Anja Reschke: Shitstorm & Panorama

Man gewöhnt sich dran

Spätestens, seit sie wegen eines Kommentars zur Flüchtlingskrise in einen gewaltigen Shitstorm geriet, ist Anja Reschke eine der prägnantesten Journalistinnen im deutschen Medienbetrieb. Ein Interview über den richtigen Umgang mit Hass im Netz, die Illusion nachrichtlicher Neutralität, das dicke Fell der Reporterin und wovor die furchtlose Panorama-Chefin dennoch wirklich Angst hat.

Van Jan Freitag

freitagsmedien: Frau Reschke, wenn Sie so auf 2017 zurückblicken – das war besonders für eine politische Journalistin schon ein aufregendes Jahr oder?

Anja Reschke: Absolut. Es war zwar für alle aufregend, aber weil die Debatten ungefähr seit 2015 extrem polarisiert sind, macht sich das für Journalisten noch bemerkbarer. Schließlich werden gerade politische Linien gezogen, die für unsere Zukunft gravierend sind – und zwar gar nicht nur in Deutschland, sondern mehr noch in Europa oder den USA.

Ist das bereits ein echter Umbruch oder nur das Ende lieb gewonnener Gewohnheiten?

Da sich die Gegenwart für viele ausgesprochen unruhig anfühlt, kann man gar von Krise reden. Andererseits ist es immer gut, wenn alte Strukturen aufbrechen. Bei Panorama waren die letzten drei von 18 Jahren, die ich schon dabei bin, definitiv am spannendsten. Man hatte schon das Gefühl, wirklich was zur politischen Willensbildung beitragen zu können. Im Moment ist mein Eindruck, dass die großen Fragen gestellt werden. Was ist eine Demokratie? Welche Institutionen braucht sie? Welche Rolle spielen Parteien noch? Wie vermitteln wir in Zukunft Informationen? Brauchen wir dazu noch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Sind Zeiten solcher Krisen mit solchen Fragen für politische Journalisten so gesehen gute Zeiten?

Wenn ich meinen Job so verstehe, Diskussionsprozesse nicht nur zu begleiten, sondern konstruktiv anzustoßen, ist das der Fall. Auseinandersetzung ist für Demokratie wichtig, besser als  die Bräsigkeit politisch ruhiger Zeiten. Das macht natürlich auch Journalismus spannender.

Ein ängstlicher Typ sind Sie demnach nicht?

Nein. Wenn ich auf einem Felsvorsprung stehe und runter schaue, dann habe ich Angst. Was die Zukunft betrifft, eher nicht.

Und das, obwohl Sie die Verwerfungen der weltpolitischen Lage weit besser überblicken als die meisten anderen Menschen!

Angst macht mir das nicht, aber durchaus Sorgen. Gerade mit Blick auf unsere Nachbarländer. Österreich mit seiner Mitte-Rechts Regierung muss man beobachten. Und die Entwicklung in Polen oder Ungarn mahnt, Errungenschaften wie unseren Rechtsstaat nicht mehr so selbstverständlich zu sehen. Die Gewissheit, es würde nie wieder Krieg geben und unsere Demokratie sei sicher, ist nicht mehr so vorhanden, wie vielleicht noch vor ein paar Jahren.

Erwächst aus dieser Sorge Angst um Ihr persönliches Wohlergehen?

Zunächst mal habe ich Angst um zivilisatorische Errungenschaften der Bundesrepublik vom Schutz von Minderheiten über die Emanzipation der Frau bis hin zum zivilisierten Miteinander, also die 20 Grundrechte. Um mein persönliches Wohlergehen musste ich nie wirklich fürchten. Dennoch hat mich die Verachtung, die einem teilweise aus dem Netz entgegen schlägt, wirklich erschüttert.

Heute tut sie das nicht mehr?

Doch, aber man gewöhnt sich dran. Ich weiß heute schon, wer da schreibt, kann das besser einsortieren, als am Anfang.  Das ist wirklich Erfahrung, die man da sammelt. Eine junge Kollegin bekam neulich, nach ihrem Beitrag über den Erfolg der AfD im Osten eine Welle von üblen Kommentaren ab, was sie natürlich getroffen und auch verunsichert hat. Da habe ich gemerkt, dass ich schon einen Schritt weiter bin. Ich weiß, welch kleinen Ausschnitt der gesamten Bevölkerung dieser Hass darstellt. Für den Betroffenen fühlt es sich immer immens an. Aber dieses Starren in soziale Netzwerke ist für keinen von uns gesund.

Ist Ihres Fell dicker als vor drei Jahren?

Das ist tagesformabhängig. Ich sehe heute vieles klarer, rationaler als damals, aber manchmal trifft mich ein Kommentar trotzdem frontal, dann packt mich die Wut. Als Journalist will man ja grundsätzlich Gutes erreichen; da nervt es umso mehr, wenn die Leute darauf so destruktiv reagieren.

Werden Journalisten in Ausbildung und Arbeitsalltag ausreichend darauf vorbereitet, auch mit der Rezeption ihrer Arbeit umzugehen?

In meiner Ausbildung gab es das nicht. Aber dieser unmittelbare Kontakt zum Zuschauer oder Leser ist ja auch ein neues Phänomen der digitalen Zeit. In der Redaktion reden wir natürlich schon oft darüber, wie man mit Kommentaren umgeht. Wichtig ist das vor allem für die Onliner, die den ganzen Müll filtern und moderieren. Auf die aufzupassen ist auch eine neue Verantwortung in Redaktionen. Wer sich dauernd mit verleumderischen, hasserfüllten Kommentaren beschäftigt, muss zwischendrin wirklich mal detoxen. Auf Dauer vergiftet einen dieser Hass. Ich selbst merke, wie wichtig es ist, möglichst viel mit echten Menschen von Angesicht zu Angesicht zu reden. Deshalb gehe ich auch auf so viele Podiumsdiskussionen oder Veranstaltungen. Natürlich gibt es da auch Kritik, aber eben auf eine zivilisierte Art und Weise.

Was würden Sie einer jungen Kollegin wie der Autorin des Afd-Beitrags denn mit auf den Weg geben, wenn sie um Rat bitten würde?

Man gerät im Falle eines Shitstorms schnell in eine Rechtfertigungsposition, um sich und seine Arbeit zu verteidigen. Da rate ich zum Bremsen. Schenk dem Hass nicht zu viel Aufmerksamkeit. Kommentare im Netz sind oft sehr böse und es sind nicht alle! Das Hate Mining Projekt der Uni Münster, das Hasskommentare und deren Quellen im Netz untersucht, hat errechnet, dass im Frühjahr 2016 beispielsweise bei welt.de 50 % der Anti-Flüchtlingskommentare gerade mal von 3,8% der Nutzer geschrieben wurden.

Fleißige Hater…

Und zersetzende. Denn wir selbst müssen uns angesichts dieser Zahl nicht nur fragen, was die Medien mit den Populisten, sondern was die Populisten mit den Medien gemacht haben. Man kann schon spüren, dass viele Journalisten durcheinander waren und vielleicht noch sind. Die verbalen und teils auch körperlichen Angriffe, die Lügenpresse Vorwürfe, das hatte ja Auswirkungen, das ging ja an die journalistische Substanz. Die Frage, welche Berichterstattung angemessen ist, welche kritisiert wird und warum, über was man berichten soll und wie, haben uns alle beschäftigt. Ich denke, dass bei vielen – gerade im Bereich der Flüchtlingsberichterstattung – der Kompass durcheinander geraten ist.

Haben sie ihn mittlerweile wiedergefunden?

Das ist ein Prozess. Journalisten gehen heute viel selbstkritischer mit sich und ihrer Rolle um, als noch vor ein paar Jahren. Das ist sicher positiv. Aber wir müssen auch aufpassen, dass wir uns nicht dauerhaft verunsichern lassen. Journalismus ist nicht dazu da, die Meinung der Rezipienten zu bedienen. Wo soll das hinführen? Wenn Holocaust-Leugner behaupten, es seien keine Juden ermordet worden und die Realität liegt bei sechs Millionen – einigt man sich dann gütlich bei drei? Das Beispiel hinkt vielleicht, aber es gibt keinen Kompromissjournalismus, um alle Meinungen zu bedienen. Es gibt nur Journalismus.

Haben Sie selbst erst zu positiv, dann zu negativ über Flüchtlinge berichtet?

Wir bei Panorama haben weder das eine noch das andere getan, aber ich hab mich schon gefragt, ob ich vor Silvester 2015 darüber berichtet hätte, dass es auf der Domplatte Belästigungen und Taschendiebstähle durch junge nordafrikanische Männer gibt. Vermutlich wäre uns das für eine bundesweite Sendung zu regional gewesen, aber ich würde zugeben, dass es gerade bei Themen, die rassistisch genutzt werden, bei Journalisten immer auch ein bisschen die Angst gibt, falsche Emotionen zu schüren. Das „pädagogische“ gehört zum deutschsprachigen Journalismus dazu. Das gab es übrigens schon vor dem Nationalsozialismus, in der Weimarer Zeit. Im angelsächsischen Journalismus wird unmittelbarer berichtet, ohne Gedanken oder Verantwortungsgefühl für die Folgen von Berichterstattung.

Wo verorten Sie sich da?

Nun ich bin ja auch noch im öffentlich- rechtlichen Rundfunk tätig, in dessen Leitlinien ja schon Dinge wie „Minderheitenschutz“ stehen, das heißt ich empfinde eine hohe Verantwortung für unsere Berichterstattung.

Umso mehr fällt auf, wie klar Sie an jenem 5. August 2015, auf den der heftige Shitstorm folgte, Position für Flüchtlinge bezogen haben.

Nein, ich habe keine Position für Flüchtlinge bezogen, ich habe Position gegen Rassismus und Hetze bezogen.

Wie sehr hat dieser Tag Ihr Leben privat und journalistisch verändert?

Das ist zwar mittlerweile fast drei Jahre her und ich bin etwas müde, immer und immer wieder darüber zu sprechen, aber gut: Ich war auch zuvor schon für pointierte Meinungen bekannt. Es war ja auch nicht mein erster Kommentar in den Tagesthemen. Trotzdem hat dieser eine  natürlich viel bewegt in meinem Leben. Er war knackig, zugegeben. Trotzdem hätte ich bei diesem Inhalt nicht diese Wirkung erwartet.

Haben Sie ihr journalistisches Selbstverständnis oder den Beruf im Ganzen danach je in Frage gestellt?

In Frage gestellt nicht, hinterfragt natürlich schon. Aber ich glaube, das haben alle Journalisten, alle alle alle getan. Das liegt aber nicht nur am Einfluss von Populismus und Fake News, sondern am Prozess der Digitalisierung insgesamt. Die Tatsache, dass Journalisten, Verlage und Sender aufgrund der technischen Entwicklungen nicht mehr die einzigen sind, die Nachrichten und Informationen verbreiten können, hat alles verändert. Jeder kann jetzt Informationen verbreiten, jeder kann Öffentlichkeit erreichen, damit haben wir Journalisten unsere Informationshoheit verloren. Das Alleinstellungsmerkmal der publizistischen Willensbildung durch Journalisten ist verloren. Die neue Frage lautet daher: Was ist der Unterschied, der Mehrwert von journalistischen Produkten im Gegensatz zu allen anderen, die da publizieren? Das ist ja entscheidend für die zukünftige Finanzierung des Journalismus.  Dieser Prozess ist längst noch nicht abgeschlossen.

Wie lautet aus Ihrer Sicht das Rezept im Umgang mit Tendenzmedien ohne Ethos, Redaktion, Handwerkszeug: mehr oder weniger Meinung?

Gedruckte Zeitungen müssen einen Mehrwert bieten, der den Kauf am nächsten Tag rechtfertigt. Mit der reinen Nachricht muss man einen Tag später ja nicht mehr kommen. Die war schon online überall. Deshalb bleibt dem klassischen Journalismus fast nur noch die Einordnung, der Hintergrund, vielleicht auch die Bewertung. Das gilt für Print in besonderem Maße, aber auch fürs Fernsehen, weil man ja nicht permanent alles live überträgt. Selbst das impulsive Radio ist bei Nachrichten im Zweifel langsamer als jede Push-News auf deinem Smartphone.

Klassische Medien bedürfen also zusehends der klaren Haltung?

Ich würde sie durch klare ethische, journalistische Maßstäbe ersetzen, in die eine persönliche Haltung dann fast unvermeidbar hineinfließt. Da ist Trennschärfe vonnöten. Andererseits ist völlige Neutralität seit jeher Humbug – auch wenn sie der Journalismus jahrzehntelang wie eine Monstranz vor sich hergetragen hat.

Panorama war schon lange vor ihrem Einstieg der Inbegriff eines haltungsgetriebenen Journalismus. Hat sich das Magazin dennoch verändert in den vergangenen Jahren?

Ich hoffe es! Wobei ich den Begriff „Meinungsmagazin“ nicht leiden kann. Unsere Berichte entstehen nicht durch Meinungen, sondern durch Recherche. Natürlich wird diese Recherche erstmal von einer gewissen Überzeugung bestimmt, sonst wüsste man ja gar nicht, wohin man loslaufen soll. Entscheidend ist, dass man auch die Argumente der Gegenseite berücksichtigt, im Prinzip wie ein Staatsanwalt. Wir versuchen schon, aus These und Antithese schlüssige Synthesen zu erstellen

Was ist Ihnen selber als Medien-Konsumenten wichtiger – Neutralität oder Haltung?

Ich finde Haltung, besser gesagt: Positionierung schon deshalb toll, weil man damit als Leser vielmehr gefordert ist. Es lädt ein zur Debatte, man kann sich an Argumenten reiben. Aber diese Position muss auch deutlich erkennbar sein und nicht unter einem pseudo Neutralitätsmäntelchen versteckt werden. Mehr Mut zur Ehrlichkeit, zur Transparenz, auch was die Herkunft von Informationen betrifft. Da hat das Fernsehen sogar einen Vorteil gegenüber Print, weil wir alles bebildern müssen.  Mit „wie aus informierten Kreisen zu hören war“ kommen wir nicht weit.

Sind Sie zuversichtlich, dass das Publikum diese Transparenz, den Mut zur Ehrlichkeit so wertschätzt, dass es weiter seriöse Medien nutzt und gegebenenfalls sogar bezahlt?

Da bin ich momentan ein bisschen ernüchtert. Der Wert von freier, unabhängiger, seriöser Presse ist nicht mehr jedem bewusst. Die Möglichkeit, dass jeder in Deutschland jederzeit seine Meinung sagen kann, dass auch Journalisten schreiben und kritisieren können, was sie für richtig halten, wird für selbstverständlich genommen oder durch „Lügenpresse“-Rufe sogar in die gegenteilige Richtung gedeutet. Ich weiß nicht, ob den Menschen bewusst ist, was sie verlieren können. Aber fangen privatwirtschaftliche Unternehmen wirklich auf, was der öffentliche Rundfunk leistet? Braucht eine Gesellschaft nicht auch Räume, die eben frei sind, von Marktinteressen? Einmal abgeschafft, wird es die jedenfalls nicht wieder geben.

Haben Sie die Sorge, das könnte auch hierzulande geschehen?

Auch unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk steht unter Rechtfertigungsdruck. Das ist grundsätzlich auch richtig, denn alle Bürger bezahlen ihn. Wir müssen Umfang, Strukturen, Qualität, Kosten, immer wieder auf den Prüfstand stellen. Aber die Kräfte, die die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Systems in Deutschland fordern, haben vor allem ein politisches Interesse. Es geht in Wahrheit doch keinem um Volksmusik oder Sportrechte. Es geht darum, bestimmte politische Richtungen einzudämmen, auszublenden. All das, was eben die Bundesrepublik ausmacht, in ihrer Ausdifferenzierung von Rechten für Minderheiten, in ihrer Toleranz gegenüber anderen Religionen, anderen Formen des Zusammenlebens. All die zivilisatorischen Errungenschaften, die als „linksversifft“ gebranntmarkt werden. Und was bleibt dann?

Ihre Antwort?

Weiß ich nicht. Und wo Sie mich vorhin nach meiner Angst gefragt haben: Vor einer Gesellschaft, die sich in der Vermittlung von Informationen nur noch auf Marktinteressen, auf Algorithmen, auf Renditeziele verlässt, habe ich welche.

Das Interview ist vorab beim Medienmagazin journalist erschienen
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