Uwe Kockisch: Comm. Brunetti & Stasi-Kupfer

Die Ruhe selbst

Seit mehr als 20 Jahren zählt Uwe Kockisch bereits zum Kernbestand des Fernsehpersonals – trotz und wegen seiner Rolle als Commissario Brunetti (Bild: Nicolas Maack/Degeto) nach den Krimiromanen von Donna Leon, die Weihnachten mit der 26. Folge im Ersten zu Ende ging. Ein Abgesang.

Von Jan Freitag

Uwe bleibt ganz ruhig, obwohl: das tut er ja selbst dann, wenn es spürbar in ihm brodelt. Vor ihm im Wasser treibt die Leiche eines Bekannten, mit dem er eben noch angeregt übers Böse der Welt diskutiert hatte. Uwe mochte diesen Imker, auch wenn er das nicht so richtig zeigen konnte – schon weil eigentlich keine seiner Filmrollen Gefühle so richtig zeigen darf. Diese Gefühlsunterdrückung ist geradezu ihr Markenzeichen, sie macht ihn ja gewissermaßen zur Marke, diesen Uwe, der große Grübler des deutschen Fernsehens.

Doch jetzt hat es sich ausgegrübelt.

Denn mit einer Fahrt Richtung Horizont hat Uwe, Nachname Kockisch, jenes Gewässer, in dem die Leiche des geselligen Imkers, Vorname Davide, vor sich hin dümpelt, endgültig verlassen. Es ist die Lagune von Venedig, ein bezaubernd schönes Biotop – wäre da nicht der Mensch an sich. Ein zerstörerisches, abgründiges, zutiefst selbstsüchtiges Wesen, mit dem es Uwe Kockisch seit Oktober 2003 als Commissario Brunetti in aller brodelnden Ruhe zu tun bekam. Nach der 22. von insgesamt 26 Folgen „Donna Leon“ endet also eine ARD-Reihe, in der er einst den atmosphärisch ähnlich introvertierten Joachim Król als Hauptdarsteller mit neuem Gesicht zur alten Figur beerbt hatte.

Nicht, dass es dem Krimi an Publikumsresonanz mangeln würde; die Einschaltquoten waren bis zuletzt wie an fast jedem Donnerstagabend im Ersten hervorragend. Die vorletzte Episode im April etwa haben annähernd sechs Millionen Zuschauer gesehen, und hätte RLT parallel dazu nicht ein zugkräftiges Fußballspiel übertragen – es wären gewiss noch deutlich mehr gewesen. Umso interessanter müsste es sein, Uwe Kockischs Abschiedsmotive von ihm persönlich zu erfahren. Weil er das vereinbarte Interview jedoch unmittelbar vorm Termin – womöglich aus Angst vor kritischen Fragen – ohne Erklärung abgesagt hat, kann man darüber nur spekulieren. Der wichtigste Grund bedarf allerdings keiner Zeugenaussage: Commissario Brunetti ist auserzählt. Seit langem schon.

Auch sein letzter Fall treibt daher wie die Leiche des Bienenzüchters (Hermann Beyer) in einer kruden Story voll gestanzter Charaktere, die in der Regel keine dramaturgische, sondern allenfalls Platzhalter-Funktion haben. Nur leidlich von einem Burnout genesen, soll der ausgebrannte Ermittler eigentlich auf der Laguneninsel Sant’Erasmo regenerieren, wird durch den gewaltsamen Tod des biografisch verbundenen Imkers, der bereits Brunettis Vater kannte, jedoch zur Arbeit genötigt. Im Fall eines vermeintlichen Umweltskandals ringen sodann brutale Wasserschutzpolizisten (Anton Spieker) und dubiose Umweltanwälte (Suzanne von Borsody), aasige Unternehmer (Roman Knižka) oder bullige Bauern (Paul Faßnacht) um eine Art Klischeehoheit, in der sich jeder Gemütszustand zu 100 Prozent im Gesichtsausdruck spiegelt und auch sonst alles den Regeln leichtverständlicher Fiktion folgt.

Gut, dass alles nicht allzu schlüssig, aber immerhin ein bisschen anders als insinuiert, also einigermaßen überraschend endet, ist in allen 23 Leon-Verfilmungen unter Rothemunds Regie Teil des Spanungsprinzips. Aber um Logik geht es bei Krimireihen wie dieser ohnehin nur am Rande. Dazwischen geht es ums Geschäft. Und das hat kaum jemand so geprägt wie Uwe Kockisch alias Guido Brunetti. Erst seit seinem Dienstantritt ergießt sich ja ein nie versiegender Strom hiesiger Darsteller auf den Bildschirm, die im Ausland Einheimische jeder Herkunft spielen und dabei wie Deutsche klingen oder noch absurder: Österreicher. Der erste Epigone war 2006 an gleicher Stelle Henry Hübchens Triester Commissario Laurenti, bevor ihm Der Kommissar und das Meer Walter Sittler ein Jahr drauf fürs ZDF aufs schwedische Gotland folgte.

Was alle drei eint, ist dabei ein angenehm reserviertes, vielfach arg melodramatisches, aber vergleichsweise authentisches Spiel vorm Poster-Ambiente aufgeräumter Drehorte, die dem Publikum gleich zweierlei boten: Reisetipps ohne Reue plus Identifikation mittels Sprache. Während sich die Kulissen oft auf Sehenswürdigkeiten reduziert, reden alle Schauspieler darin schließlich stets geschliffen Hochdeutsch oder werden entsprechend (mies) synchronisiert. Spätestens, als Francis Fulton-Smith – natürlich unter Sigi Rothemund Regie – erst den Pariser Kommissar LaBréa und danach dessen Athener Kollegen Richter zur Abziehfolie nationaler Klischees machte, klang das dann nur noch lächerlich. Erfolgreich war es trotzdem.

Wenn Deutsche nun von Tel Aviv bis Lissabon, von Barcelona bis Island unter Deutschen auf Deutsch ermitteln, entsteht daraus fast zwangsläufig artifizielles Erklärbärfernsehen für Begriffsstutzige, bei dem sich jeder Protagonist ungefragt mit Wohnort, Name, Beruf vorstellt und fies aus der Wäsche guckt, falls er was auf dem Kerbholz hat. Warum sich der achtbare Uwe Kockisch das die vergangenen 16 von mittlerweile fast 70 Jahren angetan hat, hätte man ihn da wie gesagt gern selbst gefragt. Aber wer ihm letztmals dabei zusieht, kann sich im Meer der Ödnis wenigstens  am Zufluss seiner Ruhe erfreuen.

Es ist ein gleichermaßen trauriges und kämpferisches Spiel, mit dem er einst sogar den Stasi-General Kupfer in Weissensee zum Sympathieträger machte. Dank dieser Hybris zählte der gescheiterte Republikflüchtling schon im Osten zu den Großen seiner Branche und schaffte auch den Übergang ins gesamtdeutsche Fernsehen. Schön, dass er dort nun wieder mehr Zeit für bessere Rollen hat.

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