Formatradio & Internetreden

Die Gebrauchtwoche

19. – 25. Juni

Wir haben Sommer. Endlich. Man merkt das am Ausdünnen des Fernsehprogramms, man merkt das aber natürlich auch, genau: am Wetter. Der Deutschen, ach – der ganzen Zivilisation liebstes Thema. Wie wichtig genau, das zeigt sich ganz gut, wenn in der Küche das altersschwache Kofferradio plötzlich keine klugen Sender wie Deutschlandradio Kultur mehr empfängt, sondern stattdessen nur noch, nun ja, weniger kluge wie die Heimatwellen der großen Funkhäuser, etwa NDR. Ein mehrtätiger Zwangsfeldversuch beim täglichen Frühstückmachen erbrachte dort folgendes: Das Formatradio spielt nicht nur ausschließlich Lieder, die sich kaum voneinander unterscheiden dürfen; zwischendurch wird auch ausschließlich übers Wetter geredet. Immer. Wirklich pausenlos. Es ist absolut irre.

Und ein guter Grund, sich doch ab und zu mal ein bisschen weniger übers Fernsehen aufzuregen. Das hat sich vorige Woche schließlich als überraschend lernfähig erwiesen und nicht nur die umstrittene Antisemitismus-Doku des WDR sogar auf Arte gezeigt. Es hat auch gleich noch eine Maischberger-Debatte dazu hinterher geklemmt. Brav. So, wie sich die Herrscher des Nahen und Mittleren Ostens auch den Nachrichtensender Al Jazeera wünschen. Weil der aber lieber über deren Verfehlungen und schlimmer noch: Gegner in den eigenen Ländern berichtet, fordern die Tyrannen der Region nun dessen Schließung – auch wenn sie damit weniger die Unterstützung islamistischer Terroristen im Sinn haben als die Disziplinierung des isolierten Emirats Katar.

Dabei ist die Sache mit dem Terror womöglich gar nicht so abwegig, im Sinne der Meinungs- und Pressefreiheit allerdings auch ziemlich unerheblich. Der Vorwurf könnte aber insofern Erfolg haben, als die Geldflüsse von Al Jazeera vielleicht versiegen. Und damit eine der letzten ausgewogenen Stimmen dieser durchgedrehten Weltgegend. Ganz so absurd geht es bei uns zum Glück noch nicht zu, trotz allem. Was auch an Medien liegt, die zu einem nicht unerheblichen Teil sehr ausgewogen übers Geschehen im Land berichteten und manchmal sogar versuchen, Politik spannend zu machen.

Die Frischwoche

26. Juni – 2. Juli

Arte verlagert diesen Versuch zwar gerade mal wieder ins Internet, wo ab Samstag Große Reden der Weltgeschichte abrufbar sind – von İNo Pasarán! aus dem Spanischen Bürgerkrieg bis zu François Hollande und Joachim Gauck in Oradour-sur-Glane im Jahr 2013. Bei ZDFneo hingegen wird es dann auch im linearen Programm politisch. Dort startet zwei Tage zuvor um 22.15 Uhr ein Experiment, in dem wechselnde Parlamentarier drei potenzielle Wähler von sich und ihren Ideen überzeugen sollen. Ziel: Argumente austauschen, Vorurteile beseitigen, Zuschauer unterhalten. Das alles könnte sogar klappen, schon wegen der Moderation des sehr feinsinnigen Kulturjournalisten Jo Schück.

Doch damit nicht vergessen wird, in welchem Medium wir uns aufhalten, machen wir einen kurzen Schlenker zu RTL. Dort startet am Freitag die Quiz-Game-Show The Wall mit einer Mauer, die mit Bällen traktiert wird, um irgendwelche Geldkassetten zu finden, was von den Regularien her ungefähr so sinnig ist wie einst Tutti Frutti, also vor allem Schauwert bieten soll, für den unter anderem der putzige, aber nicht ganz so feinsinnige Moderator Frank Buschmann sorgt.

Für Schauwert ganz anderer Art sorgt am selben Tag auf Netflix die unvergleichliche Naomie Watts als übergriffige Psychotherapeutin in der Streaming-Serie Gypsy. Das ist den ersten Eindrücken zufolge ungeheuer bissig und entertaint dabei gehörig. Und weil es abgesehen vom Confed-Cup in Russland mit dem Finale am Sonntag eher wenig Aktuelles zu empfehlen gibt, können wir an dieser Stelle auch gleich zu den „Wiederholungen der Woche“ kommen.

In schwarzweiß, aber nicht aus der entsprechenden Ära: Frances Ha (Samstag, 20.15 Uhr, Servus TV), Noah Baumbachs hinreißende Liebeserklärung an das Scheitern mit Greta Gerwig als prekäre Tanzschülerin im unendlich coolen, aber auch erschöpfenden New York des Jahres 2012. Ebenfalls schwarzweiß und auch aus der entsprechenden Epoche: Wer die Nachtigall stört (Montag, 22.45 Uhr, Arte) von 1962, in dem Gregory Peck einen Schwarzen verteidigt, der 1932 im rassistischen Alabama eine Frau vergewaltigt haben soll. Eingeleitet vom Sklaverei-Drama Amistad (1997) rundet das den Abend zum Thema Rassismus in den USA legendär ab. In Farbe wie immer wunderbar: Ein Fisch namens Wanda (Samstag, 22 Uhr, ZDFneo) mit Kevin Cline als krimineller Depp an der Seite von Jamie Lee Curtis (1987).

Aus Deutschland überaus ratsam Hermine Huntgeburths fabelhaftes Herr-Lehmann-Prequel Neue Fahr Süd (Sonntag, 20.15 Uhr, One) von 2010. Und schon weil er Filmgeschichte geschrieben hat: Dirty Harry (Sonntag, 20.15 Uhr, Arte), der Clint Eastwood 1971 endgültig zum Superstar des Actionkinos mit Niveau gemacht hat. Im Anschluss: Die Rückkehr von Harry Callahan zwölf Jahre später. Und am Freitag wiederholt der WDR um 23.40 Uhr endlich mal wieder einen Haferkamp-Tatort, Baujahr 1977 namens Spätlese, vom Krimi-Duo Herbert Lichtenfeld und Wolfgang Staudte.

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