Zweiraumsilke, Friedrich Sunlight, Hot Chip

Zweiraumsilke

Wer je dachte, die Neunziger seien Geschichte, weil sie selbst dort vor allem genervt haben, der muss gerade nur mal über Ballonseide die Leggings abwärts auf dicksolige Buffalos blicken und spontan auf die Bundfaltenhose kotzen. Angesichts dieser revisionistischen Stilistik-Attacke ist es natürlich auch kein Wunder, dass HipHop wieder mal mit robustem Rock vermischt wird, weißer Prollfunk den schwarzen Sprechgesang erobert und Easy Listening durch aasige Schmuseraps schlingert. Klingt nostalgisch? Stimmt! Allerdings auch sehr unterhaltsam – wenn sich ein Freundeskreis aus Bayern mit dem ulkigen Namen Zweiraumsilke im Schlamm von gestern suhlt.

 

Das elfköpfige Kombinat ums Stimmdoppel Rita Bavanati und Christian Emmel macht herrlich aufgeblähten Orchester-HipHop mit mal ernsten, mal ulkigen, aber immer sehr diskursfreudigen Texten, die dem Genre frischen Wind durch die Festivalsaison pusten. “Denn ich mach jetzt Smoothies und Wellness/ anstatt Droofies und Wellblech / tausch jetzt stressige Tage / gegen Fußreflexzonenmassage” erzählen sie E-Gitarren-flankiert und bringen damit schon im Titeltrack gut zum Ausdruck, worin angemessen linke Bands heutzutage feststecken: Alles muss nice sein, aber eben auch bedeutsam. Hergestellt vom Seeed-Produzenten Kraans de Lutin, klingt Detox nach beidem. Nur ohne Offbeats und Chartsappeal. Zum Glück.

Zweiraumsilke – Detox (Musik ist Weltsprache)

Friedrich Sunlight

Aber wenn wir schon beim Thema Retrosound sind, dann doch bitte in ultimativer, konsequenter, allerletzter Konsequenz, wie sie Friedrich Sunlight vornimmt, eine Band, die seltsamerweise auch aus Bayern stammt, ihre Nostalgie allerdings mit einer spielerischen Leichtigkeit vollführt, als gäbe es ringsum nicht überall Lederhosen und Rassismus. Wie schon auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum vor knapp drei Jahren zelebriert das Quintett aus Augsburg einen Schlagerpop im Sixties-Gewand, der praktisch ohne Peinlichkeit zu Herzen geht und dort ein bisschen im Alterskonservatismus hamburgerschulgeprägter Diskurspopveteranen rührt.

Zu Kenji Kitahamas androgyn verwackelter Stimme mäandert Sag es erst morgen abermals mit grandioser Nonchalance durchs Caféhaus unserer aufgewühlten Seelen, die sich manchmal eben doch nach etwas uncooler Besinnung sehnen, ohne dafür gleich vom angesagten Hafenviertel in den Speckgürtel ziehen zu müssen. Pianogeplauder, Streicherkaskaden, Stadtfolkgitarre und ein Schlagzeug von verblüffend unaufdringlicher Dynamik machen die Reise in gedanken(nicht: sorg)losere Zeiten dabei so leicht wie einen Sommerausflug ins Grüne, der einem die inneren Akkus randvoll auffüllt. Das Gestern kann sehr angenehm nach Gegenwart klingen.

Friedrich Sunlight – Sag es erst morgen (Tapete)

Hype der Woche

Hot Chip

Und auch wenn, der Vergleich zweier Bands aus Bayern vor eher provinziellem Background mit einer der ganz großen Abräumer des globalen Pop irgendwie vermessen klingt: ihre ausgestellt arglose Aura teilen Friedrich Sunlight und Zweiraumsilke durchaus ein wenig mit Hot Chip. Gut, die fünf Londoner machen weltweit gefeierten Elektropendent der auch in siebter Studiofassung massenkompatibler ist als die zwei deutschen Bands allenfalls im eigenen Umfeld. Dennoch teilt A Bath Full Of Ecstasy (Domino) deren selbstreferenzielle Lässigkeit – dickt sie aber natürlich mit einer High-End-Produktion an, die auf jedem Dancefloor der Erde vom Kopf über den Bauch in die Beine geht und von dort aus Kauf-mich-Impuls zurück nach oben feuert. Melancholie klingt halt selten enthusiastischer als in Alexis Taylors synthiefunkumflatterten Gesang.

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