Nick & June, mESMO, Kid Koala
Posted: March 31, 2017 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a comment
Nick & June
SSS ist eine echt fiese Abkürzung, die besser vermeiden sollte, wer nicht mit noch viel fieseren Neonazis der Sächsischen Schweiz oder anderswo in Verbindung gebracht werden möchte. Schon das Kürzel S/S für “Singer/Songwriter” ist demnach immer so ein bisschen heikel. Aber wie anders sollte man dann die bislang inexistente Gattung Singer/Songwriter-Screamo zusammenstauchen? Gut – gar nicht, am besten. Ist ja ohnehin Quatsch, das (fast ein bisschen zu niedliche) Indie-Duo Nick & June aus der fernen Pop-Diaspora Nürnberg auf irgendetwas wie SSS reduzieren zu wollen.
Der kreative Kopf Nick Wolf und sein Engelsstimmensidekick Julia Kalass schreddern ihr seelenruhiges Folk-Kompendium seit ein paar Jahren ja nicht nur gern mal mit dissonantem Geschrei am Ende der Harmonien. Auch ihr zweites Album My November My läuft wieder schier über vor Einfällen, die man in solcher Art handgemachtem Sound kaum erwartet. Da zwitschern die Mandolinen, da brummen die Celli, da klimpert das Glockenspiel, da poltern die Pauken, dass man dem samtig weichen Doppelgesang über alles und nichts schon sehr genau zu hören muss. Lohnt sich. Lohnt sich wirklich.
Nick & June – My November My (AdP Records)
mESMO
Das ungefähr exakte Gegenteil einer Pop-Diaspora ist Berlin. Vieles, was von dort stammt, ist ja schon durch die Herkunft allein Teil der globalen Msichkultur. Hier will alles hin, hier kommt vieles her, hier vermischt sich die Welt zu einem Brei, der gern mal nach allem schmeckt und nach nichts zugleich. Auch mESMO ist so ein Mansch, der dabei jedoch das Wunder vollbringt, ziemlich lecker zu sein. mESMO, das sind die zwei produzierenden Songwriter Vredeber Albrecht und Lars Precht, die in der deutschen Indie-Hauptstadt Hamburg mit Blumfeld einst eine Art von Antipop kreiert haben, der Berlin ferner ist als Understatement und Bescheidenheit. Gemeinsam haben die beiden jetzt ein Studioalbum produziert. Aber nicht allein.
Für The Same Inside haben mESMO, was Portugiesisch ist und “Das Gleiche” bedeutet, von Justine Electra über Jens Friebe Zwanie Jonson oder Pascal Finkenauer bis hin zu Dirk Von Lowtzow ein ganzes Heer von Gastmusikern gewonnen, die jedem der zehn Stücke mindestens ihre Stimme, oft auch die Seele leihen. Das Ergebnis ist ein funkensprühender Lofi-Bigbeat-Pop, dessen orchestrale Vielschichtigkeit nur einen Haken hat: Die Sprache. Inhaltlich wie aus dem Dictionary zusammengeschustert, wird sie von den Kartoffeln gesungen, als sei es eine Persiflage aufs Radebrechen, was wir mal nicht hoffen wollen, weil das ja doch eher Abivideo-Humor ist. Darüber hinaus: Hinreißendes Album voll kreativer Absurdität.
mESMO – The Same Inside (Staatsakt)
Kid Koala feat. Emilíana Torrini
Man muss sich die Ruhe im Dasein von Eric San als Tinnitus vorstellen. Um sich des irrealen, also im Hirn erzeugten Pfeifens zu entledigen, neigen Betroffene dazu, es mit realen, also im Ohr vernehmbaren Geräuschen zu übertönen. Unterm DJ-Namen Kid Koala jedenfalls kreiert er für gewöhnlich eine Soundwand, an der Stille meist abprallt wie das Meer am Fels. Wenn dem so wäre, dürfte man sich den Kanadier als geheilt vorstellen: Nach 20 Jahren im Genre ist dem Weltstar des opulent aufgeblasenen Turntableisms ein Album von geradezu aufreizender Lautlosigkeit gelungen.
Flüchtig, fast unsichtbar bebildert durch den Feengesang der Isländerin Emilíana Torrini, erzählt music to draw to: satellite die Liebesgeschichte zweier tragisch Getrennter als Dreampop-Oper in 18 Akten, deren reduzierte Schlichtheit eher an einen Soundtrack epischer Naturfilme aus Torrinis Heimat erinnert als an die sechste Platte des technoaffinen Scratchers. Umso mehr fasziniert die Eleganz, mit der sich Kid Koala auf fremdem Terrain bewegt. Wie er analoge Streicher und Samples mit digitalen Bits und Flächen zu einer Art Kammerambient verschmelzen lässt, als entspränge beides demselben Instrumentarium. Ein Album wie ein Film.
Kid Koala feat. Emilíana Torrini – music to draw to: satellite (Arts & Crafts) Die Review von Kid Koala ist vorab auf ZEIT-Online erschienen