehen nicht raus, wie es übrigens auch bei „Toni Erdmann“ passiert ist. Aber gerade die Sache mit der Musik ist immer Geschmackssache, da hat jeder eine Meinung, das macht es für mich als Regisseur schwierig.

Haben Sie Charité deshalb vergleichsweise spärlich untermalt?

Hab ich gar nicht, aber eher piano- als geigenumflort.

Sie sind im Marl geboren und aufgewachsen, dort also, wo das Deutsche Fernsehfeuilleton quasi sein Gewissen hat.

Wegen der Grimme-Preise meinen Sie?

Genau. Hat dieses Umfeld Ihren Hang zur Unterhaltung – gewissermaßen als Protest gegen das kulturelle Anspruchsdenken geprägt?

Glaube ich nicht. Wobei man Anspruch auch damals durchaus unterhaltsam gestalten konnte und umgekehrt. In meiner Jugend hatte ich allerdings weder Film noch Fernsehen, sondern nix als Fußball im Kopf.

Und heute?

Zum Glück ist da nun mehr drin, obwohl er mich noch immer interessiert. Aber ich spiele ja selbst auch nicht mehr.

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