Thilo Mischke: Uncovered & ISIS-Fronten

Die Welt ist ein abgefuckter Ort

Thilo Mischke (Foto: Pro7) berichtet seit Jahren so kompetent und emotional, statt neunmalklug und gefühlsduselig aus Krisenherden in aller Welt, dass man glatt selbst seinen Auftraggeber vergessen könnte: ProSieben. Dort besuchte er nun zur besten Sendezeit Deutsche an der ISIS-Front (abrufbar in der Mediathek). Ein Gespräch über Gefahren, Unabhängigkeit, Abstumpfungseffekte und warum Kinderaugen nicht immer berechnend sind.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Thilo Mischke, im ProSieben Spezial Deutsche an der IS-Front sprechen Sie von der Angst, verletzt zu werden oder getötet. War dieses Gefühl eher abstrakt oder ganz konkret?

Thilo Mischke: Wir haben Uncovered mal gestartet, damit man diese Frage irgendwann nicht mehr stellen muss. Alles, was uns passiert, ist die Realität. Vor drei Monaten, als sich der türkische Einmarsch in Syrien bereits deutlich abgezeichnet hat, war also auch meine Todesangst dort nicht gespielt, sondern immanent.

Wie sind Sie damit als Reporter umgegangen, der sich regelmäßig in gefährliche Situationen begibt, diese hier aber nicht so kennt wie erfahrene Korrespondenten vor Ort?

Ich mache seit mindestens zehn Jahren Auslandsjournalismus, der mich für verschiedene Medien in unterschiedlich gefährliche Situationen führt. Von daher weiß ich, worauf ich mich einlasse und kann auf einiges an Erfahrung zurückgreifen. Ich habe mal einen Kurs über den Umgang mit Krisensituationen besucht; doch im IS-Gebiet war in der Vergangenheit die Lage so unübersichtlich, dass kaum noch Journalisten von dort berichten, und falls doch, die Berichte nicht immer verlässlich waren.

Was man an der Skepsis über Jürgen Todenhöfers Interview mit angeblichen IS-Kämpfern vor drei Jahren gesehen hat…

Da wollte ich bewusst keine Namen nennen. Aber wir waren beim Thema Angst…

Ist die für Sie eher Motor oder Hindernis Ihrer Arbeit?

Sie ist vor allem ein natürlicher Überlebensmechanismus, um Fehler zu vermeiden und die Aufmerksamkeit hochzuhalten. Kollegen, die schon lange an einem Ort sind, reden von einer gewissen Abgefucktheit. Das macht die Arbeit gefährlich, weil man denkt, einem kann schon nichts passieren. So wie Ärzte oft denken, sie sind unfehlbar, meinen ja auch Kriegsjournalisten schnell, sie seien unverwundbar. Von daher bin ich ganz froh, mir meine Angstfähigkeit erhalten zu haben. Krieg ist keine Extremsportart, und ich bin auch kein Adrenalin-Junkie.

Es gibt bei Ihnen keinerlei Gewöhnungs-, gar Abstumpfungseffekte?

Doch, aber in Abstufungen innerhalb der Abstumpfung. Als wir vor vier Jahren geplant hatten, in den Kongo zu fahren, meinte ich: Auf keinen Fall! Mittlerweile waren wir nicht nur dort, sondern auch in Kabul und nun Syrien. Ich würde das als Fähigkeit, Risiken einschätzen zu können, bezeichnen. Eine Form der Abstumpfung ist allerdings, dass ich früher schon vor dem Abflug dieses Pockern im Herzen hatte. Jetzt stellt sich das erst ein, wenn wir vor Ort Gefahrenstufe Gelb erreichen. Mittlerweile wirkt nicht mehr das ganze Land bedrohlich, sondern nur noch einzelne Gebiete oder Situationen.

Erfahrung gleich Abstumpfung…

… gleich emotionale Verrohung.

Gibt es im Rahmen dieser Verrohung Platz für so etwas wie die Lust am Thrill der Gefahr?

Eine gewisse Abenteuerlust lässt sich nicht bestreiten. Obwohl ich bestimmte Herausforderungen durchaus mag, auch um zu sehen, was ich mir zutrauen kann und will, sind sie aber nie die Motivation, hinzufahren. Und seit ich mit 13 Journalist werden wollte, gab es für mich auch nie thematische Grenzen. Deshalb berichte ich ebenso gern über Videospiele oder Wandern in der Sächsischen Schweiz wie Krisengebiete.

Nicht die kleinste Präferenz?

Ich kann ausschließen, was mich nicht interessiert.

Zum Beispiel?

Sport zum Beispiel. Oder tagesaktuellen, Politikjournalismus. Den kann ich einfach nicht. Natürlich interessiere ich mich für Politik, aber darüber berichten, das können andere besser. Und mir fehlt dafür auch die Geduld. Außerdem bin ich einfach gerne im Ausland.

Wo Sie allerdings als einreisender Reporter stets der Gefahr des embedded journalism ausgesetzt sind, also von den Gruppen vor Ort, mit denen sie unterwegs sind, instrumentalisiert zu werden…

Embedded journalism ist in der Tat kritisierungswürdig. Voriges Jahr in Mali mussten wir erleben, wie schwer es ist, objektiv zu berichten, wenn man Teil des Berichtsgegenstands wird. Das haben wir erst umgangen, als wir uns von der Bundeswehr getrennt haben und allein unterwegs waren. Die Perspektive des würde ich demnach nur wieder einnehmen, wenn mich die Bundeswehr in extrem gefährliche Regionen einlädt. Aber weil auch da ein Gefühl der Manipulation bliebe, versuchen wir uns so wenig wie möglich einbetten zu lassen.

Aber ist man nicht bereits eingebettet, wenn man sich wie in der ISIS-Reportage über mehrere Tage in die Strukturen der Widerstandskämpfer einbinden lässt?

Eingebettet ja, aber nicht abhängig. Wobei vollständige Unabhängigkeit generell eine der Unwahrheiten des Journalismus ist. Natürlich habe ich im Volontariat gelernt, wie wichtig Objektivität ist, und versuche sie auch so weit wie möglich zu erreichen. Aber wie soll man objektiv bleiben, wenn der Leiter eines Einsatzes, bei dem vielleicht Menschen sterben, deine Hand streichelt, um dich zu beruhigen? Das geht nicht – ist aber auch Teil des Konzepts von Uncovered.

Inwiefern?

Insofern wir nicht die Position des allwissenden Profis einnehmen, der alles weiß und meistert.

Sie bewahren sich also eine Naivität, die Korrespondenten womöglich nicht mehr haben?

Ja.

Und dringen sprichwörtlich wie in unbekannte Regionen vor wie ein weißes Blatt Papier, das vor Ort beschriftet wird?

Ich glaube, genauso arbeitet ein Großteil der Journalisten weltweit.

Aber ist ein langjähriger Korrespondent mit Netzwerk und Know-how am Ende nicht doch qualifizierter für Reportagen entlegener, auch gefährlicher Orte als Journalisten, die für einen Bericht auftauchen und danach wieder abdampfen?

Seltsame Frage, denn zum einen gehe ich vielleicht naiv, aber nie unvorbereitet dorthin. Zum anderen haben auch Korrespondenten, die irgendwie Relikte einer nicht vernetzten Welt sind, ihren Stützpunkt in irgendeiner Hauptstadt, poppen wie ich für fünf Tage in der Provinz auf, und kehren dann in die Safe Zone ihrer Gated Community zurück. Natürlich gibt Unterschiede – Sprachkenntnisse zum Beispiel oder ein tieferes Verständnis der regionalen Kultur. Aber sobald man ein gutes Team hat, spielt das fürs Publikum kaum eine Rolle.

Wie wichtig ist der Zuschnitt dieses Publikums für die journalistische Herangehensweise – berichten Sie in Uncovered mit zielgruppengerechten Methoden und Stilmitteln?

Ich glaube, Formate wie unsere könnten sehr gut auch in ARD oder ZDF laufen, aber deren Formate nicht umgekehrt bei ProSieben.

Ah, ja?

Dafür sind sie einfach zu konservativ. Man kann das gut am Auslandsjournal sehen, das wir ja alle lieben. Da wird zwar manchmal durchaus was Modernes ausprobiert, aber stets innerhalb der Regeln, die seit 4000 Jahren gelten. ProSieben hat keine Regeln – weder inhaltlich noch visuell. Wenn ein junger Stammzuschauer dann was sehr Sachliches im Weltspiegel sieht, fragt er sich womöglich: was fühlt der Journalist eigentlich?

Privatfernsehen heißt also mehr Emotionalität?

Das hat nichts mehr mit Privatfernsehen, sondern modernerem Journalismus zu tun.

Aber führt dieser modernere Journalismus nicht dazu, dass Deutsche an der ISIS-Front arg plakativ mit Kindern endet, die das Publikum mit dem Holzhammer ergreifen?

Ich würde eher sagen, dass der klassische Journalismus zu dieser zynischen Frage führt.

Es ist doch kein Zynismus, sondern Beobachtung, zu kritisieren, dass Kinder in den Medien zur Emotionalisierung verwendet werden, was hier darauf zuläuft, die letzten zehn Minuten als dramatische Zuspitzung ausschließlich mit denen zu füllen!

Gegenfrage: Hätten Sie die Kinder weggelassen?

Natürlich nicht, aber ich hätte sie eher als Teilaspekt der Terror- und Flüchtlingsmisere in Syrien eingestreut, als am Ende geballt zur Quintessend allen Leids zu inszenieren.

Dass Abdullah am Ende kommt, hat keinen psychologisierenden Effekt, und dahinter steckt auch kein emotionales Konzept. Aber aus der Erfahrung vieler Krisenreportagen, finde ich das Gefühl, mit den unschuldigsten Opfern rauszugehen, die stärkste Aussage. Dramaturgisch ist es absolut legitim, was besonders hängenbleiben soll, ans Ende zu packen; das ist weder ein Trick noch Realitätskitsch, sondern Wahrnehmung. Der Ernst dieses Kindes hat auch mich sprachlos gemacht.

Was hat dieser Einsatz sonst noch mit Ihnen gemacht – emotional, aber auch beruflich?

Ich bin in erster Linie besser informiert daraus hervorgegangen, weil er wie jede meiner Reportagen das eigene Schwarzweißdenken beeinflusst. Wie fast jeder Mensch, verlasse auch ich mich ja auf meine Schubladen. Obwohl ich dem Islamismus schon in verschiedenster Form begegnet bin, war der IS für mich zunächst ein Begriff. Wenn man dann die Menschen dahinter trifft, mit ihren Ängsten, Gefühlen und Lügen, werden Begriffe lebendig und IS-Mitglieder anders, als die Bild das möchte, von Schergen zu Personen. In Schubladen zu denken, ist immer einfacher, aber wer meine Arbeit vor und nach dieser Reportage durchsiebt, findet am Ende immer eines: Toleranz.

Was bedeutet die für Sie?

Menschen immer erstmal auf mich zukommen zu lassen, um mit ihnen zu sprechen – egal ob Opfer oder Täter, Taxifahrer oder Politiker.

Völlig unvoreingenommen?

Na ja, ich habe trotzdem meine Haltungen, und wenn mir ein nachweislicher Terrorist wie Martin Lemke gegenübersitzt, bin auch ich ihm gegenüber nicht unvoreingenommen. Einer Sympathisantin aber, die ich im Flüchtlingslager getroffen habe, ist tatsächlich das weiße Blatt, von dem wir gesprochen haben.

Kann die nächste Reportage emotional eigentlich noch härter für Sie werden als diese?

Was heißt härter? Ich weiß nicht, ob es eine posttraumatische Belastungsstörung war oder einfach Traurigkeit, aber als wir diesen Film vertont haben, bin ich in Tränen ausgebrochen. Die Welt ist ein abgefuckter Ort.

Das Interview ist vorab bei DWDL erschienen
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