Staats- & Bildungsauftrag

Die Gebrauchtwoche

21. – 27. Januar

Als die ARD vorigen Donnerstag parallel zur Verkündung von Florian Silbereisen als neuer Traumschiff-Kapitän wie jedes Jahr um diese Zeit ihr fiktionales Angebot in Hamburg präsentierte, war endgültig klar: Den Kampf ums junge Publikum hat sie aufgegeben. Nicht, dass die Saison frei von Qualität wäre. Auch 2019 bietet das Erste soziokulturell relevante, dabei oft unterhaltsame oder auch nur leichtverdauliche Filme für reife, aber keinesfalls nur vergreiste Zuschauer an. Allein, es fehlt an zwei Zukunftsaspekten: Das Boom-Thema Serie bleibt komplett auf die Zielgruppe 60+ zugeschnitten. Und experimentelle Low- oder Mid-Budget-Projekte für die Generation Y bis Z werden allenfalls mal für Funk produziert, also das genuine Internet.

Wenn aber der Randgruppensport Handball zugleich achtstellige Quoten einfährt, damit das Doppelte des Dschungelcamps und mehr als der Rückrundenstart der Fußballbundesliga, kann man den Verantwortlichen schwer verdenken, weiterhin den Massengeschmack der Stammzuschauer zu bedienen. Das macht die lineare Konkurrenz schließlich nicht anders, sie macht es halt nur ohne Staatsver- oder Bildungsauftrag. Das merkt man dem privaten Programm allerdings oft ebenso an wie den Portalen. Die 8. Staffel der einstigen Sat1-Serie Pastewka zum Beispiel ist auf dem Streaming-Asyl von Amazon Prime abermals so vulgär vollgestopft mit Schleichwerbung, dass Folge 4, die fast vollständig in einem Elektromarkt spielt, nicht mehr ausgestrahlt werden darf.

Der zurückgekehrte Frauensender tm3 von Timo C. Storost zeigt auf der früheren Frequenz von Familiy TV dagegen so viel Content, ohne die Rechte daran zu besitzen, dass sich der Mediendienst DWDL fragt, warum es den Spartenkanal überhaupt noch gibt. Der DWDL-Konkurrent Meedia kriecht derweil dem Springer-Konzern beim Bericht über eine Bild-Veranstaltung in Rostock so tief in den Allerwertesten, dass man die heillos überdrehte Aufmerksamkeit sämtlicher Medien für das Schicksal eines verschütteten Jungen in Spanien fast schon für echte News halten könnte, statt das, was es ist: Pure Emotionalisierung.

Gibt’s denn auch was Positives aus der kommerziellen Welt des Fernsehens zu vermelden? Ja! HBO plant ein Prequel der Sopranos, die vor 20 Jahren nicht weniger als das neue Kino Fernsehserie revolutioniert haben. In der Hauptrolle als psychotischer Mafia-Boss: James Gandolfinis Sohn Michael. Zu sehen wäre das hierzulande dann vermutlich bei Sky.

Die Frischwoche

28. Januar – 3. Februar

Dessen Gegner Netflix präsentiert am kommenden Freitag gleich zwei bemerkenswerte Formate: Dan Gilroys Mystery-Horror-Thriller Die Kunst des toten Mannes, der voriges Jahr mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle auf dem Sundance-Festival für Furore gesorgt hatte. Und parallel dazu die Dramaserie Russian Doll, eine Art Und täglich grüßt das Murmeltier aus New Yorks schillernder Subkultur, in der ein russisches Model jede Nacht auf derselben Party stirbt, um tags drauf lebendig dort zu landen. Eine Art Küchenmurmeltier ist Tim Mälzer.

Seit er vor 15 Jahren den Fernsehkochboom losgetreten hat, war er immer wieder totgesagt, aber nicht totzukriegen. Heute kehrt er, zumindest hinter den Kulissen, zur Alltagsküche à la Schmeckt nicht, gibt’s nicht zurück und lässt vier Kollegen auf RTLplus werktäglich ab 17 Uhr essen & trinken. Für jeden Tag zubereiten. Wer’s mag… Wer drei Stunden später den ZDF-Beitrag zur Publikumsüberalterung mag, dem ist hingegen echt nicht mehr zu helfen. Der Zweiteiler Bier Royal, eine Art modernisiertes Erbe der Guldenburgs, will unbedingt den zynischen Glamour von Dietls Kir Royal auf eine Münchner Brauereidynastie anno 2019 übertragen, gerät dabei jedoch so platt und öde, dass Dallas vergleichsweise Shakespeare war.

Donnerstag ist übrigens Welt-Jodie-Whittaker-Tag. Die hinreißende Hauptdarstellerin der britischen Krimi-Sensation Broadchurch ist im Arte-Vierteiler Verrate mich nicht als Krankenschwester in falscher Existenz zu sehen und übernimmt parallel dazu als erste Frau den Titelpart der Serien-Legende Doctor Who auf Sky. Da dürften britische Populisten ähnlich laut aufheulen wie deutsche beim Anblick der farbigen Florence Kasumba als neue Tatort-Kollegin von Maria Furtwängler alias Charlotte Lindholm am Sonntag. Apropos Krimi: Kühn hat zu tun ist zwar eher ein Gesellschaftsporträt, aber ganz ohne Kommissar möchte die ARD mit dem tollen Thomas Loibl in der Hauptrolle offenbar selbst am Mittwoch nicht mehr unterhalten. Noch ein kurzer Doku-Tipp für Couch-Potatoes: Vox widmet dem Samstagabend mal wieder ein einziges Thema, diesmal: Planet der Dicken um das Übergewicht der Industrienationen.

Die Wiederholung der Woche reist in eine davon: Italien. Der WDR zeigt heute um 23.20 Uhr die bitterböse Realsatire Il Divo von 2008 über den siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, der insgesamt 33 Regierungen korrumpiert hat und den Vulgärpopulisten von heute somit zur Machtübernahme verhalf. Der Tatort: Im freien Fall spielt kurz zuvor (22 Uhr, RBB) dagegen im kultivierten Milieu der Münchner Kunstszene, wo Leitmayer und Batic 2001 noch mit sehr dunklem Haar ermitteln.

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