Staumeldungen & Bankencrashs

Die Gebrauchtwoche

27. Janaur – 2. Februar

Manchmal ist das Ende einer Ära auch deshalb begrüßenswert, weil es den Beginn einer neuen darstellt: Seit Freitag, kurz nach elf, sendet Deutschlandradio keine Verkehrsnachrichten mehr. Fast 60 Jahre also, nachdem das Bundesverkehrsministerium dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk der anschwellenden Autorepublik Staumeldungen verordnet hat, schafft der wichtigste diesen Anachronismus ab. Schließlich fragt sich ja nicht nur wegen der anschwellenden Klimaproteste, warum es diesen Service angesichts epischer Blechschlangen, die täglich stinkend herumstehen, noch gab.

Was zur nächsten Frage führt: Warum darf das Radio eigentlich Raser vor Blitzern warnen, also gewissermaßen hoheitliche Ordnungsmaßnahmen denunzieren? So etwas ist nur in einem Land möglich, dass Vollgas als Menschenrecht einstuft. Oder wahlweise Diktaturen wie den ägyptischen Putschgeneral Abdel Fatah as-Sisi mit dem Semperopernball-Orden ehrt. Dass die Verantwortlichen ihre Entscheidung rückgängig gemacht haben, hinderte Judith Rakers zum Glück nicht daran, die vereinbarte Moderation im MDR abzusagen – was ihr Ersatz Mareile Höppner kurz darauf ebenfalls tat. Haltung zeigen leicht gemacht.

Haltung zeigen schwer gemacht, war bislang drei Staffeln lang in der vielleicht besten Geschichtsserien überhaupt – The Crown – zu bestaunen. Nun verkündete Netflix, dass nach weiteren zwei Schluss sei. Haltung für Populisten zeigt dagegen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt ab heute in seiner Online-Talkshow Hier spricht das Volk, wo es vertreten durch ein Dutzend Ottonormalverbraucher toll gegen Greta Thunberg, lasche Richter oder Sprechverbote wie jenes geifern darf, nicht mehr „Negerkuss“ sagen zu dürfen. Haltung zeigen scheißegal steht indes für Joko Winterscheidt, der nun das männerpositiv-elitäre Mackerblatt GQ mit herausgibt und sich damit weiter als Marke produziert. Eine Marke, die er Mittwoch auch als Moderator vom Ding des Jahres auf Pro7 pflegt.

Die Frischwoche

3. – 9. Februar

In der Nacht vor dieser konsumfreudigen Dauerwerbesendung für – mal nachhaltige, meist überflüssige – Innovationen überträgt das Erste ab 2.40 Uhr Donald Trumps Rede zur Lage der Nation, die schon deshalb nicht von der Lage des US-Präsidenten handelt, weil sein willfähriger Senat kurz zuvor die Ladung neuer Zeugen im Impeachment-Verfahren abgelehnt hat und bis zu dessen Ende am selben Tag sicher auch die Geheimhaltung von 24 E-Mails zur Ukraine-Affäre ignorieren dürfte.

Dessen ungeachtet zeigt Arte Donnerstag/Freitag (Samstag-Montag, ZDF) zur besten Sendezeit die Fortsetzung der besten Dramaserie aus Deutschland ever: Bad Banks. Sechs Monate nach dem Crash ihrer Investmentbank DGI, baut Paula Beer als Jana Liekam fürs staatlich gerettete Haus ein schickes Berliner Startup auf, in dem sie und ihre Chefin (Desirée Nosbusch) wie 2018 gleichermaßen als Subjekt und Objekt einer entfesselten Branche agieren. Obwohl statt Christian Schwochow nun Christian Zübert Regie führte, ist das Ergebnis kein bisschen weniger herausragend. Alles richtig gemacht.

Vieles falsch macht dagegen Lars-Gunnar Lotz in seiner Romanverfilmung Tage des letzten Schnees, heute Abend im ZDF. Der Wirtschaftsfamilienbeziehungskrimi um Barneby Metschurat als Vater, der seine Tochter auf dem Gewissen hat, ist so heillos überfrachtet mit Pathos und Drama, dass die wackeren Darsteller um Henry Hübchen, Christina Große, Bjarne Mädel, Victoria Mayer gegen das Drehbuch von Nils-Morten Osburg chancenlos sind. Bei so viel artifiziellem Kitsch doch lieber die blanke Realität. Etwa in der Arte-Doku Abschied von der Mittelschicht, dessen Titel Dienstag ab 20.15 Uhr ebenso für sich spricht wie Giftiger Haushalt – Die schmutzigen Seiten der Saubermacher (Mittwoch, 20.15 Uhr, 3sat).

Fiktional machen Sender und Streamingdienste dieser Tage Pause, weshalb man kurz aufs 25-jährige Jubiläum der Jux-Serie Wilsberg am Samstag hinweisen kann, die Oscarverleihung bei Pro7 in der Nacht auf Montag (0.00 Uhr) und ansonsten die Wiederholungen der Woche. Ab morgen (22.10 Uhr) zeigt der WDR nochmals Hans-Christian Schmids Das Verschwinden von 2017. Sonntag (20.15 Uhr, Arte) ist Henri Verneuills Ganovenstück Lautlos wie die Nacht mit Alain Delon als Spielbankräuber von 1962 sehenswert. Und weil Tatort vor allem dann Spaß macht, wenn er älteren Datums ist, raten wir zu Folge 624 Feuerkämpfer (Dienstag, 22 Uhr, NDR), mit den Hamburgern Castorff/Holicek anno 2005.

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