Billy Zach, van Kraut, Ezra Collective
Posted: April 26, 2019 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a comment
Billy Zach
Ob schlechte Stimmung stets übellaunig klingt und gute beschwingt – die Frage ist spätestens unbeantwortbar, seit selbst The Cure im quietschfidelen Dur über Jungs sangen, die nicht weinen. Als tiefdunkler Wave plötzlich glockenhell klingen durfte, war Max Zacherl zwar nur ein grobes Konzept in der Familienplanung seiner Eltern, aber irgendwie hat er den Paradigmenwechsel mit der Muttermilch aufgesogen. Unterm Kunstnamen Billy Zach kreiert der gebürtige Bayer 32 Jahre später im WG-Zimmer seiner Hamburger Wahlheimat einem Sound kreiert und auf handsigniertes Vinyl gepresst, der zugleich tiefschwarz und strahlend weiß ist, eine Art Gothic Light gewissermaßen mit Songs, die unter der düsteren Oberfläche schwingen wie analoger Rave in einer entweihten Kirche.
Schon der Opener Elite wirkt, als hätte sich Tom Waits mit The Cramps zum Surf Punk verabredet. Riot Circus verliert zwar an Tempo, nicht aber an Verve, bevor uns die Gitarrenproklamation Fights wie ein Tarantino-Soundtrack durch staubige Canyons treibt. Der Schlüsseltrack von Shallow aber ist das epische Where Am I. Mit seiner Reibeisenstimme singt Billy Zach missmutige Zeilen wie „Hate my life and live my hate / I am justified to share your rage“. Im solo eingespielten Rockinstrumentarium zu Betrachtungen seiner gentrifizierten Großstadt schwimmen sie aber in einen Fluss, der mal aufwallt, mal abschwillt, bevor er geruhsam ins Meer eines schräg-schönen DIY-Manifests mündet, das nur selten so trübsinnig ist, wie dunkler Wave schon längst nicht mehr sein muss.
Billy Zach – Shallow (self)
van Kraut
Ungleich fetter und, hüstel, professioneller produziert, aber in einem absolut artverwandten Duktus präsentieren van Kraut am gleichen Standort ihr zweites Album. Auch auf Zäune aus Gold ist die Atmosphäre so getragen wie im poetischen Hardcore von Messer bis Die Nerven üblich. Auch hier dominieren düstere Riffs ein flatterndes Gerüst kulturpessimistischer Grundstimmungen. Auch hier geht es alles in allem eher missmutig zu. Augenscheinlich. Untergründig jedoch mag Christoph Kohlhöfer die Gated Community des Glücks seiner Stadt als elitären Selbstbetrug entlarven also gegen Aufwertung, Kapitalismus, Bürgertum pesten. Es klingt nur nie misanthropisch, sondern allenfalls trotzig.
Sollte es für dieses gesanglich reduzierte, instrumentell aufgewühlte Gitarre-Schlagzeug-Duett, dem Tobias Noormann sehr klug pointierte Drums beisteuert, Referenzgrößen geben – man würde vermutlich irgendwo zwischen Ja, Panik und Fehlfarben fündig. Entscheidend aber ist, dass sich von Kraut nirgends anbiedern, wenn ihr getragener Postpunk den alten Wave des vergangenen Kalten Kriegs ins Jahrtausend des neuen transponiert. Das Resultat ist die meisten der neun Stücke lang zwar angemessen emotional, aber gottlob nie larmoyant oder frei von Selbstironie. Ein wirklich gelungenes Alternative-Album mit gelegentlichem Potenzial zur Bauwagenplatzpartybeschallung.
von Kraut – Zäune aus Gold (DIAN Recordings)
Ezra Collective
So ganz ganz anders, weil ganz ganz lebensbejahend und dabei ganz ganz wunderbar ist hingegen das Ezra Collective. Im Lichtkegel der UK Jazz Invasion, die den angestaubten Distinktionssound ergrauter Professoren und Anwälte gegenwarts-, also poptauglich macht, vermengt das Quintett aus London 2000 Jahre Jazzhistorie mit HipHop, Afrobeat, Ska, Funk, Soul und etwas Grime zu einer Melange, die vom Ohr übers Gehirn ins Herz durch den Schritt Richtung Beine geht und dort für Bewegung sorgt. Befeuert vom Schlagzeug des Bandleaders mit dem fabelhaften Namen Femi Koleoso ist das Debütalbum You Cant’t Steal My Joy demnach mehr als ein Mashup verschiedener Stile.
Es ist ein Manifest der Grenzüberwindung, das besonders in den Songs mit Gaststars wie Jorja Smith oder dem Cockney-Rapper Loyle Carner große Kraft enftacht. Sein What Am I To Do erinnert an die Ursprünge dieser Art des Crossovers, als Jazzmattaz oder Arrested Development den Sound alter weißer Männer mit dem junger schwarzer, na ja – auch Männer, aber androgynerer Selbstwahrnehmung versöhnt haben. So wahnsinnig soziokulturell bis politisch muss man You Cant’t Steal My Joy aber gar nicht höre; die 13 Stücke flattern bis zum karibischen Shakara feat. Kokoroko so hingebungsvoll spielfreudig durch den Kosmos weltweiter Klänge, dass man sich die nächste Fernreise getrost sparen kann. Ist auch besser fürs Klima…
Ezra Collective You Cant’t Steal My Joy