Interviewabbruch & Höllentalflucht

Die Gebrauchtwoche

16. – 22. September

Einst Wolfgang Bosbach, zuletzt Rainhard Grindel, zwischendurch Alice Weidel und jetzt ihr Standartenführer Bernhardiner Höcke – scheinempört Interviews abzubrechen ist nicht ungewöhnlich, aber weiterhin der Rede wert. Den Abbruch allerdings mit der offenen Drohung ans ZDF zu beenden, das werde nach der Machtergreifung Konsequenzen haben, war ebenso neu wie Gerhard Schröders Move, ein Gespräch mit RTL abzubrechen, weil ihm der Gossipsender eine – huch! – Gossipfrage – „also, jetzt ist Schluss!“ – gestellt hatte.

Immerhin ist der Altkanzler etwas zu alt, um noch politisch echt folgenschwer zu drohen. Obwohl – er könnte ja den Einmarsch der Roten Armee seines Kumpels Putin veranlassen. Ist also trotzdem Vorsicht geboten bei arschgefickten Drecksfotzenpolitiker wie – nein, das geht jetzt sogar weiter als der Postillion erlaubt. Obwohl. Nein. Ist aus Sicht des Berliner Amtsgerichts ja völlig okay, Staatsmänner aufs Übelste zu beschimpfen. Oder gilt das am Ende vielleicht doch nur für Staatsfrauen wie Renate Künast?

Jan Böhmermann fiele dazu jetzt gewiss etwas ungemein Kluges, Böses, Beißendes ein. Zumindest bis Dezember. Dann nämlich geht sein Neo Magazin Royale in eine neunmonatige Zwangspause, um auf den Wechsel ins Hauptprogramm des ZDF vorbereitet zu werden. Vermutlich ja, um dann endlich das außergewöhnliche Niveau von Carmen Nebel zu erreichen oder dem Fernsehgarten oder den fortwährenden, endlosen, selbstgenügsamen Sportübertragungen. Obwohl – damit es ab 2014 womöglich vorbei, wenn die Telekom gehörige Teile der Fußball-EM überträgt. Angesichts der Schlichtheit des öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsfernsehens ist es erstaunlich, dass dort immer noch Entertainment wie Bad Banks entsteht, die gerade für den International Emmy Award (nicht zu verwechseln mit den Emmys, von denen Game of Thrones gestern abermals ein paar mehr abgeräumt hat) nominiert wurde.

Die Frischwoche

23. – 29. September

Andererseits dominiert im deutschen Unterhaltungsfunk immer noch, was das ZDF heute Abend ohne den geringsten Anflug von Ironie Flucht durchs Höllental betitelt. Zur Primetime tut Bergdoktor Hans Sigl darin, was Hans Sigl besser mal bleiben ließe: er simuliert Actionkino auf Vorabendniveau, was in etwa so glaubhaft ist, wie die mittlere Explosionen auf Cobra 11. Wäre das ZDF mutig, würde es auf diesem Sendeplatz die 90minütige Doku Hambi über den Kampf um den Hambacher Wald bringen, aber das läuft natürlich erst um Mitternacht.

Gleiches gilt für die nette, aber am Ende doch harmlose Provinzkomödie Gloria, die schönste Kuh meiner Schwester. Dagmar Manzel kriegt darin am Freitag zur besten Sendezeit im Ersten als kämpferische Bäuerin Dauerbesuch von ihrem Bruder (Axel Prahl) und kämpft mit ihm gemeinsam um Anerkennung, Liebe, Zukunft in einem Osten, der erstaunlicherweise ganz ohne AfD auskommt. Hintergründige Belanglosigkeit – immer noch besser als Nachts baden. Maria Furtwängler äfft darin am ARD-Mittwoch einen Ex-Popstar auf Sinnsuche mit so viel Anglizismen nach, dass man die Verantwortlichen zur Strafe ein Jahr in der Praxis Dr. Kleist kasernieren sollte.

Authentischer macht es Netflix. Ab Freitag beleuchtet Skylines dort das Geschäft mit dem HipHop am Schauplatz Frankfurt mit Schauspielern statt Rappern in den Hauptrollen. Relevant und unterhaltsam. Wie an gleicher Stelle The Politician mit Ben Platt als Elitenzögling, der auf seinem lang geplanten Weg ins Weiße Haus zunächst mal die High School regieren will – eine Art Coming of House of Cards mit Stars wie Gwyneth Paltrow oder Jessica Lang. Und 80 Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs macht die BBC daraus eine Dramaserie. Hierzulande ist World on Fire ab Sonntag auf TVNow zu sehen. All sowas bespricht künftig am letzten Freitag des Monats um 21 Uhr die Talkshow Seriös auf One. Zum Auftakt dieser Serienversion vom Literarischen Quartett diskutieren Ralf Husmann, Annette Hess und Kurt Krömer mit Moderatorin Annie Hoffmann über Formate wie The End of the F…ing World oder Der Pass.

Dienstag zuvor enthüllt der französische Filmemacher Jérôme Sesquin aber noch um 20.15 Uhr, wie Katar mit Millionen für Europas Islam den Religionskrieg anheizt. Und weil das Gebot der Ausgewogenheit gilt, zeigt Arte im Anschluss, wie die schiitische Hisbollah im Libanon an Macht gewinnt. Die Wiederholungen der Woche sind dagegen artifizieller: Der HR zeigt Montag um Mitternacht Alfred Hitchcocks brillanter Frühversuch, Frauen wie Tippi Hedren als Safeknackerin Marnie mit anderen Filmeigenschaften als Häuslichkeit und Liebreiz auszustatten, während Stanley Kubricks Antikriegsdrama Full Metal Jacket (Mittwoch, 20.15 Uhr, K1) von 1987 fast schon zu real um wahr zu sein ist.

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