Soccer Mommy, Dick Stusso, Young Fathers
Posted: March 9, 2018 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a comment
Soccer Mommy
Das Leben, so was muss man Jugendlichen und Künstlern nicht groß erklären, ist zu anstrengend, um früh aus den Federn zu kommen. Falls dieses Leben aber trotzdem künstlerisch ausgedrückt werden soll, klingen besonders jugendliche Künstler schon mal, als lägen sie noch im Bett. Auch Sophie Allisons Sound hört sich träge, fast schläfrig an, aber nie betrübt. Unterm Nom de Paix Soccer Mommy macht die Zwanzigjährige etwas, wofür das Englische den schönen Begriff Bedroom Pop hat, so als schlafwandle sie auf ausgeleierten Magnetbändern über den Abgrund ihrer emotionalen Selbstbehauptung. Nach einer halbgaren Kompilation ihrer Garagen-Werke zeigt das tolle Debütalbum Clean nun, welchen Sog das Aroma ausgestellter Unlust an der Leistungsgesellschaft erzeugt.
Als derangiertes Zerrbild des All-American-Girls kratzt sich die New Yorkerin aus Nashville in ihren Videos blutig, schminkt sich hässlich, gibt sich trostlos, singt sich zur unverzerrten Gitarre aber flugs wieder raus aus diesem Desaster und bläst der Oberflächlichkeit unserer Zeit mitsamt ihrem destruktiven Schönheitideal dadurch gehörig den Marsch. Clean ist passive Aggression ohne allzu viel Wut im Bauch: Zu entspannt, um zu revoltieren, geht Sophie Allison lieber noch mal ins Bett als auf die Barrikaden. Krafttanken beim Faulenzen: man möchte sich gern dazulegen.
Soccer Mommy – Clean (Fat Possum)
Dick Stusso
Musikalisch gesehen ist auch Dick Stusso ein Müßiggänger. Vor 30 Jahren im sonnigen Oakland geboren, treibt er sich schon ewig in den Clubs und Garagen der Bay Area rum, ohne viel Energie auf was Anstrengendes wie die Karriere zu verwenden. Dabei hat Dick, der eigentlich Nic heißt, aber so kernig klingen will wie sein schneeweißer Stetson, nebenbei einen Stil kreiert, den man Chill’n’Roll taufen könnte. Nach zwei rumpeligen EPs verpasst er ihm nun ein richtiges Album, und ohne Übertreibung: wer es in aller Ruhe einwirken lässt, befindet sich für gut 30 Minuten genau dort, wo es der Titel verheißt: In Heaven – auch wenn dieser Himmel echt trist sein kann.
Im Video zu Modern Music etwa sitzt Stusso mal begleitet vom räudig grummelnden Bass unter der Autobahnbrücke und pisst im grellweißen Anzug gesanglich gegen den Wind, mal hockt er entspannt rauchend am Strand und zersägt mit übersteuerten Steelguitars die Sommerfrische ringsum. Jeden dieser zehn verschroben schönen Songs lang nimmt der existenzialistische Cowboy, wie er sich nennt, sein Publikum mit in die Abgründe des Daseins und leuchtet ihm mit schepperndem Psychoblues von fast presleyeskem Glamour den Heimweg.
Dick Stusso – In Heaven (Hardly Art)
Young Fathers
Elvis, Glamour, den Blues sucht man bei Young Fathers hingegen vergeblich, gottlob. Von allem, was ohne Umwege zu Herzen geht, ist das schottische Trio aus dem ewig spätherbstlichen Edinburgh auch auf der dritten Platte weiter entfernt als Dick Stusso oder Soccer Mommy von ertragreichen Karrieren im Showbiz. Zu verstiegen ist ihr kratzender HipPop, zu verwaschen ihr flatternder TripHop, zu vielschichtig wirbelnd die Synthts und Samples durcheinander, um leicht verständlich genug für den Mainstream zu sein. Dass Alloysious Massaquoi, Kayus Bankole und Graham ‘G’ Hastings dennoch so ergreifend sind, liegt an ihrem zielsicheren Gespür für Harmonien im Chaos – eine Spezialität ihres Labels: Ninja Tune.
Nach dem Abschied von Big Dada, wo mit White Men Are Black Men Too vor drei Jahren eines der vielleicht besten Indie-Alben des Jahrzehnts entstanden ist, erscheint dort mit Cocoa Sugar nun das beste, was 2018 bislang bereithält. In My View zum Beispiel, versehen mit einem künstlerisch glänzenden Video, wirkt in seiner windschiefen R’n’B-Melodramatik so hoffnungsfroh und kraftvoll, dass es allen emotional Haltlosen schier unbesiegbare Energie verleiht, während ein Stück wie Wow kurz darauf lebensmüde und dystopisch krächzt und schreit. Ein Album für fast jede Gemütslage jenseits der seifigen Euphorie des Massenpop und dabei sogar tanzbar. Der wahre Glamour trägt sepia.
Young Fathers – Cocoa Sugar (Ninja Tune)