Moses Sumney, Marc Almond, Cold Specks
Posted: September 22, 2017 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |1 Comment
Moses Sumney
Wer in der breiten Masse Spuren von Eigensinn entdecken will, muss manchmal sehr, sehr genau lauschen. Wenn zum Beispiel Moses Sumney singt, ist er nur mit ein wenig Mühe gut zu hören. Wie durch Watte scheint sich der schimmernde Falsettgesang aus dem dürren Körper des Kaliforniers heraus zu quälen und verweht dann auch noch in geheimnisumwitterten Synthesizerflächen, die von einem Tinnitus mit viel basslastigem Hall manchmal kaum zu unterscheiden sind. Schon mit der selbst veröffentlichten EP Mid City Island hat er damit 2014 in aller Stille die Musikwelt aufgewühlt, was deren Nachfolger Lamentations voriges Jahr noch verstärkt hat, bevor sein fantastisches Debütalbum Aromanticism nun den Rest erledigt.
Denn selten zuvor wurde mit so wenig Effekthascherei so viel Wirkung erzielt. Tracks wie Lonely World oder Plastic, vor allem aber das fabelhafte Doomed wühlen unter der anämischen Oberfläche einen Minimalismus auf, der dem überhängenden Folk eine verspielte Popnote verleiht und dennoch zutiefst anmutig wirkt. Permanent sucht man darin nach Halt und findet doch nur die Hilferufe des gefeierten Indiestars mit ghanaischen Wurzeln, den der Erfolg eher noch in sich gekehrter erscheinen lässt. Da ist es ein kleines Wunder, dass sein Durchbruch mit solcher Wucht wirkt.
Moses Sumney – Aromanticism (Jagjaguwar)
Marc Almond
Es gibt genau zwei Wege, Klischees über Homosexuelle einigermaßen erfolgreich zu begegnen: Man negiert sie, gern mit etwas Lässigkeit. Oder man überhöht sie, auch das am besten nicht allzu verbissen. Als Marc Almond 1979 mit seiner Band Soft Cell die Bühne des Wavepop betrat und zwei Jahre darauf mit dem Cover des Motown-Klassikers Tainted Love den vielleicht unverwüstlichsten Superhit der Achtziger entwarf, wählte er den Mittelweg und feierte sich als offensiv schwul, aber ohne jedes Augenzwinkern. Mehr als drei Jahrzehnte später ist Marc Almond immer noch da. Nur ein bisschen leichter scheint ihm jetzt zumute, wenn er sich im Klischee schwuler Musik suhlt. Und das ist wirklich schön.
Auf Shadows and Reflections interpretiert der Sechzigjährige den glamourösen Pop der Sechzigerjahre. Da flattern die Trombone, da jubeln die Geigen, da zappeln die Keyboards, da liegt über allem Marc Almonds unverkennbarer Gesang, der es so hinreißend versteht, sehnsüchtig und zugleich selbstbewusst zu klingen. Und dann erweist er den Vorbildern von den Yardbirds bis Julie Driscoll, von The Herd bis The Action auch noch kühn die Referenz zweier Eigenkompositionen namens Overture und Interlude, die dem melodramatischen Glamour in nichts nachstehen. Ein Album voller Zuversicht, dass alles, alles gut wird, selbst und besonders dann, wenn man immer zu dem steht, was man ist.
Marc Almond – Shadows and Reflections (BMG)
Cold Specks
Als Ladan Hussein unterm Namen Cold Specks ihr Debütalbum veröffentlicht hat, grenzte es an ein medizinisches Phänomen, dass die Kritik so geschlossen euphorisiert war vom Sound der Kanadierin. Normalerweise hätte das hauchzarte Gespinst aus TripHop und Wavepop im Lärm seiner Zeit verhallen müssen wie die Synthieflächen unterm Klagegesang. Tat es aber nicht – und sorgte für einen der wärmsten Schauder des Frühlings 2012. Fünf Jahre später bringt Al Spx, wie sie sich auch nennt, ihr drittes Album raus. Auch Fool’s Paradise verliert sich bisweilen in schwelgerischer Entrücktheit, als flüchte Cold Specks vorm eigenen Mut, ins Rampenlicht zu treten.
Kraftvolle Songs wie das leichtfüßige Wild Card oder der sonore Soul von New Moon stehen aber für neue Energie im Schaffen von Ladan Hussein. Grund dafür, so ist zu hören, sei die Konfrontation mit der eigenen Familiengeschichte im Bürgerkriegsland Somalia, wo ihr Vater dem Elend ringsum mit selbstbewusster, aufsässiger Musik getrotzt hat. Für Cold Specks war diese Begegnung offenbar Erinnerung und Auftrag zugleich – um ein Album zu machen, dass vom Suchen und Finden der eigenen Identität zeugt. Ladin Hussein ist fündig geworden. Sie scheint darüber nicht ganz unglücklich zu sein.
Cold Specks – Fool’s Paradise (Arts & Crafts)
Ein Teil der freitagsmusik ist zuvor auf ZEIT-Online erschienen
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