Abdollahi: Deutscher Michel im Nazidorf
Posted: May 17, 2018 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a comment
Ich bin ein Kind der alten Glotze
Am Freitag sitzt der Guerilla-Reporter Michel Abdollahi zum zweiten Mal auf dem Sofa seiner eigenen Late-Night-Show Der deutsche Michel im NDR und versucht das ausgetretene Metier dabei erneut auf den Kopf zu stellen. Ein Gespräch mit dem persischen Hamburger über vollen Körpereinsatz, Performance-Journalismus, pädagogisches Fernsehen und wie es wirklich war im Nazidorf.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Michel Abdollahi, Sie sind 1986 aus Iran nach Hamburg gezogen. Wie war zwei Jahre später ihr Deutsch?
Michel Abdollahi: Weil ich persisch aufgewachsen bin, noch nicht so doll, aber zum Fernsehen hat’s gereicht.
Haben Sie da eine bildhafte Erinnerung an Gladbeck?
Dieses Geiseldrama, das rund um die Uhr übertragen wurde? Als Zuschauer hab ich das nicht mehr in Erinnerung, aber natürlich später einiges darüber erfahren.
Ein Zweiteiler zum anstehenden 30. Jahrestag hatte gerade das kollektive Versagen der Medien, die sich wie nie zuvor gemein gemacht hatten mit dem Gegenstand ihrer Berichterstattung, zum Thema. Wären Sie als Reporter, der notorisch dorthin geht, wo es wehtut, wie der spätere Bild-Chef Udo Röbel zu den Entführern ins Auto gestiegen?
Grundsätzlich wäre ich lieber derjenige gewesen, der über die Eingestiegenen berichtet hätte. Aber wahrscheinlich hätte ich es gemacht, ja. Allerdings nicht aus Sensationslust, sondern um das Gespräch mit den Entführern zu suchen. Mich hätte interessiert, was die wirklich wollen, was die antreibt.
Und dafür riskieren Sie im Zweifel ihre körperliche Unversehrtheit?
Wenn es sein muss, schon. Bei meiner Reportage Im Nazidorf war das zunächst nicht anders. Ich bin dorthin gegangen, wo es theoretisch wehtun könnte, habe aber schnell das Gespräch gesucht und dabei auch Dinge über mich selbst preisgegeben.
Weil das deeskaliert?
Und wie! Den Ansatz hätte ich auch in Gladbeck verfolgt: kein stures Abfragen, sondern ein Dialog, bei dem alle voneinander lernen. Das ist nicht nur erhellender, sondern auch interessanter. Ich bin kein Ausfragejournalist, eher ein Gesprächsjournalist, und profitiere in Fällen wie meinem Umzug nach Jamel, wo ich 2015 vier Wochen lang Tür an Tür mit Nazis gelebt habe, von der Fallhöhe meiner Herkunft. Dass einer wie ich südländisch aussieht, aber hamburgisch spricht und tickt, überfordert die so sehr, dass kreative Reibung entsteht. Wenn die Vorurteile der Menschen ins Schwimmen geraten, wird es stets spannend.
Reicht für diese Art Konfrontation ihre bloße Präsenz?
Nein, ich muss mich schon schlau machen vorher, sonst endet die Überforderung schnell auch wieder. Zum Glück weiß ich so viel über den Nationalsozialismus und seine Folgen, dass ich auf deren Feld punkten kann. Wenn eine derart gemeinsame Ebene hergestellt ist, kann man die Situation auch mal laufen lassen.
Entwickelt man da als neutraler Journalist nicht eine heikle Nähe zu Nazis, die in Empathie münden und das eigene Urteilsvermögen beeinträchtigen kann?
Ich würde es nicht Nähe oder Empathie nennen, sondern nehme sie einfach ernst und zeige es ihnen auch. Was dazu führt, dass die mich auch ernst nehmen. Wenn ich mit meiner vorgefertigten Meinung dahingehe, um sie bloß abzumelken, kommt nichts rum. Deshalb bin ich während des Gesprächs bereit und willens, meine Ansichten zu hinterfragen. Nur so gelingt es mir manchmal, den Kern des Denkens anderer freizulegen. Natürlich gerate ich dabei niemals in Gefahr, Nazidenken zu übernehmen. Aber womöglich gelingt es mir, eigene Pauschaleinstellungen auf den Prüfstand zu stellen, um gegenseitiges Verständnis zu fördern.
Haben Sie dabei den pädagogischen Ansatz, ihr extremes Gegenüber zu läutern?
Die Hoffnung schwingt mit, ist aber kein wesentlicher Antrieb meiner Arbeit. Mir ist wichtig, zu verstehen, wie jemand wird, was er ist. Nur was man wirklich begreift, lässt sich sinnvoll beeinflussen. Als ich nach meiner Rückkehr ins Dorf mal mit dessen Chef Sven Krüger gesprochen habe, meinte der ganz überrascht: Mann, du hast ja wirklich Wort gehalten und das Dorf gezeigt, wie es ist, ohne was zu verändern. Das hätte er der liberalen Presse offenbar nie zugetraut. Aber man muss natürlich dazu sagen, dass bei den meisten unserer Gespräche Kameras dabei waren, aber eben nicht immer. Morgens am Gartenzaun haben wir schon auch mal übers Wetter oder Schlaglöcher geredet. Ich wollte ja nicht permanent als Journalist definiert werden, sondern wirklich eintauchen in die Materie, um kurzfristig eins damit zu werden. Das prägt meine Arbeit insgesamt.
Ist das dann der Performance-Künstler im Field-Reporter Michel Abdollahi?
Performance-Kunst mache ich, wenn ich einen überdimensionalen Spülschwamm in die Hafencity stelle und schaue, was damit passiert. Was allerdings immer Teil meiner journalistischen Tätigkeit ist, ist Entertainment. Davon kann und will ich mich nicht lösen.
Zum Beispiel bei Ihrer vielfach zitierten Aktion, sich mit einem Schild „Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?“ in eine Fußgängerzone zu stellen und abzuwarten.
Ganz genau. Der klassische Ablauf journalistischen Erkenntnisgewinns wurde dahingehend umgedreht, dass nicht ich komme und frage, sondern die Fragen der anderen erwarte.
Wer sich den Film im Netz ansieht, erkennt darin allerdings auch Comedy-Elemente, etwa über die Mimik oder eingespielte Off-Kommentare.
Das nennt man dann wohl Infotainment… Informationen, unterhaltsam verpackt – das ist gerade dann, wenn es fürs Netz gemacht ist, enorm wichtig. Den klassischen Zeit-Leser erreiche ich ja auch in eher nachrichtlicher Form. Für Digital Natives, Teenager oder auch Leute, die von klassischer Wissensvermittlung entwöhnt sind, brauch ich schon ein paar mehr Anreize. Welche das in welcher Dosierung sind, ist auch für mich ein permanenter Lernprozess. Ich selbst schaue gern und viel lineares Fernsehen, habe aber natürlich auch ein Smartphone, auf dem ich permanent herum wische. Nach zehn Jahren Facebook richtig einzuschätzen, was mit modernen Mitteln netzfähig wird, ohne das gute alte journalistische Handwerk zu vergessen, vereint daher zwei Welten, in denen ich mich auch persönlich viel bewege.
Aber selbst für verantwortungsbewusste Journalisten mit Hang zum Entertainment wie Sie entsteht daraus doch die Gefahr…
… nur noch auf schnelle Clicks zu zielen.
Exakt. Die Befürworter des öffentlich-rechtlichen Schweizer Rundfunks haben dessen Erhalt vorm Plebiszit darüber auch damit begründet, dass es eines gebührenfinanzierten Systems braucht, damit Informationen unabhängig von wirtschaftlichen und politischen Interessen vermittelt werden. Wie schafft man es, im Durchlauferhitzer Internet der Versuchung zu widerstehen, Inhalte durch Oberfläche nicht zu ersetzen?
Sehr schwierig, in der Tat. Das Geheimnis sind aus meiner Sicht gute Leute um einen herum, die genau diesen Mittelweg nicht nur als nötig, sondern fast schon als Mission betrachten. Mit denen könnte ich meine Inhalte ja auch im kommerziellen Umfeld vermitteln.
Nur dass Ihnen der Aufnahmeleiter dort schnell mal ein Logo ins Bild klebt oder negative Aspekte eines Berichts über den wichtigsten Werbepartner untersagt…
Solange ich unabhängig darüber entscheiden dürfte, ob so ein Eingriff das beeinträchtigt, was ich im Beitrag zum Ausdruck bringen will, wäre das okay. Ich sehe das im Zweifel pragmatisch: Wenn mir ein Sponsor ermöglicht, Inhalte zu vermitteln, die mir wichtig sind, bin ich da zu Kompromissen bereit. Es muss einfach nicht per se schlecht sein, wenn etwas mit Hilfe von Werbung sehenswert wird. So halte ich es zum Beispiel auch, falls ich Firmenveranstaltungen moderiere. Natürlich nenne ich das Produkt da auf Wunsch; die haben das Ganze hier ja bezahlt! Wichtig ist aber immer, dass es den Inhalt nicht negativ beeinflusst. Ich nenne daher gern Audi oder lasse dessen Logo ins Bild, lasse mir vom Unternehmen aber nicht verbieten, den Diesel-Skandal zu thematisieren. Diese Art Einflussnahme würde ich nie akzeptieren. Und diese Grenze respektieren meine Auftraggeber. Alle.
Versuchen diese Auftraggeber angesichts Ihrer Bereitschaft zur Konfrontation manchmal, diese Grenze zumindest physisch auszuweiten?
Zum Beispiel?
Mit dem Muslim-Bekenntnis nicht in die Hamburger Fußgängerzone zu gehen, sondern eine Dresdner Pegida-Demo mit all dem aufgestauten Aggressionspotenzial gegen Andersdenkende, Andersseiende.
Nein, nein, die wollen gar nicht andauernd weiter ins nächste Extrem. Und selbst wenn – versuchen dürfen sie alles; am Ende entscheide ich das mit meinem Team allein. Und da mache ich zwar ganz überwiegend Sachen, die mit Schmerzen wirklich gar nichts zu tun haben, war aber auch oft genug auf Nazi-Demos, wo ich oder die Kameraleute ständig links und rechts mit den Ellenbogen eine verpasst kriegen. Das gehört dazu.
Sind Sie diesbezüglich Gefahrensucher?
Überhaupt nicht. Am liebsten würde ich zuhause auf dem Sofa sitzen und in aller Ruhe Texte schreiben. Aber so läuft’s halt nicht.
Weil Sie selbst in Extremsituationen stets höflich und stilvoll bleiben, nennt Sie Ihre Panorama-Kollegin Anja Reschke hochachtungsvoll „Gentleman-Journalist“. Ist das ein Geheimnis Ihrer bisherigen Unversehrtheit?
Zum Teil vielleicht. Die meisten Menschen rechnen einfach nicht mehr damit, dass man ihnen zuhört, sie ausreden lässt, nett ist. Lass die Leute reden. Punkt. Wenn mir jemand sagt, er mag keine Moslems, weise ich ihn ruhig darauf hin, dass ich auch einer bin und fordere ihn unterschwellig dazu auf, mir zu sagen, dass er mich dementsprechend auch nicht mag. Das verunsichert enorm. Wenn sie darüber hinaus noch zur Gewalt aufrufen oder verfassungsfeindliches Zeug quatschen, kann man ja immer noch dazwischen gehen.
Machen Sie das auch?
Ja. Wenn Fakten falsch sind und der Holocaust geleugnet wird, kann ich sehr deutlich werden.
Auch aus der Haut fahren?
Selten. Die wollen in der Regel ja nichts von mir persönlich, ich mache ja nur meinen Job.
Aber macht es Ihr Migrationshintergrund nicht per se zu einer persönlichen Sache, wenn Gesprächspartner rassistisch werden?
Selbst da sehe ich mich allenfalls als Stellvertreter für Nicht-Deutsche. Persönlich nehme ich es eher, wenn jemand meinen Anzug oder mein Aussehen kritisiert. Beides entspringt ja meinem Geschmack oder Genom. Andernfalls neige ich einfach zur Sachlichkeit und korrigiere Unwahrheiten. Was übrigens großen Spaß machen kann. Als mir Sven Krüger im Nazidorf mal selbstgebrannten Schnaps angeboten hat und ich den getrunken hab, war der völlig perplex, weil er dachte, Moslems dürften das nicht. Daraus ist ein Gespräch entstanden, dass die Grenzen von privat und beruflich sehr informativ verwischt hat.
Sind Sie denn privat exakt so wie vor der Kamera?
Natürlich, wie soll ich denn sonst sein?! Ich bin ja nicht Atze Schröder oder Cindy aus Marzahn, also eine Kunstfigur. Ich bin Michel Abdollahi und bleibe es auch dann, wenn ich auf der Bühne stehe oder etwas überspitze. Ich habe überhaupt nichts gegen Künstlichkeit, aber nur aus Authentizität kann Wahrhaftigkeit erwachsen. Gerade wenn man wie ich den Beruf des Journalisten nicht gelernt hat, aber schon ewig auf der Bühne steht.
Würden Sie sich dennoch als Journalist bezeichnen?
Ich würde mich als gar nichts bezeichnen. Conférencier, Performance-Künstler, Journalist – alle Begriffe, die über mich kursieren, stammen von anderen. Wenn ich male, bin ich gerade Maler, wenn ich moderiere, Moderator, wenn ich einen Bericht mache, Journalist. Ich empfinde mich als Auftragnehmer des Publikums.
Aber schlägt das Pendel nicht gerade ein wenig in Richtung Fernsehen aus?
Ein bisschen vielleicht. Mit meinen NDR-Formaten habe ich grad mehr zu tun als mit Poetry-Slams. Und Karfreitag starte ich dort in Fortsetzung meiner Panorama-Show eine Late-Night-Show, die Information wieder mit Unterhaltung verbinden will.
Orientieren Sie sich dabei an den amerikanischen Late-Night-Hosts wie Jimmy Kimmel, Stephen Colbert, John Oliver oder Jimmy Fallon, die von den Networks einen großen Teil der politischen Information übernommen haben?
Absolut. Reine Unterhaltung wäre in diesem Format irrelevant. Unser Ziel ist das klassische Infotainment-Konzept: These, Antithese, Synthese, nur eben humoristisch verpackt. Und da sind die amerikanischen Hosts definitiv gute Vorbilder. Ich mag deren Art, ich mag deren Bildsprache, ich mag deren Gäste, ich mag deren Look, ich mag sogar deren Anzüge.
Wenn Sie nun das Fernsehflaggschiff Late-Night moderieren, könnte man das als Einfallstor zu größeren Aufgaben sehen. Die Süddeutsche Zeitung hat die Verantwortlichen kürzlich explizit dazu aufgefordert, Sie häufiger einzusetzen.
Oh, schön!
Hätte die Forderung Aussicht auf Erfolg?
Na ja, ich weiß was ich kann, aber noch viel besser, was ich nicht kann. Wenn die Verantwortlichen ihre Schablonen rausholen und bei mir anpassen, sage ich das immer sehr deutlich.
Was genau können Sie denn nicht?
Zum Beispiel in dem Sinne lustig zu sein, die Witze anderer zu erzählen. Im Standup-Teil der Late-Night werde ich daher ein komplexes Thema abarbeiten, das mit mir zu tun hat, statt das aktuelle Tagesgeschehen mit One-Linern zu kommentieren. Und anstelle vorgefertigter Pointen, wollen wir lieber die hochgezogene Augenbraue meiner Interviews ausbauen, mit der ich den Blödsinn mancher Gesprächspartner viel besser beantworten kann als mit lauter Empörung. Ich mag einfach keine Texte aufsagen, konnte ich nie, hab ich auch nie. Wenn ich nicht mit mir im Reinen bin, bin ich nicht gut.
Die Bandbreite von Tagesthemen bis Wetten, dass…?, wofür Kritik, Zuschauer, Intendanten virtuell immer frisches Personal suchen, kommt für Sie nicht infrage?
Witzigerweise hat mich der Tagesschau-Chef neulich mal gefragt, ob das nichts für mich wäre. Da bin ich aus allen Wolken gefallen. Ihr wollt mich für die Tagesschau, obwohl ich nicht sauber ablesen kann, dauernd nuschel und das auch noch im breiten Hamburger Slang? Das ehrt mich sehr, aber so was sollen lieber Leute machen, die dafür ausgebildet sind. Und Wetten, dass…?, ehrlich – so sehr ich altes Fernsehen liebe: Das ist definitiv vorbei.
Aber Sie sind schon noch ein linearer Fernsehnutzer?
Absolut, ich bin ein Kind der alten Glotze. Anmachen, hinsetzen, gucken. Ich hab nicht mal einen Netflix-Account, das würde mich vermutlich viel zu sehr ablenken, so suchtanfällig ich in Bezug auf Serien schon gewesen bin. Ich mag es, wenn ein Format nach 45 Minuten vorbei ist und eine Woche später zur gleichen Zeit weitergeht. Mochte ich schon immer.