Julia Jentsch: Glücksset & Das Verschwinden

Ich hab auch keine 27 Katzen

Julia Jentsch ist der unscheinbarste Superstar des deutschen Films. Seit ihrem Durchbruch in Die fetten Jahre sind vorbei vor 13 Jahren steigt die Berlinerin selten von der Bühne vor die Kamera. Falls doch, kommt dabei allerdings großes Kino wie Sophie Scholl, Hannah Arendt oder 24 Wochen heraus. Nur Fernsehen macht die 39-Jährige kaum. Was ihm dadurch entgeht, zeigte sie gerade in Andreas Schmids erster TV-Arbeit Das Verschwinden (noch in der Mediathek). Jentsch spielt darin eine Mutter, die ihre verschwundene Tochter im Drogensumpf des bayerisch-tschechischen Grenzgebiets sucht. Ein Gespräch über deprimierende Rollen, Spaß am Set und was ein Stadtmensch wie sie auf dem Land zu suchen hat.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Frau Jentsch, haben Sie in fast 20 Jahren vor der Kamera je eine so deprimierende Filmfigur gespielt?

Julia Jentsch: In Einzelfällen schon, aber nicht auf einer Strecke von sechs Stunden Laufzeit. Die Aussicht, über so viele Drehtage eine derart emotionale Anspannung aufrechtzuerhalten, hat mir schon im Vorfeld ungeheuren Respekt eingeflößt.

Und während des Drehens?

Da arbeitet man detailliert an jeder Szene und da gibt es auch viel starke, hoffnungsvolle oder auch sehr erschöpfende Momente, die zu spielen sind. Es gibt also gar nicht diese eine lange Anspannung sondern sehr viel mehr Abwechslung. Außerdem hat die Zusammenarbeit mit dem Team viele schöne Momente hervorgebracht. Ich fühlte mich von der  positiven Grundstimmung und der Lust am Filmen selbst durch schwerste Stoffe getragen. Zumal ich viele frühere Kollegen der Münchner Kammerspiele getroffen habe und schon immer mal mit Hans-Christian Schmid arbeiten wollte, dessen Filme mich seit langem begleiten.

Wenn schon vor der Kamera nie gelacht wird, dann wenigstens daneben…

Ach, es gab auch in der Serie abgesehen von den Partys meiner Filmtochter und ihrer Freundinnen ja schon auch ein paar fröhliche Momente, etwa mit Michelles kleiner Tochter. Aber stimmt schon – die Stimmung am Set war deutlich besser als in der Handlung.

Färbt diese Tristesse des Charakters eigentlich auch mal auf die Darstellerin ab?

Überhaupt nicht. Schon, weil ich in jeder noch so traurigen Figur immer auf der Suche nach Kraft und Hoffnung bin, die das überlagern könnte.

Ist es leichter für eine Schauspielerin, aus einer traurigen Grundstimmung heraus etwas Heiteres zu spielen oder aus einer heiteren Grundstimmung etwas Trauriges?

Inwiefern meine Emotionen auf die der Rolle abfärben? Es ist meine Aufgabe, dagegen an zu arbeiten, wenn ich vor einer Szene was Blödes oder Schönes erlebt habe; auf die Rolle darf weder das eine noch das andere abfärben. Umso besser ist es, wenn ich so offen und aufnahmefähig bin, dass die Emotionen einer aufgewühlten Figur wie Michelle ebenso wenig auf mich abfärben wie umgekehrt meine auf sie.

Ist diese Frau, deren drogensüchtiges Kind spurlos verschwindet, eine reine Kunstfigur oder stecken darin auch Bezüge von Ihnen?

Es ist eine Kunstfigur, aber keine reine. Dafür ist sie zu realistisch. Als Schauspielerin interessiert mich aber grundsätzlich das andere, in diesem Fall: alleinerziehend, Altenpflegerin, Drogenumfeld; darauf habe ich schon in der Vorbereitung den Fokus gerichtet. Was dann von mir persönlich einfließt, kommt ganz automatisch.

Wenn das interessante Andere so radikal und krass ist wie in diesem Fall – denkt ein Großstadtgewächs wie Sie da, das könne ja gar nicht sein, in der heilen Provinzwelt?

Nein, das habe ich nicht gedacht, weil Kleinstädte oder Dörfer im Film so oft als radikale, krasse Lebensräume beschrieben werden und natürlich auch ihre Probleme haben. Aber in Großstädten gibt es diese Geschichten genauso.

Womöglich auch, weil Sie zurzeit selbst auf dem Land leben?

Na ja, verglichen mit Berlin mag das ländlich sein, aber es ist doch eher ein kleinstädtisches Umfeld nahe Zürich. Und ich habe auch keine 27 Katzen, wie eine Kollegin von Ihnen offenbar auf Wikipedia gelesen hat (lacht).

Ist es dennoch womöglich doch noch ein bisschen heiler als in der Großstadt?

Mein Eindruck ist, dass es dort genauso viele gebrochene und glückliche Seelen wie in Berlin.

Haben Sie trotzdem ein bisschen Frieden und Ruhe gesucht?

Als absoluter Stadtmensch und Berlin-Fan bin ich eher hineingestolpert, weil ich mich in einen Schweizer verliebt habe. Zu der Zeit war es einfach leichter für mich in die Schweiz zu ziehen als er umgekehrt er nach Deutschland. Da steckte also kein Plan hinter.

Und stört nicht weiter bei der Arbeit?

Wenn ich ein festes Theater-Engagement in Deutschland hätte, womöglich schon. So aber muss ich gegebenenfalls einfach ein bisschen weiter zu den üblichen Drehorten reisen. Es ist also höchstens ein Zeit-Faktor.

Hatten Sie vor Das Verschwinden je so viel Zeit während eines Drehs, eine Figur zu entwickeln?

Nein. Ich hatte einmal eine Serienerfahrung als Kirsten Höpfner im Kommissar Marthaler aber das waren wenige Folgen und keine so große Rolle. Hans-Christian Schmid bindet seine Darsteller mehr noch als viele andere Regisseure intensiv mit ein, um die Figuren auszugestalten – auch während des Drehens.

Führt das dazu, dass Sie dieser Rolle auch persönlich näher sind als denen zuvor?

(überlegt lange) Wie nahe mir eine Figur kommt, ist von weit mehr Faktoren als Zeit und Einfluss abhängig. Aber ich würde es so oder so eher Gewöhnung als Nähe nennen. Und die hat auch viel mit den Menschen am Set zu tun hat, mit denen ich über Monate beisammen bin. Da fiel der Abschied schwerer als sonst.

Nehmen Sie Ihre Rollen nach Drehschluss mit nach Hause oder bleiben die vor Ort?

Nach Hause nicht, ins Hotel schon mal. Wenn ich heimkehre, muss ich sofort umschalten. Das klappt aber ganz gut und bin es auch der Familie, vor allem meiner Tochter schuldig.

Wie alt ist die?

Sechs.

Obwohl sie damit viel zu jung für den Drogensumpf ist, in dem Michelles Tochter Janine landet – nehmen Sie aus dieser Serie etwas für die Erziehung Ihrer eigene Tochter mit, um sie vor solch einem Schicksal zu bewahren?

Die Verantwortung, welche Auswirkungen das eigene Verhalten und Handeln auf mein Kind haben, war mir schon vorher bewusst. Gerade in dem Alter saugen die ja alles von den Eltern auf und spiegeln einem ständig das eigene Verhalten. Das wird einem durch solch einen Film – in dem ja auch alle Eltern nur das Beste für ihre Kinder wollen und dennoch überhaupt nicht erreichen – aber schon nochmals bewusster. Was in der Serie zum Beispiel allen Eltern klar wird, ist der Irrglaube, man könne seinem Kind irgendetwas Gravierendes verheimlichen.

Am Ende fällt einem jedes Geheimnis auf die Füße.

Jedes! Was in der Erziehung wirklich zählt, sind Offenheit und Kommunikation. Das war mir auch vor diesem Film schon klar, aber er hat mich noch mal neu dafür sensibilisiert.

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