Verlogene Sänger & nervöse Republik

Die Gebrauchtwoche

8. – 14. April

Die Süddeutsche Zeitung hat Jan Böhmermann wegen seines überfälligen Industrieschlager-Bashings, dem besonders der kalt berechnende, mittlerweile aber nur noch bemitleidenswerte Kommerztroubadour Max „ich hab’s mit einem Kumpel gemacht“ Giesinger zum Opfer fällt, die Ehre erwiesen, ihn zum maßgeblichsten, weil einflussreichsten Komiker der deutschen Humorgeschichte zu erklären. Und auch, wenn Max „deine Gefühle sind bares Geld für mich“ Giesinger darüber kaum lachen kann: Stimmt. Und wurde nun auch noch mit Platz 1 mehrerer Hitparaden für Menschen, Leben, Tanzen, Welt belohnt – der bitter komischen, schmerzhaft wahrhaftigen Abrechnung mit dem berechnenden Zynismus des deutschnationalen Schlagerpops.

Witzigerweise befindet sich Jan Böhmermann damit in illustrer Gesellschaft soziokulturell grundierter Satirelegenden von Karl Valentin über Dieter Hildebrandt bis Jimmy Fallon und, kein Scherz, Matt Groening. Der Simpons-Erfinder schafft es schließlich wie kein zweiter (außer Böhmermann), den Aberwitz der Realität in mundgerechten Irrsinn zu verarbeiten. Schade eigentlich, dass dem auf Pro7 weniger Leute beiwohnen als lange Zeit üblich. Zumindest am Vorabend, weshalb der Sender ab Mai den Frevel begeht, die Doppel-Wiederholung alter Folgen auf eine zu kürzen und die zweite durch eine weitere von Big Bang Theory zu ersetzen, was ein ähnlich guter Ersatz ist, als käme Mario Barth anstelle der Anstalt im Zweiten.

Währenddessen hat sich die Lügenpresse ihre Lügenpressepreise, namentlich den Pulitzer verliehen, etwa an das Lügenblatt Washington Post für ihre verlogene Verweigerung, dem einzig wahrheitsliebenden Mann des Planeten zu huldigen: Donald Trump. Da nur amerikanische Medien gewinnen können, wurde der Rechercheverbund aus Süddeutsche, NDR, WDR für die Panama Papers nur indirekt prämiert, aber immerhin.

Die Frischwoche

15. – 21. April

Zumindest national gleich dutzendfach preisgekrönt ist der Dokumentarist Stephan Lamby, Geschäftsführer der bedeutenden ECO-Media in Hamburg. Seine Zustandsanalysen des soziokulturellen Nervensystems zählen seit jeher zum Besten, was das Sachfernsehen zu bieten hat. Am Mittwoch zeigt die ARD um 22.45 Uhr seine 90-minütige Rundreise durch die Nervöse Republik, deren Repräsentanten mittlerweile kaum einen Feind so fürchten wie den digitalen, der ihnen im Internet mit Lügen, Hass und Dummheit zusetzt.

Ebenfalls im Internet, dem ebenso dämlichen, oft unehrlichen, zumindest aber verachtungsfreien, spielt ab Freitag die neue Netflix-Serie Girlboss. Nach der Autobiografie von Sophia Amoruso verkörpert die hinreißende Britt Robertson (Life Unexpected) darin eine amerikanische Großstadt-Slackerin, die es vom Online-Handel mit Vintage-Mode zur Multimillionärin mit eigenem Label bringt – und in den Echoräumen des Netzes dann natürlich doch viel Hass auf sich zieht. Tags zuvor zeigt Arte einen britischen Dreiteiler, der nur scheinbar mit Reichtum zu tun hat. Wir sind alle Millionäre spielt in einem Londoner Arbeiterviertel, das ins Visier von Immobilienspekulanten gerät, was sich im Laufe dieser fabelhaften drei Stunden am Stück aber vor allem als Sittengemälde des Miteinanders gänzlich verschiedener Menschen am gleichen Ort erweist.

Im weitesten Sinne mit Gentrification hat auch ein Arte-Abend am Dienstag zum Thema Tourismus zu tun, der unter anderem aufzeigt, wie sich die Bewohner großer Metropolen dagegen wehren, in Puppenstuben für den Fremdenverkehr zu leben. Teil dieser Verwertungskette ist übrigens auch Street Art, deren Werke längst als Standortfaktoren urbaner Räume vermarktet werden. Sky stellt ab heute acht Städte und ihre Straßenkunst vor, darunter Berlin und München.

Abgesehen vom Ostalgismus-Event Honigfrauen, das ab Sonntag im ZDF immerhin zwei von drei spielfilmlangen Teilen den Alltag einiger DDR-Bewohner im Urlaub am Plattensee 1986 beschreibt, bevor natürlich doch wieder die Stasi ins fiktionale Spiel kommt, könnte dann noch ein so genanntes Social Factual Format auf ZDFneo interessant werden. Eine Schar Freiwilliger spielt darin vier Sonntage Diktator, was zwischen scheußlich und erhellend so ziemlich alles werden könnte. Beides in einem und doch grandios – so was kann eigentlich nur Quentin Tarintino, womit wir bei den Wiederholungen der Woche wären. Dienstag zeigt das ZDF (0.20 Uhr) Inglorious Basterds (2009) mit Christoph Waltz als charmanten Menschheitsverbrecher. Ebenfalls immer wieder sehenswert: Billy Wilders Mediensatire Extrablatt (heute, 20.15 Uhr, 3sat) von 1973 mit dem Odd-Couple Walter Matthau und Jack Lemmon.

Überhaupt nicht sehenswert, aber so trashig, dass weitere Drogenzufuhr unnötig ist: die semierotische Robinsonade Blaue Lagune mit der stets leicht, aber sehr akkurat bekleideten Brooke Shields plus Gespielen auf einsamer Insel anno 1980 (Dienstag, 20.15 Uhr, SuperRTL), dicht gefolgt von der Rückkehr des 1000. Tatorts: Taxi nach Leipzig auf N3 um 22 Uhr. Bliebe noch der heutige Schwarzweißtipp: Ein Herz und eine Krone von 1953 mit Audrey Hepburn und Gregory Peck als ungleiches Liebespaar in Rom. Hach…

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2 Comments on “Verlogene Sänger & nervöse Republik”

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