Notre-Dame & Sabine Postel

Die Gebrauchtwoche

15. – 21. April

Disaster Porn ist ähnlich wie Herdprämie für die staatlich alimentierte Hausfrauenehe ein Begriff, der Kritikern gesellschaftlicher Missstände von den Kritisierten um die Ohren gehauen wird. Katastrophenpornografie bezeichnet nämlich den Hang vieler Medien, die Zahl der freigeräumten Sendezeit und Zeitungsseiten von Opferzahlen und Knalleffekten abhängig zu machen. Deshalb schaffen es Busunglücke wie das in Madeira vom Mittwoch selbst dann die Schlagzeilen dominiert, wenn sie im hinterletzten Winkel Südasiens geschehen, was im Umkehrschluss bedeutet: Der gewöhnliche Überlebenskampf vor Ort interessiert leider nur dann, wenn die Liedtragenden zufällig alle auf einmal, statt tagtäglich sterben.

In diesem Licht der Aufmerksamkeitsindustrie muss man – obwohl dort niemand körperlich zu Schaden kam – auch den Brand der Kathedrale Notre-Dame sehen. ARD und ZDF wird nämlich wie bei so vielen Breaking News vorgeworfen, ihr Programm nicht flugs unterbrochen und vom Flammenherd berichtet zu haben. Hier allerdings liegt die Sache ein wenig anders. In Paris brannte nämlich ein Gotteshaus, wenngleich ein wichtiges. Punkt. Darüber haben die öffentlich-rechtlichen Sender, wie auch das Medienmagazin DWDL kommentiert, absolut angemessen berichtet und damit ihrem Staatsauftrag ausreichend genüge geleistet.

Was man im Rückblick eher weniger von der Art und Weise sagen kann, wie das ZDF mit seinem Nischenzugpferd Jan Böhmermann in der Affäre ums so genannte Schmähgedicht gegen Reccep Tayyip Erdoğan umgegangen ist. Und jetzt hat der Moderator auch noch vorm Berliner Landgericht gegen Angela Merkel verloren, die ihm damals öffentlich vorgeworfen hatte, den türkischen Staatspräsidenten „bewusst verletzt“ zu haben. Dabei ist Böhmermann einer der ganz wenigen, die mit etwas mehr Wertschätzung von Politik und Sendern den anhaltenden Abstieg des alten Leitmediums verlangsamen könnte. Erstmals wird die Internetnutzung demnächst nämlich die des Fernsehens auf dann gut 170 Minuten täglich überholen.

Wo genau in diesem Wettstreit Game of Thrones steht, ist ungeklärt. Produziert vom analogen HBO, ging die erste Folge der 8. Staffel über den digitalen Server von Sky auf Sendung – was am beispiellosen Hype wenig änderte, obwohl das Finale bislang alles andere als weltbewegend war. Das kann man von dem der Bremer Tatort-Ermittler Lürsen und Stedefreund nicht behaupten.

Die Frischwoche

22. – 28. April

Wenn sich Sabine Postel und Oliver Mommsen heute nach 18 Jahren vom harmonischsten aller Duos verabschieden, gibt es (versprochen!) einen Fall voller Knalleffekte mit (versprochener!) furiosem Abgang der Darsteller. Einerseits: absolut angemessen! Andererseits: so überdreht steigt die Neue im Dresdner Tatort am nächsten Sonntag sogar ein, was der wunderbaren Cornelia Groeschel folglich einen vogelwilden, aber wirklich würdigen Start in ihrer Heimatstadt gewährt. Wie immer an der Grenze zum bloßen Klamauk ist Tim Burtons Ode an die menschliche Besonderheit auf seiner Insel der besonderen Kinder, die Sat1 zeitgleich zeigt.

Zwei Stunden zuvor dürfen wir dem Syrer Firas Alshater in der ZDF-Reportage Ach, du liebes Heimatland bei seiner entzückenden Rundreise durch seine Wahlheimat D und dessen ursprünglich „christliche“ ominöse „Leitkultur“ zusehen. Dazu zählt mit etwas mehr Fantasie, als Leitkulturfans oft haben, auch die Jugendkultur, der sich die RTL-Plattform TV Now ab Samstag mit der – so heißt das ernsthaft: „Young Adults“-Serie Wir sind jetzt! beschäftigt. Eine Schar sehr moderner Spätteenies versucht hier vier Teile lang, erwachsen zu werden, ohne erwachsen zu werden. Bisschen aufdringlich, aber von peer to peer, also offenbar authentisch.

Das gilt auch für den Nachfolger von Zimmer frei im WDR. Ab Sonntag (22.45 Uhr) sucht Moderatorin Lisa Feller mit einem Psychologen Das Tier in dir, also das zoologische Äquivalent ausgesuchter Kandidaten – zum Auftakt: Thomas Anders und, äh, Rudolf Mooshammers Pudel? Überraschenderweise ebenfalls im Dritten läuft morgen (22 Uhr, BR) Das Wunder von Wörgl, Urs Eggers realitätsbasiertes Zwischenkriegsmelodram mit Karl Marcowicz als Postbote, der die Weltwirtschaftskrise in seinem Alpendorf mit einer eigenen Währung bekämpft. Vor den Wiederholungen der Woche wäre an dieser Stelle mal die Erörterung nötig, warum ab Freitag auf Sky mit A Discovery of Witches schon wieder eine Fantasyserie mit Hexen startet.

Weil es müßig ist, die Marktmechanismen kommerzieller Angebote zu ergründen, empfehlen wir hier allerdings doch lieber Der mit dem Wolf tanzt (Mittwoch, 20.15 Uhr, Nitro) von und mit und über und unter und durch und neben Kevin Kostner, was 1990 echt schön war, sorry. Was bis in alle Ewigkeit toll sein wird, läuft parallel auf Arte: Jean-Luc Godards Außer Atem (1960) mit dem tollen Jean-Paul Belmondo und der noch tolleren Jean Seberg als Bonnie und Clyde der Nouvelle Vague, gefolgt von Bilderbuch, Godards experimentelles Kompilationsessay von 2018.

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